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Das Liuthar Evangeliar auch Evangeliar Ottos III oder Ottonisches Evangeliar ist eines der Hauptwerke ottonischer Buchmalerei Die nach einem Monch Liuthar benannte Handschrift entstand vermutlich um das Jahr 1000 im Auftrag Ottos III im Kloster Reichenau und ist namensgebend fur die sogenannte Liuthar Gruppe der Reichenauer Buchmalerei der auch das Munchner Evangeliar Ottos III das Perikopenbuch Heinrichs II und die Bamberger Apokalypse zugezahlt werden Eine epochale Neuerung in der abendlandischen Buchmalerei ist die Darstellung aller Bilder auf Goldgrund Thronbild Kaiser Ottos III fol 16r Heute befindet sich das Evangeliar in der Aachener Domschatzkammer Inv Nr 25 und stellt neben dem Schatzkammer Evangeliar aus karolingischer Zeit eine der zwei besonders bedeutsamen und wertvollen mittelalterlichen Handschriften der Sammlung dar Zusammen mit neun weiteren Werken der Reichenauer Schule wurde das Manuskript 2003 von der UNESCO in die Liste des Weltdokumentenerbes aufgenommen Inhaltsverzeichnis 1 Geschichte 2 Beschreibung 2 1 Handschrift 2 1 1 Inhalt und Gestaltung 2 1 2 Apotheose Ottos III 2 1 3 Aachener Fragment 2 2 Einband 3 Einordnung 4 Forschungsgeschichte 5 Siehe auch 6 Literatur 7 Weblinks 8 AnmerkungenGeschichte BearbeitenZahlreiche Nachweise kunden davon dass das wohl im Jahre 1000 bei der Grundung des Aachener Kronungsstifts gestiftete Liuthar Evangeliar jahrhundertelang als Schwur evangeliar fur die in Aachen gekronten romisch deutschen Konige die als Kanoniker in das Aachener Stiftskapitel aufgenommen wurden sowie fur die Aachener Stiftsherren selber diente Nach der Franzosischen Revolution gelangte die Handschrift in Aachener Privatbesitz und wurde 1848 zuruckerworben 1 Beschreibung BearbeitenHandschrift Bearbeiten Inhalt und Gestaltung Bearbeiten Das 256 Blatt starke die Texte der vier Evangelien nach der Vulgata des hl Hieronymus umfassende Manuskript mit einem Format von 29 8 21 5 cm ist einspaltig in karolingischer Minuskel mit schwarzer Tinte auf Pergament geschrieben Titel und Uberschriften sind in goldener Capitalis rustica und auch die Randziffern in Gold gehalten Der Kodex enthalt neben den Evangelientexten auch die jeweiligen Vorreden Argumente genannt ein Perikopenverzeichnis 31 ganzseitige Miniaturen darunter je eine Darstellung der vier Evangelisten vier Initialseiten 21 Abbildungen mit Szenen aus dem Leben Jesu Christi ein Widmungsblatt des Monches Liuthar mit einer Darstellung der Apotheose Ottos III sowie zwolf Kanonblatter Apotheose Ottos III Bearbeiten Von grosser Bedeutung ist das dem Evangelienteil vorangestellte doppelseitige Widmungsbild Auf der linken Seite steht in einem auf die Spitze gestellten Vierpass Quadrat der Monch Liuthar mit einem Evangelienbuch in Handen zu dem auf der gegenuberliegenden Seite thronenden Otto III hingewandt Die ober und unterhalb in goldener Capitalis auf Purpurgrund angebrachte in Leoninischem Hexameter gehaltene Widmungsinschrift lautet HOC AUGUSTE LIBRO TIBI COR D EU S INDUAT OTTO QUEM DE LIUTHARIO TE SUSCEPISSE MEMENTO Mit diesem Buch moge Gott dir Kaiser Otto das Herz bekleiden Erinnere dich dass du es von Liuthar empfingst Das gegenuberliegende Bild zeigt Otto in der Art romischer Kaiser mit Tunika und Chlamys bekleidet vor Goldgrund auf einem von Tellus als Personifikation der Erde getragenen Thron Otto wird exemplarisch fur die mediavale Herrscherikonographie umfangen von einer sonst nur Christus vorbehaltenen Mandorla Hier wird zum Ausdruck gebracht dass Otto im Sinne des mittelalterlichen Herrscheridee durch die Kronung selbst zum Christus zum Gesalbten geworden ist Dies wird bestatigt durch die in blauem Nimbus uber einem Kreuz erscheinende Hand Gottes die den Kaiser kront der wiederum die Arme in der Haltung des Gekreuzigten ausgebreitet hat Die Rechte halt den Reichsapfel wahrend die Linke zum Empfang des von Liuthar gestifteten Evangeliars ausgestreckt ist Die vier Symbole der Evangelisten halten den weissen Evangelienrotulus vor die Brust des Kaisers und bekleiden gleichsam sein Herz damit Die Szene wird von einer purpurnen Arkade gerahmt die Farbe eigentlich ein Privileg des ostromischen Kaisers weist hin auf Ottos Kaiserwurde Zu beiden Seiten des Thrones stehen zwei huldigende Konige mit Lehnsfahnen an ihren Lanzen In ihnen hat man Boleslaw I und Stephan I der im Jahre 1000 durch Otto zum Konig erhoben wurde sehen wollen Im unteren Register nahern sich von links zwei weltliche Wurdentrager mit Helm Lanze und Schild Von rechter Seite kommend finden sich zwei geistliche Wurdentrager in Gestalt von mit Albe Kasel und Pallium bekleideten Erzbischofen die Schreibgerate mitgebracht haben Es handelt sich bei dieser Apotheose Darstellung um eine einzigartige byzantinisch beeinflusste Abwandlung des Topos der Majestas Domini Kaiser Otto III erscheint als von Gott gekronter von der Erde getragener irdischer Christus das Herz erfullt vom Evangelium dem die Machtigen der Welt huldigen Aachener Fragment Bearbeiten Im Jahre 1886 fand der Aachener Stiftskapellmeister Heinrich Bockeler 2 im Liuthar Evangeliar das sog Aachener Fragment der Schrift nach in das 14 oder 15 Jahrhundert zu datieren 3 Es handelt sich um den Beginn des als Aachener Weihnachtslied bekannten altesten Weihnachtsliedes im deutschen Sprachraum Die in Quadratnotation erfasste Melodie ist unterlegt mit den Worten Syt willekomen heirre kirst want du unser alre here bis ubersetzt Sei willkommen Herre Christ der du unser aller Herre bist Einband Bearbeiten Bis 1870 bildete ein silberner Bucheinband aus der Zeit um 1170 80 den ruckwartigen Deckel des karolingischen Schatzkammer Evangeliars bis er als Vorderteil auf dem Liuthar Evangeliar befestigt wurde Im Jahre 1972 wurde der Buchdeckel abgenommen und das Evangeliar neu eingebunden Ein moglicherweise ursprunglich fur das Liuthar Evangeliar geschaffener ottonischer Einband der sogenannte Goldene Buchdeckel wurde ebenfalls bis 1972 als Frontdeckel des Schatzkammer Evangeliars genutzt Der Buchdeckel hat die Masse 30 8 23 7 cm und besteht aus einem Holzkern Silberblech und byzantinischen Elfenbeintafeln aus der Mitte des zehnten Jahrhunderts Letztere zeigen Halbfiguren der vier Heiligen Johannes der Evangelist Johannes der Taufer Theodor und Georg und bilden die Mitte des Deckels Um sie herum sind in Bogenfeldern die vier schreibenden Evangelisten angeordnet seitlich zieren die Bildnisse zweier Erzengel das Werk Die Elfenbeintafeln gehoren als klappbare Altarflugel zu dem Elfenbeinrelief des Buchdeckels des Schatzkammer Evangeliars und weisen keinerlei Bezug zu den in Silber gearbeiteten Evangelisten und Engeln auf Einordnung BearbeitenErstmals in der gesamten mittelalterlichen Buchkunst wurden auf den 21 Seiten mit Szenen aus dem Leben Jesu teils in zwei ubereinander liegenden Registern Miniaturen konsequent hochformatig angelegt Die trotz des kleinen Formats dieser Szenen monumental wirkenden Figuren werden von kapitellbekronten Arkaden umrahmt allesamt hinterfangen von einem Goldgrund ein weiteres Novum fur die gesamteuropaische Buchkunstgeschichte Die Darstellungen sind als Zusammenstellung spatantiker mittelbyzantinischer und Trierer Vorlagen anzusehen Ernst Gunther Grimme sagt hierzu Die Wirklichkeit des Ewigen bestimmt das Erscheinungsbild Forschungsgeschichte BearbeitenIn der Forschungsgeschichte war die Frage nach der Identifikation des dargestellten Herrschers lange Zeit umstritten So wurde dieser u a von Percy Ernst Schramm zunachst fur Otto II gehalten wovon er sich jedoch in einer 1983 posthum gemeinsam mit Florentine Mutherich veroffentlichten Schrift zugunsten einer Deutung als Otto III distanzierte 4 Letztlich hat sich die gegenwartige Interpretation aus stilistischen Grunden durchgesetzt ein vermeintlich offensichtliches jedoch umstrittenes Argument mag an dieser Stelle die Bartlosigkeit und damit implizierte Jugendlichkeit des Dargestellten sein Problematisch ist daruber hinaus auch weiterhin ob es sich zumindest neben einer zeitlosen in jenseitiger Entruckung konzipierten Inszenierung gleichfalls um die Darstellung eines konkreten profanen Ereignisses und hier insbesondere der Kaiserkronung am 21 Mai des Jahres 996 handelt aus deren Anlass dann die Stiftung des Evangeliars womoglich erfolgt ware 5 Siehe auch BearbeitenEvangeliar Ottos III Munchen Literatur BearbeitenErnst Gunther Grimme Text Ann Munchow Aufnahmen Der Aachener Domschatz Aachener Kunstblatter Bd 42 Schwann Dusseldorf 1973 Nr 25 S 31 36 Ernst Gunther Grimme Text Ann Munchow Aufnahmen Das Evangeliar Kaiser Ottos III im Domschatz zu Aachen Herder Freiburg i Br u a 1984 ISBN 3 451 20071 6 Clemens M M Bayer Untersuchungen zum ottonischen Evangeliar der Aachener Domschatzkammer In Aachener Kunstblatter Bd 54 55 Thouet Aachen 1986 87 S 33 46 Johannes Fried Otto III und Boleslaw Chrobry Das Widmungsbild des Aachener Evangeliars der Akt von Gnesen und das fruhe polnische und ungarische Konigtum Eine Bildanalyse und ihre historischen Folgen Steiner Wiesbaden 1989 ISBN 3 515 05381 6 Ulrich Kuder Liuthar Evangeliar In Michael Brandt Arne Eggebrecht Hrsg Bernward von Hildesheim und das Zeitalter der Ottonen Ausstellungskatalog Hildesheim 1993 Mainz 1993 Bd 2 S 84 87 Ernst Gunther Grimme Der goldene Dom der Ottonen Einhard Verlag Aachen 2001 ISBN 3 930701 90 1 S 23 43 Josef Els Das Aachener Liuthar Evangeliar Zur Bedeutung des Aachener Evangeliars Ottos III In Rheinische Heimatpflege Jg 48 2011 S 181 194 Rainer Kahsnitz Ungewohnliche Szenen im Aachener Liuthar Evangeliar Ein Beitrag zum Problem des christologischen Zyklus der Reichenauer Buchmalerei In Buchschatze des Mittelalters Schnell amp Steiner Regensburg 2011 S 63 91 Walter Maas Pit Siebigs Der Aachener Dom Schnell amp Steiner Regensburg 2013 ISBN 978 3 7954 2445 9 S 148 151 Weblinks BearbeitenLiuthar Evangeliar im Bildindex der Kunst und Architektur Zur Datierung des Aachener Otto Evangeliars auf das Jahr 983 Aufsatz von Horst Peters auf den Seiten der Universitatsbibliothek Heidelberg Anmerkungen Bearbeiten Herta Lepie Georg Minkenberg Die Schatzkammer des Aachener Domes Aachen 1995 S 60 Heinrich Bockeler Die Melodie des Aachener Weihnachtsliedes In Zeitschrift des Aachener Geschichtsvereins 11 1887 S 176 184 August Brecher Musik im Aachener Dom in zwolf Jahrhunderten Aachen 1998 S 31 Percy Ernst Schramm Florentine Mutherich Die deutschen Kaiser und Konige in Bildern ihrer Zeit 751 1190 Munchen 1983 S 78 und 204 Eingehend hierzu Benjamin Bussmann Die Historisierung der Herrscherbilder ca 1000 1200 Koln 2006 S 37 45 Normdaten Werk GND 4134600 2 lobid OGND AKS VIAF 194911041 Abgerufen von https de wikipedia org w index php title Liuthar Evangeliar amp oldid 206701735