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Intuitionismus bezeichnet unterschiedliche philosophische mathematische und teilweise auch psychologische Positionen die der Intuition eine Prioritat einraumen Oftmals wird dabei vorausgesetzt dass bestimmte Sachverhalte unmittelbar erkannt oder bewiesen werden Zu unterscheiden sind hauptsachlich Wortverwendungen in der Erkenntnistheorie der intuitionistischen Ethik und Metaethik sowie ein mathematischer und logischer Intuitionismus Inhaltsverzeichnis 1 Erkenntnistheoretischer Intuitionismus 1 1 Fruhe Neuzeit 17 und 18 Jahrhundert 1 2 19 und fruhes 20 Jahrhundert 1 3 Spates 20 und fruhes 21 Jahrhundert 2 Ethischer und metaethischer Intuitionismus 3 Intuitionistische Mathematik und Logik 4 Sonstige Wortverwendungen 5 EinzelnachweiseErkenntnistheoretischer Intuitionismus BearbeitenIn der Klassifikation erkenntnistheoretischer Positionen bezeichnet Intuitionismus die Auffassung dass epistemische kognitive und ggf metaphysische Tatsachen unmittelbar einsichtig sind und als Axiome zur Grundlage der weiteren philosophischen Beweisfuhrung dienen konnen Intuition kann dabei erkenntnistheoretisch bezogen sein auf ein Wissen aus reiner Vernunft A priori Wissen unspezifischer auf den Anschein des Bestehens eines Sachverhalts oder allgemeiner auf Zustande die Sinneserfahrung und Introspektion einschliessen 1 Fruhe Neuzeit 17 und 18 Jahrhundert Bearbeiten Die erkenntnistheoretische Position wird ublicherweise 2 verbunden mit Rene Descartes und Claude Buffier Die Schottische Schule Thomas Reid Dugald Stewart William Hamilton Pierre Paul Royer Collard knupft daran an wobei zunachst dem Skeptizismus von David Hume und spater auch dem Sensualismus von Etienne Bonnot de Condillac widersprochen werden soll Seit dem 19 Jahrhundert wird diese Richtung Intuitionismus genannt womit auch deren Nachfolger des franzosischen Eklektizismus bezeichnet werden Ahnliche Ideen die ebenfalls in der schottischen Schule rezipiert werden verfolgen Shaftesbury und Francis Hutcheson wobei Empfindung und Gefuhl als unmittelbare Evidenzen betont werden und dem Empirismus von John Locke entgegenstehen 19 und fruhes 20 Jahrhundert Bearbeiten nbsp Walter Meckauer Dissertation 1917 Seit dem 19 Jahrhundert entsteht eine Stromung ethischer Theoriebildung welche Intuitionismus als Selbstbezeichnung verwendet Bei den Theoretikern des franzosischen Eklektizismus werden Konzepte der schottischen Schule mit Ideen aus dem deutschen Idealismus verbunden Zu den Vertretern zahlen Victor Cousin Adolphe Garnier 1801 1864 Theodore Simon Jouffroy und Pierre Janet Wilhelm Traugott Krug bezeichnet auch Ideen von Friedrich Heinrich Jacobi als Intuitionismus Letzterer ist durch Shaftesbury und Hutcheson und deren Gefuhlsorientierung beeinflusst und versucht ebenfalls gegenuber Locke Hume George Berkeley und nunmehr auch Immanuel Kant einen unmittelbaren Zugang zu metaphysischen Wahrheiten und Gegenstanden zu etablieren In dieser Linie 3 bewegt sich auch der spekulative Idealismus von Friedrich Wilhelm Joseph Schelling der gegen Kant und die vorbenannten an einer intellektuellen Anschauung festhalt Henri Bergson knupft an die Ideen des Intuitionismus an und arbeitet den Ansatz weiter aus Er stellt wissenschaftliche Diskursivitat und philosophische Intuition einander gegenuber 4 Im Gefolge Bergsons wiederum entwickelt Edmund Husserl seine phanomenologische Methode der Ideation bzw Wesensschau die einen unmittelbaren von wissenschaftlicher Theoriebildung unabhangigen epistemischen Zugang zu Dingen oder Werten an sich annimmt Max Scheler schliesst daran seine Wertphilosophie an Spates 20 und fruhes 21 Jahrhundert Bearbeiten Verschiedenen Positionen wird eine intuitionistische Ausrichtung zugeschrieben so etwa mit Bezug auf Vladimir Lossky 1903 1958 Martin Heidegger Knud Ejler Logstrup und Theodor W Adorno 5 die ebenfalls das Element eines unmittelbaren Zugangs zur Wirklichkeit gegenuber betont argumentativ oder rational vermittelten Positionen enthalten oder verteidigen Auch in Disziplinen heutiger theoretischer Philosophie wird Intuitionismus als Klassifikationsbegriff verwendet wobei aber in der Regel keine explizite Kontinuitat zu den vorbenannten Positionen vertreten wird Ethischer und metaethischer Intuitionismus BearbeitenNach Robert Audi ist in der heutigen Epistemologie der Moral moralischer Intuitionismus ein Sammelbegriff fur Positionen die anders als Utilitarismus und deontologische Ethik wie diejenige Kants in folgenden theoretischen Verpflichtungen ubereinkommen 6 Es gibt irreduzibel mehrere Prinzipien der Moral Dagegen werden in verbreiteten Ausarbeitungen utilitaristischer und deontologischer Ethik insb in der kantischen Ethik nur ein oder wenige Moralprinzipien angenommen aus welchen andere moralische Wahrheiten herleitbar bzw auf welche diese geltungslogisch zuruckfuhrbar sein sollen Jedes der Moralprinzipien bezieht sich auf einen naturlichen Grund der eine prima facie Pflicht impliziert Diese Moralprinzipien sind intuitiv wissbar werden also nicht etwa nur durch Schlussfolgerungen inferentiell erfasst Wegen der dritten These handelt es sich um eine Variante eines Epistemologischen Fundamentalismus also einer Theorie die letzte Fundamente der Wissensbegrundung postuliert Gegenpositionen sind der Empirismus des Utilitarismus der Rationalismus der kantischen deontologischen Ethik sowie ferner der Nonkognitivismus 7 Einige Autoren unterscheiden naturalistischen und metaphysischen Intuitionismus 8 Letzterer wird dabei zum Beispiel verstanden als verpflichtet auf die These dass Ausdrucke wie gut auf ethische Objekte referieren die menschliches Bewusstsein erfasst wenn es ethisches Wissen erwirbt 9 Der moralische Intuitionismus hat Vorlaufer in Henry Sidgwick George Edward Moore Max Scheler William David Ross Hastings Rashdall 1858 1924 wobei aber Abgrenzungen vorgenommen werden etwa bei Moore 10 Gegenwartige Vertreter sind unter anderem Robert Audi Noah Lemos 1956 Grant C Sterling Russ Shafer Landau 1963 und William Donald Hudson Gerd Gigerenzer versteht intuitionistische Ethik als Heuristik einfacher und evolvierter Faustregeln zur intelligenten Komplexitatsreduzierung 11 Intuitionistische Mathematik und Logik Bearbeiten Hauptartikel Intuitionismus Logik und Mathematik Der mathematische Intuitionismus vertritt dass die Mathematik eine aktiv konstruktive Tatigkeit ist Alle mathematischen Gegenstande sind Konstrukte produziert von idealen Mathematikern die gleichwohl endlich bleiben und damit aktual unendliche mathematische Objekte eigentlich nicht konstruieren konnen Um nichtkonstruktive Beweise ausschliessen zu konnen mussen die Gesetze der Elimination doppelter Negation non non A A und des Ausschlusses einer dritten Alternative bei logischen Gegensatzen A oder non A aus der klassischen Logik suspendiert werden Darum mussen klassische mathematische Theorien wie die Peano Arithmetik revidiert werden Wahrend im Bereich der Arithmetik syntaktische Ubersetzungen in intuitionistische Aussagen leicht zu bewerkstelligen sind erhoht der intuitionistische Ansatz in der Analysis und anderen Theorien hoherer Mathematik die Komplexitat enorm Gegenpositionen in der Philosophie der Mathematik sind Logizismus Gottlob Frege Mathematik ist reduzierbar auf Logik Formalismus David Hilbert oder Pradikativismus Bertrand Russell 12 Ein entschiedener Gegner der Reduktion der Mathematik auf die Logik war Anfang des 20 Jahrhunderts auch Henri Poincare L E J Brouwer ist der Begrunder des mathematischen Intuitionismus 13 Der Ausgangspunkt fur diesen Intuitionismus den fregeschen Logizismus zu radikalisieren die klassische Mathematik zu revidieren und auch verschiedene logische Prinzipien zu verwerfen ist der Unendlichkeitsbegriff weil das Unendliche niemals als fertige Gesamtheit als aktual Unendliches z B als gabe es unendlich viele Zahlen sondern als blosse Moglichkeit des unbegrenzten Fortschreitens aufzufassen sei als potentiell Unendliches z B insofern man zu jeder naturlichen Zahl eine nachfolgende Zahl angeben kann siehe auch Finitismus so dass die Allgemeingultigkeit des Prinzips vom ausgeschlossenen Dritten geleugnet werden musse da es in Anwendung auf unendliche Gegenstandsbereiche nicht unbeschrankt gelten konne 14 Heutige Vertreter sind beispielsweise Anne Troelstra Dirk van Dalen oder Rudolf Taschner Aus den vorbenannten Grunden erfordert die konstruktivistische Mathematik eine revidierte Logik Diese Basis stellt die Intuitionistische Logik bereit Neben Brouwer waren an der Ausarbeitung intuitionistischer Logiksysteme unter anderem beteiligt Andrei Kolmogorow Errett Bishop Arend Heyting Gerhard Gentzen Stephen Cole Kleene Kurt Godel Saul A Kripke Paul Lorenzen und Michael Dummett Auch der aus der Hilbert Schule stammende Mathematiker Hermann Weyl stand zeitweise dem Intuitionismus nahe und loste 1921 eine Debatte zwischen Intuitionisten und der Hilbert Schule aus Grundlagenkrise der Mathematik Sonstige Wortverwendungen BearbeitenVon intuitionistischen Positionen hat man auch gesprochen mit Bezug auf Pawel Alexandrowitsch Florenski und Nikolai Lossky 15 sowie Martin Heidegger bei letzterem mit Bezug auf seine Rationalitatskritik und die Annahme eines unmittelbaren Zuspruch s des Seins der jeder Verdinglichung von einzelnem Seienden voraus geht 16 Auch die auf Vollzugswissen beruhende Empraxis steht fur eine spezifisch intuitionistische Position 17 Einzelnachweise Bearbeiten George Bealer Art Intuition Addendum in Encyclopedia of Philosophy 2 A 732f hier 732 Vgl zum Folgenden G Pflug Intuitionismus I in Historisches Worterbuch der Philosophie Bd 4 S 540 42 Vgl M Adam Die intellektuelle Anschauung bei Schelling in ihrem Verhaltnis zur Methode der Intuition bei Bergson Diss Hamburg Patschkau Schlesien 1926 Vgl Pflug l c mit Bezug auf H Bergson L intuition philosophique in La pensee et le mouvant Essais et conferences Alcan Paris 1934 deutsch Denken und schopferisches Werden Aufsatze und Vortrage EVA Frankfurt am Main 1948 Neuauflage Hamburg 2007 Oliver Garbrecht Rationalitatskritik der Moderne Adorno und Heidegger Diss 1999 Munchen 2002 online bei google books ISBN 3 89675 652 4 So die Charakterisierung von Robert Audi Moral Knowledge and Ethical Pluralism in John Greco Ernest Sosa Hgg The Blackwell Guide to Epistemology Oxford Blackwell 1999 271 302 Vgl allgemein auch Ders The Good in the Right A Theory of Intuition and Intrinsic Value Princeton University Press Princeton Oxford 2004 Paperback 2005 ISBN 978 0 691 12388 2 Auch diese Klassifizierung nach Audi So zum Beispiel William K Frankena Ethics Prentice Hall 1973 ISBN 0132904780 So zum Beispiel Jan Narveson The libertarian idea Broadview Press 2001 ISBN 1551114216 S 110 einsehbar bei Google Books Vgl George Edward Moore Principia Ethica Cambridge 1962 1903 90 S 148 Gerd Gigerenzer Bauchentscheidungen Die Intelligenz des Unbewussten und die Macht der Intuition Munchen 2007 Vgl Leon Horsten Philosophy of Mathematics In Edward N Zalta Hrsg Stanford Encyclopedia of Philosophy Vgl zum Beispiel L E J Brouwer Hrsg Intuitionismus eingeleitet und kommentiert von Dirk van Dalen Mannheim Leipzig u a 1992 ISBN 3 411 15371 7 Vgl Wolfgang Stegmuller Hauptstromungen der Gegenwartsphilosophie Bd 1 Stuttgart 1989 S 438 Siehe zum Beispiel C Chant Art Florenski Pavel Aleksandrovich in Stuart Brown Diane Collinson Robert Wilkinson Hgg Biographical dictionary of twentieth century philosophers Taylor amp Francis 2002 ISBN 0415286050 S 238 Oliver Garbrecht Rationalitatskritik der Moderne Adorno und Heidegger Utz Munchen 2002 ISBN 3 89675 652 4 S 269f teilweise online bei Google Books Dissertation Universitat Munchen 1999 299 Seiten Volker Caysa Empraktische Vernunft Peter Lang Internationaler Verlag der Wissenschaften 2015 ISBN 978 3 631 66707 1 Normdaten Sachbegriff GND 4162197 9 lobid OGND AKS Abgerufen von https de wikipedia org w index php title Intuitionismus amp oldid 234645166