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Die Philosophie der Mathematik ist ein Bereich der theoretischen Philosophie der anstrebt Voraussetzungen Gegenstand Methode und Natur der Mathematik zu verstehen und zu erklaren Inhaltsverzeichnis 1 Ausgangspunkt 2 Realismus Platonismus Materialismus 3 Logizismus 4 Formalismus Deduktivismus 5 Strukturalismus 6 Andere Theorien 7 Siehe auch 8 Einzelnachweise 9 Literatur 10 WeblinksAusgangspunkt BearbeitenSystematisch grundlegend sind dabei Fragen nach der Seinsweise der mathematischen Objekte Existieren diese wirklich und unabhangig von einer konkreten Verwendung und wenn ja in welchem Sinne Was heisst es uberhaupt sich auf ein mathematisches Objekt zu beziehen Welchen Charakter haben mathematische Satze Welche Beziehungen bestehen zwischen Logik und Mathematik Hierbei handelt es sich um ontologische Fragen dem Ursprung des mathematischen Wissens Was ist Quelle und Wesen der mathematischen Wahrheit Welches sind die Bedingungen der mathematischen Wissenschaft Welches sind grundsatzlich ihre Forschungsmethoden Welche Rolle spielt dabei die Natur des Menschen Dies sind epistemologische Fragen dem Verhaltnis von Mathematik und Realitat Welche Beziehung besteht zwischen der abstrakten Welt der Mathematik und dem materiellen Universum Ist Mathematik in der Erfahrung verankert und wenn ja wie Wie kommt es dass Mathematik auf die Gegenstande der Wirklichkeit so vortrefflich passt Albert Einstein In welcher Weise erlangen Konzepte wie Zahl Punkt Unendlichkeit ihre uber den innermathematischen Bereich hinausreichende Bedeutung Ausgangspunkt ist fast durchgehend die Auffassung dass mathematische Satze apodiktisch gewiss zeitlos und exakt sind und ihre Richtigkeit weder von empirischen Ergebnissen noch von personlichen Ansichten abhangt Aufgabe ist es sowohl die Bedingungen der Moglichkeit solcher Erkenntnis zu ermitteln als auch diesen Ausgangspunkt zu hinterfragen Realismus Platonismus Materialismus BearbeitenEine unter Mathematikern verbreitete Position ist der Realismus vertreten u a durch Kurt Godel und Paul Erdos Mathematische Gegenstande Zahlen geometrische Figuren Strukturen und Gesetze sind keine Konzepte die im Kopf des Mathematikers entstehen sondern es wird ihnen eine vom menschlichen Denken unabhangige Existenz zugesprochen wie Friedrich Engels im Anti Duhring betont Mathematik wird folglich nicht erfunden sondern entdeckt Durch diese Auffassung wird dem objektiven also interpersonellen Charakter der Mathematik entsprochen Dieser ontologische Realismus ist materialistische Philosophie 1 2 Die klassische Form des Realismus ist der Platonismus dem zufolge die mathematischen Gegenstande und Satze losgelost von der materiellen Welt und unabhangig von Raum und Zeit existieren zusammen mit den anderen Ideen wie dem Guten dem Schonen oder dem Gottlichen Das Hauptproblem des Platonismus in der Philosophie der Mathematik ist die Frage auf welche Weise wir als begrenzte Wesen die mathematischen Objekte und Wahrheiten erkennen konnen wenn sie in diesem Ideenhimmel beheimatet sind Arthur Schopenhauer vertrat unter Bezug auf Gottfried Wilhelm Leibniz Platon und Pythagoras die Auffassung die Musik bilde mit ihrem auf Zahlen grundendem Wesen den innersten aller Gestaltung vorhergangigen Kern oder das Herz der Dinge Dies Verhaltniss liesse sich recht gut in der Sprache der Scholastiker ausdrucken indem man sagte die Begriffe sind die universalia post rem die Musik aber giebt die universalia ante rem und die Wirklichkeit die universalia in re 3 Laut Godel leistet dies eine mathematische Intuition die ahnlich einem Sinnesorgan uns Menschen Teile dieser anderen Welt wahrnehmen lasst Derartige rationale Intuitionen werden auch von den meisten Klassikern des Rationalismus und in jungeren Debatten um Rechtfertigung oder Wissen a priori u a von Laurence Bonjour verteidigt 4 Aristoteles behandelt seine Philosophie der Mathematik in den Buchern XIII und XIV der Metaphysik Er kritisiert hier und vielerorts den Platonismus Logizismus BearbeitenDer Logizismus wurde unter anderem von Gottlob Frege Bertrand Russell und Rudolf Carnap begrundet Er verfolgte ein Programm die Mathematik vollstandig auf die formale Logik zuruckfuhren und folglich auch als einen Teil der Logik zu verstehen Logizisten vertreten die Ansicht dass mathematische Erkenntnis a priori gultig ist Mathematische Konzepte sind abgeleitet von oder konstruiert aus logischen Konzepten mathematische Satze folgen direkt aus den Axiomen der reinen Logik Gottlob Frege der als einer der grossen Denker des 20 Jahrhunderts gilt fuhrte in seinen Grundgesetzen der Arithmetik das Gesetzesgebaude des Zahlenrechnens auf logische Prinzipien zuruck Freges Konstruktion erwies sich aber noch vor seiner vollstandigen Veroffentlichung als bruchig nachdem Russell mit seiner beruhmten Antinomie zeigte dass Widerspruche in Freges mathematischen Arbeiten herleitbar sind Russell teilte dies Frege in einem Brief mit worauf dieser in eine tiefe personliche Krise geriet Spater konnten mit komplizierteren Axiomensystemen die Widerspruche vermieden werden so dass die Mengenlehre und insbesondere die Theorie der naturlichen Zahlen ohne die vorherigen Widerspruche begrundet werden konnte Diese Axiome liessen sich aber nicht im Sinne von Freges Grundgesetzen rein logisch begrunden Kritisiert wird am Logizismus vor allem dass er die Grundprobleme der Mathematik nicht lost sondern lediglich auf Grundlagenprobleme der Logik schiebt und somit keine befriedigenden Antworten gibt Formalismus Deduktivismus BearbeitenDer Formalismus versteht die Mathematik ahnlich einem Spiel das auf einem gewissen Regelwerk beruht mit dem Zeichenketten engl strings manipuliert werden Zum Beispiel wird im Spiel Euklidische Geometrie der Satz des Pythagoras gewonnen indem gewisse Zeichenfolgen die Axiome mit gewissen Regeln denen des logischen Schlussfolgerns wie Bausteine zusammengefugt werden Mathematische Aussagen verlieren damit den Charakter von Wahrheiten etwa uber geometrische Figuren oder Zahlen sie sind letztlich gar keine Aussagen mehr uber irgendetwas Als Deduktivismus wird oft eine Variante des Formalismus bezeichnet in der z B der Satz des Pythagoras keine absolute Wahrheit mehr darstellt sondern nur eine relative Wenn man den Zeichenfolgen in einer Weise Bedeutungen zuweist so dass die Axiome und die Schlussregeln wahr sind dann muss man die Folgerungen z B den Satz des Pythagoras als wahr ansehen So gesehen muss der Formalismus kein bedeutungsloses symbolisches Spiel bleiben Der Mathematiker darf vielmehr hoffen dass es eine Interpretation der Zeichenfolgen gibt die ihm z B die Physik oder andere Naturwissenschaften vorgeben so dass die Regeln zu wahren Aussagen fuhren Ein deduktivistischer Mathematiker kann sich also sowohl von der Verantwortung fur die Interpretationen als auch von den ontologischen Schwierigkeiten der Philosophen freihalten David Hilbert strebte einen konsistenten axiomatischen Aufbau der gesamten Mathematik an wobei er wiederum die Arithmetik der naturlichen Zahlen als Ausgangspunkt wahlte in der Annahme damit ein vollstandiges und widerspruchsfreies System zu besitzen Dieser Auffassung hat kurze Zeit spater Kurt Godel mit seinem Unvollstandigkeitssatz den Boden entzogen Damit ist fur jedes Axiomensystem das die Arithmetik der naturlichen Zahlen umfasst bewiesen dass es entweder unvollstandig nicht durch einen Computer aufzahlbar oder in sich widerspruchlich ist Strukturalismus BearbeitenDer Strukturalismus betrachtet die Mathematik in erster Linie als eine Wissenschaft die sich mit allgemeinen Strukturen beschaftigt d h mit den Relationen von Elementen innerhalb eines Systems Um dies zu illustrieren kann man als Beispielsystem etwa die Verwaltung eines Sportvereins 5 betrachten Die verschiedenen Amter etwa Vorstand Kassenprufer Kassenwart usw lassen sich unterscheiden von den Personen die diese Aufgaben ubernehmen Wenn man nur das Gerust der Amter betrachtet und somit die konkreten Personen die sie ausfullen weglasst dann erhalt man die allgemeine Struktur eines Vereins Der Verein selbst mit den Personen die die Amter ubernommen haben exemplifiziert diese Struktur Ebenso exemplifiziert jedes System dessen Elemente einen eindeutigen Nachfolger haben die Struktur der naturlichen Zahlen Analoges gilt fur andere mathematische Objekte Da der Strukturalismus Objekte wie Zahlen nicht losgelost von ihrer Gesamtheit oder Struktur betrachtet sondern sie mehr als Platze in einer Struktur sieht weicht er der Frage nach der Existenz von mathematischen Objekten aus bzw klart sie als Kategorienfehler So ist etwa die Zwei als naturliche Zahl nicht mehr losgelost von der Struktur der naturlichen Zahlen zu betrachten sondern ein Bezeichner fur den zweiten Platz in der Struktur der naturlichen Zahlen sie hat weder interne Eigenschaften noch eine eigene Struktur Dementsprechend gibt es sowohl Varianten des Strukturalismus die mathematische Objekte als existent annehmen als auch solche die ihre Existenz ablehnen Probleme ergeben sich bei dieser Stromung insbesondere aus der Frage nach den Eigenschaften und dem Sein der Strukturen Ahnlich wie im Universalienstreit handelt es sich bei Strukturen offenbar um etwas das gleichzeitig vielen Systemen zukommen kann So wird die Struktur einer Fussballmannschaft sicher von Tausenden Mannschaften exemplifiziert Es stellt sich also die Frage ob und wie Strukturen existieren ob sie etwa unabhangig von Systemen existieren Andere offene Fragen betreffen den Zugang zu Strukturen z B Wie konnen wir etwas uber Strukturen lernen Aktuelle Vertreter des Strukturalismus sind Stewart Shapiro Michael Resnik und Geoffrey Hellman Andere Theorien BearbeitenDer von Luitzen Brouwer begrundete Intuitionismus verneint die Existenz mathematischer Begriffe ausserhalb des menschlichen Geistes verwendet deshalb konstruktive Beweise und nicht solche die Existenzaussagen ohne Angabe einer Konstruktion machen weshalb in der verwendeten intuitionistischen formalen Logik der Satz vom ausgeschlossenen Dritten nicht verwendet wird Eine Verallgemeinerung des Intuitionismus ist der Konstruktivismus Der Konventionalismus wurde von Henri Poincare entwickelt und teilweise von logischen Empiristen Rudolf Carnap Alfred Jules Ayer Carl Hempel weiterentwickelt Von der Perspektive des Mathematikers ausgehend und zugleich auf die Erkenntniskritik Immanuel Kants zuruckgreifend ergibt sich die Frage nach der kategorialen Verfassung des Menschen aus welcher sich die mathematischen Disziplinen ableiten lassen vgl Ernst Kleinert Auch in popularwissenschaftlicher Literatur werden Fragen der Philosophie der Mathematik vorgestellt So wird u a von John D Barrow und Roger Penrose diskutiert wieso die Mathematik uberhaupt nutzlich ist und warum sie so gut auf die Welt passt Siehe auch BearbeitenAsthetik Geschichte der Mathematik Grundlagenkrise der MathematikEinzelnachweise Bearbeiten Karl Marx Friedrich Engels Werke Karl Dietz Verlag Berlin Band 20 Berlin DDR 1962 Herrn Eugen Duhrung s Umwalzung der Wissenschaft III Einteilung Apriorismus mlwerke de Arthur Schopenhauer Die Welt als Wille und Vorstellung drittes Buch 52 online Vgl In Defense of Pure Reason A Rationalist Account of A Priori Justification 1998 ISBN 978 0 521 59236 9 und mit direktem Bezug zur Philosophie der Mathematik beispielsweise Hartry Field Recent Debates About the A Priori Memento vom 3 September 2006 im Internet Archive mit weiterer Literatur PDF 128 kB Stewart Shapiro Thinking About Mathematics Oxford 2000 S 263Literatur BearbeitenEinfuhrendes fur LaienPhilip J Davis Reuben Hersh The Mathematical Experience Study Edition Birkhauser 2011 ISBN 0 8176 8294 5 Deutsch Ubers d 1 Aufl Erfahrung Mathematik Birkhauser 1985 ISBN 3 7643 2996 3 John D Barrow Pi in the Sky Counting Thinking and Being Back Bay Books 1992 ISBN 0 316 08259 7 Deutsch Ein Himmel voller Zahlen Spektrum 1994 ISBN 3 86025 090 6 Donald M Davis The Nature and Power of Mathematics 1993 ISBN 0 691 02562 2 Reuben Hersh What is Mathematics really Oxford University Press 1999 ISBN 0 19 513087 1 Stewart Shapiro Thinking About Mathematics Oxford Oxford University Press 2000 ISBN 0 19 289306 8 Stewart Shapiro The Oxford Handbook of Philosophy of Mathematics and Logic Oxford Oxford University Press 2007 ISBN 0 19 532592 3 Ted Honderich The Oxford Companion to Philosophy Oxford Oxford University Press Neuauflage 2005 ISBN 0 19 926479 1 Wilhelm Buttemeyer Philosophie der Mathematik Karl Alber 3 Aufl 2003 ISBN 3 495 48013 7 Thomas Bedurftig Roman Murawski Philosophie der Mathematik De Gruyter 2 Auflage 2012 ISBN 3 11 026291 6 FachliteraturPaul Benacerraf Hilary Putnam Hgg Philosophy of Mathematics Cambridge University Press 1964 2 Aufl 1984 ISBN 0 521 29648 X Ernst Kleinert Mathematik fur Philosophen Leipzig Leipziger Universitatsverlag 2004 ISBN 978 3 86583 016 6 Hartry Field Realism Mathematics and Modality Oxford Blackwell 1989 ISBN 0 631 16303 4 Hartry Field Science Without Numbers A Defence of Nominalism Princeton Univ Pr 1980 ISBN 0 691 07260 4 Wilbur Dyre Hart Hg The Philosophy of Mathematics Oxford Oxford University 1996 ISBN 0 19 875120 6 Philip Kitcher The Nature of Mathematical Knowledge Oxford Oxford University 1983 ISBN 0 19 503149 0 Penelope Maddy Realism in Mathematics Oxford Clarendon Press 1990 ISBN 0 19 824035 X Penelope Maddy Naturalism in Mathematics Oxford Clarendon Press 2000 ISBN 0 19 825075 4 Charles Parsons Mathematics in Philosophy Selected Essays Ithaca Cornell University Press 1983 ISBN 0 8014 8981 4 Stewart Shapiro Philosophy of Mathematics Structure and Ontology Oxford Oxford University Press 1997 ISBN 0 19 513930 5 Dale Jacquette Philosophy of Mathematics An Anthology Wiley Blackwell 2001 ISBN 0 631 21870 X Ulrich Felgner Philosophie der Mathematik in der Antike und in der Neuzeit Cham Switzerland Springer Nature Switzerland 2020 ISBN 978 3 030 35933 1 SpezielleresHermann Weyl Philosophie der Mathematik und Naturwissenschaft 6 Auflage Oldenbourg Verlag 1990 englisch Princeton University Press 1949 aus dem Handbuch der Philosophie 1927 Eugene Wigner The Unreasonable Effectiveness of Mathematics in the Natural Sciences in Communications on Pure and Applied Mathematics vol 13 No I 1960 doi 10 1002 cpa 3160130102 Christian Thiel Philosophie und Mathematik eine Einfuhrung in ihre Wechselwirkungen und in die Philosophie der Mathematik Darmstadt Wissenschaftliche Buchgesellschaft 1995 John R Lucas The Conceptual Roots of Mathematics Routledge London New York 2000 ISBN 0 415 20738 X Saunders Mac Lane Mathematics Form and Function Springer New York 1986 ISBN 0 387 96217 4 Weblinks Bearbeiten Herrn Eugen Duhrings Umwalzung der Wissenschaft auf mlwerke de Mark Colyvan Indispensability Arguments in the Philosophy of Mathematics In Edward N Zalta Hrsg Stanford Encyclopedia of Philosophy Leon Horsten Philosophy of Mathematics In Edward N Zalta Hrsg Stanford Encyclopedia of Philosophy Oystein Linnebo Platonism in the Philosophy of Mathematics In Edward N Zalta Hrsg Stanford Encyclopedia of Philosophy Oystein Linnebo The Nature of Mathematical Objects Memento vom 24 August 2007 im Internet Archive PDF 206 kB erscheint in B Gold Hg Current Issues in the Philosophy of Mathematics from the Perspective of Mathematicians Mathematics Association of America 2008 Michael Otte Der Charakter der Mathematik zwischen Philosophie und Wissenschaft PDF 2 8 MB Alexander Paseau Naturalism in the Philosophy of Mathematics In Edward N Zalta Hrsg Stanford Encyclopedia of Philosophy Ubersicht zu Artikeln zur Philosophie der Mathematik in der Internet Encyclopedia of Philosophy Abgerufen von https de wikipedia org w index php title Philosophie der Mathematik amp oldid 238431180