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Als Hindenburg Amnestie werden bestimmte Amnestien fur politische Straftater im Deutschen Reich bezeichnet die wahrend der Amtszeit des Reichsprasidenten Paul von Hindenburg gewahrt wurden Am haufigsten bezieht sich der Begriff auf die Hindenburg Amnestie von 1925 welche bis Ende 1932 die weitaus umfangreichste war Inhaltsverzeichnis 1 Allgemein 2 Umfang und Kontext 3 Hindenburg Amnestie 1925 4 Hindenburg Amnestie 1927 5 Weitere Amnestien in Hindenburgs Amtszeit 5 1 Koch Amnestie 1928 5 2 Rheinlandraumungs Amnestie 1930 5 3 Schleicher Amnestie 1932 5 4 Nationalsozialistische Straffreiheitsbestimmungen 6 EinzelnachweiseAllgemein BearbeitenBenannt sind diese Straferlasse nach dem seit 1925 amtierenden Reichsprasidenten Hindenburg der die Begnadigungen aussprach Zu den in der Weimarer Republik unter Hindenburgs Prasidentschaft beschlossenen Generalamnestien fur politische Straftaten gehoren die reichsweiten Amnestiegesetze der Jahre 1925 1928 1930 und 1932 Die Amnestie Verordnung des Reichsprasidenten aus dem Jahr 1933 die rechtsradikale und nationalsozialistische Tater von Strafvollzug und Strafverfolgung freistellte fallt bereits in die Zeit des Nationalsozialismus Die Hindenburg Amnestien gehoren neben der Kapp Amnestie 1920 der Rathenau Amnestie 1922 u a in die Reihe der grossen Reichsamnestien fur politische Straftater in der Zeit zwischen 1918 und 1933 1 2 Ebenfalls noch in die Amtszeit Hindenburgs fallt das Gesetz uber Massnahmen der Staatsnotwehr vom 3 Juli 1934 mit dem die Morde im Zusammenhang mit dem so genannten Rohm Putsch straffrei gestellt wurden Allerdings hatte sich Hindenburg zu dieser Zeit bereits nach Ostpreussen zuruckgezogen und nahm am politischen Geschehen krankheitsbedingt nur noch eingeschrankt Anteil 3 Umfang und Kontext BearbeitenAmnestie fur politische Straftaten gehorte zu den wesentlichen Forderungen die der Rat der Volksbeauftragten zu Beginn der Novemberrevolution in seinem Aufruf an das deutsche Volk vom 12 November 1918 gestellt hatte 4 Diese Forderung kehrte in der Zeit bis 1933 in unterschiedlichen Konstellationen immer wieder und fuhrte mehrfach zu Gesetzgebungsmassnahmen die politische Tater von der Strafverfolgung freistellten Ein genereller Straferlass bezog sich sowohl auf die Entlassung bereits ergriffener und gegebenenfalls verurteilter Tater aus der Zuchthaus Gefangnis oder Festungshaft wie auch auf die Strafverschonung von Personen gegen die aufgrund von politischen Straftaten ein Haftbefehl vorlag die aber bislang nicht ergriffen oder vor Gericht gestellt worden waren Ein Grund fur die Amnestien in der Weimarer Republik war die massive Haufung politischer Straftaten Die gewaltige Zahl der beteiligten Personen stellte die deutsche Justiz vor das Dilemma nicht alle Tater anklagen und aburteilen zu konnen Um die uberforderte Rechtsprechung von dieser Last zu befreien bediente man sich der Amnestie Eine Rolle spielte auch die bereits von Zeitgenossen wahrgenommene und je nach politischem Standpunkt kritisierte politische Einseitigkeit mancher Verurteilungen oder Freispruche Die Freilassung moglicherweise zu Unrecht oder zu hart verurteilter Tater sollte dem politischen Frieden dienen Auch sollte die Verminderung der Zahl von politischen Strafverfahren das Ansehen Deutschlands im Ausland heben In der Zeit der Republik wurden die Amnestien Gegenstand des politischen Kalkuls der verschiedenen Parteien denen es oft darum ging die jeweils eigenen Anhanger aus der Haft freizubekommen Zu den prominenten Begunstigten der Amnestien unter Reichsprasident v Hindenburg zahlten unter anderem Hermann Goring der seit dem gescheiterten Hitlerputsch 1923 per Haftbefehl gesucht wurde zwischenzeitlich in Italien und Schweden untertauchte und aufgrund der ersten Hindenburg Amnestie im Jahr 1926 nach Deutschland zuruckkehren konnte ferner Martin Bormann und Rudolf Hoss denen infolge der Koch Amnestie 1928 vorzeitig ihre Gefangnisstrafen erlassen wurden die sie wegen ihrer Beteiligung an einem Fememord verbussten Hindenburg Amnestie 1925 BearbeitenDie durch das Gesetz uber die Straffreiheit vom 17 August 1925 gewahrte Amnestie kam auf Veranlassung von praktisch allen zu dieser Zeit im Reichstag vertretenen Parteien zustande KPD SPD DDP BVP DVP Zentrum DNVP NSDAP und erstreckte sich auf circa 29 000 Personen aller politischen Lager denen Straferlass fur bestimmte politische Straftaten zugestanden wurde 5 Sie wurde erganzend durch landesrechtliche Verordnungen umgesetzt insbesondere die am 21 August 1925 erlassene Verordnung uber die Gewahrung von Straffreiheit in Preussen des preussischen Justizministeriums 6 Zu den Begunstigten gehorten unter anderem drei Berliner Beamten der Schutzpolizei die nach dem Scheunenviertelpogrom im November 1923 wegen der Misshandlung festgesetzter Angehoriger des Judischen Selbstschutzes in der Berufungsverhandlung zu Haftstrafen verurteilt worden waren 7 Hindenburg selbst versuchte die Amnestie 1925 auch auf Kriegsverbrecher aus dem Ersten Weltkrieg auszudehnen So wandte er sich im August 1925 mit der Frage an den Reichsjustizminister ob nicht die in den Leipziger Prozessen verurteilten Tater Karl Dithmar und John Boldt deren Verurteilung nationalistische und militarische Kreise in Deutschland emport hatte im Rahmen der geplanten Amnestie ebenfalls begnadigt werden konnten Das Ministerium lehnte dies aus Sorge vor der auslandischen Offentlichkeit ab Beide waren allerdings bereits dreieinhalb Jahre zuvor aus der Haft entkommen und mit Hilfe der Organisation Hermann Ehrhardts untergetaucht Sie wurden 1926 in einem unter Ausschluss der Offentlichkeit gefuhrten Wiederaufnahmeverfahren von der Strafvollstreckung befreit und 1928 freigesprochen 8 9 Hindenburg Amnestie 1927 BearbeitenEine kleinere Amnestie mit 71 Begnadigten aus allen politischen Lagern darunter der Kommunist Johannes R Becher und der Putschist Major a D Bruno Ernst Buchrucker 10 fand anlasslich des 80 Geburtstags Hindenburgs im Oktober 1927 statt und wird bisweilen ebenfalls Hindenburg Amnestie genannt 11 Weitere Amnestien in Hindenburgs Amtszeit BearbeitenKoch Amnestie 1928 Bearbeiten Die Amnestie fur politische Straftater vom 14 Juli 1928 Gesetz uber die Straffreiheit vom 14 7 1928 RGBl 1928 I S 195 f 12 wird nach dem damals amtierenden Justizminister Erich Koch Weser auf den sie im Wesentlichen zuruckgeht als Koch Amnestie bezeichnet 13 Sie betraf mehrere tausend Falle 14 Infolge dieses Straferlasses kamen neben dem Kommunisten Max Holz und dem Spion Gustav Wolkerling 1930 auch die Rathenau Morder Ernst Werner Techow und Willi Gunther frei 15 Auf Betreiben der damaligen Regierungsparteien blieben die Erzberger Morder Heinrich Tillessen und Heinrich Schulz von der Amnestie ausgeschlossen 16 Sie wurden erst nach der Machtergreifung der Nationalsozialisten durch die Straffreiheits Verordnung vom 21 Marz 1933 von Reichsprasident Hindenburg begnadigt Rheinlandraumungs Amnestie 1930 Bearbeiten Bei der Mitte 1930 anlasslich der Raumung des von den Alliierten besetzten Rheinlands beschlossenen Rheinlandraumungs Amnestie Gesetz zur Anderung des Gesetzes uber die Straffreiheit vom 24 10 1930 RGBl 1930 I S 467 12 handelte es sich rechtstechnisch gesehen um eine blosse Erweiterung der Koch Amnestie 17 Betroffen waren einige hundert Falle 14 Durch Art 1 des Gesetzes von 1930 wurde das Amnestiegesetz von 1928 dahin geandert dass nun auch Straftaten gegen das Leben unter die Amnestie fielen solange sie sich nicht gegen Angehorige der Reichsregierung gerichtet hatten Die Beschrankung der Amnestien auf politische Taten wurde in der Folge durch die Rechtsprechung aufgeweicht Dies betraf neben anderen das Verfahren gegen den ehemaligen U Boot Kommandanten Helmut Patzig den Vorgesetzten der beiden 1928 freigesprochenen fruheren Marineoffiziere Dithmer und Boldt dessen Tat die Ermordung von zahlreichen Schiffbruchigen des britischen Lazarettschiffs Llandovery Castle am 27 Juli 1918 nach nunmehriger Auffassung des Reichsgerichts glaubwurdig politisch gewesen sei sodass sein Verfahren am 20 Marz 1931 unter Verweis auf die Amnestiegesetze eingestellt werden konnte 8 9 18 Schleicher Amnestie 1932 Bearbeiten Die mit dem Gesetz uber die Straffreiheit vom 20 Dezember 1932 erlassene Amnestie wird nach dem zur Zeit der Verkundigung amtierenden Reichskanzler Kurt von Schleicher landlaufig als Schleicher Amnestie bezeichnet 19 Sie wurde in dem kurzlebigen siebten Deutschen Reichstag im Dezember 1932 von NSDAP KPD und SPD initiiert und umfasste ca 52 000 Falle politischer Straftaten von etwa 157 000 insgesamt anhangigen Verfahren 14 die in den Saalschlachten und blutigen Strassenkampfen des Jahres 1932 hauptsachlich zwischen der nationalsozialistischen Sturmabteilung und dem kommunistischen Rotfrontkampferbund angefallen waren Aufgrund der Amnestie wurden im Land Preussen bis zum 24 Dezember 1932 4 800 Gefangene aus der Haft entlassen 20 Nationalsozialistische Straffreiheitsbestimmungen Bearbeiten Die in der Zeit des Nationalsozialismus erlassenen Amnestien werden in der Geschichtswissenschaft normalerweise nicht als Hindenburg Amnestie bezeichnet wiewohl auch sie zum Teil noch in Hindenburgs Amtszeit als Reichsprasident fallen So begnadigte er mit der am 21 Marz 1933 dem Tag von Potsdam verkundeten Verordnung des Reichsprasidenten uber die Gewahrung von Straffreiheit 21 ca 8000 Tater Im Unterschied zu den wahrend der Weimarer Republik beschlossenen generellen Amnestien fur politische Straftater denen sie formal nachempfunden wurden begunstigten die NS Straffreiheitsbestimmungen nur die dem NS Regime politisch nahestehenden Tater wahrend Regimegegner zur selben Zeit von den Nationalsozialisten verfolgt und ermordet wurden Damit waren sie anders als die Reichsamnestien der Weimarer Republik ein Instrument zur Herstellung von Straflosigkeit fur politische Verbrechen eines Unrechtssystems 14 Einzelnachweise Bearbeiten Jurgen Christoph Die politischen Reichsamnestien 1918 1933 Rechtshistorische Reihe Band 57 Peter Lang Verlag Frankfurt a M u a 1988 Klappentext Memento des Originals vom 15 April 2017 im Internet Archive nbsp Info Der Archivlink wurde automatisch eingesetzt und noch nicht gepruft Bitte prufe Original und Archivlink gemass Anleitung und entferne dann diesen Hinweis 1 2 Vorlage Webachiv IABot www peterlang com Untersucht werden die acht Reichsamnestiegesetze fur politische Straftaten in der Zeit von 1918 1933 Revolutionsamnestie 1918 Kapp Amnestie 1920 Rathenau Amnestie 1922 Hindenburg Amnestie 1925 Koch Amnestie 1928 Rheinlandraumungs Amnestie 1930 Schleicher Amnestie 1932 und die Amnestie Verordnung 1933 Auflistung mit Einzelerlauterungen auch bei Cord Gebhardt Der Fall des Erzberger Morders Heinrich Tillessen Ein Beitrag zur Justizgeschichte nach 1945 Beitrage zur Rechtsgeschichte des 20 Jahrhunderts Band 14 Mohr Siebeck Tubingen 1995 S 205 207 eingeschrankte Vorschau in der Google Buchsuche Daniel Koerfer Vizekanzlei Gruppe gegen Hitler In F A Z 10 April 2017 abgerufen am 14 April 2017 Detlef Lehnert Die Weimarer Republik 1 Aufl Reclam Stuttgart 1999 S 235 Jurgen Christoph Die politischen Reichsamnestien 1918 1933 Peter Lang Verlag Frankfurt a M 1988 S 397 Preussische Gesetzsammlung 23 1925 S 105 f Nr 12997 Karsten Krampitz Strasse der Verlorenen Als Berlin geschandet wurde In DLF Erstsendung am 7 November 2023 Manuskript S 19 22 a b Harald Wiggenhorn Eine Schuld fast ohne Suhne Erinnerung an die Leipziger Kriegsverbrecherprozesse vor 75 Jahren In Die Zeit 34 1996 16 August 1996 S 9 11 a b Katrin Hassel Kriegsverbrechen vor Gericht Die Kriegsverbrecherprozesse vor Militargerichten in der britischen Besatzungszone unter dem Royal Warrant vom 18 Juni 1945 1945 1949 Studien zur Geschichte des Volkerrechts Bd 19 Nomos Baden Baden ISBN 978 3 8329 3825 3 S 63 67 Exkurs Die heimliche Wiederaufnahme des Falles Llandovery Castle von 1922 bis 1931 Anm 2 der Herausgeber zum Protokoll der Ministerbesprechung vom 3 Juli 1928 in der Onlineausgabe der Akten der Reichskanzlei im Bundesarchiv Autorenprofil Johannes R Becher im Literaturportal Bayern a b Vgl Frank Neubacher Kriminologische Grundlagen einer internationalen Strafgerichtsbarkeit Politische Ideen und Dogmengeschichte kriminalwissenschaftliche Legitimation strafrechtliche Perspektiven Mohr Siebeck Tubingen 2005 S 311 u Anm 18 Cord Gebhardt Der Fall des Erzberger Morders Heinrich Tillessen Ein Beitrag zur Justizgeschichte nach 1945 Mohr Siebeck Tubingen 1995 S 206 u Anm 189 a b c d Monika Frommel Zuckerbrot und Peitsche Die Gnaden und Amnestiepraxis der Nazis In Neue Kriminalpolitik 4 2001 S 30 f online Jurgen W Schmidt Der Perleberger Spion Gustav Wolkerling In Mitteilungen des Vereins fur Geschichte der Prignitz Band 5 Perleberg 2005 S 73 u Anm 30 Anm 5 der Herausgeber zum Protokoll der Ministerbesprechung vom 3 Juli 1928 in der Onlineausgabe der Akten der Reichskanzlei im Bundesarchiv Cord Gebhardt Der Fall des Erzberger Morders Heinrich Tillessen Tubingen 1995 S 207 u Anm 190 Frank Neubacher Kriminologische Grundlagen einer internationalen Strafgerichtsbarkeit Politische Ideen und Dogmengeschichte kriminalwissenschaftliche Legitimation strafrechtliche Perspektiven Mohr Siebeck Tubingen 2005 S 311 Cord Gebhardt Der Fall des Erzberger Morders Heinrich Tillessen Tubingen 1995 S 207 u Anm 191 4800 Amnestierte entlassen in Vossische Zeitung vom 25 Dezember 1932 Wortlaut bei Wikimedia Commons Abgerufen von https de wikipedia org w index php title Hindenburg Amnestie amp oldid 238921493