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Die Fragmenta iuris Vaticana fragmenta quae dicuntur Vaticana kurz Vat sind die von Rechtshistorikern so benannten durch die Handschrift des Vatikans bekannt gewordenen Uberbleibsel eines aus dem 4 Jahrhundert stammenden umfangreicheren juristischen Privatwerkes in welchem Juristenschriften iura sowie Kaiserentscheidungen Constitutiones principum kompiliert waren 1 2 Diese bilden fur die rechtshistorische Forschung einen wertvollen Rechtsbestand weil die paraphrasierten Texte nicht mittels erlauternder Zusatze nachgearbeitet wurden Die Handschrift ist ein Erzeugnis des nachklassischen Rechts Inhaltsverzeichnis 1 Geschichte 2 Inhalt der Sammlung 3 Literatur 4 AnmerkungenGeschichte BearbeitenIn der nachklassischen Zeit des 4 Jahrhunderts war man dazu ubergegangen aus den grossen Stoffmassen der klassischen juristischen Literatur eine neue Literaturgattung zu schaffen Sammelwerke mit Zitaten Neue Literatur wurde kaum mehr geschaffen und die Jurisprudenz hatte ihren Einfluss auf die Kaiser an das Militar verloren Parallel zu diesen Ereignissen wurde die Literatur bewusst auf wenige anerkannte Meinungen komprimiert was sich zusammengefasst in den Zitiergesetzen ausserte Die Stoffmassen waren zu gross und zu unubersichtlich geworden als dass sie nicht verkurzt und zusammengefasst hatten werden mussen Ausserdem sollten die Provinzen in denen Rechtsliteratur oft fehlte ausgestattet werden 3 Einen typischen Vertreter dieser Literaturgattung reprasentieren die hier beschriebenen vatikanischen Fragmente Entdeckt wurden sie 1820 1 oder 1821 4 von Kurienkardinal Angelo Mai der sich in den 1810er Jahren als Experte der Manuskriptforschung einen Namen gemacht hatte Seit 1819 stand er der Bibliotheca Apostolica Vaticana schliesslich als Prafekt vor Bei seinen Arbeiten stiess er auf ein auf Palimpsestblattern inskribiertes bruchstuckhaftes Werk das den Namen seines Aufbewahrungsorts erhielt und die Siglen Vat Lat 5766 fol 17 24 58 63 und 82 100 tragt 5 Uber den Verbleib des 320 n Chr entstandenen 1 Werkes ist bis zu seiner Entdeckung nahezu nichts bekannt Im 8 Jahrhundert verschwand das einzige bekannte Exemplar aus dem 614 gegrundeten Benediktinerkloster St Kolumban in Bobbio 2 das dem nach 568 begrundeten langobardischen Hoheitsgebiet zugehorte Das Werk das ursprunglich Auszuge der juristischen Klassikerliteratur Papinians Paulus und Ulpians enthielt war mit Texten von Johannes Cassianus 4 uberschrieben worden Unter Papst Paul V gelangte es 1618 in den Vatikan bevor Angelo Mai sich etwa 200 Jahre spater dann der Handschrift annahm Welche Autorenschaft das Werk kompiliert hat liegt im wissenschaftlichen Dunkel Es wird allein davon ausgegangen dass es sich um eine private und keine hoheitlich autorisierte und damit offizielle Textsammlung handelte Herkunftsindizien und Promulgationsangaben im 4 5 Jahrhundert wurden Gesetze regelmassig im Trajansforum verkundet weisen nach Rom Die Kompilatoren stiessen auf diverse Schwierigkeiten denn die Jahre zwischen 305 und 319 waren vom verwickelten Mit und Gegeneinander kaiserlicher Legislativaktionen gepragt die sich auf ihre Inskriptionen ausgewirkt haben durften Abdankung Reaktivierung Vertreibung Divinisierung Verurteilung und Wiedervergottlichungen waren an der Tagesordnung was zu Weglassungen Einfugungen Zitatsabanderungen und Reimporten fuhrte Inkonsequent wurde etwa das Andenken Maximians getilgt Nachtrage 6 Schwerwiegend war die damnatio memoriae des Kaisers Licinius 7 denn es musste neben den Inskriptionen auch in die Subskriptionen eingegriffen werden Inkonsequenzen fuhrten zu unterschiedlichen Handhabungen beim Umgang mit auszumerzenden Augustustiteln 8 Die Fragmenta iuris Vaticana fallen in die Fruhphase der sich gerade etablierenden Christianisierung in etwa ist das die Zeit der konstantinischen Wende Zu Zeiten einer weiteren anonym privatrechtlich verfassten Sammlung welche als Collatio gefuhrt wird war das Christentum jedenfalls bereits Staatsreligion Beide Werke gelten als wichtige Vorlaufer der umfassenden justinianischen Gesetzessammlung des mittleren 6 Jahrhunderts dem spater so genannten Corpus iuris civilis Inhalt der Sammlung BearbeitenTeils durch sehr grosse teils durch kleinere Lucken unterbrochen befasste sich das Werk inhaltlich nachweislich mit den klassischen Themen des romischen Privatrechts Stellvertretung Kauf Niessbrauch Mitgift Vormundschaft und Schenkung Als Quellenmaterial lassen sich Exzerpte aus den grossen Kommentarwerken libri ad Sabinum und libri ad edictum sowie aus Responsensammlungen Quaestiones der Klassiker ausmachen ebenso Paraphrasen aus Monographien etwa Ulpians libri de officio proconsulis libri de officio praetoris tutelaris und Paulus sententiae manualia beziehungsweise breve edictum und anderen Stephan Brassloff Seiner Konzeption nach und aufgrund des Untergangs grosser Skriptteile wird davon ausgegangen dass die Sammlung vergleichbar den justinianischen Digesten gross angelegt war 9 und ursprunglich alle bekannten Rechtsgebiete abdeckte 1 Weder der Anfang noch der Schluss der Sammlung sind ursprunglicher Natur Umstritten war und ist ob die Handschriften fur die Gerichtspraxis oder fur das Unterrichtswesen bestimmt waren 10 Anlass dazu gab die Intensitat der in den Schriften gefuhrten Problemdiskussionen disputationes und quaestiones Weitgehend ist heute jedoch anerkannt dass vornehmlich Praktikerliteratur exzerpiert war wenngleich vereinzelte spater eingefugte Scholien auf juristischen Unterricht hindeuten 11 Deutlicher Edukationsbedarf schien erkennbar in Bezug auf den Titel Schenkungswiderruf bestanden zu haben 12 Das Werk ist sehr selbstandig aufgebaut angelehnt an die Unterrichtswerke der severischen Spatklassiker und unterliegt keiner der gangigen Formen des Edikt Digesten oder Codexsystems 13 Das Sammelwerk enthielt etwa 54 Kaiserkonstitutionen die im Wesentlichen auf die Jahre 205 320 verstreut sind Zwei weitere Gesetze datieren aus den Jahren 330 und 369 die deshalb nicht zum Ursprungsbestand gehorten Sie tragen die Handschriften der Kaiser Konstantin und Valentinian und befassten sich thematisch mit der Rechtsfigur der Verwirkung einer Emanzipation bei Schenkungswiderruf beziehungsweise mit einem Kaufrechtsanderungsgesetz Von den Juristen waren dem Forschungsstand nach allein die bereits genannten Juristen Papinian Paulus und Ulpian exzerpiert daneben gab es vereinzelte pseudopaulinische Sentenzen Auch hier wurde zu spateren Zeitpunkten nachgebessert Wenige Inskriptionen wie die zum Niessbrauch fallen gegenuber dem Parallelmaterial deshalb aus dem Rahmen weil sie eine grosse Ausfuhrlichkeit aufweisen und damit einen stilistischen Bruch zum formalen Kontext darstellen Sie deuten auf einen spateren Zusatz hin Eingefugt wurden dabei Prazisierungen zu den Titeln der Vormundschaftsablehnung und des Schenkungswiderrufs Im Gegensatz zum spater so genannten Corpus iuris civilis wurden die Texte nicht verandert bereits eingedrungene Glosseme blieben allerdings eingeschlossen 1 Einen lediglich kleinen Anteil am Werk bilden die epitomisierten Passagen der Kodizes Gregorianus und Hermogenianus 14 Die Forschung macht es daran fest dass nur sparliche Verweise aus den Buchern in den vatikanischen Skripten enthalten sind und dass bei einer Vielzahl von Reskripten lediglich acht von Kaiser Diokletian aus der Zeit der fruhen 290er Jahre stammen Der Umfang muss sich auf etwa 600 Seiten DIN A5 erstreckt haben was etwa 20 Normallibri entsprache Allerdings gab es keine libri vielmehr nicht nummerierte Sachtitel Kolumnentitel 1 Literatur BearbeitenStephan Brassloff Fragmenta iuris Vaticana In Paulys Realencyclopadie der classischen Altertumswissenschaft RE Band VII 1 Stuttgart 1910 Sp 76 80 Herbert Hausmaninger Walter Selb Romisches Privatrecht Bohlau Wien 1981 9 Aufl 2001 Bohlau Studien Bucher ISBN 3 205 07171 9 S 48 Philipp Eduard Huschke Emil Seckel Bernhard Kubler in Iurisprudentiae anteiustinianae reliquias II 2 Leipzig 1927 Bibliotheca scriptorum Graecorum et Romanorum Teubneriana S 191 324 Theodor Mommsen Bearbeiter Collectio librorum iuris anteiustiniani in usum scholarum Band 3 Fragmenta vaticana mosaicarum et romanarum legum collatio herausgegeben durch Paul Kruger Berlin 1890 Anmerkungen Bearbeiten a b c d e f Detlef Liebs Die Jurisprudenz im spatantiken Italien 260 640 n Chr Freiburger Rechtsgeschichtliche Abhandlungen Neue Folge Band 8 Duncker amp Humblot Berlin 1987 S 150 162 a b Theodor Mommsen Codicis Vaticani N 5766 in quo insunt iuris anteiustiniani fragmenta quae dicuntur Vaticana Exemplum addita transcriptione notisque criticis edidit Berlin 1860 in Abhandlungen der Koniglichen Akademie der Wissenschaften zu Berlin Philol hist Klasse 1859 S 265 ff 381 f mit Einordnung des Werks S 379 408 Uwe Wesel Geschichte des Rechts Von den Fruhformen bis zur Gegenwart 3 uberarbeitete und erweiterte Auflage Beck Munchen 2006 ISBN 3 406 47543 4 Rn 156 a b Jochen Bleicken Verfassungs und Sozialgeschichte des romischen Kaiserreiches Band 1 UTB Paderborn u a Schoningh 1981 ISBN 3 506 99256 2 S 272 Edition Paul Kruger Theodor Mommsen Wilhelm Studemund Collectio Librorum Juris Anteiustininae III S 1 ff Laktanz De mortibus perscutorum Die Todesarten der Verfolger 41 2 ubersetzt und eingeleitet bei Jakob Speigl Turnhout 2003 siehe CIL II 1439 Vat 34 und 35 Licinius steckt dort nur noch im Plural der Teilsumme seiner Titel consulibus Vat 32 33 und 274 Wolfgang Kunkel Martin Schermaier Romische Rechtsgeschichte 14 Auflage UTB Koln Wien 2005 12 Das Recht der romischen Spatzeit Kapitel 4 Die Renaissance des klassischen Rechts S 192 Gerichtswesen Wilhelm Felgentraeger Zur Entstehungsgeschichte der Fragmenta Vaticana S 28 ff daran angelehnt Detlef Liebs Unterrichtswesen Franz Wieacker Textstufen klassischer Juristen 147 zzgl Fn 65 Max Kaser Zum heutigen Stand der Interpolationenforschung in SZ 69 1952 77 Abschliessende Anzahl von Scholien fur das Kauf Mitgift Schenkungsrecht Vat 5 Kauf Vat 108 112 113 und 121 Mitgift Vat 249 6 Schenkung kein Scholion vorhanden fur die Titel Stellvertretung Niessbrauch und Vormundschaftsablehnung zusammengestellt in Detlef Liebs Die Jurisprudenz im spatantiken Italien 260 640 n Chr Freiburger Rechtsgeschichtliche Abhandlungen Neue Folge Band 8 Duncker amp Humblot Berlin 1987 S 154 Abschliessende Anzahl von Scholien allein fur den Schenkungswiderruf Vat 266a 269 270 271 272 bis 273 280 281 282 285 286 288 294 295 296 297 312 313 bis 314 315 und 316 zusammengestellt in Detlef Liebs Die Jurisprudenz im spatantiken Italien 260 640 n Chr Freiburger Rechtsgeschichtliche Abhandlungen Neue Folge Band 8 Duncker amp Humblot Berlin 1987 S 154 Detlef Liebs Aufstieg und Niedergang der romischen Welt Band II 15 S 234 f mit Verweis auf Ablehnung der entgegenstehenden Auffassung Theodor Mommsens Bezug genommen wird auf die Unterrichtswerke der Spat und Epiklassiker Paulus Marcian Modestin und Florentin Jan Dirk Harke Romisches Recht Von der klassischen Zeit bis zu den modernen Kodifikationen Beck Munchen 2008 ISBN 978 3 406 57405 4 Grundrisse des Rechts 1 Rnr 21 S 16 f Bitte den Hinweis zu Rechtsthemen beachten Abgerufen von https de wikipedia org w index php title Fragmenta Vaticana amp oldid 233699180