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Jochen Bleicken 3 September 1926 in Westerland Sylt 24 Februar 2005 in Hamburg war ein deutscher Althistoriker Er lehrte als Professor fur Alte Geschichte in Hamburg 1962 1967 Frankfurt am Main 1967 1977 und Gottingen 1977 1991 Bleicken gilt als einer der bedeutendsten Forscher seiner Zeit auf dem Gebiet der romischen Verfassungs und Sozialgeschichte Inhaltsverzeichnis 1 Leben 2 Wissenschaftliche Leistung 3 Schriften Auswahl 4 Literatur 5 Weblinks 6 AnmerkungenLeben BearbeitenDer Sohn des Kaufmanns Max Bleicken war von 1943 bis 1945 Flakhelfer und studierte nach dem 1947 an der Friedrich Paulsen Oberrealschule in Niebull abgelegten Abitur von 1948 bis 1954 Geschichte und Klassische Philologie zunachst an der Universitat Kiel dann wahrend des Wintersemesters 1952 53 an der Universitat Frankfurt am Main wo damals noch Matthias Gelzer einer der besten Kenner der Geschichte der romischen Republik lehrte Von dort nach Kiel zuruckgekehrt wurde Bleicken 1954 bei Alfred Heuss mit einer Arbeit uber das romische Volkstribunat promoviert die in erweiterter Fassung 1955 erschien Von 1955 bis 1962 war er wissenschaftlicher Assistent von Heuss der inzwischen einem Ruf an das althistorische Seminar der Universitat Gottingen gefolgt war 1956 57 erhielt Bleicken das Reisestipendium der Kommission fur Alte Geschichte und Epigraphik 1961 erfolgte mit der Arbeit Senatsgericht und Kaisergericht die Habilitation Bereits im folgenden Jahr nahm er den Ruf auf eine ordentliche Professur fur Alte Geschichte an der Universitat Hamburg an weitere Stationen waren Frankfurt Main 1967 1977 und als Nachfolger seines Lehrers Heuss Gottingen 1977 1991 Dort wurde Bleicken 1991 emeritiert und hielt aber noch bis zum Wintersemester 1998 99 Lehrveranstaltungen ab und betreute Doktoranden nbsp Grabstatte auf dem Friedhof OhlsdorfSeit 1969 war Bleicken ordentliches Mitglied des Deutschen Archaologischen Instituts seit 1971 ordentliches Mitglied der Wissenschaftlichen Gesellschaft an der Johann Wolfgang Goethe Universitat Frankfurt am Main 1 nach 1977 korrespondierendes Mitglied seit 1978 Mitglied der Akademie der Wissenschaften zu Gottingen Bleicken war Mitherausgeber der Reihen Frankfurter Althistorische Studien seit 1968 und Oldenbourg Grundriss der Geschichte sowie der altertumswissenschaftlichen Zeitschrift Hermes seit 1977 Joachim Bleicken verstarb im Alter von 78 Jahren und wurde auf dem Friedhof Ohlsdorf beigesetzt Die Grabstatte im Planquadrat L 31 liegt sudlich von Kapelle 10 Wissenschaftliche Leistung BearbeitenBleicken gilt als einer der bedeutendsten deutschen Historiker in der zweiten Halfte des 20 Jahrhunderts Einen Schwerpunkt von Bleickens Tatigkeit bildete dabei die Geschichte der romischen Republik der Kaiserzeit und der beginnenden Spatantike wozu er zahlreiche teilweise wiederholt aufgelegte Standardwerke schuf darunter zuletzt 1998 eine umfangreiche und vielbeachtete Augustus Biografie Die innovatorische Bedeutung dieser Arbeiten lag in der Erweiterung der in der Tradition Theodor Mommsens einseitig rechts und verfassungsgeschichtlichen Betrachtungsweise durch konsequente Einbeziehung der sozialgeschichtlichen Perspektive wie es Bleicken schon in seiner Verfassung der romischen Republik praktiziert hatte und dann im Titel seiner wiederholt aufgelegten Verfassungs und Sozialgeschichte des romischen Kaiserreiches auch entsprechend verdeutlichte die auch als erstes Werk dieser Art der Ausbreitung des Christentums Rechnung trug So gelangte Bleicken zu einem vertieften Verstandnis der Funktionsweise politischer Systeme und ihrer rechtlichen Institutionen und konnte auch deren Entwicklung im Zuge sozialer Veranderungen besser gerecht werden Im Bereich der griechischen Geschichte beschaftigte er sich vor allem mit der attischen Demokratie auf deren Analyse er die in der Auseinandersetzung mit der romischen Verfassungs und Sozialgeschichte gewonnenen Erfahrungen fruchtbar anzuwenden vermochte Die einflussreiche These Bleickens von der Einzigartigkeit der athenischen Demokratie Eine Geschichte der Demokratie ausserhalb Athens gibt es nicht wird heute allerdings vermehrt kritisch hinterfragt 2 Uberhohendes Pathos und Idealisierungen aller Art waren ihm ebenso fremd wie ein von ideologischen oder methodologischen Pramissen und Theoriedebatten diktiertes quellenfernes Arbeiten Dass ein quellengestutztes Arbeiten nur auf dem Fundament einer sorgfaltigen Quellenkritik zu belastbaren Ergebnissen fuhren konne war ihm eine von seinem Lehrer Heuss vermittelte Selbstverstandlichkeit Zusatzlich zu den traditionellen quellenkritischen Verfahren der ausseren Kritik der immanenten Kritik der Textkritik dem Quellenvergleich und der Klarung der Abhangigkeitsverhaltnisse betonte er besonders die oft nicht genugend beachtete Notwendigkeit der Analyse der Uberlieferungsverhaltnisse in der dargestellten Epoche und der darstellungsleitenden Interessen der Entstehungszeit der Quellen Diese sind vor allem fur die Fruhzeit oftmals erst in grossem zeitlichen Abstand entstanden und geben deshalb laut Bleicken mehr uber die Verhaltnisse ihrer Entstehungszeit als uber die berichteten Ereignisse und Sachverhalte einer fernen Vergangenheit kund 3 Bleicken verstand sich wie sein akademischer Lehrer Alfred Heuss nicht als Altertumswissenschaftler und auch nicht zuvorderst als fachwissenschaftlicher Spezialist sondern dezidiert als Historiker der sich mit einem wesentlichen Teil seiner Schriften und mit seinen Vorlesungen nicht in erster Linie an den wissenschaftlichen Nachwuchs der eigenen Disziplin und an die Fachkollegen sondern an die breite Offentlichkeit und an Allgemeinhistoriker Horer aller Fakultaten und Lehramtsstudenten wandte denen er ein wissenschaftlich fundiertes historisches Orientierungswissen bereitzustellen bestrebt war Dass in die Arbeiten eines Historikers unweigerlich auch seine Lebensgeschichte seine spezifischen Erfahrungen und seine Personlichkeit mit der er fur seine Darstellung einzustehen habe einfliessen und seine Wertungen beeinflussen hat Bleicken vor allem in seinen Nachrufen etwa dem auf Hermann Strasburger hervorgehoben und anerkannt 4 Dass der Geschichtswissenschaft insofern notwendigerweise ein subjektives Element innewohne war Bleickens feste Uberzeugung und wenn er Hermann Strasburger attestierte die Attitude des uber allen Wassern schwebenden objektiven Geistes sei ihm fremd gewesen so galt das nicht minder fur ihn selbst 5 Vor allem in seinen spateren Jahren wandte Bleicken sich zunachst in ausfuhrlichen Nachrufen auf bedeutende Fachvertreter wie Matthias Gelzer Hermann Strasburger und Alfred Heuss dann aber auch in ubergreifenden Darstellungen verstarkt der Wissenschaftsgeschichte zu 6 Auch hier ging es ihm vor allem darum eine Standortbestimmung durch die Reflexion auf die Geschichte hier des eigenen Faches und der Entwicklung seiner erkenntnisleitenden Interessen Fragestellungen und Methoden vorzunehmen und damit auch uber den Sinn des eigenen Tuns Rechenschaft abzulegen Hinzu kam aber auch das Bestreben die Personlichkeit und Lebensleistung bedeutender Gelehrter als Vorbilder dem Gedachtnis zu uberliefern und damit einen Ansporn zur Fortfuhrung einer wissenschaftlichen Tradition zu geben deren Gefahrdung ihm ahnlich wie seinem Lehrer Alfred Heuss deutlich vor Augen stand wenngleich er nicht mit solchem Pessimismus in die Zukunft blickte wie dieser Bleicken empfand sehr bewusst die Distanz zu den noch geheimratlich auftretenden von einem ubersteigerten Autoritatsanspruch bestimmten Fachvertretern der alteren Generation und kritisierte deren Weigerung sich mit ihrer Rolle wahrend der NS Zeit auseinanderzusetzen und ihre Tendenz zur Verharmlosung der tiefgreifenden Einschnitte in Universitat und Wissenschaft die das NS Regime nicht zuletzt durch Entwurdigung Vertreibung und Ermordung zahlreicher Wissenschaftler mit sich gebracht hatte 7 Schuler von Bleicken sind unter anderem Ernst Baltrusch Theodora Hantos Loretana de Libero und Jorg Spielvogel 8 sowie im weiteren Sinne auch Hans Joachim Gehrke der 1973 zwar noch von Alfred Heuss promoviert wurde und bis 1977 dessen letzter Assistent war 1977 aber Assistent von dessen Nachfolger Bleicken wurde und dies bis zur Habilitation 1982 blieb Schriften Auswahl BearbeitenEin Schriftenverzeichnis erschien in Markus Merl Uwe Walter Bearbeiter Jochen Bleicken Schriftenverzeichnis Aus Anlass seines 70 Geburtstages Schoningh Paderborn 1996 ISBN 3 506 75516 1 online Monographien Das Volkstribunat der klassischen Republik Studien zu seiner Entwicklung zwischen 287 und 133 v Chr Zetemata Band 13 Beck Munchen 1955 2 Auflage 1968 Senatsgericht und Kaisergericht Eine Studie zur Entwicklung des Prozessrechtes im fruhen Prinzipat Vandenhoeck amp Ruprecht Gottingen 1962 Staatliche Ordnung und Freiheit in der romischen Republik Frankfurter Althistorische Studien Band 6 Lassleben Kallmunz 1972 ISBN 3 7847 7106 8 Lex publica Gesetz und Recht in der romischen Republik de Gruyter Berlin 1975 ISBN 3 11 004584 2 Die Verfassung der romischen Republik UTB fur Wissenschaft Band 460 Paderborn Schoningh 1975 8 Auflage 2000 ISBN 3 8252 0460 X ISBN 3 506 99405 0 Verfassungs und Sozialgeschichte der romischen Kaiserzeit 2 Bande Paderborn Schoningh 1978 und ofter Prinzipat und Dominat Gedanken zur Periodisierung der romischen Kaiserzeit Frankfurter Historische Vortrage Band 6 Steiner Wiesbaden 1978 Geschichte der Romischen Republik Oldenbourg Grundriss der Geschichte Band 2 Oldenbourg Munchen 1980 6 Auflage 2004 ISBN 3 486 49666 2 Die athenische Demokratie Schoningh Paderborn 1986 4 vollig uberarbeitete und wesentlich erweiterte Auflage 1995 ISBN 3 8252 1330 7 Augustus Eine Biographie Fest Berlin 1998 Sonderausgabe 2000 ISBN 3 8286 0136 7 Aufsatzsammlung Gesammelte Schriften Herausgegeben von Frank Goldmann 2 Bande Steiner Stuttgart 1998 ISBN 3 515 07241 1 Literatur BearbeitenTheodora Hantos Gustav Adolf Lehmann Hrsg Althistorisches Kolloquium aus Anlass des 70 Geburtstags von Jochen Bleicken 29 30 November 1996 in Gottingen Steiner Stuttgart 1998 ISBN 3 515 07176 8 Markus Merl und Uwe Walter Jochen Bleicken Schriftenverzeichnis Aus Anlass seines 70 Geburtstages Schoningh Paderborn 1996 ISBN 3 506 75516 1 Digitalisat Dirk Schlinkert Mit Heyne uber der Schulter Zum 70 Geburtstag von Jochen Bleicken In Spektrum Informationen aus Forschung und Lehre Jahrgang 1996 Heft 4 S 36 PDF Gustav Adolf Lehmann Nachruf Jochen Bleicken 3 September 1926 24 Februar 2005 In Jahrbuch der Akademie der Wissenschaften zu Gottingen Jahrgang 2005 S 334 338 Hartmut Leppin Nekrolog Jochen Bleicken 1926 2005 In Historische Zeitschrift Band 281 2005 S 826 833 Justus Cobet Der Gelehrte als Lehrer in der Zeit der Anfechtung Ansprache auf der Gedenkfeier fur Jochen Bleicken am 29 Oktober 2005 in Gottingen In Gottinger Forum fur Altertumswissenschaft Band 8 2005 S 59 72 PDF Uwe Walter Jochen Bleicken In Gnomon Band 78 2006 S 90 95 Ernst Baltrusch Bleicken Jochen In Peter Kuhlmann Helmuth Schneider Hrsg Geschichte der Altertumswissenschaften Biographisches Lexikon Der Neue Pauly Supplemente Band 6 Metzler Stuttgart Weimar 2012 ISBN 978 3 476 02033 8 Sp 113 114 Sabine Panzram Bleicken Jochen In Franklin Kopitzsch Dirk Brietzke Hrsg Hamburgische Biografie Band 7 Wallstein Gottingen 2020 ISBN 978 3 8353 3579 0 S 32 33 Weblinks BearbeitenLiteratur von und uber Jochen Bleicken im Katalog der Deutschen Nationalbibliothek Berthold Seewald Jochen Bleicken Abschied In Die Welt 4 Marz 2005Anmerkungen Bearbeiten Webpage der Wissenschaftlichen Gesellschaft an der Johann Wolfgang Goethe Universitat Frankfurt am Main Die Diskussion um Definition Kriterien sowie Datierung und Lokalisierung der Anfange der Demokratie hat erst vor kurzem begonnen Vgl Eric W Robinson Democracy beyond Athens Popular Government in the Greek Classical Age Cambridge 2011 dazu die Rezension von Charlotte Schubert in H Soz u Kult 11 Juni 2012 online Vgl Jochen Bleicken Geschichte der Romischen Republik S 105 114 sowie seine Schulerin Dagmar Gutberlet Die erste Dekade des Livius als Quelle zur gracchischen und sullanischen Zeit Olms Weidmann Hildesheim u a 1985 Vgl Jochen Bleicken Nachruf auf Hermann Strasburger In Gesammelte Schriften Band 2 S 1084 1091 hier S 1087 ff Jochen Bleicken Nachruf auf Hermann Strasburger In Gesammelte Schriften Band 2 S 1084 1091 hier S 1090 Vgl Gesammelte Schriften Band 2 S 1002 1162 Vgl Jochen Bleicken Gedanken zum Fach Alte Geschichte und ihren Vertretern In Gesammelte Schriften Band 2 S 1149 1162 Justus Cobet Der Gelehrte als Lehrer in der Zeit der Anfechtung Ansprache auf der Gedenkfeier fur Jochen Bleicken am 29 Oktober 2005 in Gottingen In Gottinger Forum fur Altertumswissenschaft Band 8 2005 S 59 72 PDF Verzeichnis der von Jochen Bleicken betreuten Dissertationen In Markus Merl Uwe Walter Bearb Jochen Bleicken Schriftenverzeichnis aus Anlass seines 70 Geburtstages Schoningh Paderborn 1996 ISBN 3 506 75516 1 S 56 58 online Inhaber der Lehrstuhle fur Alte Geschichte an der Universitat Hamburg Erster Lehrstuhl Erich Ziebarth 1919 1936 Hans Rudolph 1936 1976 Jurgen Deininger 1976 2002 Christoph Schafer 2003 2008 Werner Riess seit 2011 Zweiter Lehrstuhl Jochen Bleicken 1962 1967 Peter Herrmann 1967 1991 Helmut Halfmann 1991 2015 Kaja Harter Uibopuu seit 2015 Dritter Lehrstuhl Dietrich Hoffmann 1978 1994 Vierter Lehrstuhl Joachim Molthagen 1982 2005 Inhaber der Lehrstuhle fur Alte Geschichte an der Universitat Frankfurt am Main Walter Barthel 1914 1915 Wilhelm Weber 1916 1918 Matthias Gelzer 1919 1955 Hermann Strasburger 1955 1963 Franz Georg Maier 1963 1966 Jochen Bleicken 1967 1977 Klaus Bringmann 1981 2000 Hartmut Leppin seit 2001 Zweiter Lehrstuhl Konrad Kraft 1962 1970 Eberhard Ruschenbusch 1972 1992 Manfred Clauss 1993 2005 Frank Bernstein seit 2007 Inhaber des Lehrstuhls fur Alte Geschichte an der Universitat Gottingen Heinrich Nissen 1877 1878 Christian August Volquardsen 1879 1897 Georg Busolt 1897 1920 Ulrich Kahrstedt 1921 1952 Alfred Heuss 1954 1975 Jochen Bleicken 1977 1991 Gustav Adolf Lehmann 1993 2010 Tanja Scheer seit 2011 Normdaten Person GND 11937305X lobid OGND AKS LCCN n81003641 NDL 00433511 VIAF 44311507 Wikipedia Personensuche PersonendatenNAME Bleicken JochenKURZBESCHREIBUNG deutscher HistorikerGEBURTSDATUM 3 September 1926GEBURTSORT Westerland SyltSTERBEDATUM 24 Februar 2005STERBEORT Hamburg Abgerufen von https de wikipedia org w index php title Jochen Bleicken amp oldid 233331223