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Chiralitat beschreibt in der Stereochemie eine raumliche Anordnung von Atomen in einem Molekul bei der die Ebenenspiegelung nie zu einer Selbstabbildung fuhrt also nicht durch Drehung wieder in das ursprungliche Molekul uberfuhrt werden kann Hierbei konnen sowohl einzelne oder mehrere Atome in einem Molekul eines oder mehrere stereogene Zentren darstellen als auch die gesamte Molekulgestalt die Chiralitat ausmachen Molekule mit dieser Eigenschaft werden dabei chiral Molekule ohne diese Eigenschaft achiral genannt Chiralitat ist ein griechisches Kunstwort und bedeutet Handigkeit abgeleitet von altgriechisch xeir cheir spater chir Hand Faust In der Kristallographie wird sie auch Enantiomorphie genannt Die beiden Enantiomere eines chiralen Molekuls unterscheiden sich raumlich voneinander im Aufbau ahnlich wie rechte und linke Hand Gangige Beispiele aus dem Alltagsleben sind rechte und linke Hand rechts bzw linksgewundene Schneckenhauser oder Schrauben sowie normale Korkenzieher mit Rechtsgewinde fur Rechtshander und Korkenzieher mit Linksgewinde fur Linkshander Auch Spielwurfel sind chiral bei spiegelbildlicher Anordnung der Ziffern lassen die Formen sich nicht zur Deckung bringen siehe Abbildung Allgemein ist ein Objekt genau dann chiral wenn es keine Drehspiegelachse besitzt Andere Symmetrieelemente konnen aber durchaus vorhanden sein das heisst ein chirales Objekt ist nicht zwangslaufig asymmetrisch Spiegelbildlich gezeichnete Enantiomerenpaare in von oben nach unten drei verschiedenen gleichwertigen Visualisierungsformen Inhaltsverzeichnis 1 Chemie allgemein 2 Biochemie 3 Biokatalyse 4 Siehe auch 5 Literatur 6 Weblinks 7 EinzelnachweiseChemie allgemein BearbeitenChiralitat beruht meist auf der unterschiedlichen raumlichen Anordnung von Atomen und Atomgruppen um eines oder mehrere Stereozentren So stellen z B Kohlenstoffatome mit vier verschiedenen Substituenten ein stereogenes Zentrum oder Stereozentrum dar bei dem zwei verschiedene raumliche Anordnungen moglich sind Neben Kohlenstoff konnen auch andere Atome wie zum Beispiel Phosphor Stereozentren ausbilden Entscheidend ist hierbei dass die Substituenten ihre relative Lage zueinander nicht andern konnen was im Falle des Phosphors durch eine ausreichend grosse Inversionsbarriere gewahrleistet ist Stickstoff kann meist nur in gespannten Systemen als Stereozentrum fungieren da Stickstoff sonst in hoher Frequenz oszilliert und somit standig invertiert Am chiralen Stickstoffzentrum gilt das freie Elektronenpaar als vierter Substituent Dieser besitzt die niedrigste Prioritat aller Substituenten nbsp Die ublichen sechsseitigen Wurfel sind chiral die Anordnung der Ziffern ist spiegelbildlich Das oben abgebildete Netz mit dem zugehorigen Wurfel wird heutzutage fast ausschliesslich benutzt Die Anordnung der Ziffern im unterhalb der grun markierten Spiegelebene abgebildeten Netz ist zum obigen Netz chiral die Wurfel sind ebenfalls chiral Der obere Wurfel ist linkswendig entgegen dem Uhrzeigersinn der untere ist rechtswendig im Uhrzeigersinn die Wendigkeit im Beispiel wird von vier uber funf nach sechs gezahlt ist blau markiert Die beiden Wurfel lassen sich nicht zur Deckung bringen Alltagsgegenstand Korkenzieher sind chiral nbsp Korkenzieher fur Rechtshander Handelsublicher normaler Korkenzieher fur Rechtshander nbsp Korkenzieher fur Linkshander Korkenzieher fur Linkshander Molekule deren Bild und Spiegelbild sich nicht zur Deckung bringen lassen sind also chiral Die beiden somit unterscheidbaren spiegelbildlichen Formen eines solchen Molekuls werden als Enantiomere bezeichnet Die Enantiomere konnen durch ihre unterschiedliche optische Aktivitat unterschieden werden Eine Mischung mit gleichen Anteilen beider Enantiomere wird Racemat oder racemisches Gemisch genannt Im einfachsten Fall liegt in der organischen Chemie Chiralitat dann vor wenn in einem Molekul ein Kohlenstoffatom vier verschiedene Substituenten tragt Dieses Kohlenstoffatom wird als Stereozentrum manchmal auch veraltet als Chiralitatszentrum oder asymmetrisches Kohlenstoffatom bezeichnet Grundlegende Uberlegungen und Messungen zur Chiralitat entsprechend substituierter Kohlenstoffverbindungen gehen auf Jacobus Henricus van t Hoff und spater Paul Walden zuruck Die raumliche Anordnung der Substituenten an einem Stereozentrum wird nach den durch R S Cahn C K Ingold und V Prelog festgesetzten Regeln CIP Regeln mit R oder S bezeichnet R steht fur lateinisch rectus rechts und S fur lat sinister links Liegen mehrere Stereozentren vor erhoht sich auch die Anzahl moglicher verschiedener Verbindungen Mit n Stereozentren ergeben sich 2n verschiedene Verbindungen abzuglich moglicher meso Verbindungen s u Die Stereozentren werden dann jeweils einzeln nach den CIP Regeln mit R oder S bezeichnet Unterscheiden sich zwei Verbindungen in einem oder mehreren nicht aber in allen Stereozentren so spricht man von Diastereomeren Wenn ein Molekul mehrere Stereozentren aufweist diese aber durch eine Spiegelung an einer Ebene ineinander uberfuhrt werden konnen so ist das gesamte Molekul achiral Man spricht in diesem Fall von meso Verbindungen z B meso Weinsaure Eine altere Konvention zur Benennung von Enantiomeren die heute noch fur Zucker und teilweise auch fur Aminosauren angewandt wird ist die D und L Nomenklatur des Nobelpreistragers Emil Fischer Fischer Projektion Neben dieser auf Stereozentren zuruckgefuhrten Chiralitat zentrale Chiralitat unterscheidet man axiale planare und helicale Chiralitat um die zugrundeliegenden Strukturelemente naher zu beschreiben Axiale Chiralitat tritt z B bei Biphenylen wie BINAP auf die so in den ortho Positionen substituiert sind dass die freie Drehbarkeit der Aromaten um die C C Einfachbindung stark gehindert ist Hieraus ergeben sich dann zwei spiegelbildliche Isomere Beispiele fur planare Chiralitat sind E Cycloocten oder bestimmte Sandwich Komplexe oder substituierte Cyclophane Unter helicaler Chiralitat versteht man den unterschiedlichen Drehsinn helicaler Verbindungen Helicale Chiralitat tritt z B bei Helicenen auf Allen chiralen Verbindungen ist die Abwesenheit einer Drehspiegelachse gemeinsam Wie sich aus der Gruppentheorie beweisen lasst ist diese Abwesenheit einer Drehspiegelachse die notwendige und ausreichende Bedingung dafur dass ein Molekul in Enantiomeren auftritt Eine Drehspiegelachse Sn ist ein Symmetrieelement Hierbei dreht man das Molekul zuerst um 360 n Grad um eine Achse und spiegelt es anschliessend an der Ebene die senkrecht zu dieser Achse liegt Ist das Produkt dieser Operation identisch mit der Ausgangsverbindung hat man eine Drehspiegelachse gefunden Des Weiteren existieren auch noch die Begriffe Pseudochiralitat und Prochiralitat Zwei der Substituenten an einem pseudochiralen pseudoasymmetrischen Zentrum unterscheiden sich nur durch ihre Konfiguration sind also enantiomorph Dadurch liegen sie auf einer Spiegelebene des Molekuls sofern keine weiteren stereogenen Zentren vorhanden sind es ist damit eine achirale sogenannte meso Verbindung Teilweise wird der Begriff Pseudochiralitat aber auch dann benutzt wenn beide Substituenten gleich konfiguriert sind und das Molekul damit chiral ist 1 Im Vergleich zur R S Nomenklatur CIP Nomenklatur werden pseudochirale Zentren mit r und s bezeichnet wobei der R konfigurierte Substituent die hohere Prioritat erhalt Prochirale Gruppen sind solche Funktionen die durch eine Addition an ihr selbst in ein Stereozentrum uberfuhrt werden konnen Als gutes Beispiel dienen hier unsymmetrische Ketone die beispielsweise durch Hydrierung in chirale Alkohole uberfuhrt werden konnen Man unterscheidet hierbei den Angriff von der re oder si Seite Chiralitat tritt auch in der anorganischen Chemie auf Wie Alfred Werner Nobelpreis 1913 1911 zeigen konnte konnen auch Koordinationsverbindungen mit oktaedrischer Geometrie Chiralitat aufweisen 2 Ein einfaches Beispiel ist der Komplex Co en 33 wobei en fur den zweizahnigen Liganden 1 2 Diamino ethan steht Die beiden enantiomeren Formen dieses Komplexes und ahnlicher Strukturen werden meist mit D und L bezeichnet Koordinationsverbindungen zeigen eine sehr grosse Vielfalt moglicher chiraler Strukturen 3 Zu Beginn des 21 Jahrhunderts haben chirale Koordinationsverbindungen eine grosse Bedeutung erhalten insbesondere auch durch deren Anwendungen in der Katalyse 4 Auch in anorganischen Festkorpern kann Chiralitat auftreten So besitzt zum Beispiel der Quarz zwei enantiomorphe Formen die sich auf links oder rechtsgangige Schrauben zuruckfuhren lassen Dies ist ebenfalls ein Beispiel fur helicale Chiralitat In der Kristallographie gibt es insgesamt elf enantiomorphe Punktgruppen Die absolute Konfiguration einer chiralen Substanz kann nicht aus dem Drehsinn von polarisiertem Licht beim Passieren einer Standardlosung erschlossen werden sondern muss entweder durch chemische Analogieschlusse zum Beispiel durch Abbau der zu bestimmenden Substanz zu einer bekannten Verbindung durch Rontgenkristallographie oder durch Verwendung chiraler Shift Reagenzien in der NMR Spektroskopie erfolgen Erst nach einem solchen Nachweis kann entschieden werden ob eine Verbindung R oder S Konfiguration besitzt Die Zuordnung der Konfigurationen fur Aminosauren und Kohlenhydrate von denen anfangs nur die relativen Konfigurationen zueinander bekannt waren erfolgte zunachst willkurlich Sehr viel spater in den 1950er Jahren haben rontgenkristallographische Untersuchungen ergeben dass die gewahlte Zuordnung zufalligerweise Hinweis Wahrscheinlichkeit dafur betrug 50 den tatsachlichen Verhaltnissen entspricht Die Untersuchung der Chiralitat von Molekulen in Gasphase kann unter Ausnutzung des Zirkulardichroismus Effekts mit Synchrotronstrahlung erfolgen Ein neuer Forschungsansatz nutzt nun hierfur zirkular polarisiertes Licht eines Femtosekundenlasers 5 Seit Januar 2018 finanziert die Deutsche Forschungsgemeinschaft einen Sonderforschungsbereich zur Erforschung der Chiralitat von Molekulen der von Wissenschaftlern der Universitat Kassel koordiniert wird 6 Biochemie BearbeitenDas Konzept der Chiralitat spielt auch in der Biologie insbesondere in der Biochemie eine fundamentale Rolle In allen Naturstoffklassen ist jeweils ein Enantiomer bevorzugt bzw ausschliesslich vorhanden So findet man in der Natur z B ausschliesslich D Glucose und keine L Glucose Es gibt aber durchaus L Zucker und sogar Zucker die sowohl in der D als auch in der L Form vorkommen allerdings in jeweils vollig unterschiedlichen Zusammenhangen siehe Monosaccharide Auf dieses in der Natur vorhandene Reservoir enantiomerenreiner Substanzen den Chiral Pool sind viele stereoselektiven Synthesen und enantiomerenreine synthetische Verbindungen in direkter oder indirekter Form etwa durch stereoselektive Katalysatoren zuruckzufuhren Biochemische Reaktionen werden durch Enzyme katalysiert Da es sich bei Enzymen um chirale Makromolekule handelt sind sie in der Lage eine Reaktion enantioselektiv zu steuern Dies geschieht durch einen diastereoselektiven Mechanismus wobei von den beiden enantiomeren Ubergangszustanden des Substrates derjenige bevorzugt wird dessen Energie geringer ist der also vom aktiven Zentrum stabilisiert wird Dadurch konnen aus prochiralen und achiralen Edukten chirale Produkte synthetisiert werden Auf diese Weise setzt sich die Bevorzugung eines Enantiomers und damit die Chiralitat in der gesamten Biochemie und Physiologie fort Chiralitat ist auch die Voraussetzung fur geordnete Sekundarstrukturen in Proteinen wie z B einer a Helix die nur aus enantiomerenreinen Aminosauren aufgebaut werden kann in der Natur L Aminosauren Enantiomere chiraler Molekule zeigen somit in der Regel unterschiedliche physiologische Wirkungen sie haben einen unterschiedlichen Geschmack Geruch eine unterschiedliche Toxizitat und eine unterschiedliche pharmakologische Wirkung als Arzneistoff 7 8 Bei dem bekanntesten Fall Contergan Thalidomid ist die unterschiedliche Wirkung der Enantiomere allerdings nicht genau abzugrenzen da es in vivo zu einer Racemisierung kommt und deshalb die differierende physiologische Wirkung der Enantiomeren eingeebnet und damit irrelevant wird Genau genommen ware aus diesem Grund eine racemische Biologie im Sinne eines 1 1 Gemisches aller Enantiomere gar nicht moglich da fur die spiegelverkehrten Molekule ein kompletter eigener ebenfalls spiegelverkehrter Syntheseapparat notwendig ware Die in manchen bakteriellen Zellwanden proteinogen gebunden vorkommenden raren D Aminosauren werden uber einen Sekundarmetabolismus synthetisiert und verhindern z B den Abbau durch Proteasen Es ist bis heute nicht geklart ob die angetroffene Bevorzugung eines bestimmten Enantiomers von Biomolekulen sich auf eine zufallige Selektion am Beginn der Evolutionskette begrundet die sich dann selbst verstarkt hat oder ob es fundamentale Grunde fur die Bevorzugung dieser Konfiguration gibt Biokatalyse BearbeitenBei biokatalytischen Transformationen wird ausgenutzt dass bei Umsetzungen mit Enzymen als Biokatalysator zumeist ein Enantiomer im Uberschuss entsteht beziehungsweise wenn ein Racemat als Ausgangsmaterial vorgelegt wird vom Enzym ein Enantiomer bevorzugt umgesetzt wird So kann ausgehend von einem racemischen Ester die Estergruppe eines Enantiomers des Esters unter stereoselektivem Einfluss des Enzyms Pankreaslipase hydrolysiert werden wahrend das andere Enantiomer des Esters unverandert bleibt Die enantiomerenreine Carbonsaure kann dann leicht von dem auch weitestgehend enantiomerenreinen Ester mit ublichen Trennverfahren Kristallisation Chromatographie etc abgetrennt werden Das Enzym Aspartase kann die enantioselektive Addition von Ammoniak NH3 an die C C Doppelbindung von Fumarsaure katalysieren es entsteht gezielt S Asparaginsaure Siehe auch BearbeitenOptische Aktivitat Chiral pool Chiralitatszentrum Chiralitat Physik Literatur BearbeitenPedro Cintas Ursprunge und Entwicklung der Begriffe Chiralitat und Handigkeit in der chemischen Sprache In Angewandte Chemie Band 119 Nr 22 2007 S 4090 4099 doi 10 1002 ange 200603714 Henri Brunner Rechts oder Links Wiley VCH Verlag Weinheim Bergstrasse 1999 ISBN 3 527 29974 2 Uwe Meierhenrich Amino Acids and the Asymmetry of Life Springer Heidelberg Berlin 2008 ISBN 978 3 540 76885 2 englisch Anne J Ruger Joshua Kramer Stefan Seifermann Mark Busch Thierry Muller Stefan Brase Handigkeit Leben in einer chiralen Welt In Chemie in unserer Zeit Band 46 Nr 5 2012 S 294 301 doi 10 1002 ciuz 201200579 Weblinks BearbeitenChemgaPedia Axiale Chiralitat Helicale Chiralitat Planare ChiralitatEinzelnachweise Bearbeiten A F Holleman E Wiberg N Wiberg Lehrbuch der Anorganischen Chemie 101 Auflage Walter de Gruyter Berlin 1995 ISBN 3 11 012641 9 S 747 A Werner V L King Ber deutsch chem Ges 44 1887 1911 A von Zelewsky Stereochemistry of Coordination Compounds Wiley Chichester 1996 ISBN 978 0 471 95599 3 H Amouri M Gruselle Chirality in Transition Metal Chemistry Wiley Chichester 2008 ISBN 978 0 470 06054 4 Christian Lux Matthias Wollenhaupt u a Zirkulardichroismus in den Photoelektronen Winkelverteilungen von Campher und Fenchon aus der Multiphotonenionisation mit Femtosekunden Laserpulsen In Angewandte Chemie 124 2012 S 5086 5090 doi 10 1002 ange 201109035 Pressemitteilung der Deutschen Forschungsgemeinschaft http www dfg de service presse pressemitteilungen 2017 pressemitteilung nr 48 E J Ariens Stereochemistry a basis for sophisticated nonsense in pharmacokinetics and clinical pharmacology In European Journal of Clinical Pharmacology Band 26 1984 S 663 668 doi 10 1007 BF00541922 englisch Hisamichi Murakami From Racemates to Single Enantiomers Chiral Synthetic Drugs over the last 20 Years In Topics in Current Chemistry Band 269 2007 S 273 299 doi 10 1007 128 2006 072 englisch Abgerufen von https de wikipedia org w index php title Chiralitat Chemie amp oldid 231514823