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Tiroler Ortsnamen zeichnen sich durch eine besonders hohe Dichte von vorromischen geografischen Namen aus und diese wiederum konnen aus unterschiedlichen Namensschichten stammen So lassen sich im heutigen osterreichischen Bundesland Tirol und in den italienischen Provinzen Sudtirol und Trentino mindestens zwei vorromisch nichtindogermanische und mehrere vorromisch indogermanische Schichten ausmachen Das Gros der modernen Ortsnamen entstammt dem Romanischen und dem Germanischen im Osten der Region finden sich aber auch slawische Toponyme Inhaltsverzeichnis 1 Forschungsgeschichte 2 Mediterrane Restsprache n 3 Ratisch 4 Keltisch 5 Nicht naher bekannte indogermanische Sprache n 6 Sprachlandschaft in Tirol vor der Ankunft der Romer 7 Romanisch 8 Slawisch 9 Germanisch bzw Deutsch 10 Literatur 11 Weblinks 12 EinzelnachweiseForschungsgeschichte BearbeitenDie Tiroler Ortsnamen dienen seit der Fruhzeit der Germanistik um 1800 als Objekte wissenschaftlicher Forschung Bereits im 18 Jahrhundert gab es vereinzelte Bestrebungen gewisse Tiroler Ortsnamen mit antiken Sprachen in Verbindung zu bringen Anton Roschmann argumentierte schon 1744 dass der Name Veldidena heute Wilten das keltische Enios Wasser in sich berge oder dass sich per vallem praecipue Venustam besonders im Vinschgau ratische Ortsnamen finden liessen 1 Ludwig Steub gilt als Pionier der Tiroler Ortsnamenforschung Er verbrachte den Sommer 1842 in Tirol und war von jene n seltsamen schon und wunderlich klingenden Namen angezogen 2 Dies veranlasste ihn im Jahr 1843 das Schriftwerk Ueber die Urbewohner Ratiens und ihren Zusammenhang mit den Etruskern zu veroffentlichen in dem er ratische Ortsnamen Tirols als Hinweis fur die Verwandtschaft des Ratischen mit dem Etruskischen anfuhrte Das Buch gilt als erste systematische Sammlung und Erklarung von Tiroler Ortsnamen Im 19 Jahrhundert sind die Arbeiten auf das Erschliessen der ratischen und ratoromanischen Sprache fokussiert wie z Bsp mit Christian Schnellers Beitrage zur Ortsnamenkunde Tirols von 1893 ersichtlich ist Im 20 Jahrhundert taten sich insbesondere Karl Finsterwalder und Carlo Battisti durch zahllose Aufsatze zur Orts und Flurnamenforschung in Tirol hervor Finsterwalder der wahrend der NS Zeit auch fur das SS Ahnenerbe tatig war verfolgte einen ganzheitlichen Ansatz und operierte dabei als erster auch mit mehr oder weniger uberzeugenden Rekonstruktionen aus Protosprachen Sein Lehrstuhl an der Universitat Innsbruck brachte ihm internationale Bekanntheit und eine Reihe an Engagements etwa fur offentliche Amter der Autonomen Provinz Bozen Sudtirol 3 Battisti hingegen der lange Jahre mit dem Faschisten Ettore Tolomei zusammengearbeitet hatte forschte vornehmlich zur Romanitat des Gebiets Wichtige Beitrage ab der zweiten Halfte des 20 Jahrhunderts kamen von Peter Anreiter Cristian Kollmann Johannes Kramer Egon Kuhebacher Carlo Alberto Mastrelli Giulia Mastrelli Anzilotti Johannes Ortner Giovan Battista Pellegrini und Diether Schurr Mediterrane Restsprache n BearbeitenDie alteste Namenschicht ist sicher nichtindogermanisch Sie zeigt Affinitaten mit Substratsprachen des Mittelmeerraumes zum einen im Suden und Sudosten zum anderen im Norden um Ligurien Im Gebiet des heutigen Sudtirol gibt es beispielsweise die Ortsnamen Schlanders Gemeinde im Vinschgau und Villanders Gemeinde im Eisacktal Das Suffix ander erinnert an Namen wie Salandra einen Ort in der Basilicata in Suditalien und Maiandros den Namen fur einen krummungsreichen Fluss in Phrygien woher das Lehnwort Maander stammt Auch ein Suffix ik s so wie es nicht nur im lateinischen Wort larix Larche sondern auch im Namen Etsch lt Atiks zugrunde liegt stammt mit hoher Wahrscheinlichkeit aus einer mediterranen Restsprache Schliesslich seien die Suffixe ask usk genannt so z B in den Namen Leutasch Gemeinde auf dem Seefelder Plateau und Malosco Gemeinde am Nonsberg Die Suffixe ask usk wurden ins Romanische entlehnt und konnten dort noch produktiv sein Ratisch BearbeitenDas Ratische bildet eine zweite nichtindogermanische Sprachschicht Beim Ratischen handelt es sich nach der Erkenntnis von Helmut Rix um eine Schwestersprache des Etruskischen also jener Sprache deren Kerngebiet Etrurien in etwa die heutige Toskana war 4 Das Ratische als Sprache der Fritzens Sanzeno Kultur ist die erste Sprache im Alpenraum die Inschriften hinterlassen hat Es handelt sich um ca 100 so genannte ratische Inschriften die in einem Runenalphabet auf Eisen Knochen Ton Keramik und sonstigen verzierten Kunstgegenstanden eingeritzt wurden Ein typisches lautliches Charakteristikum des Ratischen ist z B das Fehlen des Vokals o Uber das Ratische ist nur sehr wenig bekannt Dank der ca 100 uberlieferten ratischen Inschriften weiss man aber dass es im Ratischen ublich war mittels des Suffixes na Ableitungen von Personennamen zu bilden Auf kunstvoll gefertigten Gegenstanden die vermutlich kultischen Charakter hatten wurden oft der Name und die familiare Herkunft des Weihenden und der Name der Gottheit eingeritzt dem der Gegenstand geweiht war Das Suffix na bedeutete wahrscheinlich Sohn Tochter oder Gegenstand eines Soundso und druckte somit Zugehorigkeit aus Dasselbe ratische Zugehorigkeitssuffix konnte nach Cristian Kollmann auch in zahlreichen Ortsnamen des Tiroler Raumes vorliegen und in diesen Fallen wurde na aber nicht Sohn oder Tochter eines X sondern vielmehr Gebiet eines X bedeuten Ein Beispiel fur einen womoglich ratischen Ortsnamen ist Brixen Gemeinde im Eisacktal lt rat Prikse na Gebiet eines Prikse 5 Keltisch BearbeitenDas Keltische ist eine im Tiroler Raum fassbare indogermanische Sprachschicht Gesicherte Beispiele sind etwa Terfens im 11 Jh Tervanes zu heute noch walisisch derw Eiche mit Kollektivsuffix an oder Axams im 10 Jh Ouxumenes zu urkeltisch Uksisama das Hochste oder auch Inn im 2 Jh Aenus zu urkeltisch Enios Wasser In der alteren Forschung wurde dem Keltischen im Alpenraum eine grosse Bedeutung beigemessen vgl Lepontische Sprache Norische Sprache Berner Zinktafel Allerdings scheint man in letzter Zeit von der Meinung dass das Keltische vor der Romerzeit im Tiroler Raum relativ dominant war immer mehr abzukommen 6 Nicht nur aufgrund von archaologischen Erkenntnissen auch angesichts des namenkundlichen Befundes scheint sich immer mehr abzuzeichnen dass viele der vermeintlich keltischen Namen in Wirklichkeit einer anderen indogermanischen Namenschicht zuzuordnen sind Nicht naher bekannte indogermanische Sprache n BearbeitenNeben dem Keltischen wird fur den Tiroler Raum die Existenz mindestens einer meist aber mindestens zweier vorromisch indogermanischer Sprachen vermutet Diese Sprachschicht in den ersten Jahrzehnten des 20 Jahrhunderts mit dem Begriff Veneto Illyrisch bezeichnet gilt den meisten Forschern als nur mehr in Ortsnamen uberliefert Als wichtigstes Unterscheidungsmerkmal zu den anderen greifbaren indogermanischen Sprachen im Ostalpenraum wurde die Vertretung der grundsprachlichen Media aspirata bh als stimmloser Frikativ im Venetischen oder als stimmhafter Verschlusslaut b im Illyrischen identifiziert Die Idee des Veneto Illyrischen zieht sich durch Karl Finsterwalders akademische Publikationen Eine deutliche Abkehr setzte erst sein Schuler Hermann Maria Olberg durch indem er in Abgrenzung zum auf dem Balkan bezeugten Illyrischen fur Nordtiroler Namengut die Bezeichnung Breonisch wahlte 7 Dabei berief er sich auf das im Wipptal in antiken Quellen bezeugte Volk der Breonen Ausserdem sei das latinisierte Ethnonym Breuni ein schones Beispiel dafur dass hier die grundsprachliche Media aspirata bh als b vertreten ist Das im Tiroler Raum zunachst als Venetisch ausgewiesene Namengut nannte Olberg in Differenzierung zum hauptsachlich an der nordlichen Adria belegten Venetischen f Schicht da er als ein Merkmal dieser Schicht die Vertretung der grundsprachlichen Media aspirata bh als f sah Im Jahre 1997 fuhrte Peter Anreiter den Terminus Ostalpenblock ein 8 Diesem Ostalpenblock wies Anreiter die Einzelsprachen Breonisch Genaunisch Fokunatisch fur Nordtirol und Venostisch Isarkisch Saevatisch fur Sudtirol zu Cristian Kollmann pragte den Begriff Ostalpenindogermanisch den er weiters in die Einzelsprachen Ostalpenindogermanisch A Venetisch und Ostalpenindogermanisch B Illyrisch unterteilte Auch Diether Schurr den Theoriebildungen der anderen Ortsnamenforscher sonst eher ablehnend gegenuberstehend identifizierte neben dem Keltischen zwei weitere vorromisch indogermanische Sprachen im sudlichen Ostalpenraum das Venetische sowie eine allein in Ortsnamen und Inschriften speziell der Valcamonica uberlieferte indogermanische Sprache fur die er die Bezeichnung Euganeisch nach den Euganeern vorschlug Schurr kommt weiters zu dem Schluss dass die Veneter auch im heutigen Nordtirol gesiedelt haben mussten Es ergibt sich also dass von Innsbruck innabwarts eine Reihe von Ortsnamen an venetisches Namensgut anzuschliessen scheinen Innerhalb einer Autobahnstunde kann man Tulfes Fritzens Vomp Voldopp und am Ausgang des Inntals Madron an sich vorbeiziehen lassen 9 Sprachlandschaft in Tirol vor der Ankunft der Romer BearbeitenDie Ankunft der Romer im Alpenraum wird offiziell mit 15 vor Christus datiert also jenem Jahr in dem Drusus und Tiberius die Stiefsohne des Kaisers Augustus den Alpenraum eroberten und die vorromischen Stamme besiegten so dokumentiert auf der Stele von La Turbie bei Monaco In Wirklichkeit werden sich aber schon Jahrzehnte zuvor einzelne romanische Siedler in den Alpenraum begeben und dort neben fremden Stammen gelebt haben Mit den vorromischen Siedlern wird es auch mit der offiziellen Eroberung des Alpenraums sicher nicht mit einem Schlag vorbei gewesen sein Die Annahme dass die Sprachen der Nicht Romanen also der vorromischen Stamme erst allmahlich sicher erst nach einigen Generationen in der Sprache der Romer dem Lateinischen oder Romanischen aufgingen ist geradezu zwingend Nur durch den intensiven und langer wahrenden Sprachkontakt zwischen den Volkern ist es zu erklaren dass gerade im Tiroler Raum viele vorromische Namen tradiert sind Die von den unterschiedlichen Stammen gepragten geografischen Namen wurden von Generation zu Generation und von Sprachschicht zu Sprachschicht auf mundlichem Weg weitergereicht Auch die Annahme dass zu bestimmten Zeiten von babylonischen Zustanden zu sprechen ist durfte nicht ubertrieben sein Solche Zustande herrschten sicher auch in den ersten Jahrhunderten vor Christus und in den ersten Jahrzehnten wenn nicht Jahrhunderten nach Christus In einem Ort war die eine in einem anderen Ort war die andere Sprache die dominantere Romanisch BearbeitenWohl bereits im 2 Jahrhundert nach Christus gewann die Sprache der Romer die Oberhand und assimilierte die alteren Sprachschichten mehr und mehr Im Hochmittelalter bildeten sich immer auf der Grundlage des Lateinischen bzw Romanischen im romanisch gebliebenen Teil Tirols zwei relevante Sprachschichten heraus Das Ladinische im Nordosten bzw das Bundnerromanische im Nordwesten und das Italienische lombardisch venezianischer Pragung im Suden d h im alten Welschtirol Dass das Bundnerromanische und das Ladinische einst ein zusammenhangendes Sprachgebiet bildeten also ein Dialektkontinuum ist anzunehmen wobei die Hypothese einer genetischen Einheit Ratoromanisch neuerdings immer weniger Zustimmung erhalt vgl dazu Ratoromanische Sprachen Die bekanntesten romanischen Beispiele sind die altromischen Pradialnamen die etymologisch relativ durchsichtig auf einflussreiche altromische Gentes zuruckgehen Sie finden sich in sonniger Lage im Etschtal z Bsp Eppan Voran Goflan Slawisch BearbeitenIn Teilen des heutigen Osttirol kam ab dem Ende des 6 Jahrhunderts nach Christus das Slawische hinzu wo es sich bis ins Hochmittelalter neben dem Romanischen und Deutschen halten konnte Als der westlichste slawische Name auf Tiroler Boden wird traditionell Assling betrachtet Germanisch bzw Deutsch BearbeitenVermutlich schon im 5 Jahrhundert liessen sich im Tiroler Raum erstmals germanische Siedler dauerhaft nieder Dabei handelte es sich in erster Linie um Bajuwaren Baiern Auf jeden Fall war die Sprache der Siedler westgermanisch Vom 6 bis 8 Jahrhundert wurde der Suden des westgermanischen Sprachgebiets von lautlichen Veranderungen erfasst Man spricht ab dann vom Althochdeutschen hier in dessen lokaler Auspragung als Altbairisch Um ca 1050 beginnt die mittelhochdeutsche Zeit Damals entwickelten sich die heutigen Dialekte die im Tiroler Raum immer noch hochst lebendig sind Literatur BearbeitenPeter Anreiter Christian Chapman Gerhard Rampl Die Gemeindenamen Tirols Herkunft und Bedeutung Wagner Innsbruck 2009 ISBN 978 3 7030 0449 0 Karl Finsterwalder Tiroler Ortsnamenkunde gesammelte Aufsatze und Arbeiten 3 Bde Innsbruck Universitatsverlag Wagner 1990 1995 ISBN 3 7030 0222 0 Egon Kuhebacher Die Ortsnamen Sudtirols und ihre Geschichte 3 Bde Bozen Verlagsanstalt Athesia 1995 2000 ISBN 88 7014 634 0 1 Die geschichtlich gewachsenen Namen der Gemeinden Fraktionen und Weiler ISBN 88 7014 827 0 2 Die geschichtlich gewachsenen Namen der Taler Flusse Bache und Seen und ISBN 88 8266 018 4 3 Die Namen der Gebirgszuge Gipfelgruppen und Einzelgipfel Sudtirols Gesamtregister Giulia Mastrelli Anzilotti Toponomastica trentina i nomi delle localita abitate Provincia autonoma di Trento Servizio beni librari e archivistici Trient 2003 ISBN 978 88 86602 56 3 Diether Schurr Ortsnamen in Tirol und Umgebung Ubersicht auf Academia edu abgerufen am 26 April 2022 Die Flurnamen Sudtirols Veroffentlichungen des Naturmuseums Sudtirol 10 Naturmuseum Sudtirol Bozen 2016 ISBN 978 88 87108 07 1Weblinks BearbeitenOnline Lexikon uber Sudtiroler Orts und Flurnamen Autonome Provinz BozenEinzelnachweise Bearbeiten Antonius Roschmannus Veldidena urbs antiquissima Augusti colonia et totius Rhaetiae princeps prostat apud Danielem Bartholomaei amp filium Ulm 1744 Caput XXV Veldidenam a Tuscis seu Rhaetis conditam probabiliter asseritur S 115 119 Latein Digitalisat Google Ludwig Steub Ueber die Urbewohner Ratiens und ihren Zusammenhang mit den Etruskern Verl der literarisch artistischen Anstalt Munchen 1843 uibk ac at PDF 57 1 MB Egon Kuhebacher Die Toten des Schlern in Der Schlern 1995 S 302 f Rix Helmut Ratisch und Etruskisch Innsbruck 1998 Dies und weitere Beispiele in Kollmann Cristian Alte und neue Uberlegungen zum Namen Brixen In Brixen I Die Geschichte Im Auftrag des Vereins Prichsna 901 2001 Herausgegeben von Barbara Fuchs Hans Heiss Carlo Milesi und Gustav Pfeifer Bozen 2004 13 27 Diether Schurr Tiroler Toponyme und das Zeugnis venetischer Inschriften In Beitrage zur Namenforschung NF 40 2005 S 425 451 Olberg Hermann Maria Das vorromische Ortsnamengut Nordtirols Ein Beitrag zur Illyrierfrage Philosophische Dissertation Innsbruck 1962 Anreiter Peter Breonen Genaunen Fokunaten Vorromisches Namengut in den Tiroler Alpen Budapest 1997 Diether Schurr Weiteres zu Burgeis vorromischen Ortsnamen und ihrer Herkunft In Der Schlern Nr 74 4 2002 S 42 Abgerufen von https de wikipedia org w index php title Tiroler Ortsnamen amp oldid 239021258