Thietmar I. († Februar 932) war ein ostfränkischer Graf. Als Erzieher, Ratgeber und Heerführer König Heinrich I. gehörte er zum inneren Führungszirkel des Ostfrankenreiches.
Thietmars Herkunft ist unbekannt. Als Gemahlin Thietmars ist aus Gedenkbucheinträgen der Abtei Reichenau eine Frau namens Hildegard bezeugt (Hiltigart) Hildegards Schwester war mit dem einflussreichen Grafen Erwin von Merseburg verheiratet. Thietmar hatte mindestens drei Kinder. Der älteste Sohn Siegfried stand wie sein Vater hoch in der Gunst König Heinrichs I. Unter König Otto I. verwaltete er das östliche Sachsen bei Abwesenheit des Königs als dessen Vertreter. Widukind von Corvey bezeichnet ihn als „Zweiten hinter dem König und Besten unter den Sachsen“. Noch prominenter erscheint der jüngere Sohn Gero, der als Markgraf lange zu den mächtigsten Vertrauten König Otto I. zählte. Die Tochter Hidda heiratete den im Nordthüringgau und dem benachbarten Schwabengau begüterten Grafen Christian. Gedenkbucheinträge der Familie legen die Existenz eines weiteren Tochter namens Thietswind nahe.
Grafenrechte im Nordthüringgau oder dem Hassegau lassen sich durch Quellen nicht belegen.
Graf Thietmar gewinnt in den erzählenden Quellen zur Geschichte des frühen 10. Jahrhunderts ein „verhältnismäßig scharfes Profil“ (Gerd Althoff). Die ältere der beiden Lebensbeschreibungen der Königin Mathilde, der zweiten Ehefrau König Heinrichs I., bezeichnet Thietmar als Erzieher (magistrum) Heinrich I. Demnach hätte Thietmar bereits zu Heinrich I. Vater Otto dem Erlauchten enge Beziehungen unterhalten, der ihm seinen Sohn im Vertrauen auf seine Treue zur Ausbildung übergab. Otto der Erlauchte war 880 als Nachfolger seines in der Normannenschlacht gefallenen Bruders Brun Oberhaupt des Adelsgeschlechtes der Liudolfinger geworden und war von 902 bis 912 Laienabt von Herford. Damit war Otto das Oberhaupt des mit Abstand einflussreichsten und mächtigsten Adelsgeschlechtes in Sachsen.
Graf Thietmar vermittelte um das Jahr 906 mutmaßlich bereits die erste Ehe des jungen Heinrich I. mit Thietmars Nichte Hatheburg Seine Ehefrau Hildegard war die Schwester von Hatheburgs namentlich unbekannter Mutter. Nachdem Hatheburgs ebenfalls unbekannt gebliebener Ehemann und ihr um Merseburg reich begüterter Vater Erwin verstorben waren, kam Graf Thietmar als Schwager von Hatheburgs Mutter wahrscheinlich die Rolle des nächsten männlichen Verwandten, der Hatheburgs Rechte vertreten durfte. Die Ehe mit Hatheburg stellte eine Abkehr von der bisherigen, nach Franken ausgerichteten Heiratspolitik der Liudolfinger dar. Sie diente nicht nur der Festigung ihrer Macht im östlichen Sachsen, nachdem eine Ausweitung nach Franken im Zuge der Babenberger Fehde gescheitert war, sondern dürfte auch in ihrem reichen Erbe begründet sein. Heinrich konnte Merseburg in der Folge zur Pfalz ausbauen, und Claudia Moddelmog nimmt an, Graf Thietmar habe dort eine neue Herrschaftsbasis gefunden, ist doch belegt, dass sein Sohn Siegfrid später dort residierte.
Auch an der zweiten Eheschließung Heinrich I. im Jahr 909 war Graf Thietmar als Brautwerber maßgeblich beteiligt. Wohl im selben Jahr war die Ehe Heinrich I. mit Hatheburg aus kirchenrechtlichen Gründen annulliert worden. Auf Veranlassung Otto des Erlauchten reiste Thietmar anschließend ein erstes Mal in die Abtei Herford, deren Laienabt Otto seit 902 war, um dort unerkannt die um 896 geborene Mathilde in Augenschein zu nehmen. Mathilde war die Tochter des sächsischen Grafen Dietrich, eines Nachfahren Widukinds. Damit entstammte sie der angesehensten Familie Sachsens. Nach seiner Rückkehr aus Herford berichtete Thietmar Otto dem Erlauchten von Schönheit und Sittsamkeit der 14-jährigen Braut, der daraufhin Thietmar ein zweites Mal nach Herford entsandt haben soll, jetzt in Begleitung von Heinrich I. und weiteren Begleitern. Erst bei einem dritten Besuch hätten sich die Brautwerber zu erkennen gegeben, und nach dem eiligen Verlöbnis sei kurze Zeit später in Wallhausen die Ehe geschlossen werden. Es darf davon ausgegangen werden, dass auch Thietmar an den Feierlichkeiten in Wallhausen teilnahm.
Mit dem Tod seines Vater Otto am 30. November 912 erbte Thietmars Schützling Heinrich I. die Stellung des Oberhauptes der liudolfingischen Adelsfamilie. Doch der ostfränkische König Konrad I. lehnte es ab, Heinrich I. die Macht seines Vaters vollständig zu gewähren. Im Zuge der anschließenden Kämpfe belagerte König Konrad I. im Jahr 915 die Pfalz Grone bei Göttingen, in die Heinrich I. sich mit seinem unterlegenen Heer zurückgezogen hatte. Widukind von Corvey berichtet in seiner Sachsengeschichte, Graf Thietmar habe Heinrich I. durch eine verwegene List davor bewahrt, sich in der aussichtslosen Lage dem König zu unterwerfen. Demnach hatte der König Boten entsandt, die Heinrich für den Fall seiner Unterwerfung die amicitia des Königs versicherten. Als die Boten beim König waren, hätte der aus dem Osten eingetroffene Graf Thietmar im Beisein der Boten gefragt, wo er sein Heer lagern solle. Dessen Größe gab er mit 30 Legionen an, obwohl er nur mit fünf Mann gekommen war. Davon hätten die Gesandten ihrem König berichtet, der daraufhin noch vor Tagesanbruch mit seinem Heer abgezogen sei. Trotz der märchenhaft anmutenden Geschichte warnt Gerd Althoff davor, die Erzählung Widukinds als Fiktion abzutun.
Heinrich I. wurde im Mai 919 auf dem Hoftag in Fritzlar zum König des Ostfrankenreiches erhoben. Graf Thietmar fand in den erzählenden Quellen zunächst keine Erwähnung mehr. Auch in den Urkunden des Königs findet sich sein Name nicht. Erst im Rahmen einer Schlachtenschilderung durch Widukind von Corvey begegnet sein Name wieder. Es handelte sich um die Schlacht bei Lenzen. Dort besiegte ein sächsisches Heer unter dem Legaten Bernhard am 4. September 929 die slawischen Redarier. Graf Thietmar war vom König an der Spitze eines Heeres aus Fußsoldaten und einer Reiterei von 50 Mann zur Unterstützung des Legaten Bernhard entsandt worden und diesem als Heerführer beigeordnet (collega). Tatsächlich war es Graf Thietmar, der sich in der Nacht vor der Schlacht damit durchsetzte, dass das gesamte Heer in Waffen wacht. Als am nächsten Tag die Schlacht begonnen hatte und die slawischen Linien trotz eines Frontalangriffes der Sachsen nicht wankten, befahl Thietmar seiner Reiterei unter Führung eines Präfekten einen Angrifff gegen den linken Flügel der Redarier, der damit die Schlachtordnung der Slawen zum Einsturz brachte. Da Graf Thietmar mit den Fußtruppen den Fluchtweg der Redarier versperrte, wurde das Heer von den Sachsen aufgerieben.
Thietmar verstarb im Februar des Jahres 932. In den Fuldaer Totenannalen findet sich für dieses Jahr ein Gedenkeintrag für einen Thiommar com., der dem Grafen Thietmar zugeordnet wird. Graf Thietmars Bedeutung für die königliche Familie spiegelt sich in zwei Nekrologeinträgen aus Gandersheim und Quedlinburg wieder, den Herrschaftsmittelpunkten der Liudolfinger. Der Eintrag aus Quedlinburg blieb erhalten, weil er in das Merseburger Nekrolog übertragen wurde. Dort ist der Todestag eines Thietmar com. unter dem 1. Juni verzeichnet. Eine Abschrift des Gandersheimer Nekrologs mit Thietmars Namen (Thiomar) wurde in das Verbrüderungsbuch des Bodenseeklosters St. Gallen übertragen.
Quellen Bearbeiten
- Bernd Schütte (Hrsg.): Die Lebensbeschreibungen der Königin Mathilde (= Monumenta Germaniae Historica. Scriptores. 7: Scriptores rerum germanicarum in usum scholarum separatim editi. Band 66). Hahn, Hannover 1994, S. 107–142 ISBN 3-7752-5387-4, (online).
- Paul Hirsch, Hans-Eberhard Lohmann (Hrsg.): Widukindi monachi Corbeiensis rerum gestarum Saxonicarum libri tres. = Die Sachsengeschichte des Widukind von Korvei (= Monumenta Germaniae Historica. Scriptores. 7: Scriptores rerum Germanicarum in usum scholarum separatim editi. Bd. 60). 5. Auflage. Hahn, Hannover 1935, (Digitalisat).
Literatur Bearbeiten
- Gerd Althoff: Die Ottonen. Königsherrschaft ohne Staat. 3. durchgesehene Auflage. Kohlhammer, Stuttgart u. a. 2013, ISBN 978-3-17-022443-8.
- Wolfgang Giese: Heinrich I. Begründer der ottonischen Herrschaft. Darmstadt 2008
- Claudia Moddelmog: Ein ideales Paar? Heinrich I. und Königin Mathilde und aristokratische Polygynie in der Vita Mathildis antiquior, bei Widukind von Corvey und Thietmar von Merseburg. In: Gabriele Köster, Stephan Freund (Hrsg.): 919 – Plötzlich König. Heinrich I. und Quedlinburg. Regensburg 2019, S. 195–208
Anmerkungen Bearbeiten
- Johanne Autenrieth, Dieter Geuenich, Karl Schmid (Hrsg.): Das Verbrüderungsbuch der Abtei Reichenau (Liber confraternitatum Augiensis): Einleitung, Register, Faksimile (= Monumenta Germaniae historica. Libri memoriales et necrologia, nova series. Bd. 1). Hahn, Hannover 1979, ISBN 3-7752-5273-8, pag. 20 sowie pag. 26. (online); Gerd Althoff: Amicitiae und Pacta. Bündnis, Einung, Politik und Gebetsgedenken im beginnenden 10. Jahrhundert. Hahn, Hannover 1992, S. 146 f. identifiziert den Eintrag als Nekrologabschrift, so daß das Nebeneinander der Namen Hildegard und Thietmar zufällig wäre. Karl Schmid: Neue Quellen zum Verständnis des Adels im 10. Jahrhundert. In: Zeitschrift für die Geschichte des Oberrheins. Bd. 108, 1960, S. 185–232, hier S. 225, (online) erörtert Thietswind als Name von Geros Mutter.
- Donald C. Jackman hält sie für eine Schwester König Konrads I. Donald C. Jackman: König Konrad, die letzten Karolinger und ihre sächsischen Verwandten. In: Hans-Werner Goetz (Hrsg.): Konrad I. – Auf dem Weg zum „Deutschen Reich“? Winkler, Bochum 2006, ISBN 3-89911-065-X, S. 77–92 hier S. 90. (Rezension; PDF; 111 kB)
- Widukind II, 9.
- Die Verwandtschaft mit Siegfried entdeckte Karl Schmid: Neue Quellen zum Verständnis des Adels im 10. Jahrhundert. In: Zeitschrift für die Geschichte des Oberrheins. Bd. 108, 1960, S. 185–232, hier S. 225, (online).
- Widukind II, 2
- Gerd Althoff: Amicitiae und Pacta. Bündnis, Einung, Politik und Gebetsgedenken im beginnenden 10. Jahrhundert. Hahn, Hannover 1992, S. 145.
- So wohl zuerst 1921 August von Wersebe: Beschreibung der Gaue zwischen Elbe, Saale und Unstrut, Weser und Werra. Hahnsche Hofbuchhandlung, Hannover 1829, S. 114, der sie aus Besitzungen seiner angeblichen Kinder Christian und Dithmar ableitet.
- Gerd Althoff: Amicitiae und Pacta. Bündnis, Einung, Politik und Gebetsgedenken im beginnenden 10. Jahrhundert. Hahn, Hannover 1992, S. 142
- Vita Mathildis ant. cap. 3: Thitmarum comitem, pueri Heinrici magistrum
- Claudia Moddelmog: Ein ideales Paar? Heinrich I. und Königin Mathilde und aristokratische Polygynie in der Vita Mathildis antiquior, bei Widukind von Corvey und Thietmar von Merseburg. In: Gabriele Köster, Stephan Freund (Hrsg.): 919 – Plötzlich König. Heinrich I. und Quedlinburg. Regensburg 2019, S. 195–208, hier: S. 200
- Claudia Moddelmog: Ein ideales Paar? Heinrich I. und Königin Mathilde und aristokratische Polygynie in der Vita Mathildis antiquior, bei Widukind von Corvey und Thietmar von Merseburg. In: Gabriele Köster, Stephan Freund (Hrsg.): 919 – Plötzlich König. Heinrich I. und Quedlinburg. Regensburg 2019, S. 195–208, hier: S. 200.
- Widukind I, 11 und Thietmar I, 5 heben beide das reiche Erbe Hatheburgs hervor.
- Thietmar II, 1: Sifridi comitis Merseburgensis
- Wolfgang Giese: Heinrich I. Begründer der ottonischen Herrschaft. Darmstadt 2008, S. 50.
- Widukind I, 21.
- Gerd Althoff: Die Ottonen. Königsherrschaft ohne Staat. 3., durchgesehene Auflage, Kohlhammer, Stuttgart 2013, S. 33.
- Widukind I, 36
- Gerd Althoff: Unerforschte Quellen aus quellenarmer Zeit (III). Necrologabschriften aus Sachsen im Reichenauer Verbrüderungsbuch. In: Zeitschrift für die Geschichte des Oberrheins 131, 1983, 92–94.
- Gerd Althoff: Adels- und Königsfamilien im Spiegel ihrer Memorialüberlieferung. Studien zum Totengedenken der Billunger und Ottonen (= Münstersche Mittelalter-Schriften. Band 47). Fink, München 1984, S. 204
Personendaten | |
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NAME | Thietmar |
ALTERNATIVNAMEN | Thietmar I. |
KURZBESCHREIBUNG | Graf (wahrscheinlich im Nordthüringgau und im Harzgau), Erzieher des späteren Königs Heinrich I. |
GEBURTSDATUM | um 855 |
STERBEDATUM | Februar 932 |