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Mittelalterliches Theater reicht vom Abklingen spatantiker Theaterformen uber eine weitgehend uberlieferungsfreie Zeit im Fruhmittelalter und Ansatzen zu geistlichen Spielen im Hochmittelalter die zunachst als Bestandteile des Gottesdienstes uberliefert sind bis zu den vielfaltigen theatralischen Aktivitaten im Rahmen von Stadt Kirche und Hof im Spatmittelalter Inhaltsverzeichnis 1 Fruhmittelalter 2 Hochmittelalter 3 Spatmittelalter 4 Literatur 5 EinzelnachweiseFruhmittelalter BearbeitenIn der Spatantike herrschte ein Einklang von Theater Staat und Religion auch wenn nicht alle Formen des Theatralischen gleich angesehen waren Seit der Vorherrschaft des Christentums ab 381 jedoch stand die Religion auf Kriegsfuss mit dem Theater Uber das Mittelalter hinaus reichten kirchliche Theaterverbote dann von der Reformationszeit bis teilweise ins 18 Jahrhundert hinein Als Vermutung lasst sich festhalten dass mit dem Ende der Spatantike das Theater fur mehrere Jahrhunderte aus der westlichen christlichen Welt verschwand Zumindest fehlen die hinweisenden Aufzeichnungen Der Konflikt war darin begrundet dass das spatromische Theater an ein Konzept von Offentlichkeit geknupft war das vom Christentum abgelehnt wurde So stand der Mimus als obszone Unterhaltung ebenso wie Gladiatorenkampfe und Wagenrennen im Gegensatz zur christlichen Lehre Die christliche Verurteilung des antiken Theaters richtet sich nicht unbedingt gegen Tragodie und Komodie die ohnehin keine grosse gesellschaftliche Bedeutung mehr hatten sondern allgemein gegen offentliche Vergnugungen und gegen das Zurschaustellen von Autoritat Der Stolz der Vornehmen eine romische Tugend wird im christlichen Weltbild zur Todsunde Die Offentlichkeit erscheint als ein Ort der Gewalt Der gedrehte Daumen als Publikumsverurteilung im Gladiatorenkampf wird in der Passionsgeschichte implizit kritisiert indem der romische Prafekt Pontius Pilatus obwohl zur Milde geneigt das Volk befragt das Christus sterben lasst und den Morder Barrabas begnadigt Der romische Kirchenvater Tertullian polemisiert mit seiner Schrift De spectaculis gegen die Schaulust und im Ostromischen Reich erklart Johannes Chrysostomos dass die Offentlichkeit des Gottesdienstes eine grundlegend andere sei als die des Theaters Wenn du dich ins Theater begibst und deine Augen an den nackten Gliedern der Schauspielerinnen weidest so ist das zwar nur vorubergehend doch du hast dadurch einen machtigen Zunder in dein Herz gelegt 1 Das Christentum begriff sich zudem als eine Religion des Wortes logos nicht der Bilder eἰkwn des Sagens statt des Zeigens Die neuplatonische Verurteilung der Mimesis verstand das Zeigen als etwas Grobes Selbstherrliches und Gewalttatiges das moglichst beschrankt werden muss Diese Vorstellung verbindet sich unter dem Eindruck allgegenwartiger Darstellungen romischer Gottkaiser mit dem judischen Bilderverbot im Dekalog Am Ende des vierten Jahrhunderts scheinen die Theater geschlossen und grosse Teile der Schriften fur und uber das Theater vernichtet worden zu sein vgl Bucherverluste in der Spatantike Die christliche Verurteilung des Bildes hatte jedoch die Tendenz in einen Bilderkult umzuschlagen Indem Bilder oder Schriften regionale Bedeutung bekamen verlor die Zentralgewalt an Macht was fur Untertanen attraktiv sein konnte wenn sie diese Bilder und Schriften unter Kontrolle hatten aber der autoritatsglaubigen und monotheistischen christlichen Lehre widersprach Wenn eine Zentralgewalt ihre Macht jedoch umgekehrt mittels Bildern und Schriften ausubte standen sie als tote gnadenlose Mitte zwischen Autoritaten und Untergebenen und dies sollte das Christentum im Interesse der Benachteiligten verhindern Kollektivstrafen wurden im romischen Reich ohne Ansehen der Betroffenen erlassen z B die Massenkreuzigungen nach dem Spartacusaufstand Weniger streng scheint die Verurteilung des Darstellens und Abbildens im Bereich der Ostkirchen gewesen zu sein Ein byzantinisches Kirchenraumspiel aus dem 7 Jahrhundert vermutlich von Germanos von Konstantinopel das Maria und Josef in einer Eifersuchtsszene darstellt zeigt einen Rest griechisch romischer Theatertradition Der hohe Stellenwert der Bilder in der orthodoxen Kirche fuhrte im 8 Jahrhundert zum Bilderstreit in dem die Bildbefurworter siegten Die Erfindung des Bildes Christi wurde dem Evangelisten Markus zugeschrieben somit wurde die Ikone legitimierendes und ritualisierendes Bild im Kult zunachst in der Ost dann in der Westkirche Doch die christliche Ikonologie blieb restriktiv Der offenbarte Gott Christus durfte dargestellt werden Vatergott und heiliger Geist traten nur symbolisch in Erscheinung Zunehmend wurden Engel Heilige und Martyrer in den Bildkanon integriert So wurde eine breite Darstellungs und Motivpalette samt einer starkeren regionalen Differenzierung der Kulte nachgeholt Der Marienkult wurde zur Einfallspforte fur heidnische Symbolik auch Teufels und Paganensymbole hielten Einzug Somit wurde der menschliche Korper zum zentralen Medium der Darstellbarkeit als Element des Schonen wie in Marien oder Engeln oder als die deformierten und hochsexualisierten Korper der Gegenwelt Ob solche Bilder auch inszeniert wurden daruber kann man nur mutmassen Hochmittelalter BearbeitenTheatralische Elemente konnten sich im Gottesdienst der byzantinischen Kirche besser halten als im Westen Bischof Liutprand von Cremona beklagte sich um 970 daruber dass die Hagia Sophia zum Theater gemacht werde Es gibt Hypothesen dass solche Brauche die ersten Ansatze zu liturgischen Dramen der Westkirche angeregt haben Unter der Makedonischen Dynastie war Byzanz auf dem Hohepunkt seiner Macht und Ausstrahlung In der Liturgie der Osterfeier findet sich ab dem 10 Jahrhundert der Quem quaeritis Tropus erstmals im Kloster St Gallen In Form eines lateinischen Frage Antwort Spiels wird die Auferstehung als Botschaft vermittelt aber nicht im Spiel vergegenwartigt Ein Engel verkundigt den drei Frauen am leeren Grab Christi dessen Auferstehung Aus uberlieferten Regieanweisungen des Bischofs Ethelwood von Winchester um etwa 970 geht hervor dass der Dialog auch von Monchen gespielt wurde Doch diese Theatralitat hat etwas Paradoxes Es wird bloss gezeigt dass es nichts zu sehen gibt Christus ist spurlos verschwunden Die platonische Herrschaft der Diegesis uber die Mimesis des Sagens uber das Zeigen wird nach mittelalterlichem Verstandnis zum Vorrang des Glaubens gegenuber dem Wissen Der erste dialogische Tropus vermittelt die Botschaft Du musst glauben weil du nicht wissen kannst und das kann ich dir sagen Es ist denkbar dass diese betont undramatische Dramatik im Rahmen des Gottesdienstes sich belehrend gegen eine Vielfalt weltlicher Vergnugungen mit theatralischen Komponenten richtete Es gibt aber keine schriftlichen Hinweise darauf Die Kenntnis des Schreibens war noch weitgehend auf den Klerus beschrankt der somit bestimmen konnte was einer Aufzeichnung wert war Aus diesem dramatischen Kern entwickeln sich im Lauf des folgenden Jahrhunderts geistliche Spiele zunachst als Osterspiele weil Ostern das wichtigste Fest im Jahreslauf war Sie sind in Hunderten von Varianten erhalten auch mit komodiantischen und derben Passagen wie dem Wettlauf der Apostel oder der Salbenkramerszene in denen Konkurrenz und Eitelkeit thematisiert werden Im Zuge der Aufwertung des Weihnachtsfests das in der Westkirche das Osterfest an Bedeutung uberflugelt entstehen seit dem 11 Jahrhundert auch Weihnachtsspiele Die Warnung vor dem Zeigen in der Westlichen Welt rechtfertigt also zunehmend das Zeigen vgl Vanitas Das Lateinische als Sprache der Auffuhrungen wurde zuruckgedrangt Ab dem 12 Jahrhundert ist volkssprachliches Theater mit Spielanweisungen vor den Kirchen bekannt etwa das Adamsspiel 1150 Trager dieser Spiele waren die machtiger werdenden Stadte deren Bevolkerungsstruktur sich mit dem Aufbluhen der Markte und des Handwerks veranderte In lateinischer Sprache existieren Klerikerspiele die einen Disput um die Weltherrschaftsordnung austragen Die Antichrist Spiele jener Zeit haben eine starke politisch soziale Komponente Spatmittelalter BearbeitenAb dem 13 Jahrhundert stehen Passionsspiele und Osterspiele im Vordergrund die immer umfangreicher und aus dem engeren Bereich der Kirche ausgeschlossen werden Die dramatischen Marienklagen aus dieser Zeit und das personliche Auftreten Christi zeigen dass die Zuruckhaltung gegenuber einer Darstellung der Figuren des Heilsgeschehens mittlerweile uberwunden ist Uber die Spielkultur ist wenig bekannt was uber die Regieanweisungen in den Texten hinausginge In dieser Zeit wird Aristoteles wieder gelesen Seine Rechtfertigung des Zeigens mit dem reinigenden Effekt der Katharsis mag die szenischen Darstellungen ermutigt haben Das Osterspiel von Muri aus dem 13 Jahrhundert ist das erste erhaltene Osterspiel in deutscher Sprache In den folgenden 200 Jahren entsteht eine Fulle ahnlicher Spiele Erhaltene Texte sind etwa das Benediktbeurer Passionsspiel das Donaueschinger Passionsspiel oder das Redentiner Osterspiel Diese Spiele haben keinen Bezug zur Vasallenkultur wie Epik und Minnesang sondern entstehen im Bereich burgerlich kirchlich expandierender Stadte Der Welthandel und das Entstehen der Universitaten erweiterten den Horizont Katastrophen wie die Kriege Hungersnote und Epidemien des 14 Jahrhunderts vgl Schwarzer Tod konnten sich offentlich artikulieren wie mit der Tanzwut Dadurch entstand auch eine Angst vor Offentlichkeit Wahrend die Expansion der Theaterkultur im 13 Jahrhundert wie ein Disziplinverlust erscheint dienen die organisierten theatralischen Aktivitaten seit dem 15 Jahrhundert zu einer zivilisatorischen Disziplinierung der Stadtbevolkerung etwa um die Fastnachtszeit und ihre Auswuchse unter Kontrolle zu halten In diesem Rahmen entstehen die Fastnachtsspiele auch die weltlichen Neidhart Spiele Der grosste Teil der stadtischen Spielkultur setzt sich lange Zeit noch aus Mysterienspiele oder Moralitaten mit religiosem Hintergrund zusammen Legendenspiele wie das Spiel von den funf klugen und funf thorichten Jungfrauen 1321 aus Eisenach erlangen zunehmende Bedeutung Die Aufwertung des Rechts gegenuber den personlichen Autoritaten zeigt sich in Weltgerichts Spielen die Christus personlich leitet Weibliche Darsteller fur weibliche Rollen sind in Frankreich vom 14 Jahrhundert an belegt im deutschen Sprachgebiet erst ab dem 16 Jahrhundert Professionelle Schauspieler gibt es kaum in den uberlieferten Theaterereignissen des Mittelalters Sie werden von Klerikern und Laien aus dem stadtischen Burgertum getragen Eine Ausnahme sind die halbprofessionellen Spiele der Confrerie de la Passion im 15 Jahrhundert Dramatisierte Standesatiren Standerevue und Totentanz gehoren zur stadtischen Festkultur Der dritte Entwicklungsraum fur dramatische Spiele neben Kirche und Stadt ist der Hof Die Verhoflichung des Adels im Sinne von Norbert Elias das Zusammenziehen der verstreut lebenden Aristokratie auf zentrale Hofe fuhrt zu einer wachsenden Bedeutung der Hoffeste mit theatralischen Ereignissen bei denen der Tanz eine prominente Funktion hat In diesem Rahmen entwickeln sich Maskenspiele Literatur BearbeitenRolf Bergmann Hrsg Katalog der deutschsprachigen geistlichen Spiele und Marienklagen des Mittelalters Beck Munchen 1986 ISBN 3 7696 0900 X Heinz Kindermann Theatergeschichte Europas Band 1 Das Theater der Antike und des Mittelalters 2 Auflage Mueller Salzburg 1966 Heinz Kindermann Das Theaterpublikum des Mittelalters Mueller Salzburg 1980 ISBN 3 7013 0601 X Christel Meier Heinz Meyer Claudia Spanily Hgg Das Theater des Mittelalters und der Fruhen Neuzeit als Ort und Medium sozialer und symbolischer Kommunikation Rhema Verlag Munster 2004 ISBN 978 3 930454 46 4 Wolfgang F Michael Fruhformen der Deutschen Buhne Schriften der Gesellschaft fur Theatergeschichte Band 62 Gesellschaft fur Theatergeschichte Berlin 1963 Eckehard Simon Die Anfange des weltlichen deutschen Schauspiels 1370 1530 Untersuchung und Dokumentation Niemeyer Tubingen 2003 ISBN 3 484 89124 6 Andreas Kotte Theatralitat im Mittelalter Das Halberstadter Adamsspiel Mainzer Forschungen zu Drama und Theater Band 10 Francke Tubingen Basel 1994 ISBN 3 7720 1838 6 Dissertation HU Berlin 1980 205 Seiten unter dem Titel Das Halberstadter Adamsspiel ein Grenzfall mittelalterlicher Theaterkultur Einzelnachweise Bearbeiten A Heilmann H Kraft Hrsg Texte der Kirchenvater Kosel Munchen 1963 1966 Band 3 S 568Geschichte des europaischen Theaters Theater der griechischen Antike Theater der romischen Antike Mittelalterliches Theater Theater der Renaissance des Humanismus Elisabethanisches Theater Barocktheater Theater der franzosischen Klassik Theater der Aufklarung Theater des Sturm und Drang Theater der Klassik Theater der Romantik Theater der Spaten NeuzeitAussereuropaische Theatertraditionen Theatergeschichte in AsienWeiteres zum Theater in Theatergenre Abgerufen von https de wikipedia org w index php title Mittelalterliches Theater amp oldid 230608118