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Das geistliche Spiel auch geistliches Drama oder liturgisches Spiel ist eine Form des europaischen mittelalterlichen Theaters die ursprunglich als Bestandteil der christlichen Liturgie entstand Es diente seit dem Hochmittelalter der Heilsverkundung in dramatischer Form und entwickelte sich bis in die Neuzeit hinein in mehreren volkstumlichen Genres die bis in die Gegenwart hinein gepflegt werden Geistliches Spiel Darstellung einer Spielszene aus Ein zwiefacher poetischer Act und geistliches Spiel 1652 Inhaltsverzeichnis 1 Geschichte 1 1 Entstehung und Entwicklung 1 2 Niedergang 2 Spielpraxis 3 Auspragungen in verschiedenen europaischen Sprachen 4 Literatur 5 Siehe auchGeschichte BearbeitenEntstehung und Entwicklung Bearbeiten Das geistliche Spiel entwickelte sich vom 10 Jahrhundert an aus den an kirchlichen Festhandlungen gesungenen Tropen Daher war sein Text ursprunglich lateinisch Der Ostertropus der den Gang der Marien zu Jesu Grab behandelt wurde durch seine antiphonale Struktur zur Grundlage des Osterspiels Diese Form wurde um weitere Szenen und Handlungselemente der biblischen Auferstehungsgeschichte erweitert sodass die Osterspiele bis zu ihrer Blute im 13 Jahrhundert zu umfangreichen Dramen wuchsen teilweise bereits in den damaligen Volkssprachen Nach dem Vorbild des Ostertropus entwickelte sich im 11 Jahrhundert der Weihnachtstropus und im 13 Jahrhundert das Weihnachtsspiel dessen Handlungskern die Verkundigung an die Hirten auf dem Feld war Diese Form wird bis in die Gegenwart als Krippenspiel in volkstumlichem Rahmen gepflegt regional auch in den jeweiligen Mundarten Parallel entstanden die ersten Passionsspiele die das Osterspiel um die Leidensgeschichte Christi erweiterten und verschiedene Formen von Prozessionsspielen im Rahmen der christlichen Festtage Gemeinsam ist den Spielformen die auch profane Brauche und Szenen in die Spielhandlung hinein nahmen die Vermenschlichung des Heiligen im christlich religiosen Kontext Weitere Entwicklungen die aus dem geistlichen Spiel hervorgingen sind das Mirakel und das Mysterienspiel Die auffallende Analogie die zwischen diesen beiden besteht lasst sich auf deren gemeinsamen Ursprung zuruckfuhren Unter dem Einfluss der aufbluhenden Burgerkultur veranderte sich das geistliche Spiel im 14 Jahrhundert Zum einen loste es sich aus dem liturgischen Rahmen und wurde zum Teil auf Befehl der Kirche an nicht kirchlichen Spielstatten haufig auch unter freiem Himmel auf Marktplatzen aufgefuhrt wobei diese Auffuhrungen durch Massenszenen aufwandigere Kostumierung und Ausstattung sowie die sich durchsetzenden Volkssprachen das geistliche Spiel popularisierten und in die Nahe des Fastnachtsspiels brachten Die Gestaltung und Produktion oblag der Burgerschaft oft den Passionsbruderschaften der Stadte Zum anderen anderte sich der Charakter der Spiele von der symbolischen Vergegenwartigung des Heils zu realistischen oft drastischen bis obszonen Darstellungen Gleichwohl blieb das geistliche Spiel bis in diese Epoche hinein liturgisch gebunden und streng an den Stoffvorlagen aus Bibel und Heiligenlegenden orientiert ohne dichterische Schopfungen und kunstlerische Gestaltungsfreiheit zuzulassen Ab dem 15 Jahrhundert trat das geistliche Spiel in eine Spatphase Die Lange der Spiele war teilweise auf mehrere tausend Verse angewachsen Dadurch nahmen die Auffuhrungen mehrere Tage in Anspruch und glichen schliesslich eher Volksfesten Die Massenszenen vergrosserten sich stark die Bevolkerung wurde durch gemeinsames Gebet und Choralgesang wieder quasi liturgisch einbezogen Niedergang Bearbeiten Die humanistische Renaissance Kultur die durch die erneute Rezeption des griechischen und romischen Dramas zu neuen Theaterformen fuhrte und die Reformation die nach Martin Luthers Weisung das geistliche Spiel wegen seiner Nahe zur Liturgie ablehnte fuhrten dazu dass das liturgische Drama in der ersten Halfte des 16 Jahrhunderts schwand Es uberlebte nur in stark vom Katholizismus gepragten Regionen z B in Spanien bis zur Gegenreformation im 16 Jahrhundert Ein aus Deutschland bekanntes Beispiel sind die seit 1634 aufgefuhrten Oberammergauer Passionsspiele Einflusse des geistlichen Spiels waren seither noch im protestantischen Schuldrama und im lateinischen Jesuitentheater produktiv Durch den Wandel von Gemeinschafts zu Hofspielen die durch veranderte politisch soziale Verhaltnisse und die neue Rolle der Furstenhofe als Kulturtrager des absolutistischen Zeitalters entstanden wich auch die naive Glaubensoffenheit des Mittelalters einer dualistischen Anschauung von Diesseits und Jenseits Mit den Rede Oratorien Johann Klajs Auferstehung Jesu Christi Hollen und Himmelfahrt Jesu Christi setzte die vor allem im 17 und 18 Jahrhundert beliebte Form des Oratoriums und der oratorischen Passionsmusiken ein Dagegen schrankte die Theaterzensur im 18 und 19 Jahrhundert religiose Stoffe auf der Buhne stark ein Im 19 Jahrhundert wurden religiose Melodramen in manchen Stadten als proletarische Theaterform ublich Die Versuche Zacharias Werners und anderer Theoretiker das geistliche Spiel als Gegenentwurf zum Drama des 19 Jahrhunderts wieder aufleben zu lassen fuhrten nur zu vereinzelten adaptierten Werken wie Hugo von Hofmannsthals Jedermann 1911 und Das Salzburger grosse Welttheater 1922 im Renouveau catholique Paul Claudels Le soulier de satin 1925 im Musiktheater schliesslich Carl Orffs Comoedia de Christi Resurrectione 1956 Ludus de nato Infante mirificus 1960 und De temporum fine comoedia 1973 79 81 sowie in Benjamin Brittens Church Parables Spielpraxis BearbeitenDie typische Buhnenform fur die geistlichen Spiele die im offentlichen Raum aufgefuhrt wurden war die Simultanbuhne die Aufbauten lagen an verschiedenen Stellen eines Platzes Zuschauer und Schauspieler zogen fur jede Szene zwischen den Buhnenteilen hin und her Die Szenen eroffnete und schloss ein Praecursor mit einer Einleitung bzw moralisierenden Zusammenfassung fur die Zuschauer Ebenfalls belegt sind erklarende Kommentare die wahrend der Spielszenen an das Publikum gerichtet waren und die Aufforderungen zu Gebet und Gesang Dramentexte Spielanweisungen Kommentare und Anweisungen fur das Buhnenbild sind in Dirigierrollen zusammengefasst Das Spiel betonte mehr die Deklamation als die mimische Gestaltung der Rollen Auspragungen in verschiedenen europaischen Sprachen BearbeitenDurch den Einfluss der Sprachen die an Stelle des Lateinischen traten entwickelten sich vom 14 Jahrhundert an nationale Traditionen Erste Ansatze hatte es zuvor nur in der Antichristdichtung z B im lateinischen Ludus de Antichristo um 1160 und im deutschen Weltgerichtsspiel gegeben Das bedeutendste spatmittelalterliche Genre im deutschen Sprachraum waren die Passionsspiele die die Handlung uber das Ostergeschehen hinaus auf die gesamte christliche Heilsgeschichte des Alten und Neuen Testamentes von der Schopfung und dem Sundenfall bis zur Auferstehung Christi ausdehnten In der englischen Theatergeschichte entstanden umfangreiche Zyklen deren Hauptgattungen Fronleichnamsspiele und seit der Mitte des 14 Jahrhunderts auch Morality plays engl Moralitaten waren Im Zentrum der Spielhandlung stand das Ringen guter und boser Machte siehe Vice der Tugenden und Laster oder der Engel und Teufel um die Seele des Menschen Die Spiele umfassten oft auch kontrastierende komische Elemente Die Wagenbuhne war der bevorzugte Buhnenbau Die Entwicklung der franzosischen Spiele setzte wesentlich fruher bereits im 12 Jahrhundert ein mit einem anglonormannischen Adamsspiel und dem Niklasspiel des Jean Bodel um 1200 Die charakteristische Form war das Mysterienspiel die Stoffe waren neben biblischen Geschichten vor allem Heiligenlegenden Wahrend deutsche und englische Spiele vor allem von anonymen Autoren verfasst wurden traten in Frankreich erstmals namentlich bekannte Dichter hervor Neben Bodel waren dies Eustache Marcade und Simon Greban Eine Sonderrolle nehmen die pantomimischen mysteres mimes ein die als fruhe Form der Tableaux vivants dargestellt wurden Die Inszenierungen zeigten fruh eine Tendenz zum Effektvollen und Theatralischen wozu auch die Buhnenmaschinerie diente Komische und ernste Szenen waren streng getrennt Auch in den Niederlanden waren Pantomimen als Stomme spelen bekannt Neben den allegorischen Zinnespel Moralitaten und den Mirakelspielen zahlten sie zu den wichtigsten Gattungen Die italienische Entwicklung verlief weitgehend abseits der grossen europaischen Literaturen Anders als in den anderen Landern wurden die geistlichen Spiele nicht zu volkssprachlichen Burgerspielen sondern blieben bis ins 15 Jahrhundert hinein Aufgabe der geistlichen Bruderschaften Die Hauptgattungen waren die Laude drammatiche vgl Lauda prozessionsspielartige Formen die sich aus den bei Prozessionen gesungenen Balladen uber die Dialogisierung zu dramatischen Kleinszenen entwickelten und die Devozione eine Form des Predigtspiels das die Predigt mit lebenden Bildern und Dialogszenen ausgestaltete Beide Genres wurden erst im Laufe des 15 Jahrhunderts in die stadtischen Feste einbezogen und mundeten in die Sacra rappresentazione Wie in Frankreich wurden neben den Bibelstoffen auch Heiligenlegenden verarbeitet ein besonderes Augenmerk des italienischen Theaters lag auf der barock prachtvollen Ausstattung fur die bedeutende Maler und Bildhauer ihrer Zeit arbeiteten Die Blute des geistlichen Spiels in der spanischen Literatur folgte erst verhaltnismassig spat im Siglo de Oro wahrend des 16 und 17 Jahrhunderts mit Lope de Vega Tirso de Molina und Pedro Calderon de la Barca Die wichtigste Form war das Auto sacramental Literatur BearbeitenRolf Bergmann Katalog der deutschsprachigen geistlichen Spiele und Marienklagen des Mittelalters Beck Munchen 1986 ISBN 3 7696 0900 X Pedro Juan Duque Spanish and English religious drama Edition Reichenberger Kassel 1993 ISBN 3 928064 56 8 Ingrid Kasten Erika Fischer Lichte Hrsg Transformationen des Religiosen Performativitat und Textualitat im geistlichen Spiel De Gruyter Berlin New York 2007 ISBN 3 11 019340 X Heidy Greco Kaufmann Weltgerichtsspiel In Andreas Kotte Hrsg Theaterlexikon der Schweiz Band 3 Chronos Zurich 2005 ISBN 3 0340 0715 9 S 2072 2074 Norbert King Christine Wyss Dreikonigsspiele In Andreas Kotte Hrsg Theaterlexikon der Schweiz Band 1 Chronos Zurich 2005 ISBN 3 0340 0715 9 S 488 490 Annette Lorke Apostola Peccatrix Amica Dei Zur Figur der heiligen Frau in englischen Moralitaten Mirakel und Mysterienspielen des Mittelalters Tectum Marburg 1997 ISBN 3 89608 798 3 Laura Schmidt Weihnachtliches Theater Zur Entstehung und Geschichte einer burgerlichen Fest und Theaterkultur Transcript Verlag Bielefeld 2017 ISBN 978 3837638714 Regina Toepfer Jorn Bockmann Hrsg Ambivalenzen des geistlichen Spiels Revisionen von Texten und Methoden Historische Semantik Band 29 Vandenhoeck amp Ruprecht Gottingen 2018 ISBN 978 3 525 30190 6 Rainer Warning Funktion und Struktur Die Ambivalenzen des geistlichen Spiels Theorie und Geschichte der Literatur und der schonen Kunste Band 35 Fink Munchen 1974 Auf englisch erschienen als The ambivalences of medieval religious drama University Press Stanford 2001 ISBN 0 8047 3791 6 Siehe auch BearbeitenChristliche Literatur Mirakelspiel MysterienspielNormdaten Sachbegriff GND 4019862 5 lobid OGND AKS Abgerufen von https de wikipedia org w index php title Geistliches Spiel amp oldid 224809755