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Der Begriff der mentalen Verursachung bezieht sich auf die Annahme der kausalen Wirksamkeit von mentalen Zustanden Er bezeichnet also die Vorstellung dass mentale Zustande Ursachen von Handlungen und anderen mentalen Zustanden sind Kopfschmerzen sind etwa die Ursache dafur dass man eine Tablette nimmt Unzufriedenheit kann die Ursache fur den Gedanken werden eine langere Zeit zu verreisen Die mentale Verursachung wird oft als ein Problem fur den Dualismus angesehen Zudem wird in der gegenwartigen Philosophie des Geistes darum gestritten ob und wie die verschiedenen Varianten des nichtreduktiven Materialismus die Annahme der mentalen Verursachung stutzen und erklaren konnen Schon Rene Descartes sah sich mit dem Problem der mentalen Verursachung konfrontiert Inhaltsverzeichnis 1 Geschichte 2 Dualismus 2 1 Das Argument gegen den Dualismus 2 2 Dualistische Reaktionen 3 Materialismus 3 1 Die materialistische Perspektive 3 2 Probleme des Materialismus mit der mentalen Verursachung 4 Empirische Wissenschaften 5 Literatur 6 Weblinks 7 QuellenGeschichte BearbeitenDie Frage nach der kausalen Interaktion influxus physicus zwischen materiellem Korper und immateriellem Geist wurde schon fruh als Problem fur den Dualismus erkannt Bereits Rene Descartes sah sich in einem Brief von Elisabeth von Herford mit der Frage konfrontiert wie es denn der Geist mache mit dem Korper zu interagieren 1 Zumindest galt es jedoch zu Descartes Zeiten nicht als unplausibel dass sich ein Ort im Gehirn finden lassen wurde an dem der Geist auf den Korper einwirkt Dies anderte sich jedoch mit dem Fortschreiten der neurowissenschaftlichen Erkenntnis da sich kein neuronaler Prozess fand fur dessen Existenz man eine immaterielle Ursache annehmen musste 2 Diese Probleme fuhrten in der Nachfolge Descartes zu zahlreichen dualistischen Positionen die die Interaktion von Geist und Gehirn und damit die mentale Verursachung abstritten Solche etwa von Arnold Geulincx und Nicolas Malebranche entwickelten Positionen haben jedoch im 20 Jahrhundert nur noch wenig Einfluss gehabt Vielmehr wurde in der neueren Philosophie des Geistes meistens der Geist materialistisch interpretiert was zu einer Reduktion der problematischen mentalen Verursachung auf die unproblematische physische Verursachung fuhren sollte In den letzten Jahrzehnten ist die Debatte um die mentale Verursachung insbesondere durch eine Reihe von Aufsatzen Jaegwon Kims beeinflusst worden der zu zeigen versucht dass auch nichtreduktive Materialismen an der Frage nach der mentalen Verursachung scheitern 3 Dualismus BearbeitenDer klassische ontologische Dualismus unterscheidet zwischen materiellen und immateriellen insbesondere geistigen Entitaten Dabei wird auch immer wieder fur die Immaterialitat anderer Phanomene argumentiert etwa von asthetischen und moralischen Eigenschaften Zahlen und Propositionen Als Kandidaten fur immaterielle Entitaten gelten Dualisten all die Phanomene die sich nicht durch die Naturwissenschaften erklaren lassen und sich so einer Reduktion widersetzen Der Dualismus geht insbesondere auf Rene Descartes und dessen Unterscheidung von Materie und Geistigem als eigenstandiger Substanz res extensa und res cogitans zuruck Das Argument gegen den Dualismus Bearbeiten Kritiker des Dualismus behaupten dass die Existenz der mentalen Verursachung jede dualistische Position vor unuberwindliche Schwierigkeiten stellt Dabei gehen die antidualistischen Strategien davon aus dass die mentale Verursachung offensichtlich ist und ein Dualist daher der folgenden Pramisse zustimmen muss Pramisse 1 Mentale Zustande sind Ursachen fur physische Ereignisse Nun argumentieren Antidualisten weiter dass die physische Welt kausal geschlossen sei Damit ist gemeint dass es fur jedes physische Ereignis p1 eine hinreichende physische Ursache p2 gibt Als Beleg fur diese These werden die Ergebnisse der Naturwissenschaften angefuhrt Fur physische Ereignisse seien auch immer physische Ursachen gefunden worden Es gebe keine Evidenz dass es irgendwo im kausalen Geschehen Lucken gebe die nur durch immaterielle Ursachen erklart werden konnten Die zweite Pramisse lautet also Pramisse 2 Jedes physische Ereignis hat ein anderes physisches Ereignis als hinreichende Ursache Die zweite Pramisse impliziert dass es fur jede menschliche Handlung eine hinreichende physische Ursache gibt siehe dazu auch Determinismus Wenn eine Person etwa eine Kopfschmerztablette schluckt so gibt es dafur eine rein physiologische Ursache und es muss bei der Erklarung des Zustandekommens der Handlung auf keine mentalen Ursachen zuruckgegriffen werden Nun will man aber auch sagen dass der mentale Zustand Kopfschmerz eine Ursache fur das Schlucken der Kopfschmerztablette ist Materialisten argumentieren dass diese kausale Wirksamkeit der Kopfschmerzen nur verstandlich sei wenn die Kopfschmerzen selbst ein Teil des physiologischen Geschehens sind Schliesslich sei durch das physiologische Geschehen schon alle kausale Arbeit getan so dass ein immaterieller Kopfschmerz gar keine Funktion mehr hatte Dualisten scheint die Behauptung zu bleiben dass der Kopfschmerz und das physiologische Geschehen zwei unabhangige Ursachen des gleichen physischen Ereignisses seien Dualismuskritiker wenden allerdings ein dass auch ein solcher Fall von Uberdetermination unplausibel sei Zwar gabe es Uberdeterminationen bzw Doppelverursachungen durch voneinander unabhangige Ereignisse doch dies sei ein seltener Zufall Ein Beispiel ware etwa ein Haus das durch einen Kabelbrand und einen Blitzeinschlag in Brand gerat Solche Falle konnten zwar vorkommen doch sei eine systematische Uberdetermination von Handlungen enorm unplausibel Genau diese musse ein Dualist jedoch fordern wenn er behaupte fur Handlungen gebe es immer eine mentale und davon unabhangig eine physische Ursache Die dritte Pramisse lautet also Pramisse 3 Es gibt keine systematische Uberdetermination Die drei Pramissen zusammen implizieren die Falschheit des Dualismus Wenn 1 es mentale Verursachung gibt 2 jedoch jedes physische Ereignis rein physische Ursachen hat und es 3 keine systematische Uberdetermination gibt dann kann der Dualismus nicht wahr sein Dualistische Reaktionen Bearbeiten Es gibt verschiedene dualistische Strategien mit dem prasentierten Argument umzugehen Dabei konnen alle drei vorgestellten Pramissen bezweifelt werden Ablehnung der zweiten Pramisse Der klassische Dualismus in der Tradition Rene Descartes bestreitet die kausale Geschlossenheit des Physischen Descartes konnte noch annehmen dass sich keine Handlung physiologisch erklaren lassen wurde eine Annahme die heute nicht mehr plausibel erscheint Die These der kausalen Geschlossenheit der Welt besagt allerdings dass alle Handlungen rein physiologisch verursacht sind Dies ware gemass dem Fallibilismus unbeweisbar der Schluss von Einzelbeobachtungen auf die Richtigkeit einer materialistischen Theorie des Geistes ware eine Induktion und somit logisch schlicht falsch Andere heutige Kritiker der These der kausalen Geschlossenheit der Welt beziehen sich meist auf die Quantenphysik und erklaren dass diese die kausale Geschlossenheit der Welt unplausibel mache 4 Vertreter der Idee der kausalen Geschlossenheit der Welt reagieren auf diese quantentheoretische Herausforderung oft mit einem Umformulieren der Annahme Wahrend in der klassischen Formulierung der kausalen Geschlossenheit von hinreichenden Ursachen gesprochen wird schlagt etwa David Papineau vor die These mit festgelegten Wahrscheinlichkeiten zu formulieren 5 Ablehnung der dritten Pramisse Einige Philosophen bestreiten auch die Unplausibilitat der Uberdetermination Sie erklaren dass ein solches Phanomen nur dann ein unverstandlicher Zufall sei wenn die ontologisch voneinander unabhangigen Ursachen auch in jeder anderen Hinsicht voneinander unabhangig seien Allerdings konne man sich durchaus Beziehungen zwischen den Ursachen vorstellen die nicht zu einer Reduktion der einen Ursache fuhrten Dies ware der Fall wenn die Ursachen etwa durch ein Naturgesetz miteinander verbunden waren oder in einem anderen nichtreduktiven Supervenienzverhaltnis standen 6 Ablehnung der ersten Pramisse Wahrend die bislang vorgestellten dualistischen Positionen die Existenz der mentalen Verursachung zu erklaren versuchen gibt es auch Dualisten die die erste Pramisse und damit die Idee der mentalen Verursachung aufgeben Auch wenn in der Philosophiegeschichte verschiedene solche Positionen etwa der psychophysische Parallelismus und der Okkasionalismus vertreten wurden wird in der heutigen Debatte nur noch der Epiphanomenalismus ernsthaft diskutiert Seine These ist dass mentale Zustande oder einzelne Aspekte wie Qualia oder Intentionalitat zwar von physischen Zustanden verursacht werden selbst aber keine Wirkungen haben 7 Eine solche Position kann zwar das vorgestellte Argument zuruckweisen muss aber dafur den Preis zahlen zu behaupten dass etwa die Kopfschmerzen in Wirklichkeit gar nicht die Ursache fur das Schlucken der Kopfschmerztablette sind Dem Dualisten bleiben also verschiedene Strategien das Argument der mentalen Verursachung zuruckzuweisen Tatsachlich ist in der heutigen Debatte keine Pramisse unbestritten auch wenn das vorgestellte Argument oder dessen Variationen noch immer den popularsten Angriff auf die dualistische Metaphysik darstellt Materialismus BearbeitenDie materialistische Perspektive Bearbeiten Materialisten argumentieren dass der Dualismus vor einem Dilemma steht Entweder gibt er mentale Verursachung zu dann bleibt aber unverstandlich wie ein immaterieller Geist auf eine materielle Substanz wirken kann Oder er leugnet die mentale Verursachung was aber ebenfalls zu unbefriedigenden Positionen fuhrt siehe Epiphanomen In diesem Sinne fuhrt das Phanomen der mentalen Verursachung zu einem Argument gegen den Dualismus Die Probleme scheinen zu verschwinden wenn man mentale Zustande mit materiellen Zustanden identifiziert Das Ratsel war Wie kann der Geist auf die Materie einwirken Wenn der Geist etwa mit dem Gehirn also einem Teil der Materie identifiziert wird so verschwindet das Problem Genauso scheint das Problem der Uberdetermination zu verschwinden Da der mentale Zustand mit einem physischen Zustand identifiziert wird gibt es genau eine Ursache die die Dualisten falschlich fur zwei unterschiedliche Ursachen gehalten hatten Probleme des Materialismus mit der mentalen Verursachung Bearbeiten nbsp Wenn die mentalen Zustande rot nicht auf die sie realisierenden physischen Zustande blau zuruckfuhrbar sind und zwischen den physischen Zustanden kausale Verbindungen existieren so scheint fur die mentalen Zustande keine kausale Arbeit mehr ubrig zu bleiben Der Pfeil von M1 zu M2 wurde keine kausale Relation beschreiben Allerdings ist keineswegs klar dass der Materialismus das Problem der mentalen Verursachung tatsachlich so schnell loswird Um die neu auftauchenden Probleme zu verstehen muss die Unterscheidung zwischen reduktiven und nicht reduktiven Materialismen verstanden werden Auch wenn die fruhen Positionen der Philosophie des Geistes etwa der Behaviorismus und die Identitatstheorie das Mentale auf das Physische reduzieren wollten gab es seit den 1970er Jahren eine Tendenz zum nicht reduktiven Materialismus Dies war insbesondere durch das von Hilary Putnam und Jerry Fodor formulierte Problem der multiplen Realisierung bedingt Nach Putnam und Fodor konnen mentale Zustande nicht auf bestimmte physische Zustande zuruckgefuhrt werden weil der gleiche mentale Zustand durch ganz verschiedene physische Zustande realisiert sein konnte 8 Die in der Philosophie des Geistes sehr beliebten nicht reduktiven Materialismen wurden allerdings sehr scharf von Jaegwon Kim angegriffen der erklart dass sie im Grunde vor den gleichen Problemen stehen wie der Dualismus Nicht reduktive Materialisten argumentieren dass sich mentale Zustande oder zumindest einige Eigenschaften dieser Zustande nicht auf physische Zustande zuruckfuhren lassen Nun argumentiert Kim dass die physischen Zustande aber schon alle kausale Arbeit tun Fur die nicht reduzierten mentalen Zustande bliebe daher gar keine Funktion es sei denn es werde eine Uberdetermination behauptet Diese sei jedoch wie in der Diskussion des Dualismus gesehen hochproblematisch Kim stellt also den Materialismus vor ein Dilemma Entweder man behauptet die Reduzierbarkeit mentaler Zustande was allerdings auch vielen materialistischen Philosophen aufgrund der multiplen Realisierung der Qualia und Intentionalitatsproblematik unwahrscheinlich erscheint Oder man behauptet die Irreduzibilitat von mentalen Zustanden womit man sich aber nach Kim die Probleme einfangt die auch der Dualismus hat Kim versucht dieses Problem durch eine Verteidigung der reduktionistischen Theorie zu losen Eine Moglichkeit auf Kims Argument zu reagieren bietet die Analogie zwischen physischen und mentalen Zustanden auf der einen und Determinate und Determinable auf der anderen Seite Empirische Wissenschaften BearbeitenIn der experimentellen Psychologie und in den Neurowissenschaften gelten mentale Zustande nicht selbst als Verursacher von etwas Nur die den mentalen Zustanden zugrunde liegenden Gehirnaktivitaten werden als Verursacher betrachtet 9 10 Literatur BearbeitenAnthony Dardis Mental Causation The Mind Body Problem Columbia University Press New York 2008 ISBN 978 0 231 14417 9 Brigitte Falkenburg Mythos Determinismus Wieviel erklart uns die Hirnforschung Springer Heidelberg 2012 ISBN 978 3 642 25097 2 Jens Harbecke Mental Causation Investigating the Mind s Powers in a Natural World Ontos Verlag Frankfurt 2008 ISBN 978 3 938793 94 7 John Heil Alfred Mele Hrsg Mental Causation Clarendon Press Oxford 1993 ISBN 0 19 823929 7 Heinz Dieter Heckmann Sven Walter Hrsg Physicalism and Mental Causation Imprint Academic Exeter 2003 ISBN 0 907845 47 9 Jaegwon Kim Mind in a Physical World An Essay on the Mind Body Problem and Mental Causation MIT Press 1998 ISBN 0 262 11234 5 Jaegwon Kim Physicalism or Something Near Enough Princeton University Press 2005 ISBN 0 691 11375 0 Sven Walter Mentale Verursachung Eine Einfuhrung Mentis Paderborn 2006 ISBN 978 3 89785 576 2 Weblinks BearbeitenDavid Robb John Heil Sophie Gibb Eintrag in Edward N Zalta Hrsg Stanford Encyclopedia of Philosophy Vorlage SEP Wartung Parameter 1 und Parameter 3 und nicht Parameter 2 Julie Yoo Eintrag in J Fieser B Dowden Hrsg Internet Encyclopedia of Philosophy Quellen Bearbeiten Brief Elisabeth von Herford an Rene Descartes vom 16 Mai 1643 Erhard Oeser Geschichte der Hirnforschung WBG Darmstadt 2002 ISBN 3 534 14982 3 Jaegwon Kim Supervenience and Mind Selected Philosophical Essays Cambridge University Press Cambridge und New York 1993 ISBN 0 521 43996 5 Karl Popper John Carew Eccles Das Ich und sein Gehirn 8 Aufl Piper Munchen u a 2002 ISBN 3 492 21096 1 David Paineau Thinking about consciousness Oxford Oxford University Press 2002 ISBN 0 19 924382 4 E J Lowe Physical Closure and the Invisibility of Mental Causation in Heckmann Walter S 137 155 Frank Cameron Jackson Epiphenomenal Qualia in Philosophical Quartaly 1982 Hilary Putnam Psychological Predicates in W H Captain Hrsg Art Mind and Religion Pittsburgh 1967 S 37 48 und Jerry Fodor Special sciences In Synthese 28 1974 S 97 115 Wolfgang Prinz Kritik des freien Willens Bemerkungen uber eine soziale Institution Psychologische Rundschau 55 4 2004 S 198 206 online PDF Memento des Originals vom 24 September 2015 im Internet Archive nbsp Info Der Archivlink wurde automatisch eingesetzt und noch nicht gepruft Bitte prufe Original und Archivlink gemass Anleitung und entferne dann diesen Hinweis 1 2 Vorlage Webachiv IABot www studgen uni mainz de Wolf Singer Verschaltungen legen uns fest Wir sollten aufhoren von Freiheit zu sprechen In Christian Geyer Hirnforschung und Willensfreiheit Zur Deutung der neuesten Experimente Frankfurt am Main Suhrkamp 2004 S 30 65 ISBN 3 518 12387 4 Normdaten Sachbegriff GND 7615778 7 lobid OGND AKS Abgerufen von 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