www.wikidata.de-de.nina.az
Gerhard Jahn 10 September 1927 in Kassel 20 Oktober 1998 in Marburg war ein deutscher Politiker SPD Er war von 1967 bis 1969 Parlamentarischer Staatssekretar beim Bundesminister des Auswartigen und von 1969 bis 1974 Bundesminister der Justiz Gerhard Jahn 1970 Inhaltsverzeichnis 1 Leben 1 1 Familie 1 2 Ausbildung und Beruf 1 3 Partei 1 4 Abgeordneter 1 5 Offentliche Amter 1 6 Gesellschaftliche Amter 2 Auszeichnungen 3 Siehe auch 4 Literatur 5 Weblinks 6 EinzelnachweiseLeben BearbeitenFamilie Bearbeiten Gerhard Jahn wurde 1927 als altester Sohn des evangelischen Arztes Ernst Jahn und der judischen Arztin Dr med Lilli Jahn geboren Gerhard hatte vier Schwestern Die Kinder wuchsen in der Kleinstadt Immenhausen auf wo die Eltern gemeinsam eine Hausarztpraxis betrieben Der Vater liess sich 1942 von seiner judischen Ehefrau scheiden um seine nichtjudische Geliebte die ein Kind von ihm erwartete zu heiraten Die im Sinne der Nationalsozialisten halbjudischen aber evangelisch getauften Kinder aus der privilegierten Mischehe waren nach der Scheidung der Eltern zunehmender Bedrohung durch die Gestapo ausgesetzt Ernst Jahn selbst wurde spater nicht in die Wehrmacht einberufen und hielt sich in den letzten Monaten des Zweiten Weltkriegs zeitweise in den Waldern rund um Immenhausen versteckt Die Mutter wurde zunachst im Arbeitserziehungslager Breitenau interniert Aus dieser Zeit stammt die umfangreiche Korrespondenz mit ihren Kindern die spater in Jahns Nachlass gefunden werden sollte 1944 wurde sie nach Auschwitz deportiert wo sie kurze Zeit spater ermordet wurde Jahns Schwestern wussten lange Zeit nicht dass die mehr als 200 Briefe ihrer Korrespondenz mit der Mutter die Nachkriegswirren uberlebt hatten Den Briefwechsel Lilli Jahns mit ihren Kindern flocht Gerhard Jahns Neffe der Spiegel Redakteur Martin Doerry in eine Biographie seiner Grossmutter ein und veroffentlichte die Lebenszeugnisse 2002 unter dem Titel Mein verwundetes Herz 1 Gerhard Jahn war zwei Mal verheiratet und hatte in erster Ehe drei Kinder Ausbildung und Beruf Bearbeiten Jahn besuchte das humanistische Friedrichsgymnasium in Kassel war aber 1943 44 mit seinem Jahrgang als Luftwaffenhelfer einberufen worden Nach Kriegsende war er von 1945 bis 1946 zunachst als Landarbeiter und dann als Verwaltungsangestellter in Immenhausen tatig Das Notabitur war ihm nach 1945 verweigert worden 1947 aber konnte er seinen Abschluss beenden Er absolvierte danach ein Studium der Rechtswissenschaft in Marburg das er 1950 mit dem Referendarexamen abschloss Nach dem Referendardienst bestand er 1956 die Grosse Juristische Staatsprufung Seit 1957 war er als Rechtsanwalt zugelassen 1969 beteiligte er sich mit Johann Baptist Gradl und anderen an der Grundung des Wissenschaftszentrums Berlin Partei Bearbeiten 1948 trat Jahn dem SDS Sozialistischer Deutscher Studentenbund an seiner Hochschule Marburg bei und wurde 1950 Vorsitzender der Hochschulgruppe Im Jahr 1949 war er zudem Mitglied der SPD geworden Von 1950 bis 1954 war er Unterbezirkssekretar der SPD Marburg Frankenberg 1956 wurde er Kreisvorsitzender der Marburger SPD und zum ersten Mal in den Marburger Stadtrat gewahlt Im folgenden Jahr folgte zudem der Einzug in den Bundestag als Abgeordneter von Marburg dem er bis 1990 ununterbrochen als MdB angehoren sollte In diesem Zeitraum war er u a mehrfach Mitglied im Geschaftsfuhrenden Vorstand der SPD Bundestagsfraktion In den 1960er Jahren initiierte Jahn gemeinsam mit Adolf Arndt und Gustav Heinemann die Rechtspolitischen Kongresse der SPD die eine grosse Aufmerksamkeit in der Fachwelt und Offentlichkeit erlangten Nach dem Tod seines Mentors und spiritus rectors Adolf Arndt wurde Jahn zum Kronjuristen und fuhrenden rechtspolitischen Kopf der SPD Unter anderem vertrat er Willy Brandt und Herbert Wehner in zahlreichen juristischen Prozessen 1969 wirkte er massgeblich an der Erstellung von Brandts erster Regierungserklarung mit Abgeordneter Bearbeiten Von 1956 bis 1978 war Jahn Stadtverordneter der Stadt Marburg und dort zeitweise Vorsitzender der SPD Fraktion Von 1957 bis 1990 war er Mitglied des Deutschen Bundestages Ab 1960 war er Mitglied im Vorstand der SPD Bundestagsfraktion von 1961 bis 1963 von 1965 bis 1967 sowie von 1974 bis 1990 als Stellvertretender Parlamentarischer Geschaftsfuhrer 1963 war er von diesem Posten zunachst wegen seiner Verwicklung in die sog Spiegel Affare zuruckgetreten Von 1960 bis 1961 war er Vorsitzender des Ausschusses fur Wiedergutmachung In dieser Funktion sprach er sich offen gegen den Begriff der Wiedergutmachung aus und sprach stattdessen von Entschadigung In seiner Zeit als Vorsitzender versuchte er besonders die Entschadigung in den bereits gesetzlich geregelten Fallen zu beschleunigen Zudem forderte er im Verbund mit anderen Abgeordneten aller Parteien eine schonungslose Aufarbeitung der NS Vergangenheit und Massnahmen gegen ein Fortbestehen des Antisemitismus in der deutschen Gesellschaft Von 1974 bis 1975 war er Vorsitzender des Ausschusses fur Wahlprufung Immunitat und Geschaftsordnung Offentliche Amter Bearbeiten nbsp Gerhard Jahn 1983 mit Karl Carstens und Willy BrandtAm 12 April 1967 wurde Jahn zum Parlamentarischen Staatssekretar beim Bundesminister des Auswartigen Willy Brandt in der von Bundeskanzler Kurt Georg Kiesinger geleiteten Bundesregierung ernannt Jahn unterstutzte dort den gerade erst aus Berlin nach Bonn gekommenen Minister bei der Kommunikation mit dem Bundestag Nach der Bundestagswahl 1969 wurde er am 21 Oktober 1969 als Bundesminister der Justiz in die von Willy Brandt gefuhrte Bundesregierung berufen Dank Jahns jahrelangen Einsatz fur eine Aufwertung der Justizpolitik erhielt die Rechtspolitik 1969 zum ersten Mal in einer Regierungserklarung ein eigenes Kapitel Gemass Kanzler Brandts Losung Mehr Demokratie wagen zu wollen begriff man in der sozial liberalen Koalition die Rechtspolitik als ein Instrument zu einer modernen Gesellschaftspolitik Aufbauend auf den Ideen des rechtsphilosophischen Diskurses in den letzten Jahrzehnten von sozialdemokratischen und liberalen Rechtsgelehrten weiterentwickelt sah ein modernes Rechtsverstandnis vor allem die Neugestaltung des Dreiecks Burger Recht Staat vor Der mundige Burger so wunschte man sollte sich in Zukunft freier und selbstverantwortlicher innerhalb gesellschaftlich tragfahiger Grenzen entfalten konnen Das Strafrecht sollte von allen nicht mehr mehrheitsfahigen Moralvorstellungen entschlackt werden Entkriminalisierung und der Staat seine Burger und Burgerinnen schutzen ggf auch vor Ubergriffen durch ihn selbst oder eine seiner Instanzen Diese Auffassung sollte u a in dem neuen Eherecht aber auch in der Neuregelung der Abtreibung Berucksichtigung finden jenen beiden Reformen die als die wichtigsten aber kontroversen Reformen des Justizministers Jahn begriffen werden konnen Hinsichtlich der Abtreibung konnte man aber genauso sagen dass der Schutz der Ungeborenen zugunsten der Mutter eingeschrankt wurde zu dieser Thematik siehe auch unten Besonders hervorzuheben ist auch die uberwiegend am 28 November 1973 in Kraft getretene Reform des Sexualstrafrechts durch die unter anderem die Strafbarkeit der Kuppelei stark eingeschrankt wurde 2 3 Da die Bundestagswahl 1972 vorgezogen worden war dauerte das Gesetzgebungsverfahren insgesamt drei Jahre In den Jahren 1969 bis 1974 erarbeitete das Justizministerium zahlreiche wesentliche Reformen wie die Reform des Demonstrationsstrafrechts das Gesetz uber die Entschadigung fur Strafverfolgungsmassnahmen die lange angestrebte Reform der Juristenausbildung Staatsburger im Talar die Verbesserung des Mietrechts und des Mieterschutzes die Einfuhrung des Kundigungsschutzes fur Mietverhaltnisse uber Wohnraum Anderungen im Adoptionsrecht die Ratifizierung des internationalernPakt uber burgerliche und politische Rechte die Modernisierung des Genossenschaftsrechts die Herabsetzung des Volljahrigkeitsalters auf 18 Jahre die Straffung und Beschleunigung von Strafverfahren bei gleichzeitiger Vereinheitlichung von Instanzenzugen und nicht zuletzt die Einfuhrung der Resozialisierung als Vollzugsziel um nur einige zu nennen Jahns vornehmliche Projekte jedoch die Reform des Eherechts und des Abtreibungsrechts konnte er im Laufe seiner Amtszeit wegen der erheblichen Widerstande in Politik und Gesellschaft nicht vollenden Sein Amtsnachfolger Hans Jochen Vogel setzte 1976 77 das neue Ehe und Scheidungsrecht um das den Vorstellungen von Gerhard Jahn entsprach und neben der Einfuhrung der Zerruttungsklausel anstatt des bisher gultigen Schuldprinzips vor allem ein fortschrittlicheres Frauenbild inner und ausserhalb der Ehe vorsah Das Abtreibungsrecht das entgegen Jahns Wunschen eine Fristenregelung vorsah wurde 1975 vom Bundesverfassungsgericht abgewiesen und 1976 auf der Basis einer erweiterten Indikationenlosung wie auch Jahn sie angestrebt hatte 4 neu formuliert Nach dem Rucktritt von Willy Brandt schied auch Jahn am 7 Mai 1974 aus der Regierung aus Von 1975 bis 1977 sowie von 1979 bis 1982 war er Vertreter der Bundesrepublik Deutschland in der Menschenrechtskommission der UNO Nach der deutschen Wiedervereinigung schied Jahn aus dem Bundestag aus Manfred Stolpe berief ihn in seinen Beraterstab nach Brandenburg nbsp Grab von Gerhard Jahn auf dem Marburger Hauptfriedhof 2017 Gesellschaftliche Amter Bearbeiten Von 1979 bis 1995 war er Prasident des Deutschen Mieterbundes In seiner Amtszeit baute Jahn den Mieterbund zu einer schlagkraftigen Lobby Gruppe aus Der Verband hatte gewaltig expandiert und zahlte nun mehr als doppelt so viele Mietervereine in seiner Organisation wie zu Beginn von Jahns Amtszeit In den ostlichen Bundeslandern hatte man nach der Wiedervereinigung eine solide Struktur aufgebaut und verfugte nun bundesweit uber mehr als 500 Beratungsstellen Gerhard Jahn war zudem 1966 der Grundungsprasident der Deutsch Israelischen Gesellschaft Die Gesellschaft wurde ein Jahr nach Aufnahme der diplomatischen Beziehungen zwischen Deutschland und Israel gegrundet 5 Gemeinsam mit der AvS Arbeitsgemeinschaft verfolgter Sozialdemokraten unterstutzte Jahn die Einrichtung einer Stiftung Wiedergutmachung die auch die politischen Opfer der NS Zeit berucksichtigen sollte Auszeichnungen BearbeitenGrosses Verdienstkreuz der Bundesrepublik Deutschland 6 1973 Ehrenburger der Stadt Marburg Verleihung am 10 September 1977 Grosses Verdienstkreuz mit Stern 1979 und Schulterband der Bundesrepublik Deutschland Verleihung am 22 Mai 1984 Pfeifenraucher des Jahres 1972 Siehe auch BearbeitenKabinett Kiesinger Kabinett Brandt I Kabinett Brandt IILiteratur BearbeitenWalter Henkels 99 Bonner Kopfe durchgesehene und erganzte Ausgabe Fischer Bucherei Frankfurt am Main 1965 S 135f Sonja Profittlich Mehr Mundigkeit wagen Gerhard Jahn 1927 1998 Justizreformer der sozial liberalen Koalition Bonn J H W Dietz Nachf 2010 ISBN 978 3 8012 4196 4Weblinks Bearbeiten nbsp Commons Gerhard Jahn Sammlung von Bildern Videos und Audiodateien Literatur von und uber Gerhard Jahn im Katalog der Deutschen Nationalbibliothek Jahn Gerhard Hessische Biografie Stand 17 November 2021 In Landesgeschichtliches Informationssystem Hessen LAGIS Einzelnachweise Bearbeiten Martin Doerry Mein verwundetes Herz Das Leben der Lilli Jahn 1900 1944 Stuttgart 2002 DIP Abgerufen am 23 Juli 2023 Bundesgesetzblatt BGBl Online Archiv 1949 2022 Bundesanzeiger Verlag Abgerufen am 23 Juli 2023 DIP Abgerufen am 23 Juli 2023 Gerhard Gronauer Der Staat Israel im westdeutschen Protestantismus Wahrnehmungen in Kirche und Publizistik von 1948 bis 1972 Gottingen 2013 S 192 u 496 Bekanntgabe von Verleihungen des Verdienstordens der Bundesrepublik Deutschland In Bundesanzeiger Jg 25 Nr 43 9 Marz 1973 Justizminister der Bundesrepublik Deutschland Thomas Dehler FDP 1949 1953 Fritz Neumayer FDP 1953 1956 Hans Joachim von Merkatz DP 1956 1957 Fritz Schaffer CSU 1957 1961 Wolfgang Stammberger FDP 1961 1962 Ewald Bucher FDP 1962 1965 Karl Weber CDU 1965 Richard Jaeger CSU 1965 1966 Gustav Heinemann SPD 1966 1969 Horst Ehmke SPD 1969 Gerhard Jahn SPD 1969 1974 Hans Jochen Vogel SPD 1974 1981 Jurgen Schmude SPD 1981 1982 Hans A Engelhard FDP 1982 1991 Klaus Kinkel FDP 1991 1992 Sabine Leutheusser Schnarrenberger FDP 1992 1996 Edzard Schmidt Jortzig FDP 1996 1998 Herta Daubler Gmelin SPD 1998 2002 Brigitte Zypries SPD 2002 2009 Sabine Leutheusser Schnarrenberger FDP 2009 2013 Heiko Maas SPD 2013 2018 Katarina Barley SPD 2018 2019 Christine Lambrecht SPD 2019 2021 Marco Buschmann FDP seit 2021 Siehe auch Liste der deutschen Justizminister und Bundesministerium der JustizKabinett Brandt I 22 Oktober 1969 bis 15 Dezember 1972 Willy Brandt SPD Walter Scheel FDP Hans Dietrich Genscher FDP Gerhard Jahn SPD Alex Moller SPD Karl Schiller SPD Helmut Schmidt SPD Josef Ertl FDP Walter Arendt SPD Georg Leber SPD Kate Strobel SPD Lauritz Lauritzen SPD Egon Franke SPD Hans Leussink parteilos Klaus von Dohnanyi SPD Erhard Eppler SPD Horst Ehmke SPD Siehe auch Kabinett Brandt IKabinett Brandt II 15 Dezember 1972 bis 7 Mai 1974 Willy Brandt SPD Walter Scheel FDP Hans Dietrich Genscher FDP Gerhard Jahn SPD Helmut Schmidt SPD Hans Friderichs FDP Josef Ertl FDP Walter Arendt SPD Georg Leber SPD Katharina Focke SPD Lauritz Lauritzen SPD Horst Ehmke SPD Hans Jochen Vogel SPD Egon Franke SPD Klaus von Dohnanyi SPD Erhard Eppler SPD Egon Bahr SPD Werner Maihofer FDP Siehe auch Kabinett Brandt II Normdaten Person GND 12318262X lobid OGND AKS LCCN n82140049 VIAF 23042700 Wikipedia Personensuche PersonendatenNAME Jahn GerhardKURZBESCHREIBUNG deutscher Politiker SPD MdBGEBURTSDATUM 10 September 1927GEBURTSORT KasselSTERBEDATUM 20 Oktober 1998STERBEORT Marburg Abgerufen von https de wikipedia org w index php title Gerhard Jahn amp oldid 238392942