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Schlusselreiz gelegentlich auch Ausloser Signalreiz oder Wahrnehmungssignal ist ein Fachbegriff der vor allem von Konrad Lorenz und Nikolaas Tinbergen ausgearbeiteten Instinkttheorie der klassischen vergleichenden Verhaltensforschung Ethologie Er bezeichnet einen bestimmten Reiz der von aussen auf ein Tier einwirkt und eine bestimmte angeborene phylogenetisch programmierte erbkoordinierte Bewegung Instinktbewegung zur Folge hat mit deren Hilfe die durch den Schlusselreiz bestimmte Umweltsituation mit angeborenem Konnen gemeistert wird 1 also ohne vorherige Lernvorgange Der Rang eines Schlusselreizes kann auch einer Merkmalskombination zukommen wobei fur die Merkmalskombination gilt dass sie nur bei vollstandiger Reprasentanz und spezifischer Anordnung der Teilelemente zueinander wirksam ist 2 Inhaltsverzeichnis 1 Historisches 2 Schlusselreiz und Angeborener Auslosemechanismus AAM 3 Merkmale 4 Kontroverse 5 Siehe auch 6 Literatur 7 BelegeHistorisches Bearbeiten Im historischen Zusammenhang betrachtet fallen die Anfange der Ethologie in die Blutezeit von Reflexologie und Behaviorismus in einen Dualismus von Reiz und Reaktion der sich an den Konzepten der klassischen Mechanik orientiert Die Konzepte des Schlusselreizes und der Gestalt entwickelten sich zunachst als Zusatzhypothesen des Reiz Reaktions Schemas 3 und danach durch die Betonung des Zusammenspiels von ausseren Reizen und inneren Antrieben Instinkten als Alternative zum Behaviorismus und zur Reflexkettentheorie Die Bezeichnung Schlusselreiz wurde 1935 von Konrad Lorenz in seinem Fruhwerk Der Kumpan in der Umwelt des Vogels als Fachausdruck in die Verhaltensbiologie eingefuhrt 4 ein Jahr zuvor hatte Lorenz allerdings bereits wahrend eines Vortrags in Oxford in einer Anekdote das Auslosen einer Verhaltensweise von Dohlen geschildert und mit einem Tor gate verglichen das durch einen Schlussel key geoffnet werde 5 1978 verwies Lorenz zudem darauf dass der US amerikanische Ornithologe Francis Hobart Herrick 1858 1940 schon vor mehr als einem halben Jahrhundert im Zusammenhang mit Instinktbewegungen die Metapher lock and key Schloss und Schlussel benutzt habe 6 7 1935 griff Lorenz diese Metapher auf indem er den externen Reiz das Auslose Schema mit dem Bart eines bestimmten Schlussels verglich der in ein passendes Schloss eingefuhrt eine bestimmte instinktmassige Reaktion herbeifuhre 8 Mehrfach wurde das Auslose Schema in diesem Fruhwerk zwar auch mit dem Synonym Schlusselreiz bezeichnet die beschriebene Aufeinanderfolge von Schlusselreiz und zugehoriger Instinktbewegung stand 1935 jedoch noch dem damals vorherrschenden Reiz Reaktions Schema nahe da Lorenz die Eigenschaften des Schlosses nur in Bezug auf den Bau des Schlussels erorterte Erst im folgenden Jahr wurde von Nikolaas Tinbergen und Konrad Lorenz in nachtelangen Diskussionen im Verlauf einer Fachtagung zum Thema Instinkte der spater so genannte angeborener Auslosemechanismus AAM geboren 9 eine Schaltstelle die dem spezifischen Input einen spezifischen Output folgen lasse statt AAM war 1936 allerdings noch die Bezeichnung auslosendes Schema gewahlt worden Schlusselreiz und Angeborener Auslosemechanismus AAM Bearbeiten Hauptartikel Angeborener Auslosemechanismus In seinem Lehrbuch Vergleichende Verhaltensforschung Grundlagen der Ethologie definierte Konrad Lorenz 1978 den Schlusselreiz als Reizkonfiguration auf die ein AAM anspricht 6 allerdings dann und nur dann wenn zugleich eine hinreichend grosse Menge einer dauernd endogen produzierten aktionsspezifischen Erregung vorhanden ist 10 Umgekehrt greift die als Teilsystem des Zentralnervensystems postulierte Schaltstelle einer Instinkthandlung wie ein Filter aus der Fulle der Reize eine kleine Auswahl heraus eine Auswahl auf die der AAM selektiv anspricht und damit die Handlung in Gang bringt 11 Diese Kernelemente der Instinkttheorie Handlungsbereitschaft Motivation Schlusselreize angeborene Auslosemechanismen und Instinktbewegungen waren es die von Lorenz und anderen Ethologen insbesondere den Behauptung der Behavioristen entgegengestellt wurden experimentell erfassbar seien allein Lernvorgange Diese wissenschaftliche Landschaft fand Lorenz zu Beginn seiner Forschungstatigkeit vor Ihr stellte er seine These entgegen dass Tiere uber angeborene Fahigkeiten verfugen die das ist das Entscheidende durchaus einer kausalanalytischen Erforschung zuganglich sind Er betont weiterhin dass erst aufgrund der Kenntnis angeborener Fahigkeiten Lernvorgange richtig eingeschatzt werden konnen 12 Hanna Maria Zippelius wies 1992 in einer ausfuhrlichen Analyse der Instinkttheorie darauf hin dass Konrad Lorenz sein ursprungliches Schlussel Schloss Konzept anscheinend unbemerkt von der Offentlichkeit grundlegend modifiziert habe ohne allerdings auf die von ihm im Verlaufe der Zeit geanderte Bedeutung der Bezeichnung Schlusselreiz einzugehen 13 Zippelius referierte nach dem Schlussel Schloss Prinzip werde vom Tier die Umwelt nur daraufhin abgefragt ob der Schlusselreiz vorhanden sei oder nicht ohne Berucksichtigung moglicher unterschiedlicher Auspragungen des Reizes Das bedeutet dass uber den angeborenen Auslosemechanismus allein die Entscheidung gefallt wird ob die Antwort bei ausreichender Hohe der spezifischen Motivation ausgefuhrt wird oder nicht Das Schlussel Schloss Prinzip lasse je nach Vorhandensein oder Nichtvorhandensein des Schlusselreizes nur Ja oder Nein Entscheidungen zu Das Schloss wird um bei dem Vergleich von Lorenz zu bleiben entweder aufgeschlossen oder nicht Ein solcher Erkennungsmechanismus arbeitet wenig flexibel und entscheidet nur ob eine Antwort erfolgt oder nicht Im Unterschied zu dieser Vorstellung schreibt Lorenz in spateren Jahren im Plural dass Schlusselreize summierbar sind und grundsatzlich unabhangig voneinander funktionieren 14 Zippelius benennt diese Merkmale als Schlusselkomponenten die allein oder in beliebiger Kombination mit anderen Komponenten eine Antwort auslosen sofern die Reizwerte oberhalb der jeweiligen Ausloseschwelle liegen Das qualitativ Neue des Schlusselkomponenten Konzeptes gegenuber dem Schlussel Schloss Konzept besteht Zippelius zufolge ausser in der Unabhangigkeit der Schlusselkomponenten voneinander auch darin dass ein Tier die Umwelt nicht nur auf Vorhandensein oder Nichtvorhandensein eines Schlusselreizes abfragt sondern dass es die unterschiedlichen Auspragungen der Schlusselkomponenten beachtet um sie je nach Ausgestaltung zu bewerten Aus den Annahmen dieses erweiterten Schlusselreiz Konzeptes resultiere ein Erkennungsmechanismus der wesentlich flexibler sei als ein AAM der nach dem Schlussel Schloss Prinzip arbeite Aus dem dargestellten Sachverhalt lassen sich zwei Weiterungen ableiten Zum einen kann es vorkommen dass die Handlungsbereitschaft fur eine Instinktbewegung aufgrund der produzierten zugehorigen aktionsspezifische Erregung hinreichend gross ist aber kein Schlusselreiz in Erscheinung tritt der die Instinktbewegung herbeifuhren kann In diesem Fall wird im Rahmen der Instinkttheorie auf die Moglichkeit der Schwellenwert Erniedrigung und einer Leerlaufhandlung verwiesen Zum anderen kann es vorkommen dass gleichzeitig zwei unterschiedliche aber gleich starke Ausloser in Erscheinung treten in diesem Fall wird auf die sogenannte Ubersprungbewegung verwiesen Ein Schlusselreiz kann zudem durch Pragung in einer bestimmten sensiblen Lebensphase erlernt werden Merkmale BearbeitenEin Schlusselreiz wird in der verhaltensbiologischen Literatur regelmassig beschrieben als einfach er besteht aus nur wenigen Merkmalen auffallig er kann kaum ubersehen werden eindeutig er ist von anderen Reizen gut zu unterscheiden Er kann auf unterschiedlichste Weise ausgelost werden insbesondere visuell zum Beispiel durch eine besondere Bewegungsabfolge olfaktorisch zum Beispiel durch Pheromone auditiv zum Beispiel durch Warnrufe taktil zum Beispiel durch bestimmte Beruhrungen Schlusselreize sind gleichsam abstrakt haben Symbolcharakter Nicht der Raubvogel am Himmel so wie wir Menschen ihn als Ganzes wahrnehmen ist fur einen frisch geschlupften Brachvogel oder Truthahn der Ausloser dafur in die nachste Deckung zu fluchten sondern ein kreisender schwarzer Fleck am hellen Himmel Das aber fallt dem Beobachter moglicherweise nur zufallig wegen einer Fehlleistung des Kukens auf weil es das gleiche Verhalten zeigt wenn eine schwarze Fliege uber die weissgetunchte Zimmerdecke lauft 15 Die Auswahl von Reizkonfigurationen auf die ein AAM anspricht ist Konrad Lorenz zufolge stets so getroffen dass ein allzu haufiges fur den Artbestand gefahrliches irrtumliches Ansprechen genugend unwahrscheinlich ist Das klassische Beispiel hierfur ist die Stechreaktion der weiblichen Zecke Ixodes ricinus die auf die Kombination von zwei verschiedenen Sinnesgebieten zugehorigen Reizen anspricht Das Objekt muss eine Temperatur von ungefahr 37 Grad Celsius haben und nach Buttersaure riechen Ausserdem gehort zu dem Gesamtablauf des Verhaltens dass die Zecke auf Pflanzen sitzt und diese wenn sie angestossen werden loslasst und auf das die Bewegung verursachende Objekt fallt Wenn es nach Buttersaure riecht und warm ist dann sticht sie es Man vergegenwartige sich wie unwahrscheinlich es ist dass das Tier durch die im phylogenetischen Programm vorgesehenen Reize irrtumlich dazu veranlasst wird etwas anderes als das adaquate Objekt ein Saugetier zu stechen 6 Ein weiteres Beispiel fur Schlusselreize das Konrad Lorenz anfuhrt ist das Verhalten des Menschen Seine Brutpflegeraktionen sprechen auf eine Reihe von Konfigurationsmerkmalen an die ubertrieben werden konnen Zu ihnen gehort eine hohe runde Stirn ein Uberwiegen des Hirnschadels uber den Gesichtsschadel ein grosses Auge eine runde Wangenpartie kurze dicke Extremitaten und rundliche Korperform An Bewegungsmerkmalen kommt eine gewisse Ungeschicklichkeit eine Ataxie vor allem der Lokomotion dazu jeder weiss wie ruhrend ein eben gehfahiges Kindchen wird wenn es die Richtung nach dem angestrebten Ziel nicht innehalten kann Die Industrie hat herausgefunden dass die Anfalligkeit des Menschen fur ubernormale Attrappen finanziell ausgenutzt werden kann In erster Linie tat dies die Puppenindustrie 16 Diese Beobachtungen liegen der Bezeichnung Kindchenschema zugrunde Kontroverse BearbeitenDas angeborene Erkennen einer biologisch relevanten Umweltsituation ist von Verhaltensforschern und Neurophysiologen vielfach nachgewiesen worden und gilt als gesichert Beispielsweise berichtete der Biochemiker Adolf Butenandt bereits 1955 uber die Wirkung von Sexuallockstoffen bei Insekten 17 und wenige Jahre spater identifizierte er beim Seidenspinner Bombyx mori eine chemische Substanz von ihm benannt als Bombykol die von paarungsbereiten Weibchen ausgesandt wird und geschlechtsreife Mannchen aus mehreren hundert Metern Entfernung anlocken kann Mit Hilfe von Verhaltensexperimenten und elektrophysiologischen Methoden wurde nachgewiesen dass die Geruchsrezeptoren auf den Antennen der Seidenspinnermannchen spezifisch auf das Insektenpheromon Bombykol ansprechen und die Mannchen hierdurch ohne vorheriges Lernen ein Weibchen ihrer Art lokalisieren konnen Beim Nachtigall Grashupfer wurden hingegen spezifische Merkmale der Stridulation des Gesangs geschlechtsreifer Mannchen identifiziert ein bestimmtes Verhaltnis von Silbendauer zur Dauer der Pausen zwischen den Silben die arteigene Weibchen anlocken 18 19 Die erwahnten Reize die eine Annaherung der Geschlechtspartner bewirken konnen zwar bildhaft als Schlusselreize benannt werden diese Bezeichnung bezieht sich aber nicht mehr auf das ethologische Instinktmodell Selbst der Neuroethologe Jorg Peter Ewert der die auslosenden Mechanismen des Beutefangs von Erdkroten mathematisch genau beschrieben hat 20 nur ein bewegtes Objekt bestimmter Grosse und hinreichend langlich lost Beutefangverhalten aus und die Metapher vom Auslosemechanismus regeltechnisch gewendet fur sein Forschungsgebiet 1994 noch als zeitgemass empfand 21 warnte jedoch vor der Moglichkeit der Missinterpretation des Begriffs Schlusselreiz und begrundete das wie folgt Der visuelle Beuteschlussel der Erdkrote wird nicht durch ein Kennzeichen oder einen spezifischen Set von Merkmalen reprasentiert der Schlussel ist mit der Spezifitat des Algorithmus verbunden der zwischen Beute und Nichtbeute differenziert indem er die Geometrie eines bewegten Objekts in Bezug zu dessen Bewegung srichtung analysiert 22 In der ethologischen Fachliteratur wurde ein Schlusselreiz zudem regelmassig durch seine Fahigkeit definiert die von einem AAM bei hinreichend grosser Motivation am Abfliessen gehinderte aktionsspezifische Energie freizusetzen und so eine Instinktbewegung auszulosen Zugleich wurde aber umgekehrt der AAM also das Freigeben einer situationsgerechten Verhaltensweise als Beleg fur die Existenz eines Schlusselreizes ausgewiesen was einem Zirkelschluss entspricht 23 Die definitorischen Schwierigkeiten Unsicherheiten beim exakten Beschreiben der Merkmale die einen Schlusselreiz ausmachen und das Fehlen jeglicher physiologischen Entsprechung zu aktionsspezifisch bereitgestellten Energien haben u a 1990 Wolfgang Wickler 24 und 1992 Hanna Maria Zippelius dazu veranlasst offensiv den Verzicht auf das Instinktmodell der klassischen vergleichenden Verhaltensforschung zu fordern Auch Klaus Immelmann hatte bereits 1987 in dem von ihm verantworteten und besonders von Lehrern rezipierten Funkkolleg zum Thema Psychobiologie das Wort Schlusselreiz nicht einmal mehr ins Schlagwortregister aufgenommen 25 Zur Abkehr hat schliesslich auch beigetragen dass gerade einige besonders bekannt gewordene in viele Schul und Lehrbucher eingegangene klassische Beispiele fur Schlusselreize einer Uberprufung nicht standgehalten haben Beispielsweise wurde Ende der 1980er Jahre in Bonn uberpruft anhand welcher angeborenen Merkmale bereits ein frisch geschlupftes Silbermowen Kuken erkennt wen es um Nahrung anbetteln muss Einer 1950 von Nikolaas Tinbergen und Albert C Perdeck publizierten Studie zufolge 26 wurde von ihnen als Schlusselreiz ein Fleck am besten ein roter nahe der Unterkieferspitze einer erwachsenen Silbermowe identifiziert 27 Tinbergen und Perdeck hatten trockene oder fast trockene Kuken im Freiland aus Nestern entnommen und in einem Versuchszelt getestet Um sicher zu sein dass die Kuken erfahrungslos also ohne je erwachsene Mowen gesehen zu haben getestet werden konnten wurden fur die Bonner Kontrollexperimente Moweneier aus einer Kolonie auf Langeoog entnommen und im Labor ausgebrutet Insgesamt wurden 112 Kuken getestet mit dem Ergebnis dass die Kuken eine grun gelb blau und weiss gesprenkelte Kopfattrappe und diverse andere Farbgebungen im Zweifach Wahlversuch gleich haufig und eine blau weiss bemalte Kugel sogar haufiger als Elterntier anbettelten als die natur getreuer gestaltete weiss gelbe Kopfattrappe mit rotem Punkt am Unterschnabel 28 In seinem Buch Instinktlehre schilderte Tinbergen 1952 eigene Freilandexperimente mit Austernfischern und Silbermowen denen er kunstliche Eier neben ihr Gelege platziert hatte und zwar jeweils ein normal grosses und ein deutlich grosseres Seinen Beobachtungen zufolge rollten die brutenden Mowen die ubernormalgrossen Eier bevorzugt in ihr Nest Irenaus Eibl Eibesfeldt ubernahm diesen Befund 1967 in sein Lehrbuch Grundriss der vergleichenden Verhaltensforschung und interpretierte ihn evolutionsbiologisch Die Ubertreibbarkeit auslosender Reize zeigt auch dass die Evolution der vorhandenen Ausloser nicht notwendigerweise abgeschlossen ist Das mag unter anderem seinen Grund in entgegenwirkendem Selektionsdruck haben Ein Signal soll ja moglichst auffallig und zugleich eindeutig d h unverwechselbar sein sonst wurde es zu Irrtumern kommen Vom Signalempfanger wird also ein Selektionsdruck in Richtung Auffalligkeit bei gleichzeitiger Unverwechselbarkeit des Signalsenders ausgeubt Wer auffallig ist wird jedoch auch leicht von seinem Fressfeind wahrgenommen von dem demnach ein Selektionsdruck in die gerade entgegengesetzte Richtung ausgeubt wird Das Ergebnis ist dann oft ein Kompromiss 29 Gerard Baerends konnte die Befunde 1982 gleichwohl nicht zufriedenstellend bestatigen 30 und 1986 fanden Bonner Kontrollexperimente bei Silbermowen ebenfalls keine Bestatigung fur die Bevorzugung ubernormalgrosser Attrappen 31 Eine Hausmaus Mutter die Nestlinge aufzieht bringt ihre Jungen zu ihrem Nest zuruck wenn sie aus dem Nest geraten sind Als auslosende Reize fur dieses Eintrageverhalten hatten Ethologen in den 1950er Jahren die fiependen Laute der Nestlinge beschrieben so dass die unterstellte Koppelung von Hilferuf und Hilfeleistung sogar ins renommierte Handbuch der Zoologie Eingang fand 32 1989 wurde jedoch in Frankfurt am Main experimentell nachgewiesen dass auch tote Jungen und selbst Kadaverteile eingetragen werden 33 die Zuordnung der Lautausserungen als Schlusselreiz fur das Eintrageverhalten erwies sich als anthropomorphes Missverstandnis und insofern als irrig stattdessen wurde der Geruch als Ausloser in Erwagung gezogen Das Eintrageverhalten wird zudem abseits aller zu erwagender Schlusselreize auch hormonell gesteuert 2015 wurde nachgewiesen dass die Eintragebereitschaft bei weiblichen Mausen vor allem von deren Oxytocinspiegel abhangt Nach Injektionen dieses Hormons trugen die Weibchen auch fremde Junge ein selbst wenn sie noch keine Mutter Erfahrung hatten sondern jungfraulich waren Gestresste Weibchen dagegen verzichteten auf die Jungenrettung oder verbissen fiepende Junge sogar 34 Es gibt wohl keinen Lehrplan und kein Schulbuch das dieses klassische Beispiel zum Verhalten des Stichlings nicht enthalt Dabei sollte man gerade mit diesem Beispiel sehr vorsichtig umgehen 35 Diese Warnung in einem Fachbuch fur Didaktik der Biologie bezieht sich auf eine fruhe Veroffentlichung von Nikolaas Tinbergen in der Zeitschrift fur Tierpsychologie 36 deren Befunde Tinbergen auch in seiner 1952 publizierten Instinktlehre als gultig erwahnte Demnach sind die rote Kehle und der rote Bauch mannlicher Stichlinge ein Schlusselreiz fur das Auslosen von Kampfverhalten gegen innerartliche Rivalen 1985 konnte eine Kontrollstudie die Beschreibung von Tinbergen nicht bestatigen 37 Auch andere Studien aus dem 1990er Jahren konnten den roten Bauch als primaren Ausloser nicht bestatigen 38 Fazit Der rote Bauch ist zur Auslosung von Kampfverhalten nicht unbedingt erforderlich 39 In ihrer Kritik an der Instinkttheorie und am ethologischen Schlusselreiz Konzept wies Hanna Maria Zippelius 1992 zusammenfassend auf Unstimmigkeiten aus verhaltensokologischem Blickwinkel hin Die Annahme dass die Ausgestaltung eines Signals durch die jeweils beteiligten Motivationen bestimmt werde impliziere dass ein Tier dem Empfanger dieses Signals eine sehr genaue Information uber seinen Zustand ubermittelt Der Empfanger des Signals konne dann aber zum Beispiel an der jeweiligen Ausformung einer Drohgeste ablesen ob der Sender jeweils starker aggressions oder starker fluchtgestimmt sei und er konnte diese Information unter Umstanden zu seinem Nutzen auswerten Es stellt sich die Frage ob es fur den Sender von Vorteil ist eine solche unter Umstanden sehr prazise Information uber den eigenen Zustand an den Empfanger weiterzugeben Ein Kampfer der die Absicht hat den Kampf bald aufzugeben sollte das seinem Konkurrenten vorher nicht ankundigen 40 Siehe auch BearbeitenReaktionskette Trigger Medizin Literatur BearbeitenIrenaus Eibl Eibesfeldt Technik der vergleichenden Verhaltensforschung In Handbuch der Zoologie Eine Naturgeschichte der Stamme des Tierreichs 8 Band 31 Lieferung Walter de Gruyter Berlin 1962 Belege Bearbeiten Konrad Lorenz Vergleichende Verhaltensforschung Grundlagen der Ethologie Springer Wien und New York 1978 S 122 ISBN 978 3 7091 3098 8 Hanna Maria Zippelius Die vermessene Theorie Eine kritische Auseinandersetzung mit der Instinkttheorie von Konrad Lorenz und verhaltenskundlicher Forschungspraxis Vieweg Braunschweig 1992 S 37 ISBN 3 528 06458 7 Wolfgang Schleidt Muster in Verhalten und Umwelt Was bedeutet angeboren in Verhalten und Umwelterfassung In Gerd Heinrich Neumann und Karl Heinz Scharf Hrsg Verhaltensbiologie in Forschung und Unterricht Ethologie Soziobiologie Verhaltensokologie Aulis Verlag Deubner Koln 1994 S 30 ISBN 3 7614 1676 8 Konrad Lorenz Der Kumpan in der Umwelt des Vogels In Journal fur Ornithologie Band 83 Nr 2 3 1935 S 137 215 und S 289 413 doi 10 1007 BF01905355 Konrad Lorenz A contribution to the comparative sociology of colonial nesting birds In The Proceedings of the Eight International Ornithological Congress Oxford 1934 University of Oxford Press Oxford 1938 S 211 Volltext PDF a b c Konrad Lorenz Vergleichende Verhaltensforschung Grundlagen der Ethologie S 124 Francis Hobart Herrick The Blending and Overlap of Instincts In Science Band 25 Nr 646 1907 S 781 782 doi 10 1126 science 25 646 775 Volltext Konrad Lorenz Der Kumpan in der Umwelt des Vogels Nachdruck in Derselbe Uber tierisches und menschliches Verhalten Aus dem Werdegang der Verhaltenslehre Gesammelte Abhandlungen Band 1 S 117 Piper Munchen 1965 ISBN 3 492 01385 6 Volltext PDF Konrad Lorenz Vergleichende Verhaltensforschung Grundlagen der Ethologie S 6 Konrad Lorenz Vergleichende Verhaltensforschung Grundlagen der Ethologie S 95 Konrad Lorenz Der Kumpan in der Umwelt des Vogels Nachdruck S 268 Hanna Maria Zippelius Die vermessene Theorie S 27 Hanna Maria Zippelius Die vermessene Theorie S 37 38 Konrad Lorenz Vergleichende Verhaltensforschung Grundlagen der Ethologie S 127 128 Konrad Lorenz Vergleichende Verhaltensforschung Grundlagen der Ethologie S 126 Konrad Lorenz Vergleichende Verhaltensforschung Grundlagen der Ethologie S 130 131 Adolf Butenandt Uber Wirkstoffe des Insektenreiches II Zur Kenntnis der Sexuallockstoffe In Naturwissenschaftliche Rundschau Band 12 1955 S 457 464 Dagmar von Helversen Gesang des Mannchens und Lautschema des Weibchens bei der Feldheuschrecke Chorthippus biguttulus Orthoptera Acrididae In Journal of comparative physiology Band 81 Nr 4 1972 S 381 422 doi 10 1007 BF00697757 Dagmar von Helversen und Otto von Helversen Korrespondenz zwischen Gesang und auslosendem Schema bei Feldheuschrecken In Nova Acta Leopoldina Suppl NF Band 54 Nr 245 1981 S 449 462 Jorg Peter Ewert Neuroethology of releasing mechanisms Prey catching in toads In Behavioral and Brain Sciences Band 10 Nr 3 1987 S 337 368 doi 10 1017 S0140525X00023128 Jorg Peter Ewert Ist das Konzept vom Auslosemechanismus noch zeitgemass In Gerd Heinrich Neumann und Karl Heinz Scharf Hrsg Verhaltensbiologie in Forschung und Unterricht Ethologie Soziobiologie Verhaltensokologie Aulis Verlag Deubner Koln 1994 S 223 ISBN 3 7614 1676 8 Jorg Peter Ewert Ist das Konzept vom Auslosemechanismus noch zeitgemass S 207 Hanna Maria Zippelius Die vermessene Theorie S 13 Wolfgang Wickler Von der Ethologie zur Soziobiologie In Jost Herbig Rainer Hohlfeld Hrsg Die zweite Schopfung Geist und Ungeist in der Biologie des 20 Jahrhunderts Hanser Munchen 1990 S 176 ISBN 3 446 15293 8 Klaus Immelmann et al Hrsg Funkkolleg Psychobiologie Verhalten bei Mensch und Tier Studienbegleitbriefe 1 10 Beltz Weinheim 1986 und 1987 Nikolaas Tinbergen und Albert C Perdeck On the Stimulus Situation Releasing the Begging Response in the Newly Hatched Herring Gull Chick Larus Argentatus Argentatus Pont In Behaviour Band 3 1950 S 1 39 doi 10 1163 156853951X00197 Nikolaas Tinbergen Instinktlehre Vergleichende Erforschung angeborenen Verhaltens Parey Berlin und Hamburg 1952 S 72 Ursula Eypasch Das Zusammenwirken von angeborener Bewertung und Erfahrung bei der Losung eines Erkennungsproblems untersucht an jungen Silbermowen Larus argentatus Pontopp Dissertation Universitat Bonn Bonn 1989 S 42 Irenaus Eibl Eibesfeldt Grundriss der vergleichenden Verhaltensforschung 7 Auflage Piper Munchen und Zurich 1987 S 174 176 ISBN 3 492 03074 2 Gerard Baerends The Effectiveness of Different Egg Features for the Egg Retrieval Response In Behaviour Band 82 Nr 4 1982 S 33 224 doi 10 1163 156853982X00607 Hanna Maria Zippelius Die vermessene Theorie S 165 Irenaus Eibl Eibesfeldt Das Verhalten der Nagetiere In Johann Gerhard Helmcke et al Hrsg Handbuch der Zoologie 8 Band 10 Lieferung Nr 13 S 1 88 de Gruyter Berlin 1958 Karl Heinz Wellmann Zur Wirkung disruptiver Selektion auf das Verhalten von Hausmausen Eintragen von Nestlingen weitere Elemente des Brutpflegeverhaltens und Erkunden Dissertation Universitat Frankfurt Wissenschafts Verlag Wigbert Maraun Frankfurt am Main 1989 ISBN 3 927548 18 9 Bianca J Marlin et al Oxytocin enables maternal behaviour by balancing cortical inhibition In Nature Band 520 2015 S 499 504 doi 10 1038 nature14402 Love hormone turns mothers into moms Auf sciencemag org vom 15 April 2015 Gerd Heinrich Neumann Behandlung der Verhaltensbiologie in beiden Sekundarstufen In Derselbe und Karl Heinz Scharf Hrsg Verhaltensbiologie in Forschung und Unterricht S 247 Jan Joost ter Pelkwijk und Nikolaas Tinbergen Eine reizbiologische Analyse einiger Verhaltensweisen von Gasterosteus aculeatus L In Zeitschrift fur Tierpsychologie Band 1 Nr 3 1937 S 193 200 doi 10 1111 j 1439 0310 1937 tb01422 x William J Rowland und Piet Sevenster Sign Stimuli in the Threespine Stickleback Gasterosteus aculeatus A Re Examination and Extension of Some Classic Experiments In Behaviour Band 93 Nr 1 4 1985 S 241 257 doi 10 1163 156853986X00919 Jurg Lamprecht Attrappenversuche mit Stichlingen Sind die Ergebnisse von Niko Tinbergen Artefakte In Biologie in unserer Zeit Band 23 Nr 5 1993 S 67 69 doi 10 1002 biuz 19930230512 Gerd Heinrich Neumann Behandlung der Verhaltensbiologie in beiden Sekundarstufen S 258 Hanna Maria Zippelius Die vermessene Theorie S 272 Abgerufen von https de wikipedia org w index php title Schlusselreiz amp oldid 214520392