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Leerlaufhandlung engl vacuum activities ist ein Fachbegriff der vor allem von Konrad Lorenz und Nikolaas Tinbergen ausgearbeiteten Instinkttheorie der klassischen vergleichenden Verhaltensforschung Ethologie Er bezeichnet jene Instinktbewegungen die von einem angeborenen Auslosemechanismus in Gang gesetzt wurden ohne dass der Beobachter einen Schlusselreiz nachweisen konnte Die Bezeichnung Leerlaufhandlung wurde von Konrad Lorenz in die Ethologie eingefuhrt Er beschrieb eine Leerlaufhandlung erstmals in den 1930er Jahren aufgrund von Beobachtungen an einem von Hand aufgezogenen Star 1 Anstelle von Leerlaufhandlung wird heute eher von Leerlaufbewegungen gesprochen da als Handlung in der Regel nur willentlich gewahltes Verhalten bezeichnet wird Der Begriff der Handlung beinhaltet Verhaltensweisen fur die wir uns entscheiden und die wir absichtlich ausfuhren 2 Inhaltsverzeichnis 1 Die Funktion der Leerlaufbewegungen innerhalb der Instinkttheorie von Konrad Lorenz 2 Kritik 3 Siehe auch 4 Literatur 5 Weblinks 6 BelegeDie Funktion der Leerlaufbewegungen innerhalb der Instinkttheorie von Konrad Lorenz Bearbeiten Mein altes Vorlesungsbeispiel des Leerlaufs ist das Verhalten eines Stares an dem ich als Gymnasiast das Phanomen entdeckte Von einer hohen Warte aus blickte der Vogel gespannt nach der weissen Decke des Zimmers empor als ob dort Insekten flogen flog dann ab schnappte in der Luft zu kehrte auf seine Warte zuruck vollfuhrte die Bewegung des Totschlagens von Beute schluckte und verfiel danach in Ruhe Es dauerte lange ehe ich mich endgultig davon uberzeugt hatte dass in jenem Zimmer keinerlei winzige meinem Auge unsichtbare Kerbtiere herumflogen Konrad Lorenz 1978 3 Die Lorenz sche Instinkttheorie unterstellt einen stetig fliessenden Fluss von aktionsspezifischer Energie Triebenergie der ursachlich verantwortlich sei fur eine spezifische Handlungsbereitschaft eines Tieres 4 zum Beispiel zur Flucht zum Jagen oder zur Paarung Ferner wird in der Theorie festgelegt dass die aktionsspezifische Energie kontinuierlich zunimmt sich gleichsam anstaut wenn die zugehorige Endhandlung ausbleibt wenn also zum Beispiel kein Feind keine Beute kein Sexualpartner den Weg kreuzt Das Ansteigen der aktionsspezifischen Energie der Erregung erkenne der Beobachter daran dass das Tier unruhig werde und aktiv nach einer passenden auslosenden Reizsituation suche Appetenzverhalten Als Beispiel fur solches Appetenzverhalten konnte eine Lowin gelten deren letzte erfolgreiche Jagd langere Zeit zuruckliegt so dass sich in ihr kontinuierlich aktionsspezifische Energie fur Beutemachen ansammelt mit der Folge dass sie daher von Tag zu Tag suchender umherstreift Lorenz legt in seiner Instinkttheorie schliesslich drittens fest dass bei langerfristigem Ausbleiben einer adaquaten Reizsituation also bei einem Stau der Erregung eine Schwellensenkung 5 auftrete Das Tier reagiere bei einem solchen Triebstau auf immer unspezifischere Ausloser mit der Endhandlung Ein Beispiel hierfur ware ein Hund der mangels laufiger Hundinnen am Bein seines Herrchens oder auf einem Putzlappen eindeutige Begattungsbewegungen ausfuhrt oder ein zweites Beispiel der die Pantoffeln seines Herrchens packt und zugleich seinen Kopf heftig hin und her schuttelt ein wohlgenahrter Hund der niemals selbst Beute machen muss zeige hier im Leerlauf eine Verhaltensweise Totschuttel Bewegung die einem im Maul befindlichen Kaninchen umgehend das Genick brechen wurde Da der Instinkttheorie von Konrad Lorenz zufolge die aktionsspezifische Erregung nur durch eine spezifische Endhandlung zum Beispiel Fliehen Beute fassen Geschlechtsverkehr also durch Ausagieren herabgesetzt werden kann stellt sich folgende Frage Wie verhalt sich ein Tier das extrem lange Zeit eine bestimmte aktionsspezifische Energie nicht abbauen kann Fur diesen Fall trifft die Theorie eine Vorhersage Die Endhandlung werde dann im Leerlauf ablaufen also trotz des Fehlens eines nachweisbaren spezifischen Reizes d h ohne Schlusselreiz Kritik BearbeitenKonrad Lorenz hat seinen Veroffentlichungen zufolge die ersten Leerlaufbewegungen schon als Gymnasiast bei einem zahmen Star beobachtet Seinen Beschreibungen zufolge ist der von Hand gefutterte und daher durchweg satte Vogel immer wieder von seinem Ruheplatz gegen die Zimmerdecke geflogen hat in der Luft zugeschnappt als ob er dort Fliegen fing kehrte zu seinem Ruheplatz zuruck und vollfuhrte dort eine Schluckbewegung 6 Solche anekdotischen Tierbeobachtungen konnen durchaus von wissenschaftlichem Interesse sein sofern sie zum Ausgangspunkt einer systematischen Analyse der Beobachtungen gemacht werden In ihrer kritischen Auseinandersetzung mit der Instinkttheorie von Konrad Lorenz kam die Bonner Verhaltensbiologin Hanna Maria Zippelius 1992 jedoch zu dem Schluss In der verhaltenskundlichen Literatur werden allerdings Leerlaufhandlungen als einmalig auftretenden Ereignisse beschrieben noch dazu ohne genaue Angaben uber die Bedingungen unter denen sie beobachtet wurden 7 Gemeint ist Je nachdem welches theoretische Konzept ein Beobachter von Tieren seinen Untersuchungen zugrunde legt konnen sich unterschiedliche Konsequenzen fur die Deutung der Ergebnisse ergeben Zum Beispiel kann ein Beobachter von der theoretischen Grundlage ausgehen dass ein Verhalten dann und nur dann auftreten kann wenn die Bereitschaft und die spezifische Umweltsituation gegeben sind 8 Beobachtet man dann ein bestimmtes Verhalten ohne dass die spezifische Umweltsituation gegeben ist so mussen Uberlegungen angestellt werden ob die auslosende Situation nur unvollstandig beschrieben wurde Auf der Grundlage des theoretischen Konzepts von Lorenz sagt ein Beobachter moglicherweise sehr rasch dass es sich um eine Leerlaufhandlung handelt 8 Prekar ist Zippelius zufolge an der Argumentation der an Lorenz orientierten Ethologen daher folgender Zirkelschluss dass namlich die Beobachtung von Leerlaufbewegungen als wesentliche Stutze der Hypothese einer kontinuierlich fliessenden aktionsspezifischen Energie und damit verbunden der Spontaneitat von Tierverhalten angesehen wird Tatsachlich seien Leerlaufbewegungen aber keine Stutze der Theorie sondern eine Folge der erwahnten theoretischen Grundannahmen stetiger Fluss an aktionsspezifischer Energie Appetenzverhalten Schwellenwerterniedrigung Lorenz selbst bezeichnete das Fluktuieren der Schwelle insbesondere bei Vermeidungsreaktionen zum Beispiel Fluchtverhalten ohne Feindsichtung als ausgesprochen unzweckmassg dysteleonom 9 also als evolutionar unangepasst an die Anforderungen der Umwelt Ein Beispiel fur die Unvertraglichkeit der Lorenz schen Instinkttheorie mit grundlegenden Annahmen der Evolutionstheorie ist Zippelius zufolge insbesondere das Fluchtverhalten das von Lorenz zu den Triebhandlungen gezahlt wird Ein unter gunstigen Umstanden lebendes Tier das vor keinem Feind fliehen muss eine Kuh auf der Weide oder die Maus in der katzenfreien Scheune werde zum Spielball seines Appetenzverhaltens Die behauptete Schwellenwerterniedrigung fuhre zur Suche nach einer auslosenden Situation Feind was zu dysteleonomen energievergeudenden Fluchtreaktionen fuhre Nach solchen Fluchtreaktionen sei zudem die bereitgestellte Energie verringert was die Bedrohung durch wirklich gefahrliche Objekte erhohe Eine Alternative zur Instinkttheorie hatte bereit 1976 der osterreichische Zoologe und Evolutionsbiologe Wolfgang Wieser beschrieben angelehnt an die kybernetische Systemtheorie Er beschrieb am Beispiel der Futtersuche das beobachtbare Verhalten nicht als triebgesteuert sondern als Folge eines Ungleichgewichts von Soll und Istwert und die Aktivitaten des Individuums als darauf zielend die Differenz zwischen einer vorgegebenen und einer tatsachlich vorhandenen Systemgrosse zu korrigieren 10 Das Lokalisieren Aufnehmen und Verzehren der Nahrung lauft dann nach einem mehr oder minder genau programmierten motorischen Plan ab der Endhandlung deren Ergebnis schliesslich die Korrektur der Differenz zwischen Soll und Istwerten der Nahrstoffe im Regelzentrum des Tieres bei Saugetieren im Hypothalamus des Zwischenhirnes ist Das Tier ist dann satt aber nicht weil sein Energiespeicher erschopft ein Antriebsvorrat aufgezehrt wurde sondern wenn schon ein angemessenes Gleichnis gewunscht wird weil eine Frage beantwortet wurde Das Regelzentrum stelle namlich an die ausfuhrenden Instanzen unermudlich Fragen folgender Art Lasst sich die gemessene Diskrepanz zwischen Soll und Istwerten nicht korrigieren Siehe auch BearbeitenUbersprungbewegung Schwellenwert Prinzip der doppelten QuantifizierungLiteratur BearbeitenKonrad Lorenz Uber tierisches und menschliches Verhalten Aus dem Werdegang der Verhaltenslehre Gesammelte Abhandlungen Piper Munchen 1974 ISBN 3 492 01385 6 Bd 1 ISBN 3 492 01386 4 Bd 2 Hanna Maria Zippelius Die vermessene Theorie Vieweg Braunschweig 1992 ISBN 3 528 06458 7 Weblinks BearbeitenEintrag Leerlaufhandlung im Lexikon der Biologie auf spektrum de zuletzt abgerufen am 16 April 2022 Leerlaufhandlung Auf biologie online eu zuletzt abgerufen am 16 April 2022 Leerlaufhandlung Memento vom 4 Marz 2016 im Internet Archive Im Original publiziert auf psychologie uni wuerzburg de S 9 Belege Bearbeiten Konrad Lorenz Die Bildung des Instinktbegriffes In Die Naturwissenschaften Nr 19 1937 Nachdruck in ders Uber tierisches und menschliches Verhalten Aus dem Werdegang der Verhaltenslehre Gesammelte Abhandlungen Bd 1 Piper Munchen 1965 S 302 Udo Rudolph Motivationspsychologie Beltz Verlag Weinheim 2003 S 5 Konrad Lorenz Vergleichende Verhaltensforschung Grundlagen der Ethologie Springer Wien und New York 1978 S 102 ISBN 978 3 7091 3098 8 George W Barlow Fragen und Begriffe der Ethologie Kapitel 15 in Klaus Immelmann Grzimeks Tierleben Sonderband Verhaltensforschung Kindler Verlag Zurich 1974 S 214 Stichwort Leerlaufhandlung in Klaus Immelmann Grzimeks Tierleben Sonderband Verhaltensforschung Kindler Verlag Zurich 1974 S 631 Konrad Lorenz Vergleichende Verhaltensforschung Grundlagen der Ethologie Springer Wien und New York 1978 S 102 Zitiert in Bernhard Hassenstein Konrad Lorenz 1903 1989 Wissenschaftliches Werk und Personlichkeit In Mitteilungen des badischen Landesverbands fur Naturkunde und Naturschutz N F Bd 18 Nr 3 2004 S 183 Volltext PDF Hanna Maria Zippelius Die vermessene Theorie Vieweg Braunschweig 1992 S 70 ISBN 3 528 06458 7 a b Hanna Maria Zippelius Die vermessene Theorie S 71 Konrad Lorenz Vergleichende Verhaltensforschung S 104 Wolfgang Wieser Konrad Lorenz und seine Kritiker Piper Munchen 1976 S 52 f ISBN 3 492 00434 2 Abgerufen von https de wikipedia org w index php title Leerlaufhandlung amp oldid 236681196