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Schwellenwert auch Eintrittsschwelle ist ein Fachbegriff der vor allem von Konrad Lorenz und Nikolaas Tinbergen ausgearbeiteten Instinkttheorie der klassischen vergleichenden Verhaltensforschung Ethologie Er bezeichnet in Anlehnung an die Reizschwelle in der Sinnesphysiologie jenes Mindestmass an aktionsspezifischer Erregung das bei Erscheinen eines Schlusselreizes gerade noch eine Instinktbewegung ermoglicht 1 Reize die diesen Wert nicht erreichen und dementsprechend keine erkennbare Reaktion hervorrufen nennt man unterschwellig Schwellenwerte sind keine absoluten Grossen sondern konnen von verschiedenen Innen und Aussenbedingungen beeinflusst werden 2 Inhaltsverzeichnis 1 Die Funktion von Schwellenwerten in der Instinkttheorie 2 Kritik 3 Historischer Hintergrund 4 BelegeDie Funktion von Schwellenwerten in der Instinkttheorie BearbeitenDie bekannteste Modellvorstellung wie es bei einem Tier zur Handlungsbereitschaft kommt stammt George Barlow zufolge von Konrad Lorenz und wurde von diesem als das psychohydraulische Instinktmodell bezeichnet 3 Lorenz nahm an dass im Zentralnervensystem fur jede Instinktbewegung bedeutungsgleich Erbkoordination kontinuierlich eine aktionsspezifische Erregung produziert und gespeichert werde gelegentlich ist auch die Rede von aktionsspezifischer Energie Diese Erregung staue sich gleichsam an und werde insbesondere dann abgebaut wenn der zur jeweiligen Instinktbewegung gehorige Schlusselreiz wahrgenommen werde und die Instinktbewegung daraufhin ablaufe Intensitat und Dauer der Reaktion auf den Schlusselreiz sind dem Modell zufolge abhangig von der angestauten Erregung daher ist die Bereitschaft zur Ausfuhrung einer Instinkthandlung Schwankungen unterworfen Dieser Erscheinung begegnet man in mehr oder weniger ausgepragter Weise bei allen Instinkthandlungen 4 Man beobachte sowohl Ansteigen der Handlungsbereitschaft mit dem zeitlichen Abstand zum letzten Reaktionsablauf das Tier reagiere auf immer unspezifischere Ausloser mit der Instinktbewegung als auch Sinken der Handlungsbereitschaft durch Abreaktion Als Sonderfall gelten Konrad Lorenz zufolge Leerlaufhandlung die Handlungsbereitschaft ist so gross dass die Instinktbewegung aufgrund einer Schwellenwert Erniedrigung ohne erkennbarem Schlusselreiz ablauft und Ubersprungbewegung zwei widerstreitende Handlungsbereitschaften blockieren einander Der Schwellenwert fur das Auslosen einer Instinktbewegung wird der Instinkttheorie zufolge also durch zwei voneinander unabhangige Einflussgrossen bestimmt Zum einen durch die von Konrad Lorenz vermuteten stetig Erregung produzierenden Zellgruppen im Inneren und zum anderen durch die Qualitat des externen Auslosers Lorenz erlauterte das Zusammenspiel beider Einflussgrossen am Beispiel des Kampfverhaltens von Buntbarsch Mannchen Lasst man ein Astatotilapia Mannchen das nach wiederholtem Darbieten starkster Attrappen vollig ausgekampft ist einen oder zwei Tage ruhen so findet man seine Handlungsbereitschaft bis auf das vorherige Mass wiederhergestellt Wenn man dem Versuchstier kampfauslosende Reize durch mehrere Tage vorenthalt so steigt seine Erregbarkeit nicht nur auf das vorherige normale Mass an sondern noch weit daruber hinaus Das Tier spricht nun auf vollig inadaquate die biologisch richtige Umweltsituation durchaus nicht kennzeichnende Reizkonfiguration mit Kampfbewegungen an 5 Dieses Ansprechen auf inadaquate Reize ist der Instinkttheorie zufolge verbunden mit Appetenzverhalten das heisst mit einer aktiven Suche nach einem auslosenden Reiz Kritik BearbeitenTatsachlich konnen identische Reize bei einem Tier zu unterschiedlichen Zeitpunkten unterschiedliche Reaktionen auslosen Beispielsweise wird ein Vogel der einige Zeitlang kein Futter gefressen hat anfangen nach etwas Wohlschmeckendem zu suchen Appetenzverhalten und schliesslich wenn er allzu lange nichts Wohlschmeckendes gefunden hat auch mit weniger beliebtem Futter vorliebnehmen Umgekehrt wird dieses Tier wenn es hinreichend viel Futter zu sich genommen hat erneut eine Zeitlang keine Nahrung aufnehmen auch nichts Wohlschmeckendes Die Deutung solcher Beobachtungen unter Ruckgriff auf die hypothetischen stetig Erregung produzierenden Zellgruppen erwies sich jedoch als Irrweg da man keine Entsprechung im Organismus gefunden hat 6 Zudem hatte Konrad Lorenz argumentiert Eine Instinktbewegung bei der der Schwellenwert auslosender Reize nicht absinkt scheint es nicht zu geben 7 Diese Annahme fuhre aber zu dysteleonomischen Konsequenzen d h zu Verhaltensweisen wie der Leerlaufhandlung deren Entstehen aus evolutionsbiologischer Sicht unerklarlich sind wandte 1992 beispielsweise Hanna Maria Zippelius ein 8 Ein Tier das in seiner Umwelt ohne Konkurrenz lebt musste aufgrund eines Triebstaus Appetenzverhalten zeigen d h nach einem Rivalen Ausschau halten mit dem es sich im Kampf messen kann Als dysteleonom ware auch eine aktionsspezifische Ermudung des Kampftriebes anzusehen da ein Tier in einem solchen Zustand nicht mehr auf die Erfordernisse der Umwelt z B bei Revier oder Jungenverteidigung in sinnvoller Weise antworten konnte 9 Als Problematisch beschrieben wurde ferner dass eine Theorie sich nur dann bewahrt wenn die in ihr angelegten Vorhersagen einer empirischen Uberprufung standhalten Um aber zum Beispiel eine Schwellenwerterhohung beim Kampfverhalten im Experiment aufzuzeigen ist es in der Regel notwendig mit dem gleichen auslosenden Objekt mehrere Versuche in Folge auszufuhren bis das Tier hierauf nicht mehr anspricht In einem anschliessenden Test musste dann gezeigt werden dass durch eine Umweltsituation mit hoherem Reizwert die Verhaltensweise wieder ausgelost werden kann Bei dieser Vorgehensweise ist nicht auszuschliessen dass das Versuchstier mit dem mehrfach hintereinander gebotenen Objekt Erfahrungen macht die sein Verhalten im nachfolgenden Test beeinflussen So konnte das Ausbleiben der Reaktion nach mehrmaliger Auslosung der Erbkoordination anstatt durch aktionsspezifische Ermudung auch durch den Lernvorgang der Gewohnung bedingt sein ein Vorgang der vor allem bei Attrappenversuchen leicht eintritt da das Tier durch standige Misserfolge seine Reaktion gegenuber dem zunachst auslosenden Objekt einstellt Selbst fur den Fall dass das Versuchstier in dem Test nur Objekte mit hoherem Reizwert beantwortet kann der Experimentator nicht entscheiden ob das Tier in Abhangigkeit von einem niedrigen Erregungsniveau der Triebenergie in dieser Weise reagiert oder ob es aufgrund der Erfahrung die es in den zuvor erfolgten Sukzessivversuchen machen konnte uber bestimmte Merkmale der gebotenen Objekte generalisiert und damit ganz unabhangig von seinem aktuellen Energieniveau eine Entscheidung trifft 10 Historischer Hintergrund BearbeitenDie Betonung der Spontaneitat des Verhaltens von Tieren wie sie u a im Konstrukt des Schwellenwerts geschah und dessen Erklarung durch physiologische Phanomene richtete in den 1930er Jahren einen Gegenpol zum Behaviorismus und dessen Black Box Modells sowie insbesondere zur Anschauung der Vitalisten auf die zwar wie die Ethologen vom Instinkt sprachen hierunter aber einen aussernaturlichen Faktor verstanden Johan Bierens de Haan formulierte seine vitalistische Position noch 1940 so 11 Wir betrachten den Instinkt aber wir erklaren ihn nicht Heute kann diese Aussage befremdlich klingen jedoch verzichten auch die Hirnforscher der Gegenwart auf die Erklarung vieler Phanomene die zwar als existierend betrachtet werden Geist Vernunft Gewissen Selbstbewusstsein uber deren physiologisches oder anatomisches Korrelat man aber bislang wenig in Erfahrung gebracht hat und deren Erklarung man daher den Philosophen oder dem eigenen Alterswerk uberlasst Belege Bearbeiten Hanna Maria Zippelius Die vermessene Theorie Eine kritische Auseinandersetzung mit der Instinkttheorie von Konrad Lorenz und verhaltenskundlicher Forschungspraxis Braunschweig Vieweg 1992 S 10 ISBN 3 528 06458 7 Eintrag Schwelle in Klaus Immelmann Grzimeks Tierleben Erganzungsband Verhaltensforschung Kindler Verlag Zurich 1974 S 636 Konrad Lorenz Vergleichende Verhaltensforschung Grundlagen der Ethologie Springer Wien und New York 1978 S 143 ISBN 978 3 7091 3098 8 Uwe Jurgens und Detlev Ploog Von der Ethologie zur Psychologie Kindler Verlag Munchen 1974 S 22 23 ISBN 3 463 18124 X Konrad Lorenz Vergleichende Verhaltensforschung Grundlagen der Ethologie S 95 Wolfgang Schleidt Hrsg Der Kreis um Konrad Lorenz Ideen Hypothesen Ansichten Paul Parey Berlin und Hamburg 1988 S 67 ISBN 3 489 63336 9 Konrad Lorenz Vergleichende Verhaltensforschung Grundlagen der Ethologie S 104 Hanna Maria Zippelius Die vermessene Theorie S 71 Hanna Maria Zippelius Die vermessene Theorie S 74 Hanna Maria Zippelius Die vermessene Theorie S 68 69 Zitiert aus Konrad Lorenz Vergleichende Verhaltensforschung Grundlagen der Ethologie S 2 Abgerufen von https de wikipedia org w index php title Schwellenwert Instinkttheorie amp oldid 236391416