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Handlungsbereitschaft ist ein Fachbegriff der vor allem von Konrad Lorenz und Nikolaas Tinbergen ausgearbeiteten Instinkttheorie der klassischen vergleichenden Verhaltensforschung Ethologie Er beschreibt die Bereitschaft eines Tieres zu einem bestimmten Verhalten 1 In der ethologischen Fachliteratur wird Handlungsbereitschaft oft auch als Motivation oder Stimmung gelegentlich auch als Trieb Drang oder Tendenz bezeichnet 2 im Bereich der Psychologie primar als Motivation Die Zuschreibung einer Handlungsbereitschaft bei Tieren wird heute von vielen Forschern als problematisch eingestuft da Handlung im engeren Sinne nur dem Menschen zugeschrieben wird u a als die Folge einer bewussten Planung von Aktivitaten Das Instinktverhalten von Tieren gilt hingegen nicht als bewusstes Verhalten Die Funktion von Handlungsbereitschaft in der Instinkttheorie BearbeitenDie Instinkttheorie der klassischen vergleichenden Verhaltensforschung wurde seit den 1930er Jahren als Gegenpol zur sogenannten Reflexologie und zu den Reiz Reaktions Modellen des Behaviorismus entwickelt Beide hatten Verhalten als Abfolge von Eingang und Ausgang beschrieben von auslosendem Reiz und nachfolgender sichtbarer Antwort auf diesen Reiz Innere Zustande die das Reagieren auf einen Reiz beeinflussen konnten wurden weder von den Reflexologen noch von den Behavioristen in Betracht gezogen wohl aber von den Vertretern des konkurrierenden jungen Faches Ethologie Durch die schnelle Entwicklung des Faches entstand jedoch eine jahrzehntelang andauernde Begriffsverwirrung stellte noch 1956 der niederlandische Ethologe Gerard Baerends im Handbuch der Zoologie fest 3 Baerends empfahl die Bezeichnung Drang wenn ein bestimmter Instinkt von externen Schlusselreizen angesprochen wurde erwahnte zugleich aber dass andere Ethologen fur den gleichen Sachverhalt Motivation Bereitschaft oder Stimmung gebrauchten einige Forscher benutzten Baerends zufolge zudem Bereitschaft um die latente Moglichkeit zur Aktivitat eines Instinktes anzudeuten und Stimmung fur den physiologischen Zustand im Tier sobald eine Handlung ausgelost ist 20 Jahre spater hiess es in Grzimeks Tierleben ahnlich Unter Motivation versteht der Verhaltensforscher Anderungen des physiologischen Zustandes die dafur verantwortlich sind dass ein Tier zu verschiedenen Zeiten auf den gleichen Reiz unterschiedlich antwortet Man kann diesen Begriff mit dem volkstumlichen Wort Stimmung ubersetzen 4 Die bekannteste Modellvorstellung wie bei einem Tier die Handlungsbereitschaft zustande kommt stammt George Barlow zufolge von Konrad Lorenz und wurde von diesem als das psychohydraulische Instinktmodell bezeichnet 5 Lorenz nahm an dass im Zentralnervensystem fur jede Instinktbewegung bedeutungsgleich Erbkoordination kontinuierlich Erregung produziert und gespeichert werde Diese Erregung staue sich gleichsam an und werde insbesondere dann abgebaut wenn der zur jeweiligen Instinktbewegung gehorige Schlusselreiz wahrgenommen werde und die Instinktbewegung daraufhin ablaufe Intensitat und Dauer der Reaktion auf den Schlusselreiz sind dem Modell zufolge abhangig von der angestauten Erregung daher ist die Bereitschaft zur Ausfuhrung einer Instinkthandlung Schwankungen unterworfen Dieser Erscheinung begegnet man in mehr oder weniger ausgepragter Weise bei allen Instinkthandlungen 6 Man beobachte sowohl Ansteigen der Handlungsbereitschaft mit dem zeitlichen Abstand zum letzten Reaktionsablauf als auch Sinken der Handlungsbereitschaft durch Abreaktion Als Sonderfall gelten Konrad Lorenz zufolge Leerlaufhandlung die Handlungsbereitschaft ist so gross dass die Instinktbewegung aufgrund einer Schwellenwert Erniedrigung ohne erkennbarem Schlusselreiz ablauft und Ubersprungbewegung zwei widerstreitende Handlungsbereitschaften blockieren einander In ihrer Analyse der Instinkttheorie hat Hanna Maria Zippelius 1992 angemerkt Die Schwierigkeiten die sich bei der Uberprufung der Annahmen einer Motivationstheorie ergeben sind in erster Linie methodischer Art da bisher keine akzeptablen Messverfahren zur Bestimmung spezifischer Motivationen zur Verfugung stehen Mit Hilfe physiologischer Parameter wie Temperatur Pulsfrequenz Hautwiderstand ist nur eine allgemeine Erregung messbar aber nicht die spezifische Qualitat die einer spezifischen Motivation zukommt 7 Beispiele BearbeitenDie Handlungsbereitschaft eines Tieres kann von sehr unterschiedlichen Faktoren beeinflusst werden aussere Reize Alarmrufe bei gesellig lebenden Tieren steigern die Handlungsbereitschaft zur Flucht Ein verlassenes Kuken stosst Kontaktrufe aus Ist die Mutter in der Nahe lasst die Bereitschaft zu rufen nach Ernahrungszustand Jungvogel sperren Sie offnen den Schnabel weit wenn einer der Eltern mit Nahrung zum Nest kommt Gefutterte Nestlinge sperren nicht Gesundheitszustand Viele Vogel futtern vorrangig ihre agilsten und kraftigsten also gesundesten Nestlinge Dies kann zur Folge haben dass weniger kraftige Jungtiere zumal bei ungunstiger Witterung und hiermit verbundener Nahrungsknappheit verhungern Hormoneller Zustand Im Korper eines schwangeren Hausmausweibchens steigt der Progesteronspiegel an ein schwangeres Weibchen beginnt mit dem Nestbau Wird einem Weibchen das nicht trachtig ist Progesteron gespritzt so beginnt auch dieses ein Nest zu bauen Auf Grund ausserer Reize Tageslange Lichtverhaltnisse Temperatur Witterung steigt bei Zugvogeln der Hormonspiegel was eine erhohte Zugbereitschaft zur Folge hat Alter und Reifezustand Saugetiere verlieren ab einem bestimmten Alter den Saugreflex Nestlinge sperren nicht mehr ab einem bestimmten Alter Libellenlarven stellen einige Tage bevor sie das Wasser zur Verwandlung verlassen den Beutefang ein Vorausgehende Handlungen Bei vielen Tieren erlischt die Paarungsbereitschaft nach vollzogener Paarung Gedachtnisinhalte Viele Tiere suchen bevorzugt jene Platze auf wo sie zuvor bereits zum Beispiel besonders viel Futter gefunden haben oder wo sie besonders sicher vor Fressfeinden waren Gewohnung Habituation Das Ticken einer Uhr wird nach einiger Zeit nicht mehr wahrgenommen Erst wenn man sich bewusst diesem Gerausch wieder zuwendet wird es vernehmbar Bietet man Amselnestlingen rasch hintereinander den auslosenden Reiz zum Sperren so lasst die Intensitat der Reaktion immer mehr nach bis sie den Wert 0 erreicht Geschlecht und Hormone Sowohl die Bereitschaft zu Sexualverhalten als auch agonistischem Verhalten wird haufig stark bis ausschliesslich durch das Geschlecht des anderen Tieres beeinflusst endogene Rhythmen und aussere Zeitgeber In Bunkerversuchen die Testpersonen leben mehrere Tage und Wochen isoliert von der Aussenwelt wurde festgestellt dass der Mensch auch ohne aussere Zeitgeber wie Tageslicht oder Uhr in regelmassigen Abstanden Aktivitatszeiten Ruhezeiten und Essenszeiten einhalt Allerdings betragt der Rhythmus unter den Versuchsbedingungen nicht genau 24 Stunden Zirkadiane Rhythmik 8 Okologische Einflusse Witterung Nahrungsangebot Gefahrdung durch FressfeindeEinzelnachweise Bearbeiten Eintrag Motivation in Klaus Immelmann Grzimeks Tierleben Erganzungsband Verhaltensforschung Kindler Verlag Zurich 1974 S 632 Christian Becker Carus et al Motivation Handlungsbereitschaft Trieb In Zeitschrift fur Tierpsychologie Band 30 Nr 3 1972 S 321 326 doi 10 1111 j 1439 0310 1972 tb00860 x Gerard Baerends Aufbau des tierischen Verhaltens In Handbuch der Zoologie Band 8 Mammalia 10 Teil 1 Halfte S 12 George Barlow Fragen und Begriffe der Ethologie Kapitel 15 in Klaus Immelmann Grzimeks Tierleben Erganzungsband Verhaltensforschung Kindler Verlag Zurich 1974 S 213 Konrad Lorenz Vergleichende Verhaltensforschung Grundlagen der Ethologie Springer Wien und New York 1978 S 143 ISBN 978 3 7091 3098 8 Uwe Jurgens und Detlev Ploog Von der Ethologie zur Psychologie Kindler Verlag Munchen 1974 S 22 23 ISBN 3 463 18124 X Hanna Maria Zippelius Die vermessene Theorie Eine kritische Auseinandersetzung mit der Instinkttheorie von Konrad Lorenz und verhaltenskundlicher Forschungspraxis Braunschweig Vieweg 1992 S 32 ISBN 3 528 06458 7 Organe im Zeitverzug In Spektrum der Wissenschaft Nr 7 2000 S 27 Dezentrale biologische Uhren In Spektrum der Wissenschaft Nr 8 2008 S 24 ff Abgerufen von https de wikipedia org w index php title Handlungsbereitschaft amp oldid 194603947