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Instinktverhalten auch erbkoordiniertes Verhalten ist ein Fachbegriff der vor allem von Konrad Lorenz und Nikolaas Tinbergen ausgearbeiteten Instinkttheorie der klassischen vergleichenden Verhaltensforschung Ethologie Er bezeichnet eine angeborene komplexe Verhaltensweise die aus gegeneinander abgrenzbaren Grundbausteinen des Verhaltens aufgebaut ist 1 aus Instinktbewegungen bedeutungsgleich Erbkoordinationen in jungerer Zeit auch Fixed Action Pattern FAP 2 Diese ererbten untereinander koordinierten Bewegungen bilden gleichsam das Skelett der Verhaltensweisen einer Tierart Sie stellen ahnlich den Korpermerkmalen Artkennzeichen dar finden sich also in im wesentlichen gleicher Form bei allen Individuen einer Spezies 3 Dominikanermowen Kuken pickt gegen den roten Fleck auf der Oberseite des Schnabel der Mutter und lost bei ihr die Regurgitation von Nahrung aus dem Kropf aus Inhaltsverzeichnis 1 Instinktbewegungen die Bausteine des Instinktverhaltens 1 1 Merkmale 1 2 Das Prinzip der doppelten Quantifizierung 2 Historisches 3 Siehe auch 4 Literatur 5 Anmerkungen 6 BelegeInstinktbewegungen die Bausteine des Instinktverhaltens BearbeitenInstinktbewegungen werden gemass der erstmals 1937 von Konrad Lorenz formulierten Instinkttheorie 4 durch einen Schlusselreiz ausgelost und konnen so lange ablaufen wie eine innere Handlungsbereitschaft vorhanden ist In vielen Fallen ist es indessen nicht nur eine erbkoordinierte Bewegungsweise die von einer bestimmten Erregungsqualitat aktiviert wird sondern es ist eine ganze Reihe scharf voneinander abgetrennter Instinktbewegungen die in gesetzmassiger Reihenfolge den verschiedenen Intensitaten derselben Erregungsqualitat zugeordnet sind 5 Als Beleg dafur dass eine Verhaltensweise angeboren ist gilt unter anderem ihre Reifung das heisst ihre Vervollkommnung im Verlauf der Individualentwicklung ohne Ubung 6 Da Verhalten aus Muskelaktionen aufgebaut ist musste eine wirklich genaue und objektive Beschreibung diese Muskelaktionen wiedergeben Obwohl sich verschiedene Forscher dessen bewusst waren und dies fur die eine oder andere Bewegung selbst realisierten hat noch niemand den konsequenten Versuch einer derartigen Beschreibung des Verhaltensinventars unternommen Bei diesen Studien verwendet man meist grossere Einheiten von Muskelaktionen zur Beschreibung und spricht dann zum Beispiel vom Grasen Erbeuten Milchtritt Drohen Aufreiten bei der Paarung Es ist fur die Untersucher dabei selbstverstandlich solche Arten von Bewegungen als Einheiten anzusehen Es beruht dies vor allem darauf dass diese Bewegungen fur bestimmte Arten Familien und Gattungen charakteristisch sind Innerhalb der einzelnen Art variieren diese Bewegungen nur gering konstante individuelle Unterschiede fallen erst nach dauerndem genauestem Studium einer Art auf 7 Merkmale Bearbeiten nbsp Obwohl der Kuckuck von Adoptiveltern einer anderen Art aufgezogen wird beherrscht er den einfachen Gesang seiner eigenen Art Lorenz bezog sich ausdrucklich auf Vorarbeiten von Oskar Heinroth der die Reaktion eines Tieres auf spezifische auslosende Reizkonfigurationen und die nachfolgende Bewegungsweise als arteigene Triebhandlung zusammengefasst hatte eine solche Triebhandlung bestand Heinroth zufolge aus dem aktiven Streben des Tieres nach einer bestimmten Reizsituation daher die Bezeichnung Trieb sodann aus dem reaktiven Ansprechen des auslosenden Mechanismus auf diese Reizkonfiguration und schliesslich aus dem nun folgenden Ablauf einer oder mehrerer Instinktbewegungen Lorenz hingegen empfahl eine begriffliche Trennung Auf der einen Seite das angeborene Erkennen einer arterhaltend relevanten Umweltsituation und auf der anderen das angeborene Konnen der in eben dieser Situation teleonomen Verhaltensweise sind zwei physiologisch vollig verschiedene Leistungen 8 Instinktbewegungen bestehen folglich Lorenz zufolge aus voneinander unabhangigen Teilelementen und zwar aus dem angeborenen Erkennen einer auslosenden Situation des Schlusselreizes einem Aktivierungsmechanismus dem Angeborenen Auslosemechanismus AAM einer Bewegungskomponente die eine Taxis ermoglicht und einem spezifischen inneren Antrieb fur die Bewegungskomponente von Lorenz eingefuhrt unter der Bezeichnung aktionsspezifische Erregung Ein weiteres zentrales Merkmal von Instinktbewegungen ist laut Lorenz dass fur sie in der Regel das aus der Physiologie des Zentralnervensystems bekannte Alles oder nichts Gesetz nicht gilt Er unterstellt vielmehr den Vorgang einer dauernd endogen produzierten aktionsspezifischen Erregung die gegebenenfalls durch den Bewegungsablauf abgebaut werde 9 Das habe zur Folge dass sich das kontinuierliche Ansteigen der aktivitatsspezifischen Erregung allmahlich im Verhalten des Individuums bemerkbar macht und zwar zunachst durch leise Andeutungen der Bewegung genannt Intentionsbewegungen die auf jedem beliebigen Punkte aufhoren konnen 10 Eine Intentionsbewegung ist demnach Ausdruck der jeweiligen Stimmungslage eines Tieres und kann damit der gegenseitigen Verstandigung von Artgenossen dienen indem sie die Bereitschaft zu einer bestimmten Handlung anzeigt 11 Steige die aktivitatsspezifische Erregung an ohne dass der zugehorige Ausloser der Schlusselreiz in Erscheinung tritt konne die spezifische Instinktbewegung auch ohne fur den Beobachter erkennbaren Schlusselreiz ablaufen die Rede ist dann von einem auf kein unmittelbar erkennbares Ziel gerichteten Appetenzverhalten das als Suche nach einem Schlusselreiz interpretiert werden und beim Auffinden des als Schlusselreiz wirkenden Objekts in eine Taxis ubergehen kann A 1 In diesem Zusammenhang weist Lorenz darauf hin dass der Vorstellung von einem spezifischen Quantum an Erregungsfahigkeit eine physiologische Realitat entsprechen muss Dieses dem Organismus zur Verfugung stehende Quantum ist von Instinktbewegung zu Instinktbewegung ebenso aber auch von Art zu Art sehr verschieden 12 Zu den Merkmalen einer Instinktbewegung gehort ferner die sogenannte Leerlaufhandlung Halt man ein Versuchstier unter annahernd normalen Umgebungsbedingungen unter denen ein Absinken der Allgemeinerregbarkeit nicht eintritt unter denen aber die adaquat auslosenden Reize fur eine bestimmte Triebhandlung fehlen so kann es dazu kommen dass die betreffende Bewegungsweise ohne diese spezifischen Reize wie wir zu sagen pflegen auf Leerlauf ausgefuhrt wird 13 In diesem Fall ist der Schwellenwert ab dem eine Instinktbewegung durch einen Schlusselreiz in Gang gesetzt werden kann auf nahezu Null herabgesetzt Ein bestimmtes Verhaltensmuster muss folglich vier Kriterien erfullen um als angeboren und damit als erbkoordiniertes Verhalten zu gelten Es muss immer wieder in der gleichen Form auftreten wobei ungerichtetes Appetenzverhalten sehr variabel sein kann bei allen Individuen derselben Art auftreten in Abhangigkeit vom Alter und Reifezustand auch bei isoliert aufgezogenen Individuen derselben Art auftreten abgesehen vom Sonderfall Pragung auch bei Individuen auftreten die zuvor an der Ausubung des Verhaltensmusters gehindert wurden Das Prinzip der doppelten Quantifizierung Bearbeiten Das Zusammenwirken von Schlusselreiz und der Lorenz zufolge stetig endogen produzierten aktionsspezifischen Erregung hat zur Folge dass die Intensitat einer Instinktbewegung von zwei voneinander unabhangigen Variablen bestimmt wird namlich 1 durch die Hohe der Handlungsbereitschaft bzw reaktionsspezifischen Energie unmittelbar vor der Reizdarbietung und 2 durch die Qualitat bzw Intensitat des Reizes 14 Eine grosse Handlungsbereitschaft fuhrt demnach selbst bei einem schwach ausgepragten Schlusselreiz zu einer spezifischen Instinktbewegung umgekehrt kann ein optimaler Schlusselreiz die Instinktbewegung auch bei massiger Handlungsbereitschaft herbeifuhren Dieses Zusammenwirken eines ausseren und eines inneren Faktors benannte Lorenz als das Prinzip der doppelten Quantifizierung Historisches Bearbeiten Hauptartikel Instinkt Eine fruhe Erlauterung des tierischen Instinktes stammt aus der Mitte des 19 Jahrhunderts 15 Das fortschrittliche und grundlegend neue am Konzept des Instinktverhaltens in den 1930er Jahren war dass tierisches Verhalten 16 weder als rein reaktiv angesehen wurde wie von den klassischen Behavioristen noch als Kette starrer Reflexe sondern dass auch innere Zustandsanderungen also die Spontaneitat des Verhaltens in Rechnung gestellt wurden Ferner wurde der Blick besonders auf angeborenes ererbtes Verhalten gerichtet und auf dessen Plastizitat Konrad Lorenz selbst hat 1978 eingeraumt er und seine Kollegen hatten sich anfangs niemals tiefere Gedanken uber jene Erscheinungen gemacht die wir recht summarisch als erlernt oder von der Einsicht bestimmt beiseite schoben Wir betrachteten sie wenn man unser Verfahren etwas allzu mitleidslos beschreiben will als den Sammeltopf alles dessen was ausserhalb unseres analytischen Interesses gelegen war 17 Heute spielt die Instinkttheorie in der Verhaltensbiologie kaum noch eine Rolle da die Hirnforschung bislang keinerlei physiologische Entsprechung zur postulierten aktionsspezifischen Erregung auffinden konnte Ob dies eher als Mangel der physiologischen Theorie der Instinktbewegung anzusehen oder auf noch bestehende experimentelle Unzulanglichkeiten der Hirnforschung zuruckzufuhren ist kann derzeit nicht entschieden werden Im Bereich der Padagogik hat das Konzept im fruhen 21 Jahrhundert mit dem Attachment Parenting eine Wiederbelebung erfahren Siehe auch BearbeitenUbersprungbewegung ReaktionsketteLiteratur BearbeitenGerard Baerends Aufbau des tierischen Verhaltens In Handbuch der Zoologie Band 8 Mammalia 10 Teil 1 Halfte 1956 S 1 32 Anmerkungen Bearbeiten Gelegentlich werden diese beiden Varianten auch als ungerichtetes Appetenzverhalten und gerichtetes Appetenzverhalten bezeichnet was aber missverstandlich sein kann da auch die Suche nach einem Ausloser zielgerichtet ist Belege Bearbeiten Konrad Lorenz Vergleichende Verhaltensforschung Grundlagen der Ethologie Springer Wien und New York 1978 S 40 ISBN 978 3 7091 3098 8 Wolfgang Schleidt How fixed is the Fixed Action Pattern In Zeitschrift fur Tierpsychologie Band 36 1974 S 184 211 doi 10 1111 j 1439 0310 1974 tb02131 x Uwe Jurgens und Detlev Ploog Von der Ethologie zur Psychologie Kindler Verlag Munchen 1974 S 17 ISBN 3 463 18124 X Konrad Lorenz Uber den Begriff der Instinkthandlung In Folia Biotheoretica Serie B Nr 2 1937 S 17 50 Volltext PDF Konrad Lorenz Vergleichende Verhaltensforschung Grundlagen der Ethologie S 89 Eintrag Reifung in Klaus Immelmann Grzimeks Tierleben Erganzungsband Verhaltensforschung Kindler Verlag Zurich 1974 S 635 Gerard Baerends Aufbau des tierischen Verhaltens In Handbuch der Zoologie Band 8 Mammalia 10 Teil 1 Halfte 1956 S 2 Konrad Lorenz Vergleichende Verhaltensforschung Grundlagen der Ethologie S 87 88 Konrad Lorenz Vergleichende Verhaltensforschung Grundlagen der Ethologie S 95 Konrad Lorenz Vergleichende Verhaltensforschung Grundlagen der Ethologie S 88 89 Eintrag Intentionsbewegung in Klaus Immelmann Grzimeks Tierleben Erganzungsband Verhaltensforschung S 629 Konrad Lorenz Vergleichende Verhaltensforschung Grundlagen der Ethologie S 98 Konrad Lorenz Vergleichende Verhaltensforschung Grundlagen der Ethologie S 102 Uwe Jurgens und Detlev Ploog Von der Ethologie zur Psychologie S 27 Louis Agassiz A A Gould M Perty Naturgeschichte des Thierreichs mit besonderer Rucksicht auf Gewerbe Kunste und praktisches Leben Volks Naturgeschichte der drei Reiche fur Schule und Haus 3 J B Muller s Verlagshandlung Stuttgart 1855 S 46 51 H P Michael Freyer Zur Geschichte der Darstellung tierischen Verhaltens in Lehrerhand und Schulbuchern des 18 bis 20 Jhs In Wurzburger medizinhistorische Mitteilungen Band 18 1999 S 241 269 insbesondere S 250 252 Konrad Lorenz Vergleichende Verhaltensforschung Grundlagen der Ethologie S 7 Abgerufen von https de wikipedia org w index php title Instinktverhalten amp oldid 237785064