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Religion im Palaolithikum bezeichnet das rekonstruierte religios kultische Weltbild des palaolithischen Homo sapiens teilweise auch des Neandertalers Szene im Schacht Ausschnitt Mensch mit Vogelkopf und Bison Hohle von Lascaux Magdalenien Die meisten Wissenschaftler nehmen an dass sowohl die Kulturen der Neandertaler als auch des fruhen Homo sapiens im Palaolithikum bereits eine religios kultische Pragung aufwiesen 1 Problematisch ist dabei der Begriff der Religion da es als fraglich gilt was in der Alt und Jungsteinzeit uberhaupt als religios und kultisch gedeutet werden kann In der Urgeschichtsforschung die in den Wissenschaften hauptsachlich zur Religion der Steinzeit Deutungen liefert wird ein Religionsbegriff kaum hinterfragt und so reichen die Interpretationen von der empiristisch minimalistischen Annahme bei religiosen Vorstellungen der Steinzeit handele es sich lediglich um Manifestationen von Tatigkeiten die uber das Alltagliche und die materielle Alltagsbewaltigung hinausgehen so dass nur ein Bild von der Ordnung des Universums angenommen werden kann Andre Leroi Gourhan bis zu christlich gepragten Interpretationen die jungsteinzeitliche Hohlenkunst als Ausdruck von Dankbarkeit einer Gottheit gegenuber sehen und an den Anfang der menschlichen Kultur eine Gotteserkenntnis als zentrales Moment stellen Hermann Muller Karpe Letztere Position geht interpretativ weit uber die archaologische Forschungssituation hinaus 2 Ethnographische Vergleiche von Kult und Mythologie heutiger Jager und Sammlerkulturen mit der Geschichte der Religion sind heute ebenso umstritten da sich alle kulturellen Phanomene im Laufe solch langer Zeitraume verandert haben 3 Aufgrund ihrer grossen Anpassungsfahigkeit an veranderte Bedingungen sind ethnische Religionen ganz im Gegenteil samtlich junger als die bekannten Hochreligionen 4 Funde die als religios kultisch interpretiert werden konnen sind beispielsweise Hohlenmalereien jungpalaolithische Kleinkunst Frauenfigurinen und andere Skulpturen wie der Lowenmensch sowie Graber und ihre Ausstattung Solche Funde deuten womoglich auf religiose Vorstellungen in der Steinzeit hin etwa auf eine Lebenskraft Mythologie oder auch auf eine Auseinandersetzung mit der Leben Tod Problematik Hinweise auf Lunarsymboliken werden angenommen 5 Die Jagdmagie Hypothese wird hingegen wissenschaftlich zunehmend kritisiert 6 Als wahrscheinlich gilt die Existenz archaisch animistischer Religionen mit Jenseitsvorstellungen ersten Mythen und einem Herrn der Tiere als erster gottahnlicher Vorstellung in der fruhen und mittleren Altsteinzeit sowie magisch spiritueller Religionen die erstmals in der spateren Altsteinzeit oder Mittelsteinzeit auftraten und durch kultische Rituale und vermutlich schon durch spirituelle Spezialisten gekennzeichnet waren Inhaltsverzeichnis 1 Forschung und Deutungen 2 Bestattungen des mittleren Palaolithikums 3 Hohlenmalereien und Skulpturen im Jungpalaolithikum 3 1 Die Hohle 3 2 Tierdarstellungen 3 3 Lunarsymbolik 3 4 Symbolik des Lebensatems 3 5 Kategorien abstrakter Zeichen 3 6 Prahistorischer Schamanismus 3 7 Venusfigurinen und Frauendarstellungen 4 Siehe auch 5 Literatur 6 Weblinks 7 EinzelnachweiseForschung und Deutungen BearbeitenDer erste bedeutende franzosische Prahistoriker war Abbe Henri Breuil 1877 1961 Er vertrat zwei Forschungsansatze Den ethnographischen Vergleich bei dem nach Parallelen zwischen heutigen Kulturen wie den australischen Ureinwohnern und der Kultur des Jungpalaolithikums gesucht wird Die Theorie von der Jagdmagie die heute allgemein nicht mehr anerkannt wird z B auch deshalb weil die dargestellten Tiere zu grossen Teilen nicht aus dem damaligen Jagdwild wie dem Rentier bestehen aber der Lebenswelt entsprechen 6 Andre Leroi Gourhan 1911 1986 stand Breuil kritisch gegenuber und lehnte den ethnographischen Vergleich und die Isolierung einzelner Bilder ab Er erforschte Hohlen in ihrer Gesamtstruktur Obwohl er die Urgeschichtsforschung in Bezug auf kunstlerische Darstellungen gepragt hat ist seine Theorie einer sexuell symbolischen Gegensatzlichkeit der Darstellungen heutzutage nicht mehr anerkannt 7 Einer der fuhrenden Archaologen und Prahistoriker heutzutage ist Jean Clottes der auch zusammen mit David Lewis Williams die Theorie vom schamanistischen Ursprung der Malereien aufstellte die zwar stark kritisiert wird dennoch aber der Forschung neue Impulse gab 8 Bestattungen des mittleren Palaolithikums BearbeitenIm mittleren Palaolithikum erschienen die ersten bekannten Begrabnisse In Bodenlochern wurden die Toten begraben oft zusammen mit Steinwerkzeugen Requisiten und Teilen von Tieren Diese Bestattungen liegen zeitlich zwischen 120 000 v Chr und 37 000 v Chr und gelten als die altesten bekannten religios motivierten Handlungen Da aus ihnen geschlossen werden kann dass Tote bewusst begraben wurden gelten sie als alteste Formen kultischer Praktiken in der Urgeschichte Sie erscheinen sowohl beim Neandertaler als auch beim Homo sapiens wobei sich die Form der Begrabnisse kaum unterscheidet Begrabnisse liegen in unterschiedlichen Formen vor die rituelle Ausgestaltung der Graber variiert jedoch wurde fast uberall roter Ocker verwendet der haufig von Forschern als Farbe des Lebens und des Blutes gedeutet wird Im Jungpalaolithikum wurde der rote Ocker dann weiterhin in zahlreichen Funden kultisch verwendet 9 Es gibt Merkmale dieser rituellen Begrabnisse die darauf hindeuten dass an ein Leben nach dem Tode geglaubt wurde Beispielsweise wurde eine Ost West Ausrichtung vorgefunden die auf eine aufgehende Sonne ein Symbol fur neues Leben hindeutet es wurden ferner Embryonalhaltungen des Toten vorgefunden die gleichfalls auf eine neue Geburt hinweisen und die Ockerfarbungen deuten auf die Farbe des Blutes und des Lebens hin 10 Auffallig ist dass Bestattungen zu dieser Zeit nicht allgemein ublich waren sondern eine Ausnahme bildeten und Graber sich oft in der Nahe von Wohnplatzen befanden so dass man daraus schliessen konnte dass nicht die Entsorgung der Toten im Vordergrund stand Vielmehr konnte es sich bei den Grabern um Kultdenkmaler handeln die religiose Uberzeugungen ausdruckten 10 Wissenschaftlich werden Jenseitsvorstellungen apotropaische Magie Ahnenkulte und zahlreiche weitere Interpretation diskutiert Uberzeugende Nachweise fur entsprechende Deutungen wurden bislang nicht prasentiert 11 Ein Ahnenkult z B ist nicht erkennbar da es viele Kinder und Fotenbestattungen gegeben hat Die Grabbeigaben werden traditionell so gedeutet dass sie eine Ausrustung fur ein zukunftiges Leben darstellen Dies erscheint jedoch insofern nicht plausibel als diese Beigaben willkurlich aussehen und meistens den Toten nicht betreffen Hier kann man annehmen dass die Beigaben die Funktion hatten dem Verstorbenen eine gewisse Aufmerksamkeit zukommen zu lassen 12 Wahrscheinlicher ist es dass das Weltbild der Steinzeit gepragt war von einer Lebensliebe die sich auf das naturliche Leben und dessen Erhaltung und Erneuerung bezog Davon geht beispielsweise auch der Ethnologe Hans Peter Duerr aus und andere Funde als die Graber der Steinzeit wie im Folgenden gezeigt werden soll lassen diesen Schluss ebenfalls zu 13 Insgesamt scheinen die Begrabnisse aus dem Bedurfnis entstanden zu sein dem Schrecken des Todes durch rituell kultische Handlungen zu begegnen Die Tod Leben Thematik wurde kontinuierlich weitergefuhrt und ist bestimmendes Motiv jeglicher religiosen Kulturproduktion gewesen Um diese Problematik zu bewaltigen wurde anscheinend ausschliesslich an die Machtigkeit des Kultes geglaubt 14 Die Fahigkeit des Neandertalers und des Homo sapiens im mittleren Palaolithikum zur Symbolbildung und damit zur Kulturbildung wird dennoch in der Archaologie und Religionswissenschaft kontrovers gesehen Die Religionswissenschaftlerin Ina Wunn spricht den Menschen des Mittelpalaolithikums generell diese Fahigkeit ab und bestreitet deshalb dass es irgendeine Religionsform zu dieser Zeit gegeben haben konnte Die Archaologin C Hackler hingegen schreibt schon dem Neandertaler eine volle Kulturfahigkeit zu aufgrund einer materiell vorhandenen und somit auch geistig gedanklichen Kultur die auf eine menschliche Gemeinschaft und sprachliche Kommunikationsfahigkeit hinweist 15 Damit ist klar dass der erste sprachbegabte Mensch zugleich zeitnah einen religiosen Uberbau uber sein schicksalhaft gepragtes Dasein erfand Hohlenmalereien und Skulpturen im Jungpalaolithikum Bearbeiten nbsp Tierbilder in ChauvetVor allem in Europa kam es in der Zeit von 35 000 v Chr bis 10 000 v Chr neben der Werkzeugproduktion zur Kunst die als regelrechte Explosion kunstlerischer Aktivitat gilt Dabei wird insbesondere die Hohlenmalerei als Hohepunkt eines Kulturausbruchs des Jungpalaolithikums gewertet 16 Der Grossteil der bislang bekannten Hohlenkunst sind Hohlenmalereien des frankokantabrischen Raums 17 Die Hohle Bearbeiten Heutzutage wird generell angenommen dass die bemalten Hohlen sakrale Funktion hatten 18 Ein Teil der Hohlen des Jungpalaolithikums hat einen schlauchformigen engen Zugang an dessen Ende sich die Hohle zu einem Raum offnete der mit Tieren und geometrischen Formen bemalt sein kann Verengungen Spalten Ovale und Grotten sind oftmals mit rotem Ocker markiert Da verschiedene Formen vorgefunden wurden die eine Vulvagestalt aufweisen und mit rotem Ocker markiert sind geht man davon aus dass die Hohlen mit einer Vulva assoziiert wurden Aus der Altsteinzeit sind zudem einige Darstellungen von Frauen in den Hohlen erhalten im Jungpalaolithikum haufen sich diese Darstellungen gleichzeitig gibt es eine grosse Anzahl von stilisierten oft gravierten Darstellungen von Vulven 19 Einige der Venusfigurinen waren ursprunglich mit rotem Ocker eingefarbt Da roter Ocker auch spater noch kultisch verwendet wurde kann man annehmen dass dies auch im Jungpalaolithikum schon eine Rolle spielte 20 Moglicherweise handelt es sich hier um eine Symbolik die spateren vielfaltig vorkommenden Initiationsriten verwandt ist in denen eine Neugeburt durch eine Ruckkehr in den Uterus stattfindet Die Darstellung von Tieren in den Hohlen konnte in diesem Zusammenhang darauf hindeuten dass auch die Tiere die in der Natur zyklisch verschwinden und wiederkehren in die Hohle eingehen um dort neugeboren zu werden 21 Tierdarstellungen Bearbeiten Anzunehmen ist bei jenen Wildbeutergesellschaften dass die Abhangigkeit von der Natur das zentrale Lebensgefuhl darstellte Deshalb ist es wahrscheinlich dass die Symbolisierungen steinzeitlicher Kunst um dieses Thema der Abhangigkeit von der Natur kreisen 22 In den Hohlenmalereien spielen Tierdarstellungen eine dominierende Rolle Dabei gibt es bestimmte Ausdrucksformen Es werden zum grossten Teil Tiere dargestellt die sich durch Korpermachtigkeit auszeichnen z B Bisons Rinder Mammuts Nashorner Lowen und wild bewegte Pferde Steinzeitmenschen hatten nicht unsere heutige Distanz zu Tieren die regional ihr Uberleben ausschliesslich sicherten Die Darstellung solcher Tiere kann etwa als Darstellung der Sehnsucht nach dem Uberleben verstanden werden 23 Menschendarstellungen sind in den Hohlen selten Man kennt Beispiele vor allem von zwei Formen zum einen als verletzte gespeerte Manner und zum anderen als Tier Mensch sog Zauberer bzw Mischwesen 24 Da der Schwerpunkt der Hohlenbilder auf den Tierdarstellungen liegt kann man dies als Identifikation von Menschen und Tieren bzw deren Eigenschaften interpretieren Ein Beleg dafur ist der Knochenstab von Isturitz auf dem die menschliche Sexualitat mit der von Tieren parallelisiert wird Ausserdem stellten Tiere die Hauptlebensressource fur die Menschen dar Die Hohlenmalereien konnten also anders als die Jagdmagie Theorie nahelegt den Zweck gehabt haben die Tiere durch die Malereien zur Regeneration zu bringen und den Frevel des Totens wiedergutzumachen Ebenso konnen sie Hierogramme gewesen sein die hohere Machte versinnbildlichten Dies wurde auch erklaren dass Menschen als Opfer dargestellt werden oder Mischwesen vorkommen Abgesehen davon deuten auch andere im Folgenden erlauterte Symbole auf eine solche Annahme hin 25 Siehe auch Barenkult Lunarsymbolik Bearbeiten nbsp Stiere in LascauxAuffallig ist dass Schlangen Fische und Vogel nur sehr selten vorkommen Ausserdem gibt es keine Landschaften Die korperliche Machtigkeit oder Schnelligkeit der dargestellten Tiere konnte grundsatzlich auf Dynamik Vitalitat und Omnipotenz hinweisen Die meisten Tiere sind bewegt dargestellt bis hin zu Darstellungen von gleichsam umeinander wirbelnden Tieren es entsteht ein Eindruck von pulsierendem Leben Ein anderes Merkmal der dargestellten Tiere ist dass diese abgesehen von den Pferden alle Geweihe Horner oder Stosszahne tragen Die Darstellung der Horner weist zumeist Besonderheiten auf die womoglich auf einen symbolischen Ausdruck hatten 26 nbsp Rhinozeros mit auffallig betontem Horn ChauvetIn den Hohlen von Lascaux Chauvet und in einigen der Dordogne werden die Horner halbkreisformig dem Betrachter zugewandt und unperspektivisch dargestellt obwohl die Maler ansonsten die Perspektive beherrschten Bei einigen Darstellungen wirken die Horner auch wie nachtraglich eingezeichnet Es kann vermutet werden dass hier eine Beziehung zum Mond vorliegt insbesondere deshalb weil in spateren Kulturen das Mondhorn ein Kultsymbol war z B die stilisierten Kulthorner in der minoischen Kultur und in Agypten als Kuhgehorn von Hathor oder Isis Die Wichtigkeit der Horner und Geweihe wird dadurch betont dass die Malereien insbesondere die Horner und Geweihe hervorheben und diese oft ubertrieben gross darstellen im Gegensatz zum Naturalismus der Tierdarstellungen 27 Eine Verbindung zur Sexualitat besteht trotz des angenommen kultischen Verhaltnisses zum Leben jedoch nicht es gibt keine sexuellen Darstellungen von sich paarenden Tieren Sollte es sich bei der steinzeitlichen Kunst um Leben Tod Regenerationsmythen handeln dann waren Regeneration und Geburt Wiedergeburt nur mit dem weiblichen Prinzip assoziiert moglicherweise gab es in dieser Periode der Menschheit noch kein Wissen um die mannliche Zeugung Auf Parthenogenese kann man aufgrund der Mythen spaterer Kulturen schliessen wo die Welt z B aus einem Ei geboren wird oder aus einer Gottin bis hin zur Jungfrauengeburt Jesu 28 Auch die hauptsachliche Darstellung von Frauen in den Frauenfigurinen deutet auf die zentrale kultische Funktion des Weiblichen hin Ein Relief das wahrscheinlich eine Lunarsymbolik in Verbindung mit dem Weiblichen aufweist ist die Venus von Laussel oder Venus mit dem Horn mit einem geschatzten Alter von 25 000 Jahren Die abgebildete Frau halt ein Bisonhorn mit 13 Kerben Sie ist nackt ohne Gesicht und mit perspektivisch zu kleinen Armen und Beinen Ursprunglich war sie mit rotem Ocker bemalt Das Bisonhorn kann als Symbolisierung der Mondsichel verstanden werden die dreizehn Kerben konnten mit den Mondphasen vom Aufscheinen der Neumondsichel bis zum Vollmond in Verbindung stehen ebenso aber mit der Menstruation 29 Symbolik des Lebensatems Bearbeiten In der Hohlenkunst der Eiszeit kommen Zeichen vor die an Mund und Nase der Tiere erscheinen Es wird vermutet dass es sich hier um eine Symbolik des Lebensatems handeln konnte Im umstrittenen Kulturvergleich kann man ein solches Konzept in vielen rezenten Jager Sammler Gesellschaften und bei vielen Formen des Schamanismus feststellen es ist aber auch in Ackerbaukulturen und stadtischen Gesellschaften bekannt 30 Gleichfalls gibt es eine Fulle von Zeichen die menschliche und tierische Darstellungen verbinden Moglicherweise handelt es sich hier um eine absichtlich erzeugte Symbolik der Verbundenheit von Mensch und Tier die Darstellungen der Zauberer tier menschlichen Mischwesen deuten auf die gleiche Symbolik hin In Verbindung mit dem Lebensatem konnte hier auch eine Symbolik der allgemeinen Lebenskraft vorliegen die Mensch und Tier verbindet 31 Kategorien abstrakter Zeichen Bearbeiten nbsp Stilisierte Vulva DarstellungIn den Hohlen gibt es eine Vielzahl abstrakter Zeichen und Symbole Auffallig ist deren gegenuber naturalistischen Darstellungen grossere Anzahl Es gibt einfache Zeichen wie Linien Punkte Geraden und es gibt komplexere Zeichen wie Gitter und Leitern teilweise auch hausformige oder keulenformige Strukturen Diese Zeichen sind in der Forschung lange nicht beachtet worden sie wurden hochstens konkret gedeutet etwa als Hauser und Keulen was heutzutage jedoch als Interpretation nicht mehr anerkannt wird 32 Leroi Gourhan ging von der psychoanalytisch motivierten Annahme aus dass es sich um sexuelle Symbole handelt Er versuchte diese Zeichen mit den ihnen angeblich entsprechenden Tierarten und Hohlenabschnitten in eine Beziehung zu setzen und so ein binares Prinzip von Weiblichkeit und Mannlichkeit zu rekonstruieren Diese Hypothesen werden zunehmend in Frage gestellt 33 In einigen neueren psychologischen Schamanismus Theorien wird postuliert es handele sich bei diesen Abstraktionen um neurophysiologische Phanomene die in Trancezustanden auftraten da in der schamanischen Trance den Schamanen oftmals Lichtzeichen erscheinen die mit denen in den Hohlen haufig ubereinstimmten beispielsweise Punkte Linien oder Gitter Bosinski hat darauf hingewiesen dass bestimmte Zeichen in den Hohlen sich auf kleine geographische Raume begrenzen was bedeuten wurde dass die postulierten Trance Erscheinungen in unterschiedlichen Gebieten unterschiedliche Zeichen hervorgebracht hatten Aus diesem Grund halt Bosinski die These fur nicht haltbar ebenfalls gibt es weitere Kontroversen in Bezug auf diese Schamanismus Theorie 33 Bosinski unterscheidet jedoch nicht Kategorien von Zeichen So gibt es zwei Gruppen Zeichen die einfach und geometrisch sind und Zeichen die komplex sind beispielsweise hausartige und keulenformige Zeichen Die erstere Gruppe der einfachen Zeichen ist uberregional verbreitet wahrend die komplexen Zeichen regional und lokal sind Die komplexen Zeichen sind in schamanischen Trance Erlebnissen nicht vorhanden 33 Wahrscheinlich hatten also die Zeichen nicht alle einen Ursprung und eine Bedeutung sondern man musste von einer Differenzierung der Zeichen ausgehen um diese zu analysieren Unterscheiden kann man solche Zeichen die einfach sind und nachweislich eine steinzeitliche Tradition haben von solchen die anderen Bildern zugeordnet sind und deshalb in diesem Kontext gedeutet werden mussen 34 Die Vulva wird oft dargestellt haufig dabei zeichenhaft vereinfacht und stilisiert mitunter aber auch naturalistisch dargestellt Vulven wurden bereits im Aurignacien abgebildet Angesichts von Bildern auf denen z B eine stilisierte Vulva von einem schwarzen Pfeil getroffen wird liegt hier wohl ebenfalls eine Leben Tod Mythologie vor der schwarze Pfeil fungiert auch in anderen Bildern als Todessymbol Man kann daraus schliessen dass Vulven nichts mit Fruchtbarkeit oder Sexualitat zu tun hatten sondern den lebenspendenden Schoss symbolisieren Da Vulven in Hohlen haufig vorkommen kann man annehmen dass es sich um einen Regenerierungskult gehandelt hat auch angesichts des Symbols der Hohle selber als weiblicher Schoss Im Mittelpunkt dieses Kultes hatte dann das Symbol der Frau und des Weiblichen gestanden 35 Feststehende Zeichen sind auch Gitter die aber mehr in der Kleinkunst und nicht in den Hohlen verbreitet waren Gitterfunde liegen reichlich vor Die ersten Gitterzeichen wurden bereits in der Blombos Hohle gefunden hierbei handelte es sich um Rautenmuster auf graviertem Ocker Diese Stucke stammen aus der Zeit um 75 000 v Chr Im Neolithikum haben sich die Gitterformen auch im religiosen Sinne noch weiter verbreitet obwohl man daraus keine Ruckschlusse fur das Palaolithikum ziehen kann Die aus dem Mesolithikum stammenden Hohlen von Fontainebleau sind ubersat mit Gittern hier mag dieses Symbol eine zentrale kultische Bedeutung gehabt haben Die im Palaolithikum vorkommenden Zeichen finden sich in ahnlicher oder auch veranderter Form in spateren Kulturen Aus den rekonstruierten religiosen Bedeutungen spaterer Epochen wird mitunter auf die religiosen Vorstellungen der Altsteinzeit geschlossen Ob und inwieweit solche Ruckschlusse zulassig sind bleibt in der Forschung umstritten Prahistorischer Schamanismus Bearbeiten nbsp Der Zauberer von Trois Freres Hauptartikel Prahistorischer Schamanismus Seit Beginn des 20 Jahrhunderts wird die Hohlenkunst mit Schamanismus in Verbindung gebracht Seit Ende des 20 Jahrhunderts wird dabei auch auf Trance und veranderte Bewusstseinszustande verwiesen wobei angenommen wird es gabe drei Phasen dieser Trancezustande die sich auch in den Motiven der Hohlenkunst erkennen liessen Bezogen werden diese Theorien vor allem auf ethnographische Parallelen aus Sudafrika Die Hohlenkunst wird also hier als Verbildlichung von Trance Visionen angesehen Generell wurden die Schamanismus Theorien stark kritisiert 36 u a auch die wissenschaftlich nicht haltbaren neuropsychologischen und ethnographischen Vergleiche da diese sich nur auf vereinzelte Daten in Sudafrika beziehen Die postulierten drei Trancezustande seien zumeist nur unter geringen Dosen von LSD vorzufinden und zeigten keinerlei Verbindung zur eiszeitlichen Kunst Gegen eine Produktion der Bilder in Trance spricht ausserdem dass diese Bilder haufig sorgfaltig geplant und kunstlerisch sehr elaboriert sind Als Beleg fur die Schamanismus Theorie gelten die tiermenschlichen Mischwesen die als Schamanen gedeutet werden Jedoch gibt es nur wenige solcher Figuren in der Hohlenkunst so dass sie nicht als reprasentativ angesehen werden konnen Ebenfalls gibt es keinerlei Anhaltspunkte dass es sich nicht um Phantasiewesen Zauberer mythische Wesen oder Menschen die als Tiere verkleidet sind handeln kann Oft vertreten wird auch die Annahme bei der Hohlenwand handele es sich um eine Art Vorhang zu einer anderen spirituellen Welt die der Kunstler zu erreichen versucht indem er durch diesen Vorhang tritt oder Tiere durch ihn hindurchtreten sieht 37 An der Trance Theorie wird zudem kritisiert dass es bis zu 70 verschiedene Arten von Trance gibt diese nicht wissenschaftlich definiert ist und Trance kein zwingender Indikator fur eine Form von Schamanismus ist 38 Venusfigurinen und Frauendarstellungen Bearbeiten nbsp Venus von WillendorfSo genannte Venusfigurinen sind in grosser Fulle in weit ausgedehnten geographischen Raumen gefunden worden die beruhmteste von ihnen ist die Venus von Willendorf Umstritten ist ihre Deutung Der Grossteil der Theorien zu den Figuren ist aus archaologischer und wissenschaftlicher Sicht nicht haltbar 39 Heutzutage wird angenommen dass es sich nicht um Gottinnen und auch nicht um uberhohte Darstellung innerhalb von Fruchtbarkeitskulten handelt Dies wird u a ethnologisch und historisch begrundet da in nicht stratifizierten Gesellschaften ein Pantheon mit einem Gotterhimmel an der Spitze nicht vorkommt 40 und eine Zunahme der Fruchtbarkeit nicht im Interesse von Jager und Sammlerkulturen liegt Solche Gesellschaften kennen zumeist eine Form der Geburtenkontrolle Aus diesem Grunde sind auch Deutungen der Figurinen als Priesterinnen abzulehnen 41 42 Haufig wurden die Figurinen als Schwangere gedeutet woraus ein Fruchtbarkeitskult abgeleitet wurde Die Annahme eines solchen Kultes kann jedoch nicht alle Darstellungen erklaren da es erstens keine Mutter Kind Darstellungen gibt und zweitens Kinder aufgrund ihrer hohen Pflegebedurfnisse fur wandernde Jager und Sammler eine Belastung darstellen 43 Ausserdem gibt es nicht nur fullige Frauenfigurinen vielmehr weist etwa ein Drittel der Figurinen keine uppigen Korperformen auf Daruber hinaus sind bei der Halfte der ca zweihundert Fundstucke keine eindeutigen Geschlechtsmerkmale erkennbar 44 Eine in Laussel gefundene mindestens 20 000 Jahre alte Halbreliefdarstellung zweier in Eiform verbundener Wesen wurde als Ausdruck der binaren Unterscheidung der Geschlechter gedeutet Das Relief wurde auch als Mutter Erde und Vater Himmel bzw als Geburtsszene interpretiert 45 Ein Vergleich mit neolithischen und spateren Funden von Frauendarstellungen ist zumindest problematisch weil ab dem Neolithikum vollig andere gesellschaftliche und wirtschaftliche Umstande vorlagen Zudem tragen die meisten palaolithischen Figuren gemeinsame Merkmale die auf ein allgemein verbreitetes Symbol hinweisen und darauf dass kulturelle Traditionen in Bezug auf die Figurinen uber ganz Europa verbreitet waren Die neolithischen Figuren sind hingegen deutlich differenziert in Bezug auf Darstellung Details und kulturellen Kontext auch unterscheiden sie sich von den palaolithischen Figurinen so dass die neolithische Skulpturen nur regional gedeutet werden konnen 46 Hingegen ist in vielen ethnographischen Beispielen der Gebrauch von Figurinen als magisches Objekt um eine Schwangerschaft herbeizufuhren bekannt was jedoch nicht einen generellen Fruchtbarkeitskult ausdruckt 41 Viele der palaolithischen Frauenfigurinen sind in einem hauslichen Kontext gefunden worden in den ersten Hutten und Hausern nahe dem Herd In vielen traditionellen Gesellschaften haben Frauen die Rolle des Feuermachens und sind auf Haus und Familie bezogen Der Kontext der Funde lasst darauf schliessen dass es schon im Palaolithikum solche Rollenvorstellungen gegeben haben konnte so dass diese Figuren weniger Gottinnen zeigen sondern Geister die einen symbolischen Zusammenhang des Schutzes von Haus und Herd aufzeigen 41 Besser gedeutet werden konnen die Frauenstatuetten die abstrahiert nur Bruste und Steiss erkennen lassen z B die Venusfigurinen von Gonnersdorf Aus der Humanethologie sind eine Reihe von drohenden und beschwichtigenden Gesten und Korperhaltungen bekannt die bei vielen Volkern und Ethnien auch in kunstlerischen Objekten vorkommen z B phallische Statuetten und Handabdrucke Solche Objekte sind oftmals an Turen angebracht um drohende Machte abzuwehren Daraus kann man schliessen dass es sich bei den abstrahierten Frauenfiguren um die beschwichtigende Geste des Brustweisens und prasentierens handelt die somit eine religios magische Praktik ausdruckt 42 Trotz dieser Zusammenhange konnte es auch eine eher profane Erklarung fur die Statuetten geben So konnte es sich auch einfach um Spielzeug fur Kinder handeln da kleine Figurinen als Puppen ebenfalls in vielen Kulturen belegt sind 41 Eine andere Deutung der Figuren vertritt Clive Gamble der annimmt dass es sich bei den Venusstatuetten um ein Kommunikationssymbol gehandelt haben konnte Darauf deuten ihre weite Verbreitung und die lange zeitliche Periode der Entstehung hin Es konnte sich um ein allgemeines Symbol handeln das unterschiedliche Kommunen verbunden hat Der Zeitraum der Entstehung der Figurinen liegt in der Zeit der maximalen Vereisung wo es vielleicht notig war fur Gruppen extra ein grosseres soziales Netz mit anderen Gruppen zu knupfen Zudem stammen die Figurinen nicht aus Hohlen sondern aus dem Fundzusammenhang kann man schliessen dass sie als Objekt der Betrachtung gedient haben konnen 41 Welche konkrete Funktion und Botschaft die Figuren vermitteln sollten bleibt hier jedoch unklar Kritisiert wurde an Gambles These dass die Verbreitung der Figuren uber 10 000 km und uber 10 000 Jahre nicht plausibel erklart wird da diese nicht durch Abwanderung von Gruppen stattgefunden haben konnen Dies wird aus archaologisch ethnologischer Sicht aus dem Grund angenommen dass Wildbeuter gemeinhin nicht ziellos umherwandern sondern ein Basislager vorhanden ist und im Jahreszyklus ein grosseres Gebiet bewandert wird Ausgedehnte Wanderungen uber 10 000 Kilometer haben wohl nicht stattgefunden 47 Bei den Frauendarstellungen vom Typ Gonnersdorf und anderen verwandten Darstellungen wird vermutet dass teilweise Tanzszenen abgebildet sind Es konnte sich dabei um rituelle Tanze handeln Da diese Szenen in der Nahe von Feuerstatten angebracht sind und diese in vielen Kulturen als kultisch angesehen werden konnte hier ein Zusammenhang zu kultischen Tanzen bestehen 48 Im Jahr 2020 wurde in einer Studie auf einen zeitlichen Zusammenhang zwischen dem Alter der Figuren und einer Abkuhlung des Klimas hingewiesen Die Fettleibigkeit der Figuren konnte daher Ausdruck des Wunsches nach einer besseren verlasslicheren Nahrungsgrundlage gewesen sein 49 Siehe auch BearbeitenArchaische Spiritualitat in systematisierten ReligionenLiteratur BearbeitenJean Clottes David Lewis Williams Schamanen Trance und Magie in der Hohlenkunst der Steinzeit Thorbecke Sigmaringen 1997 Margaret Ehrenberg Women in Prehistory University of Oklahoma Press 1989 Ariel Golan Prehistoric Religion Mythology Symbolism Jerusalem 2003 Timothy Insoll The Oxford Handbook of the Archaeology of Ritual and Religion Oxford University Press 2011 Joest Leopold Angelika Vierzig Siegfried Vierzig Kult und Religion in der Steinzeit Feier des Lebens Gravierte Hohlen im Pariser Becken Isensee Oldenburg 2001 Andre Leroi Gourhan Die Religionen der Vorgeschichte Suhrkamp Frankfurt am Main 1981 ISBN 3 518 11073 X Felix Muller Gotter Gaben Rituale Religion in der Fruhgeschichte Europas Philipp von Zabern Darmstadt 2002 Hermann Muller Karpe Geschichte der Gottesverehrung von der Altsteinzeit bis zur Gegenwart Bonifatius Paderborn 2005 Max Raphael Wiedergeburt in der Altsteinzeit Zur Geschichte der Religion und religioser Symbole Herausgegeben von Shirley Chesney und Ilse Hirschfeld Fischer Taschenbuch Verlag Frankfurt am Main 1979 Brigitte Roder Juliane Hummel Brigitta Kunz Gottinnendammerung Das Matriarchat aus archaologischer Sicht Munchen 1996 Homayun Sidky On the Antiquity of Shamanism and its Role in Human Religiosity In Method and Theory in the Study of Religion Band 22 Brill 2010 Noel W Smith An Analysis of Ice Age Art Its Psychology and Belief Systems Lang New York 1992 Siegfried Vierzig Mythen der Steinzeit Das religiose Weltbild der fruhen Menschen BIS Verlag der Carl von Ossietzky Universitat Oldenburg 2009 Ina Wunn Wohin die Toten gehen Kult und Religion in der Steinzeit Isensee Oldenburg 2000 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