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Die Humanethologie ist ein Zweig der Verhaltensbiologie der vor dem Hintergrund dass auch der Mensch das Resultat einer langen stammesgeschichtlichen Entwicklungsreihe ist insbesondere jene Verhaltensweisen unserer Art erforscht die als angeboren gelten konnen bzw die angeborene Grundlagen haben Die moderne Humanethologie bezieht sowohl die Ergebnisse der klassischen Ethologie der Soziobiologie sowie beispielsweise der Lerntheorie mit ein siehe beispielsweise proximate und ultimate Ursachen von Verhalten Der bekannteste deutschsprachige Forscher und Begrunder dieses Gebietes ist Irenaus Eibl Eibesfeldt Fachlich nahestehende habilitierte Wissenschaftler sind im deutschsprachigen Raum beispielsweise Norbert Bischof Doris Bischof Kohler Karl Grammer Gabriele Haug Schnabel und Wulf Schiefenhovel Diese Suche nach Verhaltensweisen des Menschen die in unterschiedlichsten Kulturen in annahernd gleicher Auspragung vorkommen hat immer wieder temperamentvoll gefuhrte Auseinandersetzungen provoziert Denn sie widerspricht schon im Ansatz Anschauungen denen zufolge der Mensch einzig und allein durch Erziehung also durch Lernen in seiner Entwicklung bestimmt werde Inzwischen hat sich jedoch die Einsicht weithin durchgesetzt dass angeborene Grundlagen des Verhaltens zum Beispiel die Steuerung der Gesichtsmuskeln beim Lacheln und erlernte Verhaltensmuster gemeinsam das menschliche Verhalten formen Durch Erziehung und Kultur werden beispielsweise angeborene Grundlagen die sozial und psychohygienisch vorteilhaft sind zum Teil verstarkt andere erweisen sich vielfach als Burden die das soziale Zusammenleben erschweren konnen und werden haufig kulturell abgeschwacht und unterdruckt Inhaltsverzeichnis 1 Forschungsansatze und Forschungsthemen 2 Humanethologie in der Archaologie 3 Literatur 4 Weblinks 5 BelegeForschungsansatze und Forschungsthemen BearbeitenAus der Stammesgeschichte des Menschen ableitbare angeborene Verhaltensweisen werden von den Humanethologen mit unterschiedlichen Forschungsansatzen untersucht Angeborenes Verhalten bei Neugeborenen Bei Neugeborenen konnte beispielsweise nachgewiesen werden dass sie ohne jede Vorerfahrung die durch Lernen erklarbar ware spontan atmen sich an dunnen Gegenstanden sogar an frei hangenden Wascheleinen mit den Handen festklammern und laut schreien Bei gehorlos und blind geborenen Kindern konnte der Nachweis gefuhrt werden dass sie wie sehende und horende Kinder lachen weinen erroten und die charakteristische Mimik des Verlegenseins beherrschen auch diese Verhaltensweisen sind ohne Lernen im Verhaltensrepertoire des Menschen enthalten Angeborene Erkenntnisleistungen Untersuchungen zum angeborenen Erkennen von bestimmten Verhaltensweisen speziell der Mimik von anderen Personen haben es sehr wahrscheinlich gemacht dass Menschen bestimmte Reizmerkmale zum Beispiel die relative Hohe der Nase im Verhaltnis zu den Augen ohne spezielle Vorerfahrung in bestimmter Weise interpretieren und dass daher das Kamel als hochmutig eingeschatzt wird weil es die Nase in Relation zu den Augen sehr weit oben am Kopf tragt Vergleich der Abfolge von Entwicklungsschritten beim Kleinkind Es konnte nachgewiesen werden dass zum Beispiel das Erlernen einer Sprache oder auch mehrerer Sprachen wahrend eines offenbar besonders hierfur empfanglichen Lebensabschnitts wesentlich leichter geschieht als spater im Erwachsenenleben Kulturvergleichende Verhaltensforschung Die Auswertung von Verhaltensprotokollen und Filmaufnahmen von Menschen unterschiedlicher Kulturkreise zeigte dass viele soziale Verhaltensweisen sich weitgehend gleichen So werden Kleinkinder von ihren Muttern uberall in ahnlicher Weise liebkost also zum Beispiel gestreichelt und gekusst Die Mutter sprechen in allen Kulturen mit den Kleinkindern in besonders hoher Stimmlage und nicken ihnen zu Ferner gilt das Starren uberall als bedrohlich der Augengruss hingegen als Ausdruck freudigen Erkennens Vergleich des Verhaltens von Menschen und Menschenaffen Dieser Vergleich hat es zum Beispiel ermoglicht das gegenseitige Umarmen und das Zahnezeigen bei grosser Wut als altes Primatenerbe zu identifizieren Auf empirischen Forschungsergebnissen dieser Art unternimmt die Humanethologie den Versuch die Grundlagen von kulturell bedingten Traditionen auf ererbte Bausteine des Verhaltens zuruckzufuhren So wurden u a die Bereitschaft zur Unterordnung und zum Gehorsam aber auch das Streben nach Anerkennung die Unduldsamkeit gegen Aussenseiter aber auch die Neigung zur Selbstlosigkeit und zum Herstellen von freundlichen Kontakten zu anderen Menschen auf ererbte also biologisch erklarbare Mechanismen zuruckgefuhrt Solche sehr weitgehenden Aussagen die zudem kaum je durch eindeutige experimentelle Belege gestutzt wurden sind jedoch umstritten In der humanethologischen Forschung werden weiterhin Verhaltensweisen zum Teil nicht nur im Kontext ihrer Gegenspieler oder Antagonisten beispielsweise Aggression und Aggressionshemmung untersucht sondern auch in ihrer Verschrankung mit Lernen beispielsweise Lebensgeschichte Instinkt Kulturverschrankungen und mit dem Intellekt Nikolaas Tinbergen Nicolai Hartmann Humanethologie in der Archaologie BearbeitenDie in den 1970er Jahren entwickelten Konzepte der Kulturethologie sowie des Mems haben bei Archaologen bereits kurz darauf zum Nachdenken uber neue Erklarungsansatze bei der Tradierung palaolithischer Werkzeuge gefuhrt Artefakte zum Beispiel Faustkeile sind damit nicht nur Werkzeuge sondern auch Trager memetisch transportierter Traditionen und spiegeln ein kollektives Gedachtnis von Homo erectus wider Dieser Ansatz implizierte die Moglichkeit des Gegenteils Faustkeile entstehen aus ethologisch naheliegenden Erkenntnisleistungen ohne dass sie notwendigerweise tradiert werden 1 International beachtet wurde die 1986 erschienene Arbeit von Joachim Hahn uber die These die Korpersprache von Kleinkunstwerken des Aurignacien der Schwabischen Alb transportierten Kraft und Aggression was aus der Ubertragung tierischer Abwehr bzw Angriffshaltungen auf die Hersteller der Figuren abgeleitet wird 2 Damit wurde eine plausible Verknupfung aus ethologischen Merkmalen eines tierischen Totems fur seine Trager hergestellt Etwa zur gleichen Zeit stellten Forscher um David Lewis Williams erstmals einen Interpretationsansatz palaolithischer Petroglyphen und Hohlenmalerei vor der die ethologischen Aspekte von Trance Zustanden in Kunstwerken des Jungpalaolithikums mit rezenten Erscheinungen verglich 3 4 5 Die Erforschung solch humanethologisch ableitbarer weil neurobiologisch bedingter Bewusstseinszustande prahistorischer Menschen wird auch als Kognitive Archaologie zusammengefasst Mit der Etablierung der Humanethologie als eigenstandige Wissenschaft richtet sich das Interesse zunehmend auf konkrete Gesten und Korpersprache in urgeschichtlichen Kunstwerken insbesondere des Neolithikums und jungerer vorgeschichtlicher Epochen 6 Die Einfuhrung des Themas in archaologischer Fachliteratur ging dabei massgeblich von Humanethologen selbst aus 7 Erst in jungerer Zeit werden humanethologische Erkenntnisse zur Interpretation von archaologischen Funden herangezogen 8 9 10 In einer Dauerausstellung uber menschliches Verstehen wird im Monrepos Forschungszentrum und Museum fur menschliche Verhaltensevolution in Neuwied erlautert wie die fruhe Menschheitsgeschichte unser Verhalten bis heute bestimmt 11 Literatur BearbeitenIrenaus Eibl Eibesfeldt Die Biologie des menschlichen Verhaltens Grundriss der Humanethologie 3 Auflage Seehamer Weyarn 1997 ISBN 3 932131 34 7 Konrad Lorenz Die Naturwissenschaft vom Menschen Piper Munchen 1992 ISBN 3 492 03082 3 Konrad Lorenz Die acht Todsunden der zivilisierten Menschheit Piper Munchen 2005 ISBN 3 492 04727 0 Steven Pinker Das unbeschriebene Blatt die moderne Leugnung der menschlichen Natur Berlin Verlag Berlin 2003 ISBN 3 8270 0509 4 Bernhard Hassenstein Verhaltensbiologie des Kindes Monsenstein und Vannerdat Munster 2007 ISBN 978 3 938568 51 4 Gerhard Medicus Was uns Menschen verbindet Angebote zur Verstandigung zwischen Natur Kultur und Geisteswissenschaften VWB Verlag f Wissenschaft und Bildung 5 Auflage 2020 ISBN 978 3 86135 616 5 6 Auflage 2022 ISBN 978 3 86135 617 2 online verfugbar in der Digitalen Bibliothek der Universitat Innsbruck doi 10 25651 1 2022 0001Weblinks Bearbeiten nbsp Wiktionary Humanethologie Bedeutungserklarungen Wortherkunft Synonyme Ubersetzungen Essay Humanethologie von Irenaus Eibl Eibesfeldt im Lexikon der Biologie auf spektrum de International Society for Human EthologyBelege Bearbeiten Thomas Wynn The intelligence of later Acheulean hominids In Man New Series Band 14 Nr 3 1979 S 371 391 doi 10 2307 2801865 Joachim Hahn Kraft und Aggression Die Botschaft der Eiszeitkunst im Aurignacien Suddeutschlands Archaeologica Venatoria Band 7 Tubingen 1986 ISBN 3 921618 74 X J D Lewis Williams u a The Signs of All Times Entoptic Phenomena in Upper Palaeolithic Art and Comments and Reply In Current Anthropology Band 29 Nr 2 1988 S 201 245 D J Lewis Williams J Clottes The mind in the cave the cave in the mind altered consciousness in the Upper Palaeolithic In Anthropology of Consciousness Band 9 Nr 1 1998 S 13 21 doi 10 1525 ac 1998 9 1 13 D J Lewis Williams J Clottes The Shamans of prehistory trance magic and the painted caves Abrams New York 1998 ISBN 0 8109 4182 1 Irenaus Eibl Eibesfeldt Christa Sutterlin Im Banne der Angst Zur Natur und Kunstgeschichte menschlicher Abwehrsymbolik Piper Munchen Zurich 1992 ISBN 3 492 03387 3 Christa Sutterlin Ethologische Aspekte des Gestus weiblicher Schamprasentation In Ethnographisch Archaologische Zeitschrift Band 34 Nr 3 1993 S 354 379 Erika Qasim Frauenstatuetten Zwei Gesten als Teil der Darstellung In ArchaeNova e V Hrsg Erste Tempel Fruhe Siedlungen Isensee Oldenburg 2009 ISBN 978 3 89995 563 7 S 161 185 Adeline Schebesch Five Anthropomorphic Figurines of the Upper Paleolithic Communication Through Body Language In Mitteilungen der Gesellschaft fur Urgeschichte Band 22 2013 S 61 100 Volltext PDF Memento vom 4 Marz 2016 im Internet Archive Adeline Schebesch Der Lowenmensch ein Wesen mit Korpersprache Memento vom 25 Februar 2014 im Internet Archive PDF 2 1 MB Webseiten der Monrepos Dauerausstellung menschliches VerstehenNormdaten Sachbegriff GND 4072652 6 lobid OGND AKS Abgerufen von https de wikipedia org w index php title Humanethologie amp oldid 234481261