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Nach kontinentaleuropaischem Rechtsverstandnis bezeichnet die lateinische Kurzformel nullum crimen nulla poena sine lege kein Verbrechen keine Strafe ohne Gesetz das Gesetzlichkeitsprinzip bzw den Gesetzlichkeitsgrundsatz im Strafrecht Hieraus ergeben sich die Garantiefunktionen des Strafgesetzes im Rechtsstaat Verbrechen crimen ist somit allein das was der Gesetzgeber zur Straftat erklart hat Nur ein formelles Gesetz kann daher die Strafbarkeit einer Handlung begrunden 1 Das Gesetzlichkeitsprinzip ist im Wesentlichen eine Errungenschaft der Epoche der Aufklarung 2 Es wird im deutschsprachigen Raum insbesondere auf Paul Johann Anselm von Feuerbach 3 zuruckgefuhrt 4 2 Die Langfassung der lateinischen Formel nullum crimen nulla poena sine lege scripta praevia certa et stricta umschreibt die vier Einzelprinzipien des Gesetzlichkeitsprinzips 5 Notwendigkeit zur schriftlichen Fixierung der Strafbarkeit Verbot strafbegrundenden Gewohnheitsrechts nulla poena sine lege scripta Notwendigkeit der Fixierung vor Begehung der Tat strafrechtliches Ruckwirkungsverbot nulla poena sine lege praevia Notwendigkeit hinreichender Bestimmtheit des Gesetzes strafrechtlicher Bestimmtheitsgrundsatz nulla poena sine lege certa Verbot von Analogie zu Lasten des Taters uber den Wortlaut des Gesetzes hinaus Analogieverbot im Strafrecht nulla poena sine lege stricta Das Gesetzlichkeitsprinzip gehort in einer Vielzahl nationaler Rechtsordnungen zu den verfassungsrechtlich und menschenrechtlich geschutzten Justizgrundrechten Streng angewendet wird das Gesetzlichkeitsprinzip in Rechtsordnungen des kontinentaleuropaischen Rechtskreises in denen das geltende Recht weitgehend kodifiziert ist Gewisse Einschrankungen bestehen demgegenuber innerhalb von Rechtsordnungen in welchen das Fallrecht eine eigenstandige Rechtsquelle darstellt insbesondere in Staaten des Common Law Rechtskreises 6 sowie im Volkerstrafrecht 7 Das Gesetzlichkeitsprinzip als grundlegende Bestimmung des materiellen Strafrechts ist strikt zu unterscheiden vom strafprozessualen Legalitatsprinzip Ermittlungspflicht der Strafverfolgungsbehorden obwohl beide Begriffe im Englischen gleich ubersetzt werden principle of legality Von der Regel nulla poena sine lege ausgenommen sind aus heutiger volkerrechtlicher Sicht in Bezug auf nationales Recht Volkerrechtsverbrechen siehe Nurnberg Klausel und in Deutschland Taten die nur wegen eines unertraglich ungerechten d i Volkerrechtsverbrechen legalisierenden Gesetzes legal sind siehe Radbruch sche Formel Inhaltsverzeichnis 1 Kontinentaleuropaische Rechtstradition 1 1 Ideengeschichte 1 2 Einzelauspragungen 1 2 1 Gesetzesvorbehalt nulla poena sine lege scripta 1 2 2 Bestimmtheitsgebot nulla poena sine lege certa 1 2 3 Ruckwirkungsverbot nulla poena sine lege praevia 1 2 4 Analogieverbot nulla poena sine lege stricta 1 3 Rechtslage in einzelnen Staaten 1 3 1 Deutschland 1 3 2 Frankreich 1 3 3 Italien 1 3 4 Osterreich 1 3 5 Polen 1 3 6 Spanien 1 3 7 Turkei 2 Anglo amerikanische Rechtstradition 3 Volkerrecht 4 Weitere Rechtsgebiete 5 Siehe auch 6 Literatur 7 Weblinks 8 EinzelnachweiseKontinentaleuropaische Rechtstradition BearbeitenIdeengeschichte Bearbeiten Erstmals ausdrucklich formuliert wurde das Postulat nulla poena nullum crimen sine lege keine Strafe ohne Gesetz kein Verbrechen ohne Gesetz von Paul Johann Anselm von Feuerbach in seinem Lehrbuch des gemeinen in Deutschland gultigen peinlichen Rechts aus dem Jahr 1801 3 Feuerbach griff hierbei auf vorangegangene staats und rechtstheoretische Uberlegungen anderer europaischer Philosophen und Juristen der Aufklarung zuruck und fuhrte diese in der lateinischen Kurzformel begrifflich zusammen Auch existierten bereits jedenfalls in Ansatzen dem strafrechtlichen Gesetzlichkeitsprinzip entsprechende Regelungen im positiven Recht wie etwa in 1 des Josephinischen Strafgesetzes von 1787 und in Artikel 8 der franzosischen Erklarung der Menschen und Burgerrechte von 1789 Der im Gesetzlichkeitsprinzip fur den Bereich des Strafrechts verwirklichte Grundsatz der Gewaltenteilung wurde insbesondere von Montesquieu in seinem zentralen Werke Vom Geist der Gesetze von 1748 entwickelt Zudem stellt Cesare Beccarias einflussreiches Werk Dei delitti e delle pene von 1764 ein bedeutsames strafrechtstheoretisches Fundament des Gesetzlichkeitsprinzips dar Sie findet sich allerdings auch bereits fest im Rechtskommentar Jacques Cujas des Codex Iustinianus verankert wenn er meint Nam Magistratus sine lege nullam poenam infligere potest Poena est a lege 8 Weiterhin finden sich naturrechtliche Begrundungen des Gesetzlichkeitsprinzips in der Scholastik und Spanischen Spatscholastik in der Auseinandersetzung uber die Voraussetzungen eines strafenden Gewissens Auf dem Ezechiel Kommentar Sophronius Eusebius Hieronymus aufbauend 9 untersuchten z B Thomas von Aquin und Francisco Suarez die formalen Bedingungen der Gewissensstrafe Thomas verortete die Bedingungen in der Synderesis einem formalen tatigen Bestandteil der menschlichen Seele 10 Durch ihn ist die Erkenntnis im Verstand formal moglich wie man der menschlichen Natur gemass handelt Die Synderesis beinhaltet daher schon bei patristischen Autoren ein Gesetz was gebietet wie man als Mensch handeln muss 11 Im Einzelfall ist dieses Gesetz inhaltlich bestimmt und zeigt sich fur die Scholastiker in einer Tatigkeit des Verstandes die seit Thomas conscientia genannt wird 12 Moglicher Inhalt der conscientia ist das Strafen entsprechend dem Inhalt der Synderesis wenn man nicht der menschlichen Natur entsprechend gehandelt hat Eine solche Strafe ist z B der Wahnsinn der seit der Antike als Gewissensstrafe angesehen wird Wie es beispielsweise in der Orestie beschrieben ist Nach Suarez besteht die Strafe letztlich in der Erkenntnis einer Verpflichtung naturgemass zu handeln um ein vergangenes Vergehen ungeschehen zu machen 13 Weil das Vergehen aber vergangen ist und somit unabanderlich ist ist man zu Unmoglichen verpflichtet Die conscientia verpflichtet somit auf der Grundlage der Synderesis die zur Natur des Menschen gehort zu einem bestimmten Verhalten 14 namlich Unmogliches zu tun Gewissenhafte Menschen schrankt sie somit derart ein dass sie ihren eigenen Willen nur noch eingeschrankt bestimmen konnen 15 Denn sie konnen an nichts anderes mehr denken als der Verpflichtung nachzukommen Weil somit durch die conscientia eine Einschrankung des Verstandes vorliegt spricht man von einem Ubel 16 einem malum metaphysicum Die Einschrankung bezieht sich namlich auf eine metaphysische Eigenschaft eines Menschen Das Gesetz nach dem das malum metaphysicum zugefugt wird ist durch die menschliche Natur selbst gegeben Daher erfolgt nach scholastischer Sichtweise die Gewissensstrafe aufgrund der Verletzung des Naturrechts 17 Der Grundsatz nulla poena sine lege ist als Teilaspekt und Ausfluss des Projekts der Aufklarung und der gesamteuropaischen Strafrechtsformbewegung des 18 und fruhen 19 Jahrhunderts zu verstehen In ihm verwirklichten sich Bestrebungen um eine Rationalisierung des Strafrechts um eine Differenzierung zwischen Recht und Moral und um die Trennung von legislativer und judikativer Gewalt im Rechtsstaat Der Grundsatz nulla poena sine lege steht damit im Kontext zu anderen fundamentalen Prinzipien rechtsstaatlichen Straf und Strafprozessrechts wie etwa dem Schuldprinzip nulla poena sine culpa dem Anspruch auf Rechtliches Gehor dem Zweifelssatz in dubio pro reo der Unschuldsvermutung dem Doppelbestrafungsverbot ne bis in idem sowie weiteren Justizgrundrechten In der Rechtswissenschaft wird teils versucht die theoretischen Wurzeln aus dem antiken romischen Recht herzuleiten Weitgehend unumstritten ist dass das Gesetzlichkeitsprinzip nach heutigen Verstandnis kein Charakteristikum des romischen Rechts war Einige Autoren wollen aber im Rechtsdenken einzelner bedeutender romischer Intellektueller wie dem Juristen Ulpian oder dem Gerichtsredner Cicero bereits Ansatze des Gesetzlichkeitsprinzips erkennen Wolfgang Schuller der sich der Thematik in einer Festschrift fur Helmut Quaritsch mit einem eigenen Aufsatz angenommen hatte 18 betont dass der Rechtssatz der Antike inhaltlich zwar nicht vollig ungelaufig war dort aber nicht herruhrt 19 Einzelauspragungen Bearbeiten Das Gesetzlichkeitsprinzip im Strafrecht ist durch die Rechtsprechung und die Rechtswissenschaft schrittweise weiter ausdifferenziert worden und wird heute ublicherweise in vier Einzelprinzipien untergliedert Zwar bestehen im Detail Unterschiede zwischen den verschiedenen Staaten mit kontinentaleuropaischer Rechtstradition in der konkreten Auslegung und Anwendung des Gesetzlichkeitsprinzips Die grundlegenden massgeblichen Prinzipien sind indes identisch und deren Einhaltung wird bei den Unterzeichnerstaaten der Europaischen Menschenrechtskonvention durch die Rechtsprechung des Europaischen Gerichtshofs fur Menschenrechte sichergestellt Gesetzesvorbehalt nulla poena sine lege scripta Bearbeiten Nulla poena sine lege unterliegt dem Vorbehalt des Gesetzes Die Strafbarkeit eines Verhaltens Tun oder Unterlassen zu bestimmen ist allein dem Gesetzgeber zugewiesen da Straftatbestande schriftlich fixiert sein mussen Strafbarkeit aufgrund von Gewohnheitsrecht ist folglich verboten eine positive Regelung gewohnheitsrechtlicher Tatbestande unterliegt exklusiver staatsrechtlicher Kompetenzzuordnung In modernen Verfassungen in denen der Gesetzgeber das Parlament ist wirkt die Regel zugleich als Parlamentsvorbehalt und hat eine demokratische Funktion indem sie der Volksvertretung die Macht in der Kriminalpolitik zuweist In Verfassungen mit konsequent angewandter Gewaltenteilung entzieht die Norm zugleich den Gerichten die Moglichkeit die Strafbarkeit einer Tat selbst zu bestimmen deren ausschliessliche Aufgabe ist die Anwendung von bereits bestehenden Normen Bestimmtheitsgebot nulla poena sine lege certa Bearbeiten Hauptartikel Bestimmtheitsgrundsatz Das Bestimmtheitsgebot beschrankt den Gestaltungsspielraum des Gesetzgebers indem sie ihm verbietet Normen zu schaffen die nicht hinreichend bestimmt sind und die es dem Rechtsanwender uberliessen den Umfang der Strafbarkeit zu erweitern etwa durch Klauseln wie oder ahnliche Handlungen oder sonstige Handlungen Ruckwirkungsverbot nulla poena sine lege praevia Bearbeiten Hauptartikel Ruckwirkung Das Ruckwirkungsverbot besagt dass eine Bestrafung nur moglich ist wenn die dem Tater vorgeworfene Handlung zur Zeit ihrer Ausfuhrung bereits mit Strafe bedroht war Analogieverbot nulla poena sine lege stricta Bearbeiten Hauptartikel Analogieverbot Der Wortlaut einer Strafnorm bildet die ausserste Grenze der zulassigen Norminterpretation Das Schliessen von Strafbarkeitslucken durch eine Interpretation uber die Wortlautgrenze hinaus Analogie zu Lasten des Beschuldigten ist den Gerichten verboten Ein Analogieschluss zugunsten des Beschuldigten ist hingegen zulassig Rechtslage in einzelnen Staaten Bearbeiten Deutschland Bearbeiten nbsp Anselm von Feuerbach deutscher Rechtswissenschaftler 1775 1833 In Deutschland gilt Paul Johann Anselm von Feuerbach als derjenige der das Postulat in seinem Lehrbuch des gemeinen in Deutschland gultigen peinlichen Rechts Giessen 1801 3 einfuhrte 4 2 Im von Feuerbach entworfenen Bayerischen Strafgesetzbuch von 1813 wurde das Gesetzlichkeitsprinzip fur den deutschsprachigen Raum erstmals gesetzlich fixiert Diese Grundbestimmung wurde vom Preussischen Strafgesetzbuch von 1851 sodann vom Strafgesetzbuch fur den Norddeutschen Bund 20 von 1870 ubernommen und nach der Grundung des Deutschen Reiches schliesslich im 1871 geschaffenen Reichsstrafgesetzbuch 21 festgeschrieben In der Weimarer Republik wurde der Grundsatz Nulla poena sine lege in Artikel 116 der Weimarer Verfassung 22 verfassungsrechtlich verankert Zur Zeit des Nationalsozialismus wurde das Gesetzlichkeitsprinzip zunachst im Einzelfall mit der Lex van der Lubbe und 1935 23 dann generell aufgehoben Stattdessen wurde in 2 StGB folgendes kodifiziert Bestraft wird wer eine Tat begeht die das Gesetz fur strafbar erklart oder die nach dem Grundgedanken eines Strafgesetzes und nach gesundem Volksempfinden Bestrafung verdient Findet auf die Tat kein bestimmtes Strafgesetz unmittelbar Anwendung so wird die Tat nach dem Gesetz bestraft dessen Grundgedanke auf sie am besten zutrifft Heute ist er in Deutschland sowohl in 1 StGB als auch in der Verfassung aufgenommen Art 103 Abs 2 GG Gegen Verletzungen dieses grundrechtsgleichen Rechts steht nach Art 93 Abs 1 Nr 4a GG die Verfassungsbeschwerde offen Dadurch soll die Strafrechtsanwendung von vornherein einen rechtsstaatlichen Rahmen bekommen und ein Gefuhlsstrafrecht verhindern Das strafrechtliche Gesetzlichkeitsprinzip ist dabei eine spezielle Auspragung des Rechtsstaatsprinzips Art 20 Abs 1 und 3 GG Frankreich Bearbeiten nbsp Baron de Montesquieu franzosischer Philosoph und Staatstheoretiker 1689 1755 In Frankreich wird das Gesetzlichkeitsprinzip insbesondere auf die Uberlegungen Montesquieus zur Gewaltenteilung zuruckgefuhrt und ist zentraler Bestandteil des franzosischen Strafrechts 24 Gesetzgeberisch hat es erstmal in Artikel 5 und 8 der Erklarung der Menschen und Burgerrechte von 1789 Niederschlag gefunden Es findet sich in den nachrevolutionaren Verfassungen und in Artikel 4 des franzosischen Strafgesetzbuches von 1810 25 Im heute gultigen franzosischen Strafgesetzbuch von 1992 findet es sich im ersten Kapitel Art 111 2 111 3 26 Italien Bearbeiten nbsp Cesare Beccaria italienischer Rechtsphilosoph und Strafrechtsreformer 1738 1794 Zuruckgehend auf die Uberlegungen Beccarias hat das Gesetzlichkeitsprinzip in Italien im 19 Jahrhundert Eingang in die Gesetzgebung gefunden 27 Ausdrucklich geregelt war das Gesetzlichkeitsprinzip im Strafgesetzbuch des Konigreichs beider Sizilien von 1819 in den Strafgesetzbuchern fur die sardischen Staaten von 1839 bzw 1859 sowie im toskanischen Strafgesetzbuch von 1853 27 Nach der Einigung Italiens wurde das Gesetzlichkeitsprinzip in Artikel 1 des Codice Zardanelli von 1889 verankert 27 Diese Bestimmung ist nahezu wortgleich in das heute geltende Italienische Strafgesetzbuch Codice Rocco von 1930 ubernommen worden 27 Seit 1948 hat das Gesetzlichkeitsprinzip im italienischen Strafrecht Verfassungsrang Artikel 25 der Verfassung Italiens Osterreich Bearbeiten In Osterreich wird der Grundsatz keine Strafe ohne Gesetz im 1 des Strafgesetzbuchs geregelt Durch Unterzeichnung der Europaischen Menschenrechtskonvention im Jahre 1958 ist Osterreich volkerrechtlich spatestens durch BGBl Nr 59 1964 auch verfassungsrechtlich an diesen Grundsatz Art 7 EMRK gebunden Davor war das Prinzip nur einfachgesetzlich im Artikel IV des StG der Vorganger des StGB festgeschrieben und konnte daher dadurch ubergangen werden dass eine neu geschaffene Strafnorm ihre Anwendung auch auf Taten in der Vergangenheit vorsah da diese Ruckwirkungsbestimmung den Grundsatz keine Strafe ohne Gesetz als lex specialis verdrangen wurde So sah etwa die Strafgesetznovelle 1931 mit der ins StG ein neuer 205c Untreue eingefugt wurde in Artikel III ausdrucklich ihre ruckwirkende Geltung vor Dieses Gesetz tritt am 15 Dezember 1931 in Kraft Seine Bestimmungen sind auch auf Handlungen anzuwenden die vor diesem Tage begangen worden sind wenn nicht seither die Verjahrungszeit abgelaufen ist 28 Wilhelm Malaniuk begrundete nach 1945 die Zulassigkeit der Nichtanwendung des Ruckwirkungsverbotes bei Kriegsverbrechergesetz und Verbotsgesetz fur Verbrechen des NS Regimes Denn dabei handelt es sich um strafbare Handlungen welche die Gesetze der Menschlichkeit so groblich verletzen dass solchen Rechtsbrechern kein Anspruch auf die Garantiefunktion des Tatbestandes zukommt Die Verbrechen des nationalsozialistischen Regimes stellen weiters Verletzungen von Vertragen und des Volkerrechtes dar 29 Polen Bearbeiten Das Gesetzlichkeitsprinzip war in den polnischen Strafgesetzen von 1932 und 1969 enthalten 30 Heute ist es in Artikel 42 Abs 1 S 1 der polnischen Verfassung von 1997 und in Artikel 1 1 des polnischen Strafgesetzbuches kodifiziert 31 Spanien Bearbeiten In samtlichen spanische Verfassungen des 19 Jahrhunderts sind Elemente des Gesetzlichkeitsprinzips zu finden 32 In der heutigen spanischen Verfassung ist das Gesetzlichkeitsprinzip in Artikel 8 und Artikel 25 niedergelegt 33 Das heute gultige spanischen Strafgesetzbuch Codigo Penal schreibt das Gesetzlichkeitsprinzip in Artikel 1 2 und 4 fest 34 Turkei BearbeitenIn der Verfassung der Republik Turkei findet sich der Grundsatz Nulla poena sine lege in Artikel 38 Absatz 1 Niemand darf wegen einer Straftat bestraft werden die nicht aufgrund eines im Zeitpunkt der Begehung in Kraft befindlichen Gesetzes als solche gegolten hat niemand darf eine hartere Strafe erhalten als diejenige welche durch das im Zeitpunkt der Begehung der Straftat bestehende Gesetz fur diese Straftat bestimmt wurde 35 Anglo amerikanische Rechtstradition BearbeitenWahrend in Staaten mit kontinentaleuropaischer Rechtstradition die vom Gesetzgeber verabschiedeten formellen Gesetze die massgeblichen Rechtsquellen darstellen bilden im anglo amerikanischen Rechtskreis Prazedenzfalle die primare Rechtsquelle Hieraus ergeben sich grundlegende Unterschiede bei der Ausgestaltung des Nulla poena sine lege Grundsatzes Dieser ist zwar auch Bestandteil der anglo amerikanischen Rechtsordnung inhaltlich aber in vielen Bereichen grundlegend anders ausgepragt Das US amerikanische Strafrecht etwa kennt ein Verbot ruckwirkender Bestrafung ex post facto prohibition sowie eine dem Bestimmtheitsgrundsatz in Ansatzen ahnelnde sog vagueness prohibition 36 Die Ausformulierung von Straftatbestanden in formellen Gesetzen durch den Gesetzgeber ist hingegen nicht erforderlich 36 Ein Analogieverbot besteht ebenso wenig vielmehr stellt die Analogie eine ubliche Methodik der Rechtsfindung im Strafrecht dar Volkerrecht BearbeitenDer Grundsatz nulla poena sine lege ist in einer Vielzahl volkerrechtlicher Vertrage niedergelegt etwa in Artikel 7 der Europaischen Menschenrechtskonvention in Artikel 9 der Amerikanischen Menschenrechtskonvention und in Artikel 15 des Internationalen Paktes uber burgerliche und politische Rechte Zu beachten ist dabei dass Rechtsquelle des Volkerrechts nicht allein das kodifizierte Volkervertragsrecht ist sondern das nicht kodifizierte Volkergewohnheitsrecht und die ebenfalls nicht kodifizierten allgemeinen Rechtsgrundsatze ebenfalls fester Bestandteil des Volkerrechts sind vgl Art 38 I lit a b c des Statuts des Internationalen Gerichtshofes 37 Zum gesicherten Bestand des Volkergewohnheitsrechts gehoren insbesondere die Kernverbrechen des Volkerstrafrechts Volkermord Verbrechen gegen die Menschlichkeit Kriegsverbrechen sowie zumindest im Grundsatz das Verbrechen der Aggression Einer Verurteilung wegen der Begehung eines Volkerrechtsverbrechens steht der nulla poena sine lege Grundsatz daher auch dann nicht entgegen wenn das jeweilige nationale Strafrecht entsprechende Taten nicht explizit unter Strafe stellt In den einschlagigen menschenrechtlichen Abkommen wird dies durch die sog Nurnberg Klausel klargestellt z B Art 7 Absatz 2 EMRK Dieser Artikel schliesst nicht aus dass jemand wegen einer Handlung oder Unterlassung verurteilt oder bestraft wird die zur Zeit ihrer Begehung nach den von den zivilisierten Volkern anerkannten allgemeinen Rechtsgrundsatzen strafbar war Die deutsche Rechtsprechung ist durch Anwendung der Radbruch schen Formel im Ergebnis zu ahnlichen Ergebnissen gelangt Laut Bundesverfassungsgericht findet das Ruckwirkungsverbot keine Anwendung fur Taten die nur wegen eines unertraglich ungerechten Gesetzes legal sind 38 Gesetze die Volkerrechtsbruch legalisieren gelten dabei als unertraglich ungerechte Gesetze Rechtshistorisch umstritten ist inwiefern die Verurteilungen wegen der Fuhrung eines Angriffskrieges im Nurnberger Prozess gegen die Hauptkriegsverbrecher gegen das Verbot ruckwirkender Bestrafung verstossen hat 39 Bei den Tokioter Prozessen pladierte so der indische Vertreter Radhabinod Pal u a auf Grund des nulla poena sine lege Grundsatzes fur Freispruch der Angeklagten Das heute geltende Volkerstrafrecht ist demgegenuber kaum noch Bedenken im Hinblick auf den nulla poena sine lege Grundsatz im kontinentaleuropaisch strengen Sinne ausgesetzt da es mit der Schaffung des Romischen Statuts des internationalen Strafgerichtshofs nunmehr weitgehend kodifiziert ist Im Statut selbst ist der nullum crimen nulla poena sine lege Grundsatz in Artikel 22 23 verankert Weitere Rechtsgebiete BearbeitenDer Grundsatz ist inzwischen auf andere Rechtsgebiete ausgeweitet und weitgehend anerkannt so etwa im Steuerrecht nullum tributum sine lege Siehe auch BearbeitenLatein im RechtLiteratur BearbeitenHans Ludwig Schreiber Gesetz und Richter Studien zur geschichtlichen Entwicklung des Satzes nullum crimen nulla poena sine lege Metzner Frankfurt am Main 1976 ISBN 3 7875 5224 3 Zugleich Habilitationsschrift an der Universitat Bonn 1971 Markus Kenntner Der deutsche Sonderweg zum Ruckwirkungsverbot Pladoyer fur die Aufgabe eines uberholten Verweigerungsdogmas In Neue Juristische Wochenschrift Beck 1997 ISSN 0341 1915 S 2298 ff Volker Krey Keine Strafe ohne Gesetz Einf in d Dogmengeschichte d Satzes nullum crimen nulla poena sine lege De Gruyter Berlin u a 1983 ISBN 3 11 009750 8 Friedrich Christian Schroeder Der Bundesgerichtshof und der Grundsatz nulla poena sine lege In Neue Juristische Wochenschrift Nr 52 Beck 1999 ISSN 0341 1915 S 89 93 Ingo Bott Paul Krell Der Grundsatz nulla poena sine lege im Lichte verfassungsgerichtlicher Entscheidungen In Zeitschrift fur das Juristische Studium 2010 S 694 ff zjs online com PDF Hartmut Maurer Rechtsstaatliches Prozessrecht In Peter Badura Horst Dreier Hrsg Festschrift 50 Jahre Bundesverfassungsgericht Band II Klarung und Fortbildung des Verfassungsrechts Mohr Siebeck Tubingen 2001 ISBN 3 16 147627 1 S 471 ff Bernd Schunemann Nulla poena sine lege rechtstheoretische und verfassungsrechtliche Implikationen der Rechtsgewinnung im Strafrecht De Gruyter Berlin u a 1978 ISBN 3 11 007591 1 Weblinks Bearbeiten nbsp Wiktionary nulla poena sine lege Bedeutungserklarungen Wortherkunft Synonyme UbersetzungenEinzelnachweise Bearbeiten Vgl Johannes Wessels Werner Beulke Strafrecht Allgemeiner Teil 42 Aufl 2012 S 12 Rn 44 Rudolf Rengier Strafrecht Allgemeiner Teil 4 Aufl 2012 S 14 Rn 1 ff a b c Vgl Rudolf Rengier Strafrecht Allgemeiner Teil 4 Aufl 2012 S 14 Rn 4 a b c Paul Johann Anselm von Feuerbach Lehrbuch des gemeinen in Deutschland geltenden Peinlichen Rechts Giessen 1801 24 S 20 In Deutsches Textarchiv abgerufen am 26 Februar 2015 a b Vgl Bernd von Heintschel Heinegg in Beck scher Online Kommentar StGB Hrsg von Heintschel Heinegg BeckOK StGB Stand 10 November 2014 Edition 25 1 Rn 1 Hans Kudlich Falle zum Strafrecht Allgemeiner Teil 3 Aufl Munchen 2018 S 34 Vgl Markus Dubber Tatjana Hornle Criminal Law A Comparative Approach 2014 ISBN 0 19 958960 7 S 73 ff Gerhard Werle Hrsg Volkerstrafrecht 3 Auflage 2012 Rn 110 Jacques Cujas Praestantissimi Operum Postumorum quae de iure reliquit Tomus quartus sive Codex Iustinianus Id est ad Codicem Justinianum amp Lib II III amp iV Decretalium Gregorii recitationes solemnes Non solum emendatiores iis omnibus quae antea in lucem prodierunt sed amp longe auctiores ut ex sequenti pagina constabit Dionysii de la Noue 1617 S col 189D Sophronius Eusebius Hieronymus Patrologiae cursus completus sive bibliotheca universalis integra uniformis commoda oeconomica omnium ss patrum doctorum scriptorum que ecclesiasticorum qui ab aevo apostolico ad usque Innocentii III tempora floruerunt Series Latina accurante J P Migne Patrologiae Tomus XXV S Eusebius Hieronymus Excudebat Migne PL 25 1884 S col 22 Thomas von Aquin Summa Theologiae Ia q LXXIX art XII resp Johannes von Damaskus Patrologiae cursus completus sive bibliotheca universalis integra uniformis commoda oeconomica omnium ss patrum doctorum scriptorum que ecclesiasticorum qui ab aevo apostolico ad tempora concilii tridentini pro latinis et cconcilii florentini pro graecis floruerunt Series Graeca Prior accurante J P Migne Patrologiae Graecae Tomus XCIV S Joannes Damascenus Excudebat Migne 1864 S col 1199 Thomas von Aquin Summa Theologiae Ia q LXXIX a XIII resp Francisco Suarez Suarez Opera Omnia Editio nova A D M Andre Canonico Repullensi Thomus Quartus Parisiis Ludovicum Vives Tractatus Tertius De bonitate et malitia humanorum actuum Disputatio XII Sectio II 1865 S n 1 439 Francisco Suarez De bonitate et malitia humanorum actuum Disputatio XII sectio IV S n 729 35 445 Thomas von Aquin Summa Theologiae Ia q XLVIII Art V resp Thomas von Aquin Summa Theologiae Ia q XLVIII Art V resp Sebastian Simmert Nulla poena sine lege Etiam sine lege poena est conscientia In Rechtsphilosophie Zeitschrift fur Grundlagen des Rechts Band 3 2016 C H Beck Munchen S 283 304 Wolfgang Schuller Nulla poena sine lege in der romischen Republik In Dietrich Murswiek Ulrich Storost und Heinrich Amadeus Wolff Hrsg Staat Souveranitat Verfassung Festschrift fur Helmut Quaritsch zum 70 Geburtstag Berlin 2000 S 683 691 Wolfgang Schuller Vom Glanz des romischen Rechts In Romische Jurisprudenz Dogmatik Uberlieferung Rezeption Festschrift fur Detlef Liebs zum 75 Geburtstag hrsg von Karlheinz Muscheler Duncker amp Humblot Berlin Freiburger Rechtsgeschichtliche Abhandlungen Neue Folge Band 63 S 575 589 578 2 des Strafgesetzbuchs fur den Norddeutschen Bund von 1870 2 des Strafgesetzbuches fur das Deutsche Reich von 1871 Artikel 116 der Verfassung des Deutschen Reichs vom 11 August 1919 Gesetz zur Anderung des Strafgesetzbuchs vom 28 Juni 1935 Juliette Lelieur Peggy Pfutzner Sabine Volz Gesetzlichkeitsprinzip Frankreich In Ulrich Sieber Karin Cornils Hrsg Nationales Strafrecht in rechtsvergleichender Darstellung Allgemeiner Teil Band 2 Gesetzlichkeitsprinzip Internationaler Geltungsbereich des Strafrechts Begriff und Systematisierung der Straftat Duncker amp Humblot Berlin 2008 ISBN 978 3 428 12981 2 S 40 Schriftenreihe des Max Planck Instituts fur auslandisches und internationales Strafrecht Reihe S Strafrechtliche Forschungsberichte Juliette Lelieur Peggy Pfutzner Sabine Volz Gesetzlichkeitsprinzip Frankreich In Ulrich Sieber Karin Cornils Hrsg Nationales Strafrecht in rechtsvergleichender Darstellung Allgemeiner Teil Band 2 Gesetzlichkeitsprinzip Internationaler Geltungsbereich des Strafrechts Begriff und Systematisierung der Straftat Duncker amp Humblot Berlin 2008 ISBN 978 3 428 12981 2 S 41 Schriftenreihe des Max Planck Instituts fur auslandisches und internationales Strafrecht Reihe S Strafrechtliche Forschungsberichte Juliette Lelieur Peggy Pfutzner Sabine Volz Gesetzlichkeitsprinzip Frankreich In Ulrich Sieber Karin Cornils Hrsg Nationales Strafrecht in rechtsvergleichender Darstellung Allgemeiner Teil Band 2 Gesetzlichkeitsprinzip Internationaler Geltungsbereich des Strafrechts Begriff und Systematisierung der Straftat Duncker amp Humblot Berlin 2008 ISBN 978 3 428 12981 2 S 42 Schriftenreihe des Max Planck Instituts fur auslandisches und internationales Strafrecht Reihe S Strafrechtliche Forschungsberichte a b c d Konstanze Jarvers Gesetzlichkeitsprinzip Italien In Ulrich Sieber Karin Cornils Hrsg Nationales Strafrecht in rechtsvergleichender Darstellung Allgemeiner Teil Band 2 Gesetzlichkeitsprinzip Internationaler Geltungsbereich des Strafrechts Begriff und Systematisierung der Straftat Duncker amp Humblot Berlin 2008 ISBN 978 3 428 12981 2 S 55 Schriftenreihe des Max Planck Instituts fur auslandisches und internationales Strafrecht Reihe S Strafrechtliche Forschungsberichte BGBl Nr 365 1931 Vgl u a Claudia Kuretsidis Haider in NS Prozesse und deutsche Offentlichkeit Besatzungszeit fruhe Bundesrepublik und DDR 2012 S 415 Claudia Kuretsidis Haider Das Volk sitzt zu Gericht 2006 S 55 ff Malaniuk Lehrbuch S 113 u 385 Ewa Weigend Gesetzlichkeitsprinzip Polen In Ulrich Sieber Karin Cornils Hrsg Nationales Strafrecht in rechtsvergleichender Darstellung Allgemeiner Teil Band 2 Gesetzlichkeitsprinzip Internationaler Geltungsbereich des Strafrechts Begriff und Systematisierung der Straftat Duncker amp Humblot Berlin 2008 ISBN 978 3 428 12981 2 S 92 Schriftenreihe des Max Planck Instituts fur auslandisches und internationales Strafrecht Reihe S Strafrechtliche Forschungsberichte Ewa Weigend Gesetzlichkeitsprinzip Polen In Ulrich Sieber Karin Cornils Hrsg Nationales Strafrecht in rechtsvergleichender Darstellung Allgemeiner Teil Band 2 Gesetzlichkeitsprinzip Internationaler Geltungsbereich des Strafrechts Begriff und Systematisierung der Straftat Duncker amp Humblot Berlin 2008 ISBN 978 3 428 12981 2 S 93 Schriftenreihe des Max Planck Instituts fur auslandisches und internationales Strafrecht Reihe S Strafrechtliche Forschungsberichte Teresa Manso Porto Gesetzlichkeitsprinzip Spanien In Ulrich Sieber Karin Cornils Hrsg Nationales Strafrecht in rechtsvergleichender Darstellung Allgemeiner Teil Band 2 Gesetzlichkeitsprinzip Internationaler Geltungsbereich des Strafrechts Begriff und Systematisierung der Straftat Duncker amp Humblot Berlin 2008 ISBN 978 3 428 12981 2 S 126 Schriftenreihe des Max Planck Instituts fur auslandisches und internationales Strafrecht Reihe S Strafrechtliche Forschungsberichte Teresa Manso Porto Gesetzlichkeitsprinzip Spanien In Ulrich Sieber Karin Cornils Hrsg Nationales Strafrecht in rechtsvergleichender Darstellung Allgemeiner Teil Band 2 Gesetzlichkeitsprinzip Internationaler Geltungsbereich des Strafrechts Begriff und Systematisierung der Straftat Duncker amp Humblot Berlin 2008 ISBN 978 3 428 12981 2 S 127 Schriftenreihe des Max Planck Instituts fur auslandisches und internationales Strafrecht Reihe S Strafrechtliche Forschungsberichte Teresa Manso Porto Gesetzlichkeitsprinzip Spanien In Ulrich Sieber Karin Cornils Hrsg Nationales Strafrecht in rechtsvergleichender Darstellung Allgemeiner Teil Band 2 Gesetzlichkeitsprinzip Internationaler Geltungsbereich des Strafrechts Begriff und Systematisierung der Straftat Duncker amp Humblot Berlin 2008 ISBN 978 3 428 12981 2 S 128 Schriftenreihe des Max Planck Instituts fur auslandisches und internationales Strafrecht Reihe S Strafrechtliche Forschungsberichte Die Verfassung der Republik Turkei Stand Januar 2021 Ubersetzung von Christian Rumpf PDF a b Vgl Markus Dubber Tatjana Hornle Criminal Law A Comparative Approach 2014 S 73 BGBl 1973 II S 430 521 Robert Alexy Der Beschluss des Bundesverfassungsgerichts zu den Totungen an der innerdeutschen Grenze vom 24 Oktober 1996 Hamburg 1997 ISBN 978 3 525 86293 3 S 18 ff Gerhard Werle Hrsg Volkerstrafrecht 3 Auflage 2012 ISBN 978 3 16 151837 9 Rn 25 ff Bitte den Hinweis zu Rechtsthemen beachten Abgerufen von https de wikipedia org w index php title Nulla poena sine lege amp oldid 228890530