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Die Neuroethik englisch neuroethics ist eine Disziplin im Grenzgebiet zwischen den Neurowissenschaften und der Philosophie In der Forschung herrscht noch Uneinigkeit uber den Themenbereich der Neuroethik Einige Wissenschaftler sehen die Neuroethik als den Teil der Bioethik an der sich mit der moralischen Bewertung von neurowissenschaftlichen Technologien beschaftigt So definierte William Safire 1929 2009 die Neuroethik als den Bereich der Philosophie der die Behandlung oder Verbesserung des menschlichen Gehirns moralisch diskutiert 1 Typische Fragen der so verstandenen Neuroethik sind In welchem Masse darf man in das Gehirn eingreifen um Krankheiten zu heilen oder kognitive Fahigkeiten wie Aufmerksamkeit oder Gedachtnis zu verbessern Die meisten Forscher verwenden den Begriff der Neuroethik jedoch in einem weiteren Sinne Fur sie steht das Verhaltnis zwischen neurowissenschaftlichen Erkenntnissen und moralisch relevanten Konzepten wie etwa Verantwortung Freiheit Rationalitat oder Personalitat ebenfalls im Zentrum neuroethischer Uberlegungen So versteht der Neurowissenschaftler Michael Gazzaniga unter dem Begriff der Neuroethik die sozialen Fragen nach Krankheit Normalitat Sterblichkeit Lebensstil und der Philosophie des Lebens informiert durch unser Verstandnis der grundlegenden Gehirnmechanismen 2 Die grundlegende Idee des von Jorge Moll entwickelten EFEC ist das Entstehen moralischer Empfindung aus der Kombination von strukturiertem Ereigniswissen sozial wahrnehmenden und funktionellen Eigenschaften sowie zentralen Motivationszustanden zu erklaren 3 4 Eine derart definierte Neuroethik fragt letztlich nach der Bedeutung der Hirnforschung fur das menschliche Selbstverstandnis Wahrend der Begriff der Neuroethik in den Neurowissenschaften bereits weite Verwendung gefunden hat stosst er in der Philosophie nicht nur auf Zustimmung Viele Fragen der Neuroethik sind bereits seit langer Zeit Thema der allgemeinen Philosophie Dies trifft etwa auf die Frage nach dem Verhaltnis von naturwissenschaftlichen Erkenntnissen und menschlichem Selbstverstandnis und auch auf die Debatte um technische Eingriffe in die menschliche Natur zu Daher wird gelegentlich die Notwendigkeit einer Disziplin Neuroethik bestritten Inhaltsverzeichnis 1 Ubersicht 1 1 Ethik der Neurowissenschaften 1 2 Neurowissenschaft der Ethik 2 Geschichte 3 Allgemeine Neuroethik 3 1 Die personale und die subpersonale Ebene 3 2 Willensfreiheit 4 Angewandte Neuroethik 4 1 Neuro Enhancement 4 2 Bildgebende Verfahren 5 Neurowissenschaft der Ethik 5 1 Uberblick 5 2 Ein Fallbeispiel Phineas Gage 5 3 Bedeutung der neurowissenschaftlichen Forschung 6 Literatur 7 Weblinks 8 EinzelnachweiseUbersicht Bearbeiten nbsp Die Verwendung von Neuroleptika hier Quetiapin ist ein typisches Problem der angewandten NeuroethikUnter dem Begriff der Neuroethik werden recht verschiedene Forschungsprogramme zusammengefasst Von der Philosophin Adina Roskies vom Dartmouth College stammt die Unterscheidung zwischen einer Ethik der Neurowissenschaften und einer Neurowissenschaft der Ethik 5 Ethik der Neurowissenschaften Bearbeiten Bei der Ethik der Neurowissenschaften handelt es sich um eine philosophische Disziplin die nach der moralphilosophischen Relevanz neurowissenschaftlicher Ergebnisse fragt Man kann wiederum zwischen einer angewandten und einer allgemeinen Ethik der Neurowissenschaften unterscheiden Die angewandte Ethik der Neurowissenschaften hinterfragt konkrete Technologien und Forschungsprojekte Ein Beispiel ist die Anwendung von bildgebenden Verfahren Ist es etwa legitim Lugen mittels Daten der funktionellen Magnetresonanztomografie fMRT ausfindig zu machen Tatsachlich gibt es in den USA bereits kommerzielle Firmen die fMRT basierte Lugendetektion versprechen 6 Von angesehenen Neurowissenschaftlern werden derartige Projekte jedoch als unserios eingestuft 7 Andere wichtige Anwendungsgebiete finden sich in der Neurochemie Es ist moglich die Aktivitat des Gehirns gezielt mittels pharmakologischer Substanzen zu verandern Ein bekanntes Beispiel sind etwa Neuroleptika die zur Behandlung von psychotischen und anderen psychischen Storungen eingesetzt werden Ein anderes in der Offentlichkeit viel diskutiertes Beispiel ist die Verwendung von Methylphenidat das von etwa ein bis zwei Prozent aller US amerikanischen Schulkinder zur Beruhigung und Konzentrationssteigerung genommen wird 8 Das nicht unumstrittene Methylphenidat soll Kindern mit einer Aufmerksamkeitsdefizit Hyperaktivitatsstorung helfen Die angewandte Neuroethik fragt in welchem Ausmass solche Eingriffe moralisch gerechtfertigt sind und wann wiederum sozialpadagogische psychotherapeutische Soteria Meditations Seelsorge und ahnliche Konzepte als ethischer zu betrachten sind Derartige Fragen gewinnen zunehmend an Brisanz da neuropharmakologische Substanzen mittlerweile auch oft uber den engeren medizinischen Rahmen hinaus verwendet werden Die allgemeine Ethik der Neurowissenschaften untersucht hingegen welche Rolle neurowissenschaftliche Ergebnisse fur das allgemeine Selbstverstandnis von moralischen Subjekten spielen Die Willensfreiheit ist nach mehrheitlich akzeptierter Auffassung eine Voraussetzung fur die moralische Bewertung von Handlungen Die Neurowissenschaften betrachten das Gehirn jedoch als ein System das vollstandig durch seine vorherigen Zustande und den Input determiniert ist In der allgemeinen Neuroethik wird nun danach gefragt wie diese Vorstellungen zusammen passen Ahnliche Problemstellungen ergeben sich durch Begriffe wie Person Verantwortung Schuld oder Rationalitat All diese Termini spielen eine zentrale Rolle in der moralischen bzw ethischen Betrachtung von Menschen Gleichzeitig haben sie jedoch keinen Platz in der Beschreibung neuronaler Dynamiken durch die Hirnforschung Die allgemeine Neuroethik behandelt im Wesentlichen ein Thema das in der Philosophie schon von David Hume und Immanuel Kant in aller Scharfe formuliert und diskutiert wurde Menschen lassen sich als biologische determinierte Systeme und als freie selbstverantwortliche Wesen betrachten Wie kann man diesem scheinbaren Widerspruch begegnen Ein Zugestandnis seitens einiger Neurobiologen ist die herausragende Rolle des Prafrontalen Cortex fur die moralische Entscheidungsfindung 9 Neurowissenschaft der Ethik Bearbeiten Die Neurowissenschaft der Ethik beschaftigt sich mit der Untersuchung von Gehirnprozessen die mit moralisch bedeutsamen Gedanken Empfindungen oder Urteilen einhergehen korrelieren So kann etwa danach gefragt werden was im Gehirn passiert wenn Personen moralisch relevante Empfindungen haben oder wann ein kognitiver Zugriff auf diese Empfindungen nachzuweisen ist Derartige Untersuchungen sind zunachst rein beschreibend deskriptiv Demgegenuber ist die Ethik eine normative Disziplin sie pruft was sein sollte Dies hat zu dem Einwand gefuhrt es sei missverstandlich die Ergebnisse empirischer Arbeiten unter dem Begriff der Neuroethik zu diskutieren Als deskriptive Disziplin sei die Neurowissenschaft der Ethik eben selbst kein Teil der Ethik 10 Dem wird entgegengehalten dass die neurowissenschaftlichen Ergebnisse dennoch wichtig fur ethische Debatten sind Es wird konstatiert dass es ein naturalistischer Fehlschluss ware von deskriptiven Aussagen allein auf normative Aussagen zu schliessen Das Wissen daruber wie die Welt ist deskriptiv genuge nicht um Hinweise darauf zu geben wie die Welt sein soll normativ Allerdings wird den deskriptiven Pramissen eine entscheidende Rolle in jeder moralischen Argumentation zugesprochen Daraus ergibt sich eine moralphilosophische Bedeutung von neurowissenschaftlichen Erkenntnissen Demnach wird die ethische Bewertung einer Person ganz anders aussehen wenn man etwa erfahrt dass sie eine Gehirnlasion hat die Empathie unmoglich macht 11 Derartige Beispiele zeigen nach Ansicht vieler Forscher dass neurowissenschaftliche Erkenntnisse bei der moralischen oder sogar juristischen Bewertung von Handlungen eine zentrale Rolle spielen konnen Zudem sei die Neurowissenschaft befahigt Erkenntnisse uber den Zusammenhang zwischen Empfindungen rationalem Denken und Handlungsmotivation zu liefern Geschichte BearbeitenAls eine eigenstandige Disziplin existiert die Neuroethik noch nicht lange Allerdings sind einige der neuroethischen Fragen durchaus alteren Ursprungs Dies gilt vor allem fur die Frage nach dem Verhaltnis zwischen moralisch psychologischer und biologischer Beschreibung des Menschen Schon David Hume und Immanuel Kant haben den scheinbaren Widerspruch diskutiert dass der Mensch zum einen ein freies selbstverantwortliches Individuum ist und zum anderen ein biologisches System das durch strikte Naturgesetze determiniert ist Hume glaubte dass dieser Widerspruch nur oberflachlich existiere und dass beide Beschreibungen letztlich vereinbar sind Kant reagierte auf dieses Problem mit einer Zwei Welten Lehre Er argumentierte dass Menschen nur in der Welt der Erscheinungen determinierte Systeme sind wahrend die Rede von determinierenden Naturgesetzen in der Welt der Dinge an sich keinen Sinn ergebe Da sich nach Kant uber die Erscheinungen hinaus keine gesicherten Aussagen machen lassen bleibt die Idee der Willensfreiheit ein Ideal an dem man sich orientieren sollte nbsp Thomas Metzinger gilt als einer der wichtigsten Vertreter der Neuroethik in DeutschlandViele Fragen der angewandten Neuroethik sind hingegen neueren Ursprungs Dies liegt darin begrundet dass die meisten Neurotechnologien erst in der zweiten Halfte des 20 Jahrhunderts entwickelt worden sind Allerdings wurden schon in den 1950er und 1960er Jahren Experimente durchgefuhrt die offensichtlich einer neuroethischen Diskussion bedurft hatten Der Bioethiker Arthur Caplan beschreibt etwa CIA Experimente mit LSD die das Ziel hatten Bewusstseinszustande von Tieren und Menschen zu kontrollieren 12 Derartige Anwendungen von neuronal aktiven Substanzen sind ein klassisches Thema der Neuroethik Institutionell hat sich die Neuroethik allerdings erst in den letzten Jahren geformt Von herausragender Bedeutung war hier eine 2002 in San Francisco veranstaltete Konferenz uber Neuroethik Auf dieser Konferenz wurde der Begriff der Neuroethik popularisiert aus den Konferenzbeitragen entstand das erste Buch mit dem Titel Neuroethics 13 Seitdem hat sich das Thema rasant entwickelt Dabei wird die Neuroethik zurzeit vorwiegend von Neurowissenschaftlern und weniger von Philosophen diskutiert Bekannte Neurowissenschaftler die im Bereich der Neuroethik arbeiten sind der Nobelpreistrager Eric Kandel Martha Farah Michael Gazzaniga Howard Gardner und Judy Illes Allerdings wird die Neuroethik auch von Philosophen wie Patricia Churchland und Thomas Metzinger diskutiert Institutionell bedeutend ist etwa die Neuroethics Imaging Group an der Stanford University 14 2006 wurde zudem die Society for Neuroethics gegrundet 15 Allgemeine Neuroethik BearbeitenDie personale und die subpersonale Ebene Bearbeiten Zentral fur die Einordnung der Neuroethik ist die Unterscheidung zwischen zwei Beschreibungsebenen Zum einen kann man Menschen als psychologische Wesen mit Wunschen Empfindungen und Uberzeugungen zum anderen als biologische Systeme erfassen Daniel Dennett prazisiert diesen Unterschied indem er von einer personalen und einer subpersonalen Betrachtung spricht 16 Es ist offensichtlich dass das moralisch relevante Vokabular auf der personalen Ebene liegt Es sind Personen die frei handeln verantwortlich oder schuldig sind Demgegenuber finden neurowissenschaftliche Beschreibungen auf einer subpersonalen Ebene statt auf der moralische Wertungen keine Bedeutung haben Es ware sinnlos zu sagen dass eine neuronale Aktivitat verantwortlich oder schuldig ist Fur die Neuroethik ist die Frage entscheidend wie das Verhaltnis zwischen personaler und subpersonaler Ebene zu denken ist Bedeutet der Fortschritt auf der subpersonalen Ebene dass personale und damit moralische Beschreibungen zunehmend als falsch verworfen werden mussen Die meisten Philosophen verneinen diese Frage Dies gilt unabhangig von den metaphysischen Positionen Physikalisten Dualisten und Vertreter anderer Position sind sich hier meist einig Allein eliminative Materialisten behaupten dass die personale Beschreibung des Menschen falsch ist und vollstandig durch eine geeignete neurowissenschaftliche Beschreibung ersetzt werden sollte Solche Philosophen postulieren in letzter Konsequenz dass die uns bekannte Moral durch ein neurowissenschaftlich informiertes Verfahren ersetzt oder ganz abgeschafft werden sollte Bei den Kritikern des eliminativen Materialismus unterscheiden sich die konkreten Vorstellungen uber die Beziehung zwischen beiden Ebenen deutlich Dualisten sind der Meinung dass sich die Begriffe der personalen Ebene auf einen immateriellen Geist beziehen wahrend sich die Begriffe der subpersonalen Ebene auf das materielle Gehirn beziehen Demnach sind die beiden Ebenen nicht miteinander verbunden da sich Aussagen jeweils auf verschiedene Bereiche der Wirklichkeit berufen Zeitgenossische Philosophen sind haufig Monisten und lehnen die dualistische Idee von zwei ganzlich verschiedenen Wirklichkeitsbereichen ab Dieser Monismus kann die Form eines Reduktionismus annehmen Reduktionisten argumentieren dass sich die personale Ebene letztlich durch die subpersonale Ebene erklaren lasst Andere Vertreter des Monismus behaupten hingegen dass es sich bei den beiden Beschreibungsebenen um gleichwertige Perspektiven handelt die sich nicht aufeinander zuruckfuhren lassen Sie verwenden oft die Analogie eines Kippbildes Manche Bilder lassen sich aus verschiedenen Perspektiven betrachten und konnen so sehr unterschiedliche Merkmale besitzen In gleicher Weise sollen sich Menschen aus einer personalen und einer subpersonalen Perspektive betrachten lassen keine dieser Perspektiven sei die eigentlich grundlegende Willensfreiheit Bearbeiten Hauptartikel Freier Wille Der Eindruck eines generellen Konflikts zwischen der personal moralischen und der subpersonal neurowissenschaftlichen Ebene entsteht in der Debatte um die Willensfreiheit schnell Die moralische Bewertung von Handlungen setzt eine gewisse Freiheit der handelnden Person voraus Dies wird auch im Strafrecht unter dem Thema der Schuldunfahigkeit reflektiert Nach 20 StGB kann ein Mensch nicht bestraft werden wenn er durch eine Bewusstseinsstorung zu seiner Tat getrieben wurde 17 Dahinter steht die Idee dass die entsprechende Person sich nicht frei zu der Tat entschieden hat weil ihr etwa die notwendige Fahigkeit zum rationalen Uberlegen fehlte oder weil sie durch eine unkontrollierbare Wahnvorstellung getrieben wurde Diese Gesetzgebung steht scheinbar oder wirklich im Konflikt mit den neueren neurowissenschaftlichen Erkenntnissen Die meisten Neurowissenschaftler betrachten alle menschlichen Handlungen als Produkte neuronaler Prozesse die durch die vorhergehenden biologischen Zustande und den Input determiniert sind Alle Handlungen sind demnach im Rahmen physischer naturwissenschaftlich erklarbarer Prozesse festgelegt und konnen nicht anders geschehen Die Welt ist durch strenge Naturgesetze geordnet ein Zustand der Welt wird durch ihren vorherigen Zustand bestimmt Ausserdem weisen Neurowissenschaftler darauf hin dass sie gegenwartig zumindest grob jeder Handlung eine biologische Tatsache mit bildgebenden Verfahren zuordnen konnen Wenn eine Person etwa einen Schlag ausfuhrt so kann man bestimmte Aktivitaten im Gehirn beobachten Aus dem Gehirn werden Signale in die Muskeln gesendet die schliesslich den Schlag realisieren Der freie Wille hat so die meisten Neurowissenschaftler in dieser Abfolge von biologischen Ursachen keine Bedeutung die Handlung ist vielmehr nur durch naturwissenschaftlich erklarbare Ablaufe zu beschreiben Einige Neurowissenschaftler postulieren dennoch dass Gesetze und deren Durchsetzung fur die menschliche Gesellschaft erforderlich sind Ein grundsatzlicher Einwand gegen die These der freie Wille sei ein geisteswissenschaftliches Konstrukt ohne Bezug zur Realitat ist die Frage nach der Verantwortung fur individuelle Handlungen wenn doch alle Aktionen durch physische Prozesse erklarbar sind Vielfach ist aus anderen Wissenschaftsbereichen zu horen dass die Postulate der Neurowissenschaftler selbst auf metaphysischen und damit nicht beweisbaren Annahmen beruhen und dem wissenschaftlichen Determinismus zugeordnet werden konnen Eine moralische Beurteilung von Taten setzt eine mehr oder weniger begrenzte Willensfreiheit voraus oder zumindest die Losung des Widerspruchs zwischen der personal moralischen und der subpersonal neurowissenschaftlichen Beschreibung Der Interpretation von Ergebnissen der Neurowissenschaften als Beweis gegen die Existenz einer individuellen Verantwortung steht die These von unterschiedlich bestimmten personal moralischen Gegebenheiten gegenuber In Deutschland haben insbesondere die Neurowissenschaftler Wolf Singer und Gerhard Roth argumentiert dass ihre Forschungsergebnisse uber das Gehirn als alleiniger Faktor menschlichen Handelns zu einer Aufgabe der Idee der Willensfreiheit fuhren mussen Eine solche Position hat enorme Auswirkungen auf die Vorstellungen von Ethik Ware die Freiheitsidee abzulehnen so konnten Personen ihren Willen nicht selbst bestimmen Man konnte sie daher nicht mehr fur ihre Handlungen verantwortlich machen moralische Urteile und Emotionen hatten keinen Sinn mehr Auch die juristisch bedeutsame Unterscheidung zwischen freien und unfreien Taten wurde entfallen Letztlich musste man alle Tater als Schuldunfahige behandeln Im Gegensatz dazu steht die Aussage z B Singers im Interesse der Allgemeinheit konnten Straftater eingesperrt und therapiert werden eine Schuld sei jedoch nicht feststellbar die Idee der Strafe folglich zwar notwendig aber inkoharent nbsp Schon David Hume entwickelte eine Variante des Kompatibilismus Es existieren verschiedene Strategien mit diesem Problem umzugehen Die meisten Philosophen vertreten eine Position die sie in ihrer Fachsprache als Kompatibilismus bezeichnen Kompatibilisten argumentieren dass der Widerspruch zwischen Willensfreiheit und Determinismus nur oberflachlich existiert und bei einer genaueren Betrachtung verschwindet Der zentrale Fehler ist demnach die Identifizierung von Freiheit mit dem Fehlen jeglicher Festlegungen Eine solche Konzeption sei selbstwiderspruchlich Ware der eigene Wille durch nichts festgelegt so ware der Wille nicht frei sondern einfach zufallig 18 Frei sein konne daher nicht durch nichts festgelegt sein bedeuten Vielmehr komme es darauf an wodurch der Wille begrenzt wird Eine Richtung der Kompatibilisten vertritt die Auffassung dass der Mensch genau dann frei ist wenn der eigene Wille durch die eigenen Gedanken und Uberzeugungen festgelegt ist Unfrei ist hingegen derjenige dessen Willensbildung unabhangig von seinen Uberzeugungen ist Man kann sich diese Idee durch ein einfaches Beispiel verdeutlichen Ein Raucher ist genau dann unfrei wenn er uberzeugt davon ist dass er mit dem Rauchen aufhoren sollte und dennoch immer wieder zu den Zigaretten greift siehe auch Abhangigkeit Eine solche Situation kann das beklemmende Gefuhl der Unfreiheit hervorrufen und es ist klar dass die Freiheit des Rauchers nicht in der volligen Grenzenlosigkeit seiner Handlungen liegen wurde Vielmehr ware der Raucher genau dann frei wenn seine Uberzeugungen seinen Willen unter Kontrolle hatten und er sich nicht mehr neue Zigaretten anstecken wurde Eine solche Konzeption lost den Konflikt zwischen Freiheit und Determinismus auf Im Rahmen des Kompatibilismus gibt es daher auch keinen Widerspruch zwischen der moralischen und der neurowissenschaftlichen Beschreibungsebene Die meisten Gegenwartsphilosophen sind Kompatibilisten bekannte Vertreter sind Harry Frankfurt Daniel Dennett und Peter Bieri In gewisser Weise kann auch David Hume als Vater des Kompatibilismus gelten Er vertrat die Auffassung dass Willensfreiheit und Begrenzung des Menschen durch Charaktereigenschaften Uberzeugungen und Wunsche aufgrund von Sinneseindrucken miteinander zu vereinbaren sind Freie Handlungen beruhen demnach auf der Fahigkeit unterschiedliche Entscheidungen zu treffen je nach psychologischer Disposition Nicht alle Philosophen sind mit der kompatibilistischen Antwort auf das Problem der Willensfreiheit einverstanden Sie bestehen darauf dass die Idee der Freiheit nur dann zu verstehen ist wenn der Wille und die Handlung nicht durch physische Prozesse festgelegt sind Vertreter einer solchen Position werden in der philosophischen Fachsprache Inkompatibilisten genannt Unter den Inkompatibilisten kann man wiederum zwischen zwei Lagern unterscheiden Zum einen gibt es Philosophen und Naturwissenschaftler die die Idee der Willensfreiheit aufgeben s o Andere Theoretiker halten an der Idee der Willensfreiheit fest geben jedoch das Konzept des Determinismus auf Wichtige Vertreter dieser Position sind Peter van Inwagen Karl Popper und John Carew Eccles Popper und Eccles argumentieren dass ein Gehirnzustand nicht durch den vorherigen Gehirnzustand und den Input festgelegt sei Als Begrundung geben sie an dass auf der subatomaren Ebene das Geschehen nicht determiniert sei Nach Popper und Eccles hat ein immaterieller Geist auf dieser subatomaren nur quantenmechanisch beschreibbaren Ebene Einfluss auf das physische Geschehen In diesem Einwirken des Geistes zeige sich der freie unbegrenzte Wille Angewandte Neuroethik BearbeitenNeuro Enhancement Bearbeiten Hauptartikel Neuro Enhancement nbsp Visualisierung der verschiedenen Enhancementtechnologien Grafik der US amerikanischen National Science FoundationUnter dem Stichwort neuro enhancement enhancement engl fur Steigerung und Verbesserung wird eine erbitterte Debatte daruber gefuhrt ob es legitim ist kognitive und emotionale Fahigkeiten mit Hilfe von Medikamenten oder Neurotechnologien zu verbessern 19 Befurworter der Enhancementtechnologien weisen darauf hin dass im medizinischen Kontext derartige Verfahren bereits etabliert und zudem notwendig seien Die Anwendung von Neuroleptika stellt etwa einen direkten Eingriff in die neuronale Aktivitat der Patienten dar Dennoch sei bei Psychosen ein derartiger Eingriff vorteilhaft da er den Patienten neue Handlungsmoglichkeiten eroffne Vertreter von Enhancementtechnologien argumentieren nun dass durch den Fortschritt der Neurotechnologien Verbesserungen zunehmend auch bei gesunden Menschen moglich werden Warum sollte man Menschen nicht etwa die Moglichkeit einer hoheren Konzentration geben wenn entsprechende neurotechnologische Eingriffe keine Nebenwirkungen haben 20 An dieser Stelle wenden Kritiker ein dass man zwischen therapeutischen und nichttherapeutischen Eingriffen unterscheiden musse Zwar sei es gerechtfertigt Menschen mit Krankheiten oder Behinderungen durch Neurotechnologien zu helfen Allerdings gebe es keinen Grund Menschen durch Technologien zu perfektionieren Hierauf gibt es gleich zwei Entgegnungen der Technologieoptimisten Zum einen argumentieren sie dass die Unterscheidung zwischen Therapie und Enhancement unscharf sei Zum anderen wird erklart dass die Ablehnung technologischer Verbesserungen kognitiver Fahigkeiten letztlich inkoharent sei So habe auch jede Erziehung oder jedes mentale Training das Ziel kognitive oder emotionale Fahigkeiten zu steigern und sei letztlich durch die Veranderungen die Lernen zweifelsfrei im Gehirn hervorruft ebenfalls ein Eingriff in die neuronalen Funktionswege des Korpers Wenn man jedoch solche Praktiken befurworte konne man nicht generell gegen neurotechnologische Verbesserungen votieren 21 Aktuelle Meta Studien wie eine vom Deutschen Bundestag in Auftrag gegebene Studie zeigen dass sich bei den heute erhaltlichen Enhancement Praparaten kaum Hinweise auf spezifische leistungssteigernde Wirkungen feststellen lassen 22 Weiter weisen Gegner der Human Enhancement Bewegung darauf hin dass es genauso wie beim Begriff der Gesundheit unmoglich ist unabhangig von kulturellen Vorstellungen zu definieren welche Eingriffe in die menschliche Natur zu einer Verbesserung fuhren und welche nicht Besonders an Schonheitsoperationen ist dieses Phanomen leicht zu erkennen Befurworter von Enhancementtechnologien sehen aber genau hier einen Ansatzpunkt indem sie dieses Argument umkehren und auf die Ablehnung von Korpermodifikationen anwenden Ihm entsprechend ist sie genauso zu hinterfragen weil es offensichtlich unmoglich ist festzulegen wie ein Mensch idealerweise sein soll Einige Vertreter von Enhancementtechnologien widersprechen dieser Aussage aber und erklaren dass man angebliche Verbesserungen fake enhancement von echten Verbesserungen z B Eingriffe ins Gehirn bei Parkinsonkranken unterscheiden konne 21 Gegner von Enhancementtechnologien befurchten weiter dass Optimierungen am Menschen gesellschaftlichen Zwangen entsprechend nur zu einer erhohten Uniformitat und Anpassung an gesellschaftliche oder okonomische Normen fuhren Nicht nur Schonheitsoperationen gelten hierfur als Beispiel auch arbeitsunterstutzende Drogen gehoren in diesen Bereich Neue Studien belegen beispielsweise dass an einigen US amerikanischen Universitaten 25 der Studenten mit neuronal aktiven Substanzen ihre Schlafdauer senken und die Arbeitskraft erhohen 23 Besonders nicht ruckgangig machbare Enhancements wurden hier ein grosses Risiko fur die Freiheit und Unabhangigkeit der Menschen von wirtschaftlichen und politischen Machthabern darstellen In diesem Zusammenhang bleibt aber auch zu bedenken dass fur eine Teilnahme am Herrschaftssystem einer Gesellschaft bestimmte geistige Eigenschaften wie eine hohe Intelligenz notig sind uber die von Natur aus nicht jeder Mensch verfugt und dass biologische Unterschiede soziale Ungleichheit und Armut in starkem Masse mit verursachen Hier konnte ein Recht auf staatlich geforderte Enhancements Abhilfe schaffen Ahnlich wie fur Bildung gilt auch fur verbessernde Technologien dass sie wohl nur fur einen Teil der Gesellschaft selbst finanzierbar waren und sie wenn auf staatliche Umverteilung verzichtet werden wurde bestehende soziale Ungerechtigkeit noch verscharfen wurden Mit Hinblick auf die Kritik an Enhancements stellt sich schliesslich auch die Frage ob es sinnvoll ist Kritik an einer Technologie zu uben die es erlaubt gesellschaftliche Normen zu erfullen Sollten die Normen deren Erfullung angestrebt wird fehlerhaft sein mussten sie direkt kritisiert werden Sind die Normen dagegen angemessen ist die Kritik an der Anpassung an gesellschaftliche Normen offensichtlich nicht haltbar Es ist auch vollkommen unklar ob sich durch Enhancementtechnologien nicht eher eine Pluralisierung der korperlichen und neurobiologischen Eigenschaften der Bevolkerung vollziehen konnte Zudem sind Enhancementtechnologien ein medizinisches Risiko und wie jedes komplexe System fehlerbehaftet Ihre korperlichen Langzeitfolgen werden nicht immer abzuschatzen sein Schliesslich wird von Kritikern noch ein weiteres Problem des Cognitive Enhancement angesprochen Mit einer zunehmenden Einfuhrung biologischer Eingriffe die die Psyche verandern werde die personale Beschreibungsebene durch die subpersonale Ebene verdrangt Dies bedeute allerdings den schleichenden Niedergang all der Aspekte der personalen Ebene die bisher als wichtig galten etwa die Ideen von Selbstbestimmung und Verantwortung Enhancementbefurworter dagegen halten es fur eine Voraussetzung fur Selbstbestimmung und Verantwortung dass ein Mensch Kontrolle uber seine Neurobiologie ausubt Dazu sind die ihnen vorschwebenden Technologien allerdings unbedingt notig Der neuroethische Streit um Eingriffe ins Gehirn ist folglich noch vollkommen ungelost Einig sind sich die Teilnehmer an der Debatte allerdings darin dass das Thema in den nachsten Jahren und Jahrzehnten enorm an Aktualitat und Brisanz gewinnen wird Starke Befurworter der Enhancementtechnologien sind oft auch Anhanger des Transhumanismus Bildgebende Verfahren Bearbeiten Bildgebende Verfahren ermoglichen die Visualisierung von neuronalen Prozessen im menschlichen Gehirn und stellen zentrale Methoden der neurowissenschaftlichen Forschung dar Die Entwicklung derartiger Verfahren begann in den 1920er Jahren mit der Elektroenzephalografie EEG Elektrische Aktivitaten des Gehirns fuhren zu Spannungsschwankungen an der Kopfoberflache die durch entsprechende Gerate aufgezeichnet werden konnen Die heutige kognitive Neurowissenschaft stutzt sich in besonderem Masse auf das Verfahren der funktionellen Magnetresonanztomografie fMRT Gleichzeitig werfen diese Verfahren eine Reihe von ethischen Problemen auf Mit Hilfe der fMRT konnen Aktivitaten im Gehirn mit recht hoher raumlicher und zeitlicher Auflosung gemessen werden Zu ethischen Problemen fuhrt diese Technik insbesondere wenn zumindest grob neuronale Korrelate von Bewusstseinszustanden gefunden werden Wie geht man damit um wenn man durch neurowissenschaftliche Methoden und nicht durch personliche Berichte weiss dass eine Person etwas Bestimmtes denkt oder fuhlt Ein klassisches Beispiel ist der neurotechnologische Lugendetektor Zwar befinden sich entsprechende fMRT Technologien noch in der Entwicklung allerdings gibt es schon seit langerem kommerzielle EEG basierte Lugendetektoren Die Brain Fingerprinting Laboratories vermarkten solche Technologien und geben an dass sie vom FBI der US amerikanischen Polizei und anderen Organisationen genutzt werden Viele Neuroethiker sehen sich bei derartigen Technologien vor ein Dilemma gestellt Zum einen konnten entsprechende Lugendetektoren vor Gericht etwa Unschuldige vor der Inhaftierung bewahren Zum anderen wird haufig vorgebracht dass derartige Technologien die Selbstbestimmung der Personen verletzten und zudem fur Missbrauch anfallig seien nbsp Die Entwicklung von bildgebenden Verfahren hier ein fMRT Scan wirft zahlreiche neuroethische Probleme auf Hinzu kommt dass entsprechende Technologien nicht vollstandig verlasslich sind Judy Illes und Kollegen der Neuroethics Imaging Group von der Stanford University weisen auf die Suggestivkraft von fMRT Bildern hin die oft die konkreten Probleme der Datenanalyse verdecke 24 Die bekannten fMRT Bilder siehe etwa Abbildung sind immer schon sehr weit von Interpretationen mitbestimmt Bei einer kognitiven Leistung ist das Gehirn stets sehr weitraumig aktiv die fMRT Bilder zeigen aber nur die Auswahl der vermeintlich relevanten Aktivitaten Eine solche Auswahl findet uber die Subtraktionsmethode statt Interessiert man sich etwa fur eine kognitive Leistung K so misst man zum einen die Gehirnaktivitat in einer Situation S1 in der K gefordert ist Zudem misst man die Gehirnaktivitat in einer Kontrollsituation S2 die sich von S1 moglichst nur darin unterscheidet dass in S2 nicht K gefordert ist Schliesslich subtrahiert man die Aktivitaten in S2 von den Aktivitaten in S1 um zu sehen welche Aktivitaten fur K spezifisch sind Illes betont dass derartige interpretative Aspekte immer mit berucksichtigt werden mussen was etwa vor Gericht leicht ubersehen werden kann da es sich bei den Juristen um neurowissenschaftliche Laien handelt Turhan Canli erklart Das Bild eines Aktivierungsmusters das auf einer schlecht gemachten Studie basiert ist visuell nicht von dem Bild einer exemplarischen Studie zu unterscheiden Man braucht einen geschickten Fachmann um den Unterschied zu bemerken Es besteht daher die grosse Gefahr des Missbrauchs der Daten bildgebender Verfahren vor einem ungeschulten Publikum wie der Jury in einem Strafprozess Wenn man auf die Bilder schaut kann man leicht vergessen dass sie statistische Folgerungen und keine absoluten Wahrheiten reprasentieren 25 Ein weiteres Problem ergibt sich aus der Erweiterung der Anwendung bildgebender Verfahren In dem Masse in dem aus Hirnscans Personlichkeitsmerkmale oder Praferenzen entnommen werden werden bildgebende Verfahren fur breite kommerzielle Anwendungen attraktiv Canli diskutiert das Beispiel des Arbeitsmarktes und erklart Es gibt bereits Literatur zu Personlichkeitszugen wie etwa Extraversion und Neurotizismus Beharrlichkeit moralischer Verarbeitung und Kooperation Es ist daher nur eine Frage der Zeit bis Arbeitgeber versuchen diese Ergebnisse fur Fragen der Einstellung zu nutzen 26 Auch die Werbeindustrie wird versuchen die Ergebnisse der Forschung mit bildgebenden Verfahren zu nutzen denn schliesslich werden durch diese Methoden auch unbewusste Informationsverarbeitungen registriert Mittlerweile haben US amerikanische Verbraucherorganisationen dieses Thema entdeckt und wenden sich gegen die kommerzielle Ausdehnung der bildgebenden Verfahren 27 Neurowissenschaft der Ethik BearbeitenUberblick Bearbeiten Ein im engeren Sinne empirisches Projekt ist die Suche nach neuronalen Korrelaten von moralisch relevanten Gedanken oder Empfindungen Typische Forschungsfragen konnen lauten Zu welchen spezifischen Aktivitaten fuhrt das Nachdenken uber moralische Dilemmata Wie ist die funktionelle Verknupfung von neuronalen Korrelaten moralischer Empfindungen und moralischer Gedanken Welchen Einfluss haben welche Beschadigungen des Gehirns auf das moralische Entscheidungsvermogen Derartige Fragen haben zunachst einen rein empirischen Charakter und keine normativen Konsequenzen Der unmittelbare Schluss von deskriptiven Dokumentationen neuronaler Aktivitaten auf normative Handlungsanweisungen ware ein naturalistischer Fehlschluss was auch von den meisten Forschern akzeptiert wird Dennoch wird oft die Position vertreten dass die entsprechenden wissenschaftlichen Erkenntnisse von einem grossen Nutzen fur ethische Debatten sein konnten Zum einen wurden neurowissenschaftliche Forschungsergebnisse zu einem neuen Verstandnis daruber fuhren wie Menschen de facto moralische Probleme entscheiden Zum anderen konnen neurowissenschaftliche Erkenntnisse in konkreten Situationen die moralische Bewertung verandern Eine Person die durch Gehirnschadigung nicht mehr zu Empathie fahig ist wird man moralisch anders beurteilen als einen gesunden Menschen In Folgendem wird ein klassisches Fallbeispiel fur eine derartige Schadigung darstellt Ein Fallbeispiel Phineas Gage Bearbeiten Das tragische Schicksal von Phineas Gage gehort zu den bekanntesten Fallen der Neuropsychologie Gage erlitt als Eisenbahnarbeiter bei einem Unfall eine schwere Schadigung des Gehirns Der Neurowissenschaftler Antonio Damasio beschreibt die Situation wie folgt Die Eisenstange tritt durch Gages linke Wange ein durchbohrt die Schadelbasis durchquert den vorderen Teil des Gehirns und tritt mit hoher Geschwindigkeit aus dem Schadeldach aus In einer Entfernung von mehr als dreissig Metern fallt die Stange herunter 28 Erstaunlicher als dieser Unfall sind jedoch die Konsequenzen Trotz der grausamen Verletzungen und der Zerstorung eines Teils des Gehirns starb Gage nicht er wurde nicht einmal bewusstlos Nach weniger als zwei Monaten galt er als geheilt Er hatte keine Probleme mit dem Sprechen rationalem Denken oder dem Gedachtnis Dennoch hatte sich Gage tiefgreifend verandert Sein Arzt John Harlow erklart er sei nun launisch respektlos flucht manchmal auf abscheulichste Weise was fruher nicht zu seinen Gewohnheiten gehorte erweist seinen Mitmenschen wenig Achtung reagiert ungeduldig auf Einschrankungen und Ratschlage 29 Gage hatte seine intellektuellen Kapazitaten behalten aber seine emotionalen Fahigkeiten verloren Dies hatte unter anderem zur Folge dass Gage nicht mehr nach moralischen Standards handelte nbsp Grosshirnrinde aus der lateralen Sicht Der ventromediale prafrontale Teil Gages Schadigung ist schwarz eingefarbtNeuere neurowissenschaftliche Studien haben eine genauere Lokalisierung von Gages Hirnschaden ermoglicht Die Metallstange hatte den prafrontalen Cortex teilweise zerstort d h den Teil der Grosshirnrinde der der Stirn am nachsten liegt In diesem Fall war nur der ventromediale Teil des prafrontalen Cortex beschadigt siehe Abbildung Neuropsychologische Studien haben gezeigt dass Gage kein Einzelfall war Alle Patienten die im ventromedialen prafrontalen Cortex eine Storung haben zeigen jenen Verlust der emotionalen Fahigkeiten bei gleichbleibenden intellektuellen Fahigkeiten Siehe auch Theorie der somatischen Marker Bedeutung der neurowissenschaftlichen Forschung Bearbeiten Es ist allerdings nicht ausschliesslich der ventromediale prafrontale Cortex der bei moralischen Entscheidungen relevant ist Wie von verschiedenen Seiten betont worden ist existiert kein moralisches Zentrum im Gehirn 30 31 Moralische Entscheidungen entstehen vielmehr aus einem komplexen Wechselspiel von Emotionen und Gedanken Und selbst fur die moralischen Emotionen gilt dass sie auf verschiedene Gehirnregionen angewiesen sind Eine wichtige Region ist der Mandelkern Amygdala der nicht zur Grosshirnrinde sondern zum tieferen subkortikalen Bereich des Gehirns gehort Schadigungen dieses Bereichs fuhren zu Einbussen emotionaler Fahigkeiten nbsp Position der Amygdala im menschlichen GehirnNeuroethisch konnen derartige Ergebnisse auf verschiedene Weisen reflektiert werden Zum einen muss die Frage nach der moralischen und juristischen Schuldfahigkeit von solchen Menschen gestellt werden Bedeutet die anatomisch bedingte Unfahigkeit zu moralischen Gedanken und Emotionen dass man auch nach der Ausfuhrung von Verbrechen die entsprechende Person als Patienten und nicht als Tater behandeln muss Musste man Menschen wie Phineas Gage nach einer Straftat in eine psychiatrische Klinik statt in ein Gefangnis schicken Wenn man diese Fragen bejaht so muss man allerdings festlegen ab welchem Storungsausmass eine entsprechende Einschrankung der Schuldfahigkeit vorgenommen werden sollte Schliesslich zeigen viele Gewaltverbrecher neurophysiologisch auffindbare Gehirnanomalien Diese konnten womoglich als Folge wiederholter unmoralischer Gedanken und Emotionen entstanden sein Aus neurowissenschaftlichen Studien konnen sich jedoch auch Erkenntnisse uber die allgemeinen Mechanismen moralischen Urteilens ergeben So versucht Adina Roskies etwa mit neuropsychologischen Daten die These zu belegen dass moralische Emotionen keine notwendige Bedingung fur moralische Urteile sind 32 31 Dabei stutzt sie sich auf Patienten mit einer Schadigung des ventromedialen prafrontalen Cortex also der Schadigung die auch Phineas Gage hatte Entsprechenden Individuen fehlen zwar die moralischen Emotionen und sie handeln im Alltag auch oft grausam dennoch entsprechen ihre Urteile uber moralische Fragen weitgehend denen gesunder Menschen Roskies argumentiert dass man die Urteile von derartigen Patienten letztlich nur als ursprunglich moralische Urteile verstehen konne und bezeichnet ihre Position als einen moralphilosophischen Kognitivismus Zwar mogen im Alltag moralische Emotionen das moralische Urteilen stark beeinflussen allerdings seien sie keine notwendige Voraussetzung Literatur BearbeitenHelmut Fink Rainer Rosenzweig Hrsg Kunstliche Sinne gedoptes Gehirn Mentis Paderborn 2010 Sabine Muller Ariana Zaracko Dominik Gross Dagmar Schmitz Chancen und Risiken der Neurowissenschaften Lehmanns Media Berlin 2009 ISBN 978 3 86541 326 0 Dominik Gross Sabine Muller Hrsg Sind die Gedanken frei Die Neurowissenschaften in Geschichte und Gegenwart Medizinisch Wissenschaftliche Verlagsgesellschaft Berlin 2007 ISBN 978 3 939069 24 9 Jan Hendrik Heinrichs Neuroethik Eine Einfuhrung Metzler Stuttgart 2019 ISBN 978 3 476 04726 7 Leonhard Hennen Reinhard Grunwald Christoph Revermann Arnold Sauter Einsichten und Eingriffe in das Gehirn Die Herausforderung der Gesellschaft durch die Neurowissenschaften Edition Sigma Berlin 2008 ISBN 978 3 8360 8124 5 Steven Marcus Neuroethics mapping the field Dana Press New York 2002 ISBN 0 9723830 0 X Sammelband mit Beitragen einer Neuroethikkonferenz in San Francisco die zentral fur die Entstehung der Disziplin Neuroethik war Judy Illes Hrsg Neuroethics defining the issues in theory practice and policy Oxford University Press Oxford 2006 ISBN 0 19 856721 9 Sammelband mit Aufsatzen vieler wichtiger Vertreter der Neuroethik Frank Ochmann Die gefuhlte Moral Warum wir Gut und Bose unterscheiden konnen Ullstein Berlin 2008 ISBN 978 3 550 08698 4 Carsten Konneker Hrsg Wer erklart den Menschen Hirnforscher Psychologen und Philosophen im Dialog Fischer TB Verlag Frankfurt 2006 ISBN 3 596 17331 0 Sammelband mit Beitragen u a von Thomas Metzinger Wolf Singer Eberhard Schockenhoff Kap 6 Neuroethik und Menschenbild S 207 283 Roland Kipke Besser werden Eine ethische Untersuchung zu Selbstformung und Neuro Enhancement mentis Paderborn 2011 Martha Farah Neuroethics the practical and the philosophical In Trends in Cognitive Sciences 2005 Ausgabe 1 Januar 2005 S 34 40 Thomas Metzinger Unterwegs zu einem neuen Menschenbild In Gehirn amp Geist 11 2005 S 50 54 Thomas Metzinger Der Preis der Selbsterkenntnis In Gehirn amp Geist 7 8 2006 S 42 49 Online Stephan Schleim Christina Aus der Au Selbsterkenntnis hat ihren Preis Replik In Gehirn amp Geist Online Stephan Schleim Die Neurogesellschaft Wie die Hirnforschung Recht und Moral herausfordert Heise Verlag Hannover 2011 ISBN 978 3 936931 67 9 Kritische Analyse weitreichender Aussagen uber moralische und rechtliche Implikationen der Hirnforschung sowie theoretische Reflexion der bildgebenden Hirnforschung Rudiger Vaas Schone neue Neuro Welt Die Zukunft des Gehirns Eingriffe Erklarungen und Ethik Hirzel Stuttgart 2008 ISBN 978 3777615387Weblinks BearbeitenAdina Roskies Neuroethics In Edward N Zalta Hrsg Stanford Encyclopedia of Philosophy Neuroethik Webportal des Philosophischen Seminars der Johannes Gutenberg Universitat Mainz Ubersichtsseite zur Neuroethik von Martha Farah Website der Neuroethics Society Website der Neuroethics Imaging Group in StanfordEinzelnachweise Bearbeiten Judy Illes Hrsg Neuroethics defining the issues in theory practice and policy Oxford University Press Oxford 2006 ISBN 0 19 856721 9 S v Michael Gazzaniga The ethical brain Dana Press New York 2005 ISBN 1 932594 01 9 Jorge Moll Roland Zahn Ricardo de Oliveira Souza Frank Krueger amp Jordan Grafman The event feature emotion complex framework in Nature Reviews Neuroscience 6 799 809 October 2005 Changeux J P Damasio A R Singer W Christen Y Eds Neurobiology of Human Values 2005 ISBN 978 3 540 26253 4 Adina Roskies Neuroethics for the new millennium In Neuron 2002 S 21 23 PMID 12123605 No Lie MRI Memento des Originals vom 28 August 2019 im Internet Archive nbsp Info Der Archivlink wurde automatisch eingesetzt und noch nicht gepruft Bitte prufe Original und Archivlink gemass Anleitung und entferne dann diesen Hinweis 1 2 Vorlage Webachiv IABot www noliemri com und Cephos Editorial In Nature 441 2006 S 907 Peter Jensen Lori Kettle Margaret T Roper Michael T Sloan Mina K Dulcan Christina Hoven Hector R Bird Jose J Bauermeister and Jennifer D Payne Are stimulants overprescribed Treatment of ADHD in four U S communities In Journal of the American Academy of Child and Adolescent Psychiatry 1999 S 797 804 PMID 10405496 Popularwissenschaftlicher Artikel hierzu auf welt de Jean Pierre Changeux Paul Ricœur What makes us think A neuroscientist and a philosopher argue about ethics human nature and the brain Princeton University Press Chichester 2002 ISBN 0 691 09285 0 Antonio Damasio Descartes Irrtum Fuhlen Denken und das menschliche Gehirn Dt Taschenbuch Verlag Munchen 1997 ISBN 3 423 30587 8 Judy Illes Hrsg Neuroethics defining the issues in theory practice and policy Oxford University Press Oxford 2006 ISBN 0 19 856721 9 S vii Steven Marcus Neuroethics mapping the field Dana Press New York 2002 ISBN 0 9723830 0 X Neuroethics Imaging Group Stanford Memento des Originals vom 9 Dezember 2012 im Internet Archive nbsp Info Der Archivlink wurde automatisch eingesetzt und noch nicht gepruft Bitte prufe Original und Archivlink gemass Anleitung und entferne dann diesen Hinweis 1 2 Vorlage Webachiv IABot neuroethics stanford edu Neuroethics Society Daniel Dennett Content and Consciousness Routledge amp Kegan Paul London 1969 ISBN 0 7100 6512 4 Ohne Schuld handelt wer bei Begehung der Tat wegen einer krankhaften seelischen Storung wegen einer tiefgreifenden Bewusstseinsstorung oder wegen Schwachsinns oder einer schweren anderen seelischen Abartigkeit unfahig ist das Unrecht der Tat einzusehen oder nach dieser Einsicht zu handeln Strafgesetzbuch 20 Dieses Argument wird ausfuhrlich diskutiert in Peter Bieri Das Handwerk der Freiheit Uber die Entdeckung des eigenen Willens Hanser Munchen 2001 ISBN 3 596 15647 5 Erik Parens Enhancing human traits ethical and social implications Georgetown University Press Washington D C 1998 ISBN 0 87840 703 0 nature Towards responsible use of cognitive enhancing drugs by the healthy 7 Dezember 2008 a b All diese Argumente werden z B diskutiert in Erik Parens Creativity graditude and the enhancement debate In Judy Illes Hg Neuroethics defining the issues in theory practice and policy Oxford University Press Oxford 2006 ISBN 0 19 856721 9 TAB Buro fur Technikfolgen Abschatzung beim Deutschen Bundestag Pharmakologische Interventionen zur Leistungssteigerung als gesellschaftliche Herausforderung Berlin 2011 PDF Martha Farah Unpublizierter Vortag auf der 10 Konferenz der Association for the Scientific Study of Consciousness im Juni 2006 in Oxford Judy Illes Eric Racine und Matthew Kirschen A picture is worth 1000 words but which 1000 In Judy Illes Hg Neuroethics defining the issues in theory practice and policy Oxford University Press Oxford 2006 ISBN 0 19 856721 9 Turhan Canli Zenab Amin Neuroimaging of emotional and personality Scientific evidence and ethical considerations In Brain and Cognition 2002 S 414 431 PMID 12480487 Turhan Canli When genes and brains unite ethical implications of genomic neuroimaging In Judy Illes Hg Neuroethics defining the issues in theory practice and policy Oxford University Press Oxford 2006 ISBN 0 19 856721 9 Etwa Commercial Alert Antonio Damasio Descartes Irrtum Fuhlen Denken und das menschliche Gehirn Dt Taschenbuch Verlag Munchen 1997 ISBN 3 423 30587 8 S 29 Antonio Damasio Descartes Irrtum Fuhlen Denken und das menschliche Gehirn Dt Taschenbuch Verlag Munchen 1997 ISBN 3 423 30587 8 S 31 William Casebeer Patricia Churchland The neural mechanisms of moral cognition A multiple aspect approach to moral judgement and decision making In Philosophy and Biology 2003 S 169 194 a b Adina Roskies A case study of neuroethics The nature of moral judgement In Judy Illes Hg Neuroethics defining the issues in theory practice and policy Oxford University Press Oxford 2006 ISBN 0 19 856721 9 Adina Roskies Are ethical judgement intrinsically motivational Lessons from acquired sociopathy In Philosophical Psychology 2003 S 51 66 nbsp Dieser Artikel wurde am 11 September 2006 in dieser Version in die Liste der exzellenten Artikel aufgenommen Abgerufen von https de wikipedia org w index php title Neuroethik amp oldid 233381177