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Als mechanistisches Weltbild auch Mechanizismus Mechanismus Mechanistische Weltanschauung mechanische Philosophie bezeichnet man eine philosophische Position die im Sinne eines metaphysischen Materialismus von der These ausgeht dass nur Materie existiert und z B der menschliche Geist oder Wille nicht durch Bezug auf Immaterielles erklarbar ist Eine Unterform dieser These ist der Atomismus wonach die gesamte Wirklichkeit aus kleinsten materiellen Objekten besteht Hinzu kommt ublicherweise die Annahme dass Materie nur ein ausserst enges Handlungsrepertoire besitzt Sie kann lediglich auf aussere Einflusse reagieren und tut dies bei gleichen Impulsen immer auf die gleiche Art Daraus ergibt sich ein Determinismus das heisst die These dass die gesamte Wirklichkeit durch strikte Naturgesetze regiert wird so dass prinzipiell bei deren exakter Kenntnis sowie einer exakten Kenntnis des Weltzustands zu einem Zeitpunkt die Zustande zu allen anderen Zeitpunkten errechenbar seien Das schliesst mittels der materialistischen These auch Zustande des menschlichen Geistes und Willens ein Diese Annahme hat zum Gedankenexperiment des Laplaceschen Damons gefuhrt Beiden metaphysischen Thesen Materialismus und Determinismus entspricht eine wissenschaftstheoretische Methodologie wonach die Natur quantitativ und kausal durch Bezug auf strikte Gesetze erklart werden soll und kann wie es zum ersten Mal im Anwendungsbereich der klassischen newtonschen Mechanik gelungen war Im Bereich biologischer Prozesse steht diese Position im Gegensatz zum Vitalismus bei dem ein eigenes Lebensprinzip angenommen wird siehe etwa Doctrine medicale de l Ecole de Montpellier Inhaltsverzeichnis 1 Geschichte 1 1 Die Welt als Maschine Uhrenvergleich 1 2 Aufstieg der Mechanik 1 3 Geschichte des Experiments 1 4 Das neue Wissenschaftsideal 1 5 Ende der mechanistischen Weltsicht 1 6 Beispiel Geschichte der Biologie 2 Rezeption 3 Siehe auch 4 Literatur 5 Weblinks 6 EinzelnachweiseGeschichte BearbeitenSiehe auch Geschichte der Klassischen Mechanik Das mechanistische Weltbild entstand in der fruhen Neuzeit breitete sich in samtliche gesellschaftlichen kulturellen und geistigen Lebensbereiche aus Natur Mensch Gesellschaft Staat Seelenleben und wurde schliesslich zum Paradigma wissenschaftlicher Rationalitat uberhaupt Legitimation fur die Entwicklung waren nicht zuletzt gewisse Bibelaussagen wie die von der Gottebenbildlichkeit des Menschen Genesis 1 27 EU des macht euch die Erde untertan Genesis 1 28 EU die theologisch begrundete Herrschaft des Menschen uber die Natur der zufolge der Mensch Verfugungsgewalt uber die Natur hat Der Mensch als maitre et possesseur de la nature Herr und Besitzer der Natur wird zum Leitbild der neuzeitlichen Weltsicht 1 Zeitlich ordnet man das mechanistische Weltbild dem 16 19 Jahrhundert zu Die Welt als Maschine Uhrenvergleich Bearbeiten Die Vorstellung von der machina mundi der Weltmaschine 2 war uber die Chalcidius Ubersetzung des platonischen Timaios um 400 n Chr ins Mittelalter gekommen hatte damals aber noch organismische Bedeutung im Sinn eines lebendigen organischen Weltganzen 3 Im Spatmittelalter erfuhr der Begriff eine Bedeutungsverschiebung hin zur Vorstellung von der unbelebten toten Maschine im weiteren Verlauf auch negativ zur geist und seelenlos klappernden und ratternden Maschine Bei der Charakteristik der Welt als Maschine spielt insbesondere eine bestimmte Maschine eine Rolle und zwar die Uhr Dabei wird die Welt mit einer Uhr verglichen Gott erscheint als der allmachtige Uhrmacher Ein fruher Beleg fur den Uhrenvergleich findet sich bei Nikolaus v Oresme 14 Jahrhundert Denn wurde einer nicht wenn er eine Uhr herstellte dafur sorgen dass alle Bewegungen und Kreislaufe aufeinander abgestimmt sind Um wie viel mehr ist das von jenem Architekten anzunehmen von dem es heisst er habe alles nach Mass Zahl und Gewicht geschaffen 4 Eine Briefstelle bei Kepler 1605 Mein Ziel ist es zu zeigen dass die himmlische Maschine nicht eine Art gottliches Lebewesen ist sondern gleichsam ein Uhrwerk 5 dokumentiert dass der Bedeutungswandel des Maschinenbegriffs von der organismischen Bedeutung Lebewesen zur unbelebten Bedeutung Uhrwerk vollzogen ist Bei Descartes Meditationes de prima philosophia 1641 wird die Maschinenvorstellung auf den menschlichen Korper ubertragen und zum Wunderwerk der Raderuhr in Beziehung gesetzt Ja ebenso wie eine Uhr so steht es auch mit dem menschlichen Korper wenn ich ihn als eine Art Maschine betrachte die aus Knochen Nerven Muskeln Adern Blut und Haut eingerichtet und zusammengesetzt ist 6 Descartes entwickelt eine ganz neuartige Sicht auf den menschlichen und tierischen Korper im Sinn einer selbstandig funktionierenden Maschine mechanistische Physiologie Diese Auffassung spiegelt sich in dem spateren beruhmten Buchtitel von La Mettrie L homme machine Der Mensch eine Maschine 1748 Da zu jener spateren Zeit die maschinelle Produktion aufkam trat das Bild vom Zahnrad neben das Bild der Uhr zum Zeichen fur einen Mechanismus bei dem ein Zahnradchen ins andere greift Ihren pragnantesten Ausdruck fand die Uhrenvorstellung in den Grossuhren z B am Dom von Munster und am Dom von Strassburg Sie zeigen nicht nur die Stunden an sondern auch kalendarische Angaben zu Tag Monat Jahr den Stand der Planeten verbunden mit einem Glockenspiel und einem Reigen aus Kaiser Furst Edelmann Burger Sie sind damit ein Sinnbild der kosmischen Ordnung Es ist daher nicht verwunderlich dass gerade die Uhr die Ordnung Gliederung Geregeltheit verkorpert mit der ebenfalls geordneten gegliederten und geregelten Welt verglichen wurde 7 Auf Thomas Hobbes geht die Mechanisierung des Staatswesens zuruck indem er den Maschinenbegriff mitsamt der mechanistischen Methode auf Gesellschaft und Staat ubertrug Leviathan 1651 8 Der Naturzustand erscheint bei Hobbes als schlecht weil sich die Menschen auf Grund von Macht und Gewinnstreben Ehrgeiz und Eigennutz gegenseitig vernichten homo homini lupus der Mensch ist dem Menschen ein Wolf Um dieser Konsequenz zu entgehen schliessen sich die Menschen in dem kunstlichen Gebilde eines Staats zusammen wobei alle Macht einem Souveran ubertragen wird Gemass dieser Konzeption wird der Staat in das Bild einer uberdimensionierten Maschine gekleidet der Souveran ubernimmt die Funktion eines Technikers der diesen Maschinenstaat kontrolliert Im 18 19 Jahrhundert schliesslich wird die Maschinenvorstellung auf das Seelenleben ubertragen Mechanisierung des Seelenlebens 9 Beispiele hierfur sind aus der Fruhzeit David Hume A Treatise of Human Nature 1738 aus der Spatzeit J F Herbarts mentale Physik Psychologie als Wissenschaft 1824 25 Das gesamte Seelenleben wird hier nach mechanistischen Regeln erklart Am Anfang des 20 Jahrhunderts entwickelte der amerikanische Ingenieur und Unternehmer F W Taylor 1856 1915 eine Theorie zur Betriebsfuhrung 10 Der sogenannte Taylorismus sieht genaue Arbeitsbeschreibungen und Zeitvorgaben Einsatz der Stoppuhr fur die Verrichtung von Arbeitstatigkeiten vor Die Vorstellung der Uhr taucht hier in der bezeichnenden Abart der Stoppuhr zur Bemessung von Vorgangszeiten wieder auf Der Mensch wird in diesem Arbeitssystem zu einem Zahnrad in einer riesigen Fertigungsmaschine Fallt das Zahnrad aus kann es problemlos durch einen anderen Menschen ersetzt werden Mit der Entwicklung von Taylor drang die Maschinenvorstellung in die Organisationsform der Zusammenarbeit in der Arbeitswelt ein Aufstieg der Mechanik Bearbeiten Geht man davon aus dass sich das mechanistische Weltbild aus der Vorstellung von Gott als dem allmachtigen Uhrmacher und der Welt als mechanischer Uhr als Produkt dieses gottlichen Uhrmachers entwickelt hat dann erscheint es sinnvoll einen Blick auf die Geschichte der Uhr insbesondere der mechanischen Raderuhr zu werfen Zwischen 1000 und 1300 bemuhten sich Tuftler in ganz Europa die noch nach dem Prinzip der Intuition vorgingen bei der Uhrenkonstruktion von der Abhangigkeit von naturlichen Energiequellen Sonnenuhr Wasseruhr Sanduhr Kerzenuhr loszukommen und mechanische Zeitmesser zu entwickeln Schliesslich wurde irgendwo in Europa wahrscheinlich im klosterlichen Bereich das Prinzip der Raderuhr 11 mit Waaghemmung erfunden Erste Exemplare dieser Uhren hatten ein Lautwerk aber wohl weder Zifferblatt noch Zeiger und dienten als Weckinstrumente fur die punktliche Abhaltung liturgischer Gebete horologium clocke zytglocke Zifferblatt und Stundenzeiger kamen erst spater hinzu Minutenzeiger erst ab dem 17 Jahrhundert Schon an den einzelnen Bauteilen aus denen eine Raderuhr zusammengesetzt ist kann man erkennen dass es sich bei derartigen Uhren um komplizierte Konstruktionen handelt Zuggewicht Antriebswelle Balkenunruh Waag Spindel Kron Steig Spindelrad Wellenachse Zahnrad Als alteste Gross Raderuhren gelten die der Kathedrale von Exeter 1284 der St Pauls Kathedrale von London 1286 sowie die der Kathedralen von Canterbury und von Sens beide 1292 Dante verglich um 1320 in seiner Gottlichen Komodie einen paradiesischen Reigentanz mit dem Raderspiel einer Uhr Auch bei der Einfuhrung der Raderuhr macht sich der Vorsprung des Westens bemerkbar die Entwicklung setzte in England Spanien Italien Frankreich eher ein als in Deutschland Die mechanische Uhr verbreitete sich derart epidemisch uber ganz Europa dass man geradezu von einem Beschaffungsboom sprechen muss Galileo Galilei kommt in der beginnenden Neuzeit das Verdienst zu die gerade entstehende Wissenschaft der Technischen Mechanik 12 auf eine formale mathematische Grundlage gestellt zu haben Galilei gilt als wesentlicher Begrunder der modernen Naturwissenschaften Zum einen entwickelte er die heute noch massgebliche Methode bestehend aus der Kombination von eigener Beobachtung gegebenenfalls anhand von geplanten Experimenten mit moglichst genauer quantitativer Messung der beobachtbaren Grossen und der Analyse der Messergebnisse mit den Mitteln der Mathematik Zum anderen forderte er den so gewonnenen Ergebnissen eine Vorrangstellung vor rein philosophisch oder theologisch begrundeten Aussagen uber die Natur zuzuerkennen Isaac Newton schrieb mit der Erfindung der Infinitesimalrechnung basierend auf mechanischen Beobachtungen Wissenschaftsgeschichte Christiaan Huygens erfand die Pendeluhr dies war das erste Mal dass die Funktionsweise einer neuen Uhr mathematisch prazise berechnet und mit Hilfe von geometrischen Konstruktionszeichnungen entwickelt wurde Die Mitglieder der Familie Bernoulli Leonhard Euler und Charles Augustin de Coulomb bereiteten im 18 Jahrhundert den Boden fur die noch heute gultige Technische Mechanik welche die Grundlage fur viele Disziplinen der Technik bildet Geschichte des Experiments Bearbeiten Karen Gloy definiert das moderne Experiment so dass in der Regel von einem vorlaufigen Theorieentwurf ausgegangen wird um diesen anhand des Experiments zu verifizieren oder zu falsifizieren 13 bzw um zwischen konkurrierenden Modellen zu entscheiden 14 Lasst man die Geschichte des Experiments im Hochmittelalter beginnen z B Albert der Grosse ca 1200 1280 15 von der Antike wird hier abgesehen dann zeigt sich dass das mittelalterliche Verstandnis vom Experiment gemass obiger Definition noch wenig Gemeinsamkeit mit dem modernen zeigt Das lateinische Wort experimentum experiri war im Mittelalter gleichbedeutend mit Erfahrung sinnlicher Wahrnehmung Bei Albert bedeutet Experiment noch nicht viel mehr als die grundsatzliche empirische Ausrichtung die eigene Erfahrung wird dem blossen Glauben und dem blinden Vertrauen auf schriftlich oder mundlich Tradiertes entgegengesetzt Ein Fortschritt in der Experimentalanalyse findet sich erst bei Francis Bacon 16 1561 1626 z B Novum Organon 1620 auch wenn Bacon keine eigene Forschung betrieb sondern mehr ein Wissenschafts Manager war F Bacon kleidet seine Grunduberzeugung namlich dass der Mensch aufgrund seiner Vernunft zur Herrschaft uber die Natur bestimmt sei in das Bild von der Gerichtssituation der forschende Mensch ist der Richter die Natur sitzt auf der Anklagebank wie ein Angeklagter der sich weigert die Wahrheit zu sagen und der nur unter Anwendung von Gewalt dazu gebracht werden kann mit der Wahrheit herauszurucken Eine der Methoden die Bacon entwickelte ist die sogenannte Listenmethode Es ist vorzugehen in dem Dreischritt Beobachten Beobachtungsdaten sammeln in Listen Auswerten Aus der Auswertung ergibt sich dann das allerdings verbal formulierte Gesetz Bei dem Versuch einer Bewertung von Bacons Experimentalmethode im Licht der eingangs erwahnten modernen Definition des Experiments ergibt sich dass Bacons Vorgehensweise eher eine instrumentelle Methodisierung des alten Naturverstehens darstellt als die Anwendung von Experimenten im modernen Sinn bei denen von einer vorgefassten Theorie ausgegangen wird die dann durch das Experiment verifiziert oder falsifiziert werden soll Eine weitere Stufe der Entwicklung ist mit Galileo Galilei 17 1564 1642 erreicht Zwei Innovationen gehen auf Galilei zuruck die unter dem Schlagwort der galileischen Wende in die Geschichte eingegangen sind Die erste Innovation Galileis ist die Einschrankung Reduktion der Erklarungsgrunde fur ein Problem auf die quantitativen Bestimmungen unter Ausschluss der qualitativen Bestimmungen und damit verbunden deren exklusiv mathematische Formulierung das Gesetz das gefunden wird wird nicht mehr verbal formuliert wie noch bei F Bacon sondern in Gestalt einer mathematischen Formel Als Beispiel diene das Fallgesetz es geht nicht mehr um das Wesen des Falls sondern die Fallbewegung wird in eine Reihe von Raum und Zeitpunkten aufgelost so dass jedem Punkt der Wegstrecke ein bestimmter Moment der Zeitstrecke entspricht Die dahinter stehende Regel das Naturgesetz wird in Form einer mathematischen Formel aufgeschrieben Dieselbe Grundidee liegt auch der Entdeckung der analytischen Geometrie durch Descartes und der Erfindung der Differentialrechnung durch Newton und Leibniz zugrunde Die zweite entscheidende Neuerung die mit Galilei zum Durchbruch kam ist die fundamentale Rolle des Experiments in methodentheoretischer Hinsicht Sie entspricht im Wesentlichen der modernen Definition Man geht von einer oder mehreren vorgeschlagenen Theorien aus und entwickelt ein Experiment zu dem Zweck diese zu uberprufen also zu bestatigen oder zu falsifizieren oder um zwischen den konkurrierenden Theorien entscheiden zu konnen Das neue Wissenschaftsideal Bearbeiten Francis Bacon hat in seinen Schriften Novum Organon 1620 und Nova Atlantis 1624 viele Merkmale zum ersten Mal beschrieben die den geistigen Prototyp aller spateren wissenschaftlichen Einstellung Teamarbeit und Forschungsinstitute abgeben 18 Vier Bereiche idola Trugbilder sind es die den Menschen bei der Naturforschung behindern die idola tribus des Stammes d h die Einschrankungen durch die menschliche Natur die idola specu der Hohle das ist das was man mit kultureller Pragung beschreiben konnte die idola fori des Marktes verkehrter Sprachgebrauch falsche Definitionen leere Wortgefechte die idola theatri des Theaters das Verhaftetsein in bestimmten philosophischen Systemen Bacon stellte nicht nur Uberlegungen zur Methode in den Einzelwissenschaften an sondern auch solche zur Methode interdisziplinarer Forschung und zum Prinzip der modernen Arbeitsteilung Teamwork in der Forschung wahrend eine Gruppe Materialien sammelt und Recherchen durchfuhrt fuhrt eine andere Gruppe Experimente durch wieder eine andere analysiert und tabelliert die Versuchsergebnisse und noch eine andere denkt uber praktische Anwendungsmoglichkeiten nach Bedeutsam und zukunftsweisend sind in den genannten Werken daruber hinaus Uberlegungen zu Umfang und Ausmass experimenteller Betatigung und vor allem zu Manipulation und zu kunstlich technischen Eingriffen in die Natur z B kunstliche Erzeugung von Licht Warme Wind Schnee Bau von Turmen zur Beobachtung des Wetters Anlage kunstlicher Quellen Brunnen Seen Zuchtung und Manipulation von Pflanzen und Tieren auf dem Weg der Kreuzung Pfropfung u a Zuchtung ertragreicher und weniger ertragreicher Arten Prinzip der Gewinnmaximierung Zuchtung von Zwergwuchs und Riesenformen sogar Zuchtung von gewissen Gemutsarten z B Hunde zur Hetzjagd oder zum Huten von Schafen Zuchtung von Schlangen Wurmern Mucken und Fischen aus verwesenden Stoffen Was hier von Bacon als Wissenschafts und Fortschrittsziel proklamiert wird entspricht offensichtlich einem Wunschtraum der Menschheit die totale Manipulation der Natur die kunstliche Herstellung aller Dinge Bei F Bacon zeigen sich zum ersten Mal die Fundamente des modernen Verfugungswissens gegenuber dem traditionellen Orientierungswissen Uber der Faszination der kunstlichen Beherrschung der Natur durch Wissenschaft und Technik wie sie fur Bacon und das mechanistische Zeitalter symptomatisch ist wurden die negativen Auswirkungen ubersehen die schon damals wenngleich in geringerem Ausmass als heute sichtbar waren z B die durch Waldrodung bedingte Verkarstung der Boden Wasser Luftverschmutzung Ende der mechanistischen Weltsicht Bearbeiten Im 19 20 Jahrhundert war das Ende der Vorstellung von der Welt als Maschine gekommen Neue Entwicklungen in den Wissenschaften des 19 und vor allem des 20 Jahrhunderts fuhrten zu einem Weltbild fur welches das Bild vom mechanischen Uhrwerk nicht mehr passte Man konnte die Entwicklung zusammenfassen unter dem Titel Vom mechanistischen zum systemischen Naturverstandnis Interpretiert man die Gesamtentwicklung als Hoherentwicklung im Sinn eines Abstraktionsprozesses 19 dann ergibt sich die Abfolge die Welt als lebendiges organisches Weltganzes bis zum Spatmittelalter Abstraktion zur statischen Vorstellung der Welt als Maschine 16 bis 19 Jahrhundert weitere Abstraktion zum dynamisch systemischen Naturverstandnis einer Welt aus Systemen seit Ende des 19 Jahrhunderts Fur die Entwicklung vom mechanistischen zum systemischen Naturverstandnis sind nach Willy Obrist folgende Grunde zu nennen 20 Der Aufstieg des Energie Begriffs seit der 2 Halfte des 19 Jahrhunderts Hatte man ursprunglich noch Energie und Materie unterschieden so entstand durch die Entdeckung von Albert Einstein 1879 1955 dass Materie und Energie letztendlich dasselbe sind die Uberzeugung die gesamte raumzeitliche Wirklichkeit lasse sich auf Energie bzw energetische Prozesse zuruckfuhren Die Entwicklung von der starren zur statistischen Auffassung der Kausalitat Hatte man bis zum 19 Jahrhundert die Kausalitat in Form von starren Ursache Wirkung Ketten aufgefasst so musste man aufgrund der Entdeckungen Max Plancks 1858 1947 akzeptieren dass im subatomaren Bereich nicht mehr das einzelne Partikel erfasst werden kann sondern nur noch grosse Gruppen Gemessene Wirkungen waren somit als Gruppenwirkungen aufzufassen Dadurch wurde die starre Sicht der Kausalitat von der statistischen abgelost Das Aufkommen der Kybernetik Als die Regelung das Geregelt Sein vieler Naturvorgange inklusive des Vernetzungsdenkens die Aufmerksamkeit auf sich zog bildete sich diese neue Richtung der Wissenschaft quer durch viele Disziplinen hindurch Als Begrunder gilt der amerikanische Mathematiker Norbert Wiener 1894 1964 Siehe auch Kunstliche Intelligenz Die Entstehung der Chaosforschung Damit zerbrockelte die lineare Vorstellung der Naturprozesse Erkenntnisse aus der Chaosforschung ergaben dass Naturprozesse nicht linear verlaufen d h dass Prozesse in der Regel an einen Punkt gelangen an dem sie in verschiedene nicht vorhersehbare Richtungen umschlagen konnen Aufgrund der Einsicht dass selbst einfache Naturprozesse nicht linear verlaufen musste man die Hoffnung kunftige Entwicklungen der Natur exakt voraussagen zu konnen aufgeben damit war dem Determinismus endgultig der Boden entzogen Herausbildung des System Begriffs Damit wurde seit Mitte des 20 Jahrhunderts der entscheidende Schritt zu einer grundlegend neuen Sichtweise der Natur getan Ein System kann umschrieben werden als dynamisches ganzheitliches Gebilde das zumindest von der Stufe des Lebendigen an die Fahigkeit hat sich unter Aufrechterhaltung der Ganzheit zu transformieren Als Beispiel mogen die hoheren Lebewesen dienen die sich vom Embryo uber die Kindes zur Jugendform danach uber die Erwachsenen zur Altersform transformieren Fur solche Vorgange passen die Bilder vom mechanischen Uhrwerk Zahnrad oder von der Dampfmaschine nicht Die systemische Sichtweise hat inzwischen sowohl in den Natur wie in den Kulturwissenschaften die altere mechanistische Sichtweise abgelost Beispiel Geschichte der Biologie Bearbeiten Ein aufschlussreiches Beispiel dafur dass es zu jeder Weltsicht immer erbitterte Gegner gibt liefert die Geschichte der Biologie 21 Die Geschichte der Biologie ist gepragt von endlosen Auseinandersetzungen zwischen den Mechanisten und den Vitalisten Die Mechanisten vertreten die Ansicht Leben sei letztlich nichts anderes als Mechanik wobei Lebewesen haufig als Maschinen beschrieben ja mit Maschinen identifiziert werden Die Vitalisten dagegen sehen das Leben sozusagen von oben bestimmt durch eine Vitalkraft die die Beseeltheit alles Lebenden zum Ausdruck bringen soll Im 17 Jahrhundert interpretierte G A Borelli 1608 1679 die Konstruktion des Menschen als eine Arbeit leistende Skelett Muskel Maschine Diese Auffassung gipfelt im 18 Jahrhundert in dem umstrittenen Werk des franzosischen Arztes J O de La Mettrie 1709 1751 L homme machine Der Mensch eine Maschine 1747 Im 19 Jahrhundert fuhrte Charles Darwin mit seiner Selektionstheorie die Evolution der Lebewesen auf die naturliche Auslese also ein mechanisch wirkendes Prinzip zuruck 22 Aus Opposition zu der mit der neuzeitlichen Naturwissenschaft aufbluhenden mechanistischen Sichtweise entwickelten die Vitalisten im 18 und 19 Jahrhundert auf breiter Basis die sogenannten Lebenskraftlehren aus der Uberzeugung heraus dass sich nicht alle Lebenserscheinungen rein physikalisch mechanisch erklaren lassen Um 1900 etablierte sich aus heftigem Widerstand gegen den Mechanismus heraus der Neovitalismus unter dem Eindruck dass bestimmte Probleme der Genetik und der Evolutionsforschung durch den mechanistischen Ansatz nicht befriedigend erklart waren Hans Driesch 1867 1941 erneuerte den Gedanken an die Entelechie Henri Bergson 1859 1941 sprach vom elan vital Lebensschwungkraft Um 1950 schlug das Pendel dann wieder ins andere Extrem um als mit der Begrundung der Molekularbiologie v a dann mit der Entzifferung des genetischen Codes das Geheimnis der Reproduktion und Vererbung im Bereich des Lebendigen geluftet wurde Fortan und bis heute deklarierten sich viele Biologen als Vertreter eines Molekularmechanismus wonach das Leben doch letztlich nur wieder eine Sache der Chemie und der Physik sei Nach Wuketits wurde der Dualismus Mechanismus vs Vitalismus schliesslich durch die systemtheoretische Betrachtungsweise wie sie z B Ludwig v Bertalanffy 1901 1972 vertritt uberwunden Der systemtheoretische Lebensbegriff besagt dass das Leben trotz seiner physikalisch chemischen Grundlagen nicht restlos auf Physik und Chemie reduziert werden kann Damit wird ein neuer Lebensbegriff sichtbar und eine Philosophie des Lebendigen moglich die die alten Gegensatze uberwunden hat Rezeption BearbeitenNach Hannah Arendt ist das Uhrengleichnis als evidentes Paradigma fur das mechanistische Weltbild anzusehen Ein fruher Beleg fur den Uhrenvergleich stammt aus dem 14 Jahrhundert Nikolaus von Oresme Die Natur wird als Produkt eines gottlichen Herstellers angesehen Andererseits symbolisiert dieses Anschauungsmodell die beginnende Vergottlichung des Homo faber Die Begrenztheit der Naturerkenntnis habe in diesem etwas starren mechanistischen Bilde eben noch verharrt 23 Siehe auch BearbeitenLiteraturangaben und z T auch die unter Weblinks angefuhrten Darstellungen in den Artikeln Atomismus Isaac Newton Materialismus Maschinenparadigma Physikalismus Positivismus SzientismusLiteratur BearbeitenFranz Borkenau Der Ubergang vom Feudalen zum burgerlichen Weltbild Studien zur Geschichte der Philosophie der Manufakturperiode Paris 1934 Neudruck Wissenschaftl Buchgemeinschaft Darmstadt 1971 Eduard Jan Dijksterhuis Die Mechanisierung des Weltbildes Reprint der Ausgabe 1956 Springer Berlin Heidelberg New York 1983 ISBN 3 540 02003 9 Christoph Luthy John E Murdoch William R Newman Hrsg Late Medieval and Early Modern Corpuscular Matter Theory Brill Leiden 2001 Samuel I Mintz The Hunting of Leviathan Seventeenth Century Reactions to the Materialism and Moral Philosophy of Thomas Hobbes Cambridge University Press Cambridge UK 1962 Margarete J Osler Mechanical Philosophy In New Dictionary of the History of Ideas 1389 1392 Karen Gloy Die Geschichte des wissenschaftlichen Denkens 1995 Rudolf Eisler Mechanisierung des Bewusstseins und Mechanistische Weltansicht In Worterbuch der philosophischen Begriffe 1904 Patrice Leiteritz Das Rad in der Maschine Handbuch der mechanischen Philosophie 4 Auflage 2021 ISBN 9783752667134 Weblinks BearbeitenRoland Muller Auswahlbibliografie zum mechanistischen DenkenEinzelnachweise Bearbeiten Rene Descartes Discours de la Methode 1637 Das Kapitel Die Welt als Maschine Uhrenvergleich ist beschrieben nach Karen Gloy Die Geschichte des wissenschaftlichen Denkens In Komet 1995 4 Teil Neuzeitliches Naturverstandnis Gloy S 167 Gloy S 168 Gloy S 167 Brief an Herwart von Hohenburg vom 10 Februar 1605 Gloy S 168 Meditationes de prima philosophia 1641 Gloy S 169 Gloy S 172 Gloy S 172 Dieser Abschnitt nach Sebastian Stein Probleme der Softwareentwicklung 2004 Emergenz hpfsc de Das Folgende nach Raderuhr In Lexikon des Mittelalters 9 Bande Munchen Zurich 1977 1999 Dieser Absatz nach den wikipedia Seiten zu Technische Mechanik und Galileo Galilei Gloy S 190 Gloy S 195 Gloy S 187 Gloy S 179ff Gloy S 193 ff Gloy S 179 ff z B Gloy S 36f Willy Obrist Die Natur Quelle von Ethik und Sinn 1999 Das Folgende ist dargestellt nach Franz Wuketits Vitalismus Mechanismus In Lexikon der Biologie Band 8 Herder 1987 S 347 ff bzw Internet www spektrum de lexikon Biologie 1999 Wuketits bezeichnet die Sicht Darwins nicht als mechanistisch sondern als naturalistisch Hannah Arendt Vita activa oder vom tatigen Leben 3 Auflage R Piper Munchen 1983 ISBN 3 492 00517 9 S 290 f 120 305Normdaten Sachbegriff GND 4281619 1 lobid OGND AKS Abgerufen von https de wikipedia org w index php title Mechanistisches Weltbild amp oldid 236552030