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Unter Augustinismus wird die Rezeption des christlichen Theologen und Kirchenlehrers Augustinus von Hippo 354 430 verstanden Mit dem Begriff wird insofern die Wirkungsgeschichte von Augustinus insbesondere in der Geschichte des Abendlandes beschrieben Inhaltsverzeichnis 1 Merkmale und Bedeutung 2 Zur Wirkungsgeschichte 3 Literatur 4 Weblinks 5 EinzelnachweiseMerkmale und Bedeutung BearbeitenAls Hauptmerkmale des Augustinismus stellte Wilhelm Geerlings zwei allgemeine Aspekte heraus 1 Die dualistische Aufteilung der Wirklichkeit 2 Ein aus diesem Dualismus abgeleitetes erkenntnistheoretisches Prinzip des Uberschreitens der sinnlichen hin zu einer unsichtbaren Welt 1 Konkret haben insbesondere Augustinus Erwagungen uber den Gottesstaat De civitate Dei uber die Trinitat De Trinitate Pradestination Erbsunde und Gnade die weiteren Diskussionen uber die grossen Themen der Theologie bis in die Gegenwart hinein bestimmt In diesem Sinne ist der Augustinismus eine Grundstruktur abendlandischer Theologie 2 Weitgehend unerforscht ist inwieweit der Augustinismus gnostische Ideen in der abendlandischen Geschichte transportiert haben konnte Augustinus der mehrere Jahre Anhanger des Manichaismus war bevor er zum Gegner dieser Religion wurde und sich dem Christentum zuwandte 3 verstand Weltgeschichte als eine gewaltige Auseinandersetzung zwischen dem Reich Christi und dem Reich des Bosen 4 Der Philosoph Ernst Cassirer merkte in diesem Kontext an dass die fortdauernde Einwirkung die die manichaische Lehre auf Augustin auch nach dem Bruch mit dem Manichaismus geubt hat nicht genugend beachtet zu werden pflegt 5 Mit dieser Auffassung nahm er explizit Bezug auf eine Vortragsreihe von Richard Reitzenstein aus den Jahren 1922 und 1923 Der Gnosis Forscher Sonnenschmidt legte sich in seinem Buch Politische Gnosis dagegen nicht auf einen direkten Zusammenhang zwischen der antiken Gnosis und der politischen Gnosis in der Moderne fest Vielmehr stellte er diesen Aspekt als eine Forschungsperspektive heraus und fragte sich auch mit ausdrucklichen und beispielhaften Bezug auf Augustinus Der Bogen der von der spatantiken Gnosis zur modernen Gnosis in der Untersuchung gespannt ist eroffnet neue Forschungsperspektiven die unter der allgemeinen Hinsicht zusammengefasst werden konnen ob es eine Entwicklungslinie bzw Entwicklungs logik der Gnosis zumindest im Abendland gibt 6 Ein bedeutsames und folgenreiches Thema mit dem sich Augustinus in seiner Opposition gegen den Pelagianismus seiner Zeit wandte war die Frage nach der Willensfreiheit des Menschen Nach Augustinus der sich diesbezuglich auf Paulus berief ist die Sunde keine freie Tat Aller guter Wille des Menschen ist von Gott abhangig ein Gedanke der spater auch Luther bewegte 2 Ferdinand Baur stellte heraus dass die augustinische Erbsundenlehre sogar noch uber den manichaischen Sunden und Freiheitsbegriff hinausgehe 7 Augustin hat nach Baur fur den Urzustand Adams genau dieselbe Freiheit behauptet wie Pelagius fur den Menschen insgesamt So sei er von der Freiheit des Menschen ausgegangen um sie sogleich wieder fallen zu lassen 7 Der Philosoph Peter Sloterdijk pointierte dass das Phanomen Augustinus ideen und mentalitatsgeschichtlich schicksalhaft geworden sei weil durch ihn der bewegendste Gedanke der alten Welt Platons Deutung der Liebe als Heimweh nach dem praexistentiell intuierten Guten einer folgenreichen verdusterenden Neudeutung ja einer Umkehrung unterworfen wurde 8 Und er fugte hinzu Augustinus hat die Schleusen geoffnet durch die seither primarmasochistische Energien ins europaische Denken einstromen er hat mit einer Radikalitat die ihn geradezu in den Rang einer hoheren Gewalt erhob das menschlich Unheilbare zum Hauptmotiv seiner Wirklichkeitsdeutung erhoben 8 Zur Wirkungsgeschichte BearbeitenSchon kurz nach dem Tod von Augustinus setzte eine Verzettelung hinsichtlich der Rezeption seiner Schriften ein die dazu fuhrte dass seine Denkweisen nur bruchstuckhaft an die christlichen Denker des Mittelalters vermittelt wurden So wurden in die erkenntnistheoretische Diskussion und in der Frage um den ontologischen Gottesbeweis lediglich die fruhen Schriften von Augustinus aufgenommen 1 Gleichsam interessierten sich die Denker des Mittelalters fur die politischen Aspekte der Schriften von Augustinus Das Hauptaugenmerk des politischen Augustinismus richtete sich dabei auf dessen Werk uber den Gottesstaat De civitate Dei 1 Besonders fur das Franziskanertum war ein starker Augustinismus stets charakteristisch 9 Fur das ausgehende Hochmittelalter ist diesbezuglich vor allem der Philosoph und Theologe Bonaventura 1221 1274 zu erwahnen 9 Rezipiert wurde Augustinus auch von Gerard Groote 1340 1384 der sich ebenso fur Bernhard von Clairvaux interessierte Schuler von Jan van Ruysbroek war und spater eine eigene Bruderschaft grundete Die bedeutendste Schrift dieser Bruderschaft die erhebliche Verbreitung fand war die Nachfolge Christi 10 In ideengeschichtlicher Hinsicht lasst sich der Augustinismus auch in der Zeit der Renaissance und Reformation nachweisen So vor allem in der Gnadenlehre und Rechtfertigungslehre sowie in der Konzeption von zwei Reichen des Kirchenreformators Martin Luther 1483 1546 1 Das Konzil von Trient dessen Beschlusse in Opposition zu den Reformbestrebungen der fruhen Neuzeit formuliert wurden zeigte dagegen hinsichtlich der Gnaden Kirchen und Sakramentenlehre einen anderen Augustinus 1 Die neuen Entdeckungen in der Zeit der Renaissance fuhrten zu Verunsicherungen Entgegen der christlichen von Augustinus vertretenen Auffassung hatten die Entdeckungen gezeigt dass es eine Vielzahl irdischer Welten gibt und die Moglichkeit einer Diskussion uber den polygenetischen Ursprung der Menschheit nicht auszuschliessen war 11 Insbesondere die Jesuiten versuchten die neuen Tatsachen mit alten Prinzipien zu versohnen indem sie den philosophischen Begriff Erfahrung heranzogen um zu erklaren wie und warum ein Augustinus irren konnte 11 Auch bei dem Philosophen Gottfried Wilhelm Leibniz 1646 1716 findet sich ein entsprechender Versuch der Neudeutung von Augustinus So war Leibniz der Ansicht dass die antike Meinung von der Winzigkeit des Universums Augustinus daran gehindert habe eine angemessene Erklarung fur das Bose zu geben 12 Der Jansenismus des 17 und 18 Jahrhunderts setzte sich vor allem mit den dusteren Denkweisen von Augustinus auseinander und beschaftigte sich mit dessen Gnadenlehre 1 Ebenso finden sich Ideen von Augustinus im Werk des politischen Philosophen Jean Jacques Rousseau 1712 1778 fur den vor allem die Frage nach der Freiheit des Menschen in der politischen burgerlichen Gemeinschaft im Mittelpunkt seiner Uberlegungen stand 13 Die Philosophin Susan Neiman schrieb diesbezuglich Gleich Augustinus sah Rousseau in der menschlichen Freiheit Gottes grosste Gabe gleich Augustinus schilderte er unermudlich wie sehr wir sie missbrauchen Anders als Augustinus meint Rousseau der Sundenfall und die mogliche Erlosung davon liessen sich ganz und gar naturlich erklaren Naturlich meint hier wissenschaftlich im Gegensatz zu theologisch Rousseau setzt die Geschichte an die Stelle der Theologie und an die Stelle der Gnade die padagogische Psychologie 14 Auch in der Philosophie des 20 Jahrhunderts ist die Rezeption der Denkweisen von Augustinus nachweisbar so zum Beispiel bei Max Scheler 1874 1928 und Martin Heidegger 1889 1976 1 Hannah Arendt 1905 1975 legte in ihrer 1929 erschienenen Dissertation Der Liebesbegriff bei Augustin erstmals anknupfend an eine These in den Bekenntnissen die Grundlage fur ihre Auffassung uber die herausragende Bedeutung der Geburt spater Geburtlichkeit Natalitat gegenuber einer Philosophie des Todes 15 In ihren Werken zitiert sie haufig eine Stelle aus Augustinus De civitate Dei Initium ut esset creatus est homo ante quem nullus fuit Damit ein Anfang sei wurde der Mensch geschaffen 16 dd In der politischen Theologie um die Jahrhundertwende war Adolf von Harnack 1851 1930 von herausragender Bedeutung In seiner 1922 verlegten Schrift Augustin postulierte Harnack seine Forderung nach einem neuen Augustinismus in dem die Ehrfurcht vor Gott als der Quelle aller hohen Guter die Erkenntnis und die Gesinnungen der Menschen durchdringt die wahre Freiheit begrundet und einen Bund der Gerechtigkeit und des Friedens schafft 17 Harnacks Blick richtete sich auf eine Erneuerung der Kultur im Sinne einer idealistischen geistigen Vertiefung ohne sich gegen die Errungenschaften der Moderne zu richten Massiv gegen Oswald Spenglers damals populares Buch Der Untergang des Abendlandes argumentierte er explizit mit seiner Augustinus Rezeption Grosses Lob erhielt Harnack fur seine Schrift Augustin von dem Dichter Gerhart Hauptmann 1862 1946 17 Der Kulturhistoriker Friedrich Heer konstatierte in seinem erstmals 1968 erschienenen Buch Gottes erste Liebe die Geschlechtsfurcht als ein Merkmal des Augustinismus Dabei verwendete Heer die Begriffe Augustinismus und Manichaismus als ein Doppelepitheton und stellte einen Bezug zum modernen Antisemitismus her So schrieb er dass zum Zeitpunkt seiner Niederschrift kirchliche Kampagnen gegen die Sexualisierung gegen die Sexwelle durch Stadt und Land laufen wurden Und er fugte hinzu Sie beruhen auf augustinischen und manichaischen Grundlagen Der latente Manichaismus ist die Krebskrankheit der Christenheit Der Antisemitismus setzt sich gerne in Metastasen dieses Krebses fest 18 Literatur BearbeitenGustav Friedrich Wiggers Versuch einer pragmatischen Darstellung des Augustinismus und Pelagianismus nach ihrer geschichtlichen Entwicklung Hamburg 1833 Google Books Odilo Rottmanner Der Augustinismus Eine dogmengeschichtliche Studie Veroffentlicht vom Verlag der J J Lentner schen Buchhandlung 1892 Ernst Bernheim Mittelalterliche Zeitanschauungen in ihrem Einfluss auf Politik und Geschichtsschreibung Tubingen 1918 Neudruck Tubingen 1964 DNB Ricarda Winterswyl Beitrage zum politischen Augustinismus und Neuplatonismus in der mittelalterl Rechtslehre mit bes Berucksichtigung des Hostiensis Diss Munchen 1958 Georg Denzler Die verbotene Lust 2000 Jahre christliche Sexualmoral Munchen 1988 Neuaufl Weyarn 1997 ISBN 3 932131 04 5 Karl Lowith Weltgeschichte und Heilsgeschehen Die theologischen Voraussetzungen der Geschichtsphilosophie Stuttgart 1953 Neuaufl Stuttgart 2004 ISBN 3 476 02010 X Dietrich Ritschl Die Last des augustinischen Erbes In Parrhesia Karl Barth zum 80 Geburtstag Zurich 1966 S 470 490 Erich Przywara Augustinisch Ur Haltung des Geistes Kriterien 17 Johannes Verlag Einsiedeln 1970 Susanne Hausammann Alte Kirche Bd 3 Gottes Dreiheit des Menschen Freiheit Trinitatslehre Anfange des Monchtums Augustin und Augustinismus Zur Geschichte und Theologie vom 4 5 Jahrhundert Neukirchen Vluyn 2003 ISBN 3 7887 1922 2 Traugott Koch Stephan von Twardowski Die Entstehung der lutherischen Frommigkeit Die Rezeption pseud augustinischer Gebetstexte in der Revision fruher lutherischer Autoren Andreas Musculus Martin Moller Philipp Kegel Philipp Nicolai Waltrop 2004 ISBN 3 89991 021 4 Weblinks BearbeitenLiteratur zum Thema Augustinismus im Katalog der Deutschen NationalbibliothekEinzelnachweise Bearbeiten a b c d e f g Wilhelm Geerlings Augustinismus In Volker Drehsen Hermann Haring u a Hrsg Worterbuch des Christentums 1500 Stichworter von A Z Munchen 2001 S 111 ISBN 3 572 01248 1 a b Henning Reventlow Epochen der Bibelauslegung Von der Spatantike bis zum ausgehenden Mittelalter Munchen 1994 S 87 f ISBN 3 406 34986 2 Rudiger Safranski Das Bose oder Das Drama der Freiheit Munchen Wien 1997 S 50 Stuart Holroyd Gnostizismus Aus dem Englischen von Martin Engelbrecht Braunschweig 1995 S 73 ff Eric Voegelin Die politischen Religionen Hrsg von Peter J Opitz Munchen 1993 S 35 Ernst Cassirer Individuum und Kosmos in der Philosophie der Renaissance Die platonische Renaissance in England und die Schule von Cambridge Hamburg 2002 S 295 ISBN 3 7873 1414 8 Quelle Richard Reitzenstein Augustin als antiker und als mittelalterlicher Mensch In Vortrage der Bibliothek Warburg Hrsg von Fritz Saxel Bd 2 Vortrage 1922 1923 Leipzig Berlin 1924 S 28 65 Reinhard W Sonnenschmidt Politische Gnosis Entfremdungsglaube und Unsterblichkeitsillusion in spatantiker Religion und politischer Philosophie Munchen 2001 S 261 ISBN 3 7705 3626 6 a b Volker Henning Drecoll Die Entstehung der Gnadenlehre Augustins Tubingen 1999 S 2 ISBN 3 16 147046 X Quelle Ferdinand Christian Baur Das manichaische Religionssystem Neudr nach d Ausg von 1831 Gottingen 1928 DNB a b Peter Sloterdijk Vorbemerkungen In Kurt Flasch Augustinus Munchen 2000 S 8 f ISBN 3 423 30692 0 a b Henning Reventlow Epochen der Bibelauslegung Von der Spatantike bis zum ausgehenden Mittelalter Munchen 1994 S 213 f Ruggiero Romano Alberto Tenenti Die Grundlegu der modernen Welt Spatmittelalter Renaissance Reformation Fischer Weltgeschichte Band 12 Frankfurt a M 1994 S 108 a b Ruggiero Romano Alberto Tenenti Die Grundlegung der modernen Welt Spatmittelalter Renaissance Reformation Fischer Weltgeschichte Band 12 Frankfurt a M 1994 S 201 Susan Neiman Das Bose denken Eine andere Geschichte der Philosophie Frankfurt a M 2004 S 56 ISBN 3 518 58389 1 Hiltrud Nassmacher Politikwissenschaft Munchen Wien Oldenbourg 1994 S 308 f ISBN 3 486 22393 3 Susan Neiman Das Bose denken Eine andere Geschichte der Philosophie Frankfurt a M 2004 S 80 Ludger Lutkehaus Hg Vorwort In Hannah Arendt Der Liebesbegriff bei Augustin Versuch einer philosophischen Interpretation Berlin Wien 2003 S 7 15 Aus Buch 12 zitiert nach Ludger Lutkehaus Hg Vorwort In Hannah Arendt Der Liebesbegriff bei Augustin Versuch einer philosophischen Interpretation Berlin Wien 2003 S 8 a b Christian Nottmeier Adolf von Harnack und die deutsche Politik 1890 1930 Eine biographische Studie zum Verhaltnis von Protestantismus Wissenschaft und Politik Tubingen 2004 S 487 ISBN 3 16 148154 2 Friedrich Heer Gottes erste Liebe Die Juden im Spannungsfeld der Geschichte Frankfurt a M Berlin 1986 S 520 f Abgerufen von https de wikipedia org w index php title Augustinismus amp oldid 234802458