www.wikidata.de-de.nina.az
Pelagianismus ist eine theologische Position im Christentum nach der die menschliche Natur nicht durch die Erbsunde ganz verdorben worden sei sondern schliesslich als von Gott geschaffen gut sein musse wenn man nicht unterstellen wolle ein Teil der Schopfung Gottes sei bose Im Kern lehrt die nach ihrem angeblichen Begrunder Pelagius benannte Doktrin also es sei grundsatzlich moglich ohne Sunde zu sein lateinisch posse sine peccato esse In zugespitzter Form handelt es sich um eine Lehre der Selbsterlosungsmoglichkeit und fahigkeit des Menschen Inhaltsverzeichnis 1 Begrunder 2 Die Lehre des Pelagius 3 Pelagianischer Streit 4 Folgen Wirkungsgeschichte und Kritik 5 Literatur 5 1 Quellen 5 2 Sekundarliteratur 6 Weblinks 7 EinzelnachweiseBegrunder BearbeitenEs ist strittig ob der Monch und Moralist Pelagius um 418 diese Lehre selbst vertreten hat oder ob nicht erst sein Anhanger und Rezipient Caelestius diese Lehre aus pelagianischen Schriften entwickelt hat Als sich die Diskussion mehr und mehr auf die Frage der Erbsunde zuspitzte war der apulische Bischof Julianus von Eclanum der bedeutendste theologische und philosophische Vertreter des Pelagianismus Die Lehre des Pelagius Bearbeiten nbsp Illustration aus der Schedelschen Weltchronik 1493 zeigt Pelagius Hereticus und Johannes ChrysostomosDer Pelagianismus lehrt dass die menschliche Natur von Gott stammend auch gottlich sei und dass der sterbliche Wille in der Lage sei ohne gottlichen Beistand zwischen Gut und Bose zu unterscheiden Adams Sunde sei zwar ein schlechtes Beispiel fur seine Nachkommen gewesen habe aber nicht die Konsequenzen gezeitigt die der Erbsunde zugerechnet werden Der Mensch trage demzufolge die volle Verantwortung fur sein Seelenheil und seine Sunden Die Gnade Gottes wird daher im Pelagianismus im Vergleich zu anderen theologischen Schulen nur zweitrangig und gegenuber dem freien Willen des Menschen nur als Erganzung quasi als hilfreiche Unterstutzung des menschlichen Handelns angesehen Auch die Rolle Jesu Christi wird anders gesehen als in der kirchlich rezipierten Theologie Er habe der Menschheit ein gutes Beispiel gegeben und sei damit Adams schlechtem Beispiel entgegengetreten Pelagianischer Streit BearbeitenDer Pelagianismus wurde von Augustinus von Hippo bekampft und durch verschiedene Papste lokale Synoden und abschliessend auf dem Konzil von Ephesos im Jahre 431 als Haresie verurteilt Dieser sogenannte Pelagianische Streit war fur die Westkirche wichtig wahrend der Pelagianismus in der Ostkirche trotz anfanglicher Unterstutzung durch Theodor von Mopsuestia und Nestorius nie eine wesentliche Rolle gespielt hat Der Konflikt erstreckte sich uber einen Zeitraum von mehreren Jahrzehnten Einziges exaktes Datum ist nur die Beendigung durch das Konzil von Ephesos im Jahr 431 Der Beginn der Auseinandersetzung wird um das Jahr 410 vermutet als Caelestius ein Gefahrte des Pelagius sogenannte Sechs Satze und Pelagius selbst seine Schrift De Natura Uber die Natur veroffentlichte Weil diese Lehre die Freiheit des menschlichen Willens und darin eingeschlossen die Moglichkeit eines sittlich vollkommenen Lebens mit der Erbsundenlehre des Augustinus kollidierte und damit auch die Notwendigkeit der Sauglingstaufe bestritt liess Augustinus Pelagius und Caelestius bereits 411 von einer Synode in Karthago als Haretiker verurteilen Als Augustinus erfuhr dass Pelagius im Osten versuchte wieder in die Kirche aufgenommen zu werden wandte er sich 415 an Hieronymus um durch dessen Unterstutzung eine Verurteilung der pelagianischen Lehre auch im Osten zu erreichen Trotz Hieronymus Bemuhungen trat das Gegenteil ein Eine Synode unter Vorsitz des Bischofs von Jerusalem rehabilitierte Pelagius und Caelestius Spater rechtfertigten die griechischsprachigen Bischofe Palastinas ihre Entscheidung damit sie hatten die auf Latein vorgebrachten Vorwurfe der afrikanischen Bischofe nicht recht verstanden Augustinus sorgte jedenfalls dafur dass zwei nordafrikanische Regionalsynoden nochmals die Lehren sowohl des Pelagius wie auch des Caelestius verurteilten Nach der Verurteilung des Pelagianismus durch Papst Zosimus widmete sich Augustinus im Jahre 418 erneut der pelagianischen Lehre von Sunde und Gnade und verfasste die Schrift De gratia Christi et de peccato originali Sein bedeutendster ihm rhetorisch wie intellektuell mindestens ebenburtiger und oft sogar uberlegen wirkender Gegenspieler in dieser Auseinandersetzung war der Bischof Julianus von Eclanum der sich geweigert hatte die von Papst Zosimus gegen Pelagius verfasste Epistola Tractatoria zu unterzeichnen und deswegen abgesetzt wurde Die Autoritat des Augustinus bewirkte allerdings dass weitere lokale Synoden die pelagianischen Lehren verurteilten bis schliesslich mit dem Konzil von Ephesos 431 der Pelagianische Streit mit einer endgultigen Verurteilung dieser Lehre beendet wurde Eine Modifikation des Pelagianismus die jedoch die Lehrverurteilungen des Konzils von Ephesos berucksichtigte wurde als Semipelagianismus als halber Pelagianismus bekannt Wegen semipelagianischer Lehren hatte Augustinus schon den Monchsvater Johannes Cassianus um 360 435 angegriffen und sich gegen Thesen in dessen Schrift De incarnatione Christi contra Nestorium gewandt Die semipelagianischen Lehren wurden zwar knapp 100 Jahre spater auf der Synode von Orange 529 verurteilt blieben jedoch in der Kirche Galliens und insbesondere Irlands und von dort aus in der iro schottischen Mission als unterschwelliger Einfluss noch in den folgenden Jahrhunderten erhalten Folgen Wirkungsgeschichte und Kritik BearbeitenAugustinus sah sich durch die Auseinandersetzungen veranlasst seine Gnadenlehre weiter zu entfalten Dies geschieht vor allem in den Schriften Von der Sunden Lohn und von der Vergebung und der Kindertaufe und Vom Geist und vom Buchstaben Die meisten Reformatoren insbesondere Johannes Calvin 1509 1564 in seiner Institutio betonten den Fall den Fluch und die vollige Verdorbenheit des Menschen im Anschluss an Augustinus und verwarfen den Pelagianismus In Anlehnung an die biblischen Aussagen sprachen sie weniger von der Erbsunde als von Befleckung mit der Sunde von Geburt an und von der Trennung von Gott als dem geistlichen Tod 1 Der deutsche Philosoph Immanuel Kant 1724 1804 ging mit seinem sittlichen Ideal und dem kategorischen Imperativ weit uber den Pelagianismus und den Sozinianismus hinaus Die praktische Vernunft ermogliche die menschliche Autonomie und Freiheit ohne Einschrankung und schliesse jeden Gnadeneinfluss aus 2 Gegen die Doktrin der Erbsunde wandte sich der Evangelist der Heiligungsbewegung Charles Grandison Finney 1792 1875 und verbreitete erneut eine tendenziell pelagianische Sichtweise Er meinte dass die Menschen frei wahlen konnen und sich fur oder gegen Gott entscheiden konnen Dagegen stellte sich im 20 Jahrhundert der evangelikale Anglikaner James I Packer und nannte den Pelagianismus die naturliche Haresie eifriger Christen die an Theologie kein Interesse hatten 3 Papst Franziskus verwendete im Jahr 2018 den Begriff Neu Pelagianismus um aufzuzeigen dass viele Menschen im Westen des 21 Jahrhunderts dank der kulturellen Errungenschaften und der wissenschaftlichen Erkenntnisse den Eindruck hatten ihr Leben bewusst und glucklich auch ohne Gott gestalten zu konnen und eine Art Selbsterlosung anstrebten 4 Die englische Spezialistin fur mittelalterliche Geschichte Alice Bonner bezeichnete im Jahr 2022 den Pelagianismus als einen Mythos da griechische Autoren lange vor Pelagius diese Lehren entwickelt und aufgeschrieben hatten Es bestehe eine grosse Diskrepanz zwischen den Vorwurfen von Augustinus und dem Inhalt von Pelagius Schriften Von den 14 als falsch deklarierten Lehrpunkten die Augustinus ihm vorhielt finde sich in den Schriften des Pelagius etwa nur die Halfte eines dieser Punkte wieder und sechseinhalb dieser Punkte stunden sogar im direkten Gegensatz zu Pelagius Aussagen Pelagius habe kein neues Lehrsystem erfunden sondern Augustinus habe ihn anstelle von teils bereits damals verstorbenen griechischen Kirchenvatern mittels Strohmann Argumentation der Haresie beschuldigt und an ihm seine vermeintliche Uberlegenheit seine vermeintliche Starke und seinen Einfluss demonstriert 5 Literatur BearbeitenQuellen Bearbeiten A Augustinus Schriften gegen die Pelagianer hrsg von S Kopp u a Wurzburg 1955 ff A Bruckner Hrsg Die vier Bucher Julians von Aeclanum an Turbantius Ein Beitrag zur Charakteristik Julians und Augustins Neue Studien zur Geschichte der Theologie und der Kirche 8 Berlin 1910 Sekundarliteratur Bearbeiten Marc Bergermann Historia Pelagiana Wahrnehmung und Darstellung des pelagianischen Streites in der protestantischen Kirchenhistoriographie des 18 Jahrhunderts Mohr Siebeck Tubingen 2021 ISBN 978 3 16 159070 2 Ali Bonner The Myth of Pelagianism Oxford University Press Oxford 2018 ISBN 978 0 19 726639 7 G Bonner Augustine and modern research on Pelagianism Villanova 1972 G Bonner Artikel Pelagius Pelagianischer Streit in Theologische Realenzyklopadie 26 1996 S 178 185 Albert Emil Bruckner Julian von Eclanum Sein Leben und seine Lehre Ein Beitrag zur Geschichte des Pelagianismus Leipzig 1897 Albert Emil Bruckner Quellen zur Geschichte des pelagianischen Streites Vero Verlag 2020 ISBN 978 3 7372 1706 4 Nachdruck von 1906 Volker Henning Drecoll Pelagianismus eine konstruierte Haresie Ein Forschungsbericht in Historische Zeitschrift 18 2023 6 Y M Duval Julien d Eclane et Rufin d Aquilee Du Concile de Rimini a la repression pelagienne in Revue des Etudes Augustiniennes 24 1978 S 243 271 R F Evans Pelagius Inquiries and Reappraisals New York 1968 Kurt Flasch Augustin Einfuhrung in sein Denken Stuttgart 1980 Gisbert Greshake Gnade als konkrete Freiheit Eine Untersuchung zur Gnadenlehre des Pelagius Mainz 1972 Emil Hohne Darstellung und Beurteilung des Kantschen Pelagianismus Forgotten Books 2017 2018 ISBN 978 1 334 29464 8 Nachdruck von 1881 Johannes Jungst Kultus und Geschichtsreligion Pelagianismus und Augustinismus ein Beitrag zur religiosen Psychologie und Volkskunde J Ricker Giessen 1901 Andreas Kessler Reichtumskritik und Pelagianismus die pelagianische Diatribe de divitiis Situierung Lesetext Ubersetzung Kommentar Paradosis 43 Universitats Verlag Freiburg 1999 ISBN 3 7278 1172 2 Dissertation 1997 Franz Klasen Die Innere Entwicklung Des Pelagianismus in Beitrag zur Dogmengeschichte Forgotten Books 2018 ISBN 978 0 259 05601 0 M Lamberigts Recent Research into Pelagianism with Partin Emphasis on the Role of Julian of Aeclanum in Augustiniana 52 2002 S 175 198 Josef Lossl Julian von Aeclanum Studien zu seinem Leben seinem Werk seiner Lehre und ihrer Uberlieferung Leiden Boston Koln 2001 Parthenius Minges Die Gnadenlehre des Duns Scotus auf ihren angeblichen Pelagianismus und Semipelagianismus Forgotten Books 2018 ISBN 978 0 3665 2138 8 Ekkehard Muhlenberg Dogma und Lehre im Abendland Erster Abschnitt Von Augustin bis Anselm von Canterbury in C Andresen Hrsg Handbuch der Dogmen und Theologiegeschichte Band 1 Die Lehrentwicklung im Rahmen der Katholizitat Gottingen 1983 S 406 483 Raymund Schwager Unfehlbare Gnade gegen gottliche Erziehung Die Erlosungsproblematik in der pelagianischen Krise Zeitschrift fur katholische Theologie Osterreichische Provinz der Gesellschaft Jesu Vol 104 N 3 1982 S 257 290 Andreas Urs Sommer Das Ende der antiken Anthropologie als Bewahrungsfall kontextualistischer Philosophiegeschichtsschreibung Julian von Eclanum und Augustin von Hippo in Zeitschrift fur Religion und Geistesgeschichte 57 2005 Heft 1 S 1 28 Sebastian Thier Kirche bei Pelagius Berlin New York 1999 Otto Wermelinger Rom und Pelagius Die theologische Position der romischen Bischofe im pelagianischen Streit in den Jahren 411 432 Stuttgart 1975 Kenneth M Wilson Augustine s Conversion from Traditional Free Choice to Non free Free Will A Comprehensive Methodology Mohr Siebeck Tubingen 2018 Ken Wilson War Augustin der erste Calvinist Wenn ein Lehrsystem auf Sand gebaut ist Dusseldorf Christlicher Medienvertrieb Hagedorn 2020 Friedrich Worter Der Pelagianismus nach seinem Ursprung und seiner Lehre ein Beitrag zur Geschichte des Dogma s von der Gnade und Freiheit Wagner Freiburg 1874 Kessinger Publishing 2010 ISBN 978 1 160 86344 5 Weblinks BearbeitenDer Mythos des Pelagianismus Dr Flowers im Gesprach mit Dr Ali Bonner Website apologia info 18 Februar 2022 abgerufen am 11 September 2023 Pelagianismus Website heiligenlexikon de abgerufen am 11 September 2023 Catholic Encyclopedia Pelagius and Pelagianism englisch abgerufen am 11 September 2023 Gisbert Greshake Pelagianismus Semipelagianismus in Historisches Worterbuch der Philosophie online doi 10 24894 HWPh 2978 abgerufen am 13 September 2023 Metzler Lexikon Philosophie Pelagianismus Website spektrum de abgerufen am 11 September 2023 Einzelnachweise Bearbeiten Johannes Calvin Die Ubertragung der Sunde von einer Generation zur nachsten Institutio 2 01 07 Die erste Sunde als Erbsunde Institutio 2 01 05 Website calvinismus ch 2009 2012 abgerufen am 13 September 2023 Emil Hohne Darstellung und Beurteilung des Kantschen Pelagianismus Forgotten Books 2018 ISBN 978 1 334 29464 8 Hanniel Standpunkt Wir leiden unter dem pelagianischen Menschenbild Website hanniel ch 4 Juni 2015 abgerufen am 13 September 2023 Stichwort Neu Pelagianismus und Neu Gnostizismus Website domradio de abgerufen am 11 September 2023 Der Mythos des Pelagianismus Dr Flowers im Gesprach mit Dr Ali Bonner Website apologia info 18 Februar 2022 abgerufen am 11 September 2023 https doi org 10 1515 hzhz 2023 0018Normdaten Sachbegriff GND 4173620 5 lobid OGND AKS Abgerufen von https de wikipedia org w index php title Pelagianismus amp oldid 238542183