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Der Begriff soziale Frage bezeichnet die sozialen Missstande die mit der modernen europaischen Bevolkerungsexplosion und der Industriellen Revolution einhergingen 1 das heisst die sozialen Begleit und Folgeprobleme des Ubergangs von der Agrar zur sich urbanisierenden Industriegesellschaft In England war der Beginn dieses Ubergangs etwa ab 1760 zu verzeichnen in Deutschland ab dem fruhen 19 Jahrhundert Schon geraume Zeit davor kristallisierte sich dramatisches Elend grosser Bevolkerungsgruppen heraus Eine erste Phase umfasste in Deutschland etwa die erste Halfte des 19 Jahrhunderts Sie war gepragt von einer schnell wachsenden Bevolkerung die ein lohnarbeitendes Proletariat schuf der Bauernbefreiung Landflucht und Verstadterung dem Niedergang des alten Gewerbes und einem allmahlichen Aufkommen der Fabrikindustrie Kernprobleme der sozialen Frage waren der Pauperismus und die Existenzunsicherheit von Bauern landlichem Gesinde Handwerkern Arbeitern und kleinen Kontorangestellten Im Laufe der Zeit verschoben sich die Problemlagen Etwa zwischen den 1850er und den 1870er Jahren erfuhr die Industrie einen starken Aufschwung wahrend sich der Niedergang des Heimgewerbes und die Krise des Handwerks fortsetzten Eine dritte Phase war in Deutschland seit etwa 1870 von der Hochindustrialisierung und vom Ubergang zur Industriegesellschaft gepragt Die soziale Frage wurde nun vornehmlich zur Arbeiterfrage Massenhafte Abwanderung vom Lande in die stadtischen Industriezentren Begleiterscheinungen der Grossstadtbildung und die gesellschaftliche Integration der Industriearbeiterschaft beschaftigten die politisch Verantwortlichen ebenso wie die burgerliche Offentlichkeit Je nach Problemwahrnehmung und Interessenlage wurden unterschiedliche Losungsansatze zur sozialen Frage entwickelt Inhaltsverzeichnis 1 Begriff 2 Entstehung und Merkmale 3 Steigender Problemdruck 3 1 Arbeitsbedingungen 3 2 Frauen und Kinderarbeit 3 3 Wohnungssituation 4 Losungsansatze 4 1 Gesellschaftliche Gruppen 4 2 Staatliche Reformpolitik 4 3 Wissenschaften 4 4 Kirchen und kirchliche Institutionen 4 4 1 Katholische Kirche 5 Bedeutungsverschiebung 6 Siehe auch 7 Literatur 7 1 Quelleneditionen 7 2 Monografien 7 3 Aufsatze 8 Weblinks 9 EinzelnachweiseBegriffDer Begriff soziale Frage entstand ab etwa 1830 und umschreibt zunachst die mit dem Bevolkerungs und Stadtewachstum entstehende Verelendung dann die mit dem Gesellenuberschuss daher auch der Handwerksburschenkommunismus von Wilhelm Weitling und den Arbeitsbedingungen der Fruhindustrialisierung 12 Stunden Tag Kinder und Frauenarbeit verbundenen Konflikte Die soziale Krise wurde vielfach fuhlbar Unterernahrung und fruhes Siechtum Untergang kleiner Wirtschaftsbetriebe Hofe Einzelhandel Handwerk Wohnungsnot in den anwachsenden Grossstadten starke Binnenmigration neue Kriminalitatsformen Zunachst wird der Terminus in der deutschsprachigen Literatur als Ubersetzung des franzosischen question sociale 2 verwendet um die gesellschaftliche Situation in anderen Staaten Westeuropas darzustellen Ein erster Nachweis findet sich in der am 30 April 1840 in Augsburg erschienenen Korrespondenz Heinrich Heines aus Paris 3 In gesellschaftspolitischen Schriften und Untersuchungen zur Situation in Deutschland erlangte der Begriff erst um 1848 eine herausgehobene programmatische Bedeutung 4 In Parteiprogrammen wie dem Eisenacher Programm 1869 der Sozialdemokratischen Arbeiterpartei oder dem Gothaer Programm 1875 der Sozialistischen Arbeiterpartei Deutschlands spater SPD findet der Begriff ebenfalls Erwahnung Entstehung und MerkmaleDie soziale Frage ergab sich aus der Notlage wirtschaftlich schwacher sozialer Gruppierungen Zu den Hauptursachen zahlten ein sich beschleunigendes Bevolkerungswachstum sowie die Folgen von Bauernbefreiung und Gewerbefreiheit Die uberwiegend noch auf dem Lande lebende Bevolkerung wuchs in Europa nach 1815 ungewohnlich stark an Grunde dafur konnten in der gesamteuropaischen Klimaerwarmung liegen die von den 1780er Jahren an sicherere Ernten ermoglichte Medizinische und hygienische Fortschritte trugen zum Bevolkerungswachstum bei z B die Einfuhrung der Pockenimpfung durch Edward Jenner 1796 und eine verbesserte chirurgische Ausbildung wie sie zunachst fur die Militarchirurgie unter Napoleon I eingefuhrt wurde Zudem wurde schon ab der merkantilistischen Ara eine intensive pro natalistische Bevolkerungspolitik betrieben um die durch die mittelalterlichen Pestwellen entstandenen Bevolkerungsverluste auszugleichen 5 Die Bauernbefreiung durch Aufhebung der Grundherrschaft erzwang von den Landwirten eine Abgeltung alter Frondienste die oft in der Form von Landabtretung geschah Die nunmehr personlich freien Bauern verblieben auf unwirtschaftlich kleinen Hofen fielen in Verschuldung und wurden durch das sogenannte Bauernlegen aus ihrem Besitz gekauft Die Aufhebung des Zunftzwangs im Handwerk fuhrte in Verbindung mit der Abwanderung vom Lande zu einem Anstieg der Gesellenzahl sowie bei sinkenden Lohnen im Handwerk und steigender Arbeitslosigkeit zum sogenannten Handwerksburschenelend Steigender ProblemdruckSignifikante gesellschaftliche Armut wie auch Versuche ihrer Milderung vor allem auf kirchlicher und kommunaler Basis gab es bevor die soziale Frage als Begriff in Gebrauch kam Die neuartigen Formen und die Nachwirkungen der die monarchischen Herrschaftssysteme und die Kirchen beunruhigenden Franzosischen Revolution forderten aber die Tendenz dass die zunehmende Armut breiter Bevolkerungsschichten in der offentlichen Meinung und in alten und neuen Wissenschaftszweigen Jurisprudenz Nationalokonomie Soziologie entsprechend thematisiert wurde Die Brisanz der sozialen Frage ergab sich aus dem als vollig neuartig und radikal empfundenen sozialen Wandel Die europaische spatfeudale Agrargesellschaft mit handels und gewerbekapitalistischen Stadten als uberregionalen Markten Max Weber wandelte sich zu einer kapitalistischen erst merkantilistisch dann industriell gepragten Gesellschaft siehe Industrielle Revolution Die allmahliche Auflosung der traditionellen sozialen Gemeinschaften wie etwa der Grossfamilie oder der Bindung an den Grundherrn zerriss auch die traditionell eng verflochtenen sozialen Netze Die ein Uberangebot an Arbeitskraften in den Stadten bewirkende Landflucht druckte dort das Lohnniveau so dass mehrere Mitglieder einer Familie eine Lohnarbeit suchen mussten die dadurch auf den Arbeitsmarkt drangenden Frauen und Kinder senkten das Lohnniveau weiter Arbeitszeiten von 12 und mehr Stunden pro Tag sowie Nacht und Sonntagsarbeit wurden erzwungen auf Gesundheit chronische Vergiftungen Silikose und betrieblichen Unfallschutz wurde kaum geachtet Arbeitsverhaltnisse und Lebensbedingungen der Lohnarbeiterschaft trugen alle Zuge einer Verelendung erbarmliche Wohnverhaltnisse in verwanzten Mietskasernen oft nur ein Zimmer pro Familie die Betten tagsuber zusatzlich von Schlafburschen belegt Das Familienleben war unter solchen Verhaltnissen ungekannten Belastungen ausgesetzt und tendierte zur Auflosung mit der Konsequenz personlicher Vereinzelung Verrohung der Sitten Schulmangel Prostitution auch Kinderprostitution und Bandenbildung daraus folgend zu einem Komplex gesundheitlicher Schaden Tuberkulose Geschlechtskrankheiten Englische Krankheit durch Vitaminmangel Kratze Verlausung Trunksucht und sinkender Lebenserwartung Arbeitsbedingungen nbsp Eisenwalzwerk Gemalde von Adolph von Menzel 1872 1875 Durch das Angebot an Arbeitskraften aus dem Zustrom uberzahliger Landarbeiter und in der industriellen Konkurrenz unterlegener Handwerker konnten Unternehmer teilweise mit Lohnen nahe dem Existenzminimum produzieren und erzielten einen bis heute unerreichten relativen Reichtum Die Arbeitsbedingungen waren schwer und es herrschte strenge Arbeitsdisziplin Arbeiter die aufbegehrten oder arbeitsunfahig waren konnten mangels wirksamer Arbeitsmarktgesetzgebung durch neue Landfluchtlinge ersetzt werden In englischen Industriestadten betrug die durchschnittliche Lebensarbeitszeit bis zur Arbeitsunfahigkeit etwa 15 Jahre Das Durchschnittsalter der Industriearbeiter in Manchester lag bei nur 18 Jahren Der Arbeitslohn konnte bei zehnminutigem Zuspatkommen um einen halben Tageslohn gekurzt werden Ebenso konnten bei fehlerhafter Arbeitsleistung oder Werkzeugbruch Lohnabzug verhangt werden Ublich waren auch Verlangerung der taglichen Arbeitszeit bis zu 18 Stunden keine Sonntagsruhe unzureichender oder fehlender Arbeitsschutz Transmissionsbander der Dampfmaschinen waren eine grosse Gefahrenquelle Es gab auch keine Altersversorgung Unfallversicherung oder Schutz gegen Willkur durch Vorgesetzte wie z B Kundigungsschutz Der Gesetzgeber kannte zu dieser Zeit keine oder kaum regulierende ordnungspolitische Rahmenbedingungen fur den Arbeitsmarkt siehe auch Manchesterkapitalismus Polizei und Militar dienten innenpolitisch primar der Aufrechterhaltung der offentlichen Ordnung Armenemeuten und Hunger demonstrationen wurden oft brutal niedergeschlagen und fuhrten zu Verletzten Toten sowie Inhaftierungen und auch Hinrichtungen der Anfuhrer Frauen und Kinderarbeit nbsp Glashutte Eleonorenhain in Bohmen 1890 Kinderarbeit beim EintragenDie Arbeiter verdienten oftmals zu wenig um ihre Familie zu ernahren So mussten vor allem in noch herkommlich kinderreichen Familien auch Frauen und Kinder Lohnarbeiten annehmen Frauen arbeiteten in Heimarbeit anstatt wie fruher im Verlagssystem sowie in der bedeutenden Textilindustrie Bei Arbeitgebern waren Frauen sehr beliebt da sie feinmechanisch kundiger und psychisch sehr belastbar waren und somit auch intensiver und langer arbeiten konnten vor allem aber waren sie billiger da ihr Lohn deutlich unter dem der mannlichen Arbeiter lag Die Kinderarbeit gibt es in der landlichen Familienwirtschaft seit Menschengedenken aber mit der Industrialisierung nahm sie im 18 und 19 Jahrhundert in Europa und den USA Ausmasse an die die Gesundheit und Bildung der Arbeiterkinder massiv beeintrachtigte Kinder wurden auch im Untertagebau eingesetzt da sie kleiner waren und deswegen bei schmalen Flozen im Streb und engen Stollen Kohle oder Erz effektiver als Erwachsene hereingewinnen konnten In England arbeiteten Kinder im Sommer bis zu 64 und im Winter 52 Stunden in der Woche unter Tage In Webereien Cotton Mills waren sogar 80 Stunden pro Woche ublich nbsp Kinderarbeit in Newberry South Carolina 1908 1833 wurde das erste Gesetz zum Schutz der Kinder in England erlassen Arbeitsverbot fur Kinder unter neun Jahren in Textilfabriken Nachtarbeitsverbot und maximal 12 Stunden Tag fur Jugendliche unter 18 Jahren Etwa zehn Jahre spater folgte ein Verbot der Untertagearbeit fur Kinder Mindestalter zehn Jahre und Frauen Ahnliche Gesetze wurden bald darauf in Deutschland und Osterreich Arbeitsverbot fur Kinder unter Zwolf erlassen Preussen erliess deshalb 1839 ein Regulativ das Kindern unter zehn Jahren die Arbeit in Fabriken verbot sowie ein Sonntags und Nachtarbeitsverbot fur 10 bis 16 jahrige Im Jahr 1853 wurde das Mindestalter fur die Fabrikarbeit auf zwolf Jahre angehoben neun Jahre plus drei Jahre Schulpflicht Zur Durchsetzung der Gesetze wurde die Gewerbeaufsicht eingefuhrt Im Handwerk Gewerbe und vor allem in der Landwirtschaft gab es aber weiterhin keinen gesetzlichen Schutz fur Kinder Obwohl Kinder fast genauso viel wie ein Erwachsener arbeiten mussten bekamen sie nur etwa ein Zehntel des durchschnittlichen Lohnes eines Mannes Wohnungssituation nbsp Behausung einer Arbeiterfamilie 1902 in HamburgDurch das Wachstum der Stadte wuchs auch die Wohnungsnot Es bildeten sich Slums behelfsmassige Wohnbezirke ohne Anbindung an die stadtische Infrastruktur sowie Mietskasernen Zudem war es ublich sich ein Bett im Schichtbetrieb mit einem Schlafburschen zu teilen Die Wohnungsnot war fur heutige Verhaltnisse in Industrienationen ohnegleichen bis zu 10 Personen wohnten auf 14 m Es fehlte in den Slums an Wasser und Abwasserleitungen fur mehr als hundert Menschen gab es nur eine Toilette Spater wurden fur die Arbeiter massiver gebaute mehrgeschossige Mietskasernen errichtet Schnitterkasernen auf dem Land Wasser und Klosett gab es fur alle gemeinsam am Gang Die Wohnungen der Industriellen Revolution hatten bis zum Bauhaus durch die Bauweise mit Innenhofen nur wenig Licht Berliner Zimmer und waren oft feucht Die Wohnungsknappheit verursachte hohe Mietausgaben fur die Arbeiter die bis zu drei Viertel des Lohns ausmachten LosungsansatzeZur Losung der sozialen Frage bildeten sich verschiedene gesellschaftliche und politische Organisationen und Parteien neu die Genossenschaftsbewegung die Arbeiterbewegung die Organisationen der Kirchen die auf den Grundsatzen der christlichen Soziallehre aufbauen die neu gegrundeten Gewerkschaften und neue politische Parteien Zudem erliess der Gesetzgeber nach und nach zahlreiche Gesetze und Verordnungen und grundete zu deren Durchsetzung neue Exekutiven die schliesslich in der umfangreichen Sozialgesetzgebung heutiger Industrienationen mundete Die drangenden Probleme fuhrten zu einer vielfaltigen gesellschaftlichen Mobilisierung und Politisierung die je nach sozialer Interessenlage und Sicht unterschiedliche Losungsansatze hervorbrachten So engagierten sich u a bauerliche burgerliche und kirchliche Initiativen dann auch fruh sozialistische und marxistische Bewegungen sowie Verantwortliche in Staat und Wissenschaften Gesellschaftliche Gruppen Neben neuzeitlichen Genossenschaften und z B dem katholischen Kolping Bund entwickelten sich Arbeitervereine und Gewerkschaften dann auch Parteien als politische Interessenvertreter der ausgebeuteten Lohnarbeiterschaft im Deutschen Reich u a die SPD Aus der Sicht der Arbeiterbewegung resultierte die soziale Frage zentral aus dem Klassengegensatz zwischen Kapitaleignern Bourgeoisie und Lohnabhangigen Proletariat Manche der Unternehmen die in grosserem Umfang Lohnarbeiter beschaftigten suchten deren Lage zu verbessern indem sie ihnen gunstige Wohnungen stellten Werkwohnungsbau zuweilen auch werkarztliche Dienste einrichteten und die Lohne etwas anhoben Auch die parallel anwachsende Frauenbewegung Lohnangleichung Kampf gegen die Prostitution nach 1900 auch die Jugendbewegung Hinwendung aus grauer Stadte Mauern zur Natur waren Antworten auf die soziale Frage mit jeweils eigener Strategie der Problembekampfung Staatliche Reformpolitik Die staatliche Sozialpolitik des Deutschen Reiches versuchte eine Entscharfung dieser Konflikte durch Sozialreformen Erste konkrete Losungsansatze sind in der Sozialgesetzgebung Otto von Bismarcks zu finden die 1883 mit dem Krankenversicherungsgesetz ihren Anfang nahm dann auch eine Unfallversicherung 1884 und eine Alters und Invaliditatsversicherung 1889 einfuhrte aus der 1891 die gesetzliche Rentenversicherung wurde Dieser sozialpolitische Ansatz wurde alsbald von anderen Staaten ubernommen und variiert Die staatliche Sozialpolitik der Bismarck Zeit wurde vorbereitet und teilweise erganzt durch die im Zuge patriarchalischer Fursorge seit den 1830er Jahren entstandenen Arbeits und Fabrikordnungen In einem Kommentar aus historischer Sicht heisst es dazu Eine positive Losung der sozialen Frage stellt Bismarcks Sozialgesetzgebung dar Bismarck erkennt das Kernproblem Die Unsicherheit der Existenz des Arbeiters 6 7 Die unter dem Kaiser Wilhelm II fortgesetzten Sozialreformen trugen zur Entscharfung des sozialen Elends bei und forderten eine bessere gesellschaftliche und politische Platzierung der sozialen Unterschichten im Deutschen Reich machten jedoch nicht wie es Bismarck angezielt hatte die Arbeiter zu Gunsten der Monarchie der Arbeiterbewegung abspenstig Wissenschaften Im Bereich der Wissenschaften wandten sich vorrangig die Nationalokonomie vgl den Kathedersozialismus und die Sozialmedizin dem Problemfeld zu Als erster deutscher Soziologe hat Ferdinand Tonnies 1907 mit seinem Werk Die soziale Frage 8 daruber eine Abhandlung verfasst Kirchen und kirchliche Institutionen Siehe auch Diakonie Neuzeit und Deutscher Caritasverband Geschichte Katholische Kirche Im Jahr 1891 thematisierte Papst Leo XIII in seiner Enzyklika Rerum Novarum die sozialen Verwerfungen und Missstande und benannte seinerseits Losungswege 9 In der Enzyklika Quadragesimo anno vom 15 Mai 1931 hob Papst Pius XI erinnernd an das vierzigjahrige Jubilaum der Enzyklika Rerum Novarum die Bedeutung des Subsidiaritatsprinzips hervor und drangte auf umfassende gesellschaftliche Reformen im Sinne der katholischen Soziallehre In seiner Pfingstbotschaft im Jahr 1941 zur sozialen Frage erinnerte Papst Pius XII an die Kernforderungen der Enzyklika Rerum Novarum 9 und ermahnte alle Menschen und Nationen eindringlich schnellstmoglich nach Losungen zu suchen 10 BedeutungsverschiebungGegen Ende des 19 Jahrhunderts kam es zu einer Bedeutungserweiterung des Begriffs der sozialen Frage An seine Stelle traten weiter gefasste Begriffe wie Sozialpolitik oder Sozialreform 11 Der Ausbau des Sozialstaats und die Anhebung des allgemeinen Wohlstandniveaus Wirtschaftswunder nach 1950 trugen massgeblich dazu bei dass die soziale Frage als Arbeiterfrage in der zweiten Halfte des 20 Jahrhunderts zumindest in den Industrielandern als Begriff in Vergessenheit geriet In der zweiten Halfte der 1970er Jahre wurde in Deutschland ein Versuch der Neubestimmung der Sozialpolitik vorgenommen 12 Dabei wurde der Begriff neue soziale Frage gepragt 13 der sich aber nicht dauerhaft im politischen Sprachgebrauch durchsetzen konnte 14 Zu Beginn des 21 Jahrhunderts sehen die Soziologen Robert Castel und Klaus Dorre jedoch die Relevanz einer neuen sozialen Frage Sie wird formuliert durch die Entstehung eines Prekariats aus der Wiederkehr sozialer Unsicherheiten infolge atypischer Beschaftigungsverhaltnisse wie zum Beispiel Arbeitnehmeruberlassungen 15 Siehe auchSoziale Gerechtigkeit Sozialer Brennpunkt Soziale Probleme Arbeitersiedlung Zechenkolonie Phalanstere FamilistereLiteraturQuelleneditionen Quellensammlung zur Geschichte der deutschen Sozialpolitik 1867 bis 1914 40 Bande 1966 bis 2016 Friedrich Engels Die Lage der arbeitenden Klasse in England Nach eigener Anschauung und authentischen Quellen Dietz Verlag Stuttgart 1892 Neu herausgegeben von Walter Kumpmann bei DTV Munchen 1987 ISBN 3 423 06012 3 Ernst Schraepler Quellen zur Geschichte der sozialen Frage in Deutschland 1871 bis zur Gegenwart 3 neubearb u erw Auflage Muster Schmidt Gottingen Zurich 1996 ISBN 3 7881 1209 3 Monografien Gunter Brakelmann Die soziale Frage des 19 Jahrhunderts 5 unverand Auflage Luther Verlag Bielefeld 1975 ISBN 3 7858 0042 8 Rudiger vom Bruch Hrsg Weder Kommunismus noch Kapitalismus Burgerliche Sozialreform in Deutschland Beck Munchen 1985 ISBN 3 406 30882 1 Wolfram Fischer Armut in der Geschichte Erscheinungsformen und Losungsversuche der Sozialen Frage in Europa seit dem Mittelalter Vandenhoeck amp Ruprecht Gottingen 1982 ISBN 3 525 33465 6 Wolfram Fischer Georg Bajor Hrsg Die soziale Frage Neuere Studien zur Lage der Fabrikarbeiter in den Fruhphasen der Industrialisierung Koehler Stuttgart 1967 Wilfried Gottschalch u a Geschichte der sozialen Ideen in Deutschland Olzog Munchen 1969 Eckart Pankoke Sociale Bewegung sociale Frage sociale Politik Grundfragen der deutschen Socialwissenschaft im 19 Jahrhundert Klett Stuttgart 1970 Eckart Pankoke Die Arbeitsfrage Suhrkamp Frankfurt am Main 1990 ISBN 3 518 11538 3 Gerhard A Ritter Soziale Frage und Sozialpolitik in Deutschland seit Beginn des 19 Jahrhunderts Leske Budrich Opladen 1998 ISBN 3 8100 2193 8 Karl Josef Rivinius Hrsg Die soziale Bewegung im Deutschland des neunzehnten Jahrhunderts Inter Nationes Bonn Bad Godesberg Moos Munchen 1978 ISBN 3 7879 0105 1 Ferdinand Tonnies Die Entwicklung der sozialen Frage bis zum Weltkriege Unverand Nachdr d 4 verb Auflage de Gruyter Berlin 1989 ISBN 3 11 012238 3 Aufsatze Wolfgang Wust Fabrikordnungen zwischen sozialer Disziplinierung und patriarchalischer Fursorge In Karl Borromaus Murr Wolfgang Wust Werner Blessing Peter Fassl Hgg Geschichte und Erinnerung Die suddeutsche Textillandschaft von der Fruhen Neuzeit bis in die Gegenwart Internationale Tagung im Schwabischen Bildungszentrum vom 6 bis 8 Juni 2008 Franconia 3 Beihefte zum Jahrbuch fur frankische Landesforschung Augsburg 2010 S 257 282 Regina Gorner Die deutschen Katholiken und die soziale Frage im 19 Jahrhundert In Gunther Ruther Hg Geschichte der Christlich Demokratischen und Christlich Sozialen Bewegung in Deutschland Teil I Bundeszentrale fur politische Bildung Bonn 1984 ISBN 3 923423 20 9 S 145 198 Oskar Stillich Die Losung der sozialen Frage durch die Reform des Erbrechts Kultur und Zeitfragen Heft 16 Ernst Oldenburg Verlag Leipzig 1924 Weblinks nbsp Wiktionary soziale Frage Bedeutungserklarungen Wortherkunft Synonyme UbersetzungenEinzelnachweise Vgl etwa die Sozialgeschichte 1848 bis 1880 Gesellschaft im Umbruch Industrielle Revolution Zur Begriffsgeschichte vgl Karl Hohmann Horst Friedrich Wunsche Grundtexte zur Sozialen Marktwirtschaft Band II Das Soziale in der Sozialen Marktwirtschaft S 103 ff mit weiteren Nachweisen Hrsg Ludwig Erhard Stiftung e V Vgl Eckart Pankoke Sociale Bewegung sociale Frage sociale Politik Stuttgart 1970 S 49 Fussnote 1 Vgl bspw K Biedermann Vorlesungen uber Socialismus und sociale Fragen Leipzig 1847 zit n Pankoke S 49 Fussnote 2 G Heinsohn R Knieper O Steiger Menschenproduktion Allgemeine Bevolkerungstheorie der Neuzeit Suhrkamp Frankfurt am Main 1979 Bruno Huhnt Industrielle Revolution und Industriezeitalter S 73 unter Hinweis auf die Ausfuhrungen Otto von Bismarcks zur Begrundung seiner sozialpolitischen Gesetzgebung Reden im Deutschen Reichstag am 15 und 20 Marz 1884 Hg Niedersachsische Landeszentrale fur politische Bildung 1966 Bayerische Staatsbibliothek Digitale Bibliothek Munchener Digitalisierungszentrum MDZ Reichstagsprotokolle Band 082 05 Legislaturperiode 04 Session 1884 9 Sitzung am Donnerstag 20 Marz 1884 Sitzungsbeginn S 133 Rede Otto von Bismarck S 161 ff S 165 auch abrufbar bei der Staatsbibliothek zu Berlin online Die Entwicklung der sozialen Frage bis zum Weltkriege Walter de Gruyter Berlin New York 1982 Einleitung Cornelius Bickel a b Papst Leo XIII Enzyklika RERUM NOVARUM 1891 Memento vom 27 September 2007 im Webarchiv archive today oder Pfingstbotschaft 1941 Papst Pius XII zur Funfzigjahrfeier des Rundschreibens Rerum novarum Papst Leos XIII uber die soziale Frage Pfingstsonntag 1 Juni 1941 Memento vom 27 September 2007 im Webarchiv archive today oder Vgl Gerhard A Ritter Soziale Frage und Sozialpolitik in Deutschland seit Beginn des 19 Jahrhunderts Opladen 1998 S 4 Vgl Neue soziale Frage In Lexikon der Bundeszentrale fur politische Bildung aus Klaus Schubert Martina Klein Das Politiklexikon 4 aktual Auflage Dietz Bonn 2006 Vgl Heiner Geissler Die Neue Soziale Frage Analysen und Dokumente Herder Verlag 1976 ISBN 3 451 07566 0 Vgl Die Brockhaus Infothek Die soziale Frage Memento vom 28 September 2007 im Webarchiv archive 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