www.wikidata.de-de.nina.az
Verlagssystem ist ein historischer Begriff fur Formen der dezentralen Arbeitsorganisation wie die heutige Heimarbeit Inhaltsverzeichnis 1 Allgemeines 2 Geschichte 3 Auf dem Land 4 Verlage und Zunfte 5 Wirtschaftliche Lage der Heimarbeitenden 6 Heutige Situation 7 Literatur 8 EinzelnachweiseAllgemeines BearbeitenDas Bestimmungswort Verlag hat vom Begriffsinhalt nichts mit dem heute verwendeten Begriff das Verlags und das davon abgeleiteten Nomen Agentis des Verlegers zu tun sondern ist darauf zuruckzufuhren dass fruher ein Unternehmer einem Heimarbeiter den Kauf von Rohstoffen vorfinanzierte vorlegte oder verlegte damit der Heimarbeiter bestimmte Waren in seiner Wohnung herstellen konnte Das Verb verlegen bedeutete im Mittelhochdeutschen Geld ausgeben oder etwas auf seine Rechnung nehmen 1 Verleger war also derjenige der anderen das Rohmaterial so lange vorschiesst bis es an den Konsumenten gelangt ist 2 Verlegen war mithin die Vorfinanzierung der Rohstoffe durch den Unternehmer die durch den Heimarbeiter zu Produkten weiterverarbeitet wurden welche der Unternehmer dann auf eigenes Unternehmerrisiko verkaufte Geschichte BearbeitenDieses Verlagssystem entstand im 13 Jahrhundert in Flandern und im 14 Jahrhundert in Norditalien 3 wo ehemals selbstandige Handwerker in die Abhangigkeit von im Fernhandel tatigen Grosskaufleuten gerieten die ihnen die Rohstoffe zur Produktion in Heimarbeit vorlegten 4 Seit der Zeit um 1400 wurde das Verlagssystem nach franzosischen und italienischen Vorbildern zunachst in Suddeutschland vor allem in der schwabischen Tuchproduktion und im Nurnberger Metallgewerbe ublich wobei ein meist dem Kaufmannsstand angehoriger Verleger dem produzierenden Handwerker Auftrage erteilte die Rohstoffe vorstreckte verlegte die Produkte gegen Festpreise abnahm und den Vertrieb der Waren organisierte 5 Herzog Lodovico Moro von Mailand verbot vor 1494 das Verlagssystem im Wollgewerbe 6 In England bestand das Verlagssystem zwischen der Mitte des 15 Jahrhunderts und der Mitte des 18 Jahrhunderts 7 Carl Wilhelm Hubner Die schlesischen Weber 1844 sozialkritische Darstellung des Verlagssystems in der Genremalerei des 19 Jahrhunderts Die Fruhindustrialisierung kannte zunachst den Begriff des Verlagssystems dessen Ausweitung in den Jahren nach 1830 nicht nur darauf zuruckzufuhren war dass ehemals selbstandige Weber sich auf der Suche nach Arbeit an die Fabriken wandten sondern immer mehr Arbeitskrafte das Weben aufnahmen 8 In der Proto Industrialisierung war das Verlagssystem als Organisationsform der dezentralen Produktion von erheblicher Bedeutung Ein in einer Stadt ansassiger Unternehmer Verleger liess in Heimarbeit produzieren indem er den Heimarbeitern Rohstoffe etwa Baumwolle zur Verfugung stellte und fur die hergestellte Ware Textilien einen Lohn bezahlte Der Verleger bezahlte die Rohstoffe er trat in Vorlage bevor er sie an die Heimarbeiter zwecks Weiterverarbeitung ubergab 9 Arme Bauern so wird 1889 berichtet mussten Webstuhle aufstellen um weiter zu existieren 10 In der deutschen Landwirtschaft verbreitete sich die Hausindustrie vor allem in den Wintermonaten 11 Karl Bucher definierte 1892 Verlagssystem als diejenige Art des gewerblichen Grossbetriebs bei welcher ein Unternehmer regelmassig eine grossere Zahl von Arbeitern ausserhalb seiner eigenen Betriebsstatte in ihren Wohnungen beschaftigt 12 Er teilte das Verlagssystem in drei Gruppen ein 13 Der Hausarbeiter beschafft sich die Rohstoffe selbst und besitzt auch eigenes Werkzeug Der Verleger liefert den Rohstoff der Hausarbeiter besitzt das Werkzeug Der Verleger liefert den Rohstoff und besitzt das Werkzeug Die dritte Form ist heute die eigentliche Heimarbeit fur die der Unternehmer die Arbeits und Produktionsmittel bereitstellte Auf dem Land BearbeitenDie landwirtschaftliche Arbeit zeichnet sich durch eine relative Saisonabhangigkeit aus Abhangig von der Art der betriebenen Landwirtschaft kann es in Winter und Sommer zu Phasen kommen in denen Unterbeschaftigung besteht 14 Wahrend grosse Bauernhofe uber ein normales Jahr ein ausreichendes Auskommen fur die Familie produzierten waren die Besitzer von kleinen und kleinsten Bauernhofe zunehmend auf einen Nebenerwerb angewiesen In den Realteilungsgebieten Sudwestdeutschlands war die Anzahl von Kleinstbauern besonders hoch in Ostdeutschland war die unterbauerliche Schicht besonders gross Zum 19 Jahrhundert hatte sich ein grosser Bevolkerungsteil gebildet der auf Nebenerwerb sowohl angewiesen war als auch die strukturellen und handwerklichen Fahigkeiten besass ihn tatsachlich auszufuhren Durch die teilweise Eigenproduktion von Nahrungsmitteln war ihr Zusatzbedarf aber recht gering so dass die Verleger hier billige Arbeitskraft abschopfen konnten Im Vergleich zur Stadt war das Einkommen auf dem Land geringer was die uberwiegende Konzentration von Verlagen dort erklart Die Ausgaben fur den Arbeitslohn lagen geringer als die zusatzlichen Kosten fur den Transport der Fertigwaren vom einzelnen Heimwerker in die Zentrale und den gegenlaufigen Transport der Rohstoffe Verlage und Zunfte BearbeitenVerlegte gab es vor allem auf dem Land aber auch in der Stadt wurden Handwerker in ein Verlagssystem eingebunden In der Stadt stieg im 18 Jahrhundert die Anzahl der Handwerker Eine zunehmende Gruppe konnte auch in der sozial und wirtschaftlich gesicherten Zunftordnung kein ausreichendes Auskommen finden und begab sich in einen von ihnen im Grunde verhassten Verlag Tatsachlich waren die Zunfte bekennende Gegner der Verlage Ihnen stand hier ein machtiger Konkurrent gegenuber der ausserhalb der Stadt beheimatet nicht in die Zunftordnung integrierbar war Unter dem Verlagssystem standen sich Zunfte der Arbeiter den Zunften der Verleger gegenuber 15 Die Klagen der Zunfte uber mangelnde Qualitat der Massenprodukte konnen berechtigt gewesen sein mussen aber hinsichtlich der zugrunde liegenden klaren Geschaftsinteressen der Zunfte kritisch betrachtet werden Trotz aller Kritik waren die alten Zunfte nicht in der Lage dem Verlagssystem nachhaltige Grenzen zu setzen Gegen die Geschaftsinteressen der haufig in den Stadten lebenden Verlagsbetreiber waren sie letztendlich machtlos Wirtschaftliche Lage der Heimarbeitenden BearbeitenDie Heimarbeitenden wurden durch den Eintritt in das Verlagssystem von selbstandig in bauerlicher Subsistenzwirtschaft Tatigen zu Lohnarbeitern die fremde Anforderungen gegen Stucklohnzahlung zu erfullen hatten Fur die Heimarbeiter bedeutete das Verlagssystem erhohte Abhangigkeit ihre vermeintliche Selbstandigkeit als Gewerbetreibende erwies sich als Illusion denn sie verkauften nur noch ihre Arbeitskraft 16 Der Heimarbeiter horte auf ein direkter Marktteilnehmer zu sein Oft war er der Ausbeutung durch den Verlag ausgeliefert ohne Verhandlungsmacht durch Gewerkschaft oder Zunft und ohne Sicherheiten insbesondere in Krisenzeiten Das bedeutete einen Verlust von Freiheit fur den Arbeitenden es war aber oft die einzige Moglichkeit die ihn vor dem Verhungern bewahrte Die Heimwerkenden wurden sicherlich in den meisten Fallen durch den Verleger ausgebeutet und ihre Arbeitskraft zu geringstmoglichen Kosten abgeschopft Dem Lohn der Verlegten wurden die Kosten fur die Rohstoffe gleich abgezogen z T wurde nicht mit Geld sondern mit Nahrungsmitteln oder mit den eigens gefertigten Waren gezahlt siehe Trucksystem Insbesondere als die Heimarbeit nicht mehr mit der maschinellen Produktion aus dem Ausland konkurrieren konnte und die Verleger die Preise unter das Ertragliche drucken wollten kam es zu Aufstanden Bei der Beurteilung der Verlage hinsichtlich des Pauperismus ist aber zu beachten dass die Kleinbauern und insbesondere die unterbauerlichen Schichten auch durch Grundherren und Landesherren bis an die Existenzgrenze mit Steuern Frondiensten und Gesindezwang belastet wurden In diesem Sinne ist das System des Verlags keine Besonderheit Heutige Situation BearbeitenIn Deutschland existiert heute praktisch kein grosseres Verlagssystem mehr Eine Ausnahme ist die Schutzmaskenherstellung 2020 es werden Heimarbeiter Hausgewerbetreibende und Lohnnahereien eingebunden 17 18 Im Bereich des Heubergs wird dieses System mit Unternehmern von Kleinbetrieben und Hausgewerbetreibenden im Souterrain ihres Wohnhauses scherzhaft als die Souterrain Fabrikanten bezeichnet Oft handelte es sich oft um sehr bescheidene Seldnerhauser 19 mit zwei Zimmern und beispielsweise Nahmaschinen im Souterrain 20 Global gesehen existiert es immer noch da grosse Firmen ihre Bauteile in Landern der Dritten Welt produzieren sei es im Bereich der Einzelteilefertigung oder in der Textilindustrie In Hongkong werden Papierblumen und Spielzeug vielfach im Verlagssystem hergestellt Weit verbreitet ist das Verlagssystem in Chinas Spielzeugindustrie und in der Schmuckindustrie Indiens und Chinas In Ecuador werden Holzkisten in dezentraler Hausarbeit hergestellt In Deutschland nennen sich manche Biergrosshandler noch traditionell Bierverlag Anstelle des veralteten Begriffs Verlagssystem gibt es heute Formen der dezentralen Arbeitsorganisation welche die wesentlichen Merkmale des Verlagssystems beinhalten Dazu gehoren Heimarbeit Telearbeit Teleheimarbeit oder hausliches Arbeitszimmer englisch home office Sie alle haben gemeinsam dass Arbeitskrafte in der eigenen Wohnung im Auftrag eines Unternehmers Produkte oder Dienstleistungen gegen Entgelt erstellen die der Unternehmer auf eigenes Unternehmerrisiko vermarktet Literatur BearbeitenLiteratur uber Verlagssystem im Katalog der Deutschen Nationalbibliothek Hans Ulrich Wehler Deutsche Gesellschaftsgeschichte Band 1 Beck Munchen 1989 S 94 97 ISBN 978 3 406 57872 4 Roland Bettger Verlagswesen Handwerk und Heimarbeit In Claus Grimm Hrsg Aufbruch ins Industriezeitalter Oldenbourg Munchen 1985 ISBN 3 486 52721 5 Gert Kollmer von Oheimb Loup Die Wirtschaft zur Zeit Reuchlins Vortrag gehalten am 28 September 2005 in der IHK Nordschwarzwald Pforzheim online Einzelnachweise Bearbeiten Gerhard Kobler Etymologisches Rechtsworterbuch 1995 S 434 Karl Bucher Verlagssystem in Johannes Conrad Ludwig Elster Wilhelm Hector Richard Albrecht Lexis Edgar Loening Hrsg Handworterbuch der Staatswissenschaften Band 3 1892 S 940 Leo Kofler Zur Geschichte der burgerlichen Gesellschaft 1966 S 292 Bibliographisches Institut Hrsg Meyers Enzyklopadisches Lexikon Band 24 1979 S 484 Wilhelm Volkert Kleines Lexikon des Mittelalters 2004 S 272 Aloys Schulte Geschichte des mittelalterlichen Handels und Verkehrs zwischen Westdeutschland und Italien mit Ausschluss von Venedig Band 1 1966 S 582 William James Ashley Englische Wirtschaftsgeschichte Band 2 1896 S 231 Karl Ditt Sidney Pollard Von der Heimarbeit in die Fabrik 1992 S 248 Lienhard Lotscher Kai Kuhmichel Vom Haus zur Stadt Band 9 2016 S 109 Paul Kampffmeyer Die Hausindustrie in Deutschland 1889 S 1 ff Franz Ziegler Die sozialpolitischen Aufgaben auf dem Gebiete der Hausindustrie 1890 S 16 f Karl Bucher Verlagssystem in Johannes Conrad Ludwig Elster Wilhelm Hector Richard Albrecht Lexis Edgar Loening Hrsg Handworterbuch der Staatswissenschaften Band 3 1892 S 940 Karl Bucher Verlagssystem in Johannes Conrad Ludwig Elster Wilhelm Hector Richard Albrecht Lexis Edgar Loening Hrsg Handworterbuch der Staatswissenschaften Band 3 1892 S 940 f Universitat des Saarlanders Geographisches Institut Hrsg Arbeiten aus dem Geographischen Institut der Universitat des Saarlandes Bande 16 17 1972 S 35 Heinrich Sieveking Wirtschaftsgeschichte 1935 S 188 Martin Meier Die Industrialisierung im Kanton Basel Landschaft 1997 S 67 Schutzmasken 1 Schutzmasken 2 Seldnerhaus der Gabelfursten Souterrain FabrikantenNormdaten Sachbegriff GND 4187861 9 lobid OGND AKS Abgerufen von https de wikipedia org w index php title Verlagssystem amp oldid 230612858