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Als Mietskaserne auch Wohnkaserne 1 in Osterreich Zinskaserne bezeichnet man ein mehrgeschossiges innerstadtisches Mietshaus mit einem oder mehreren Innenhofen aus der Zeit der Industrialisierung Grunderzeit das fur die breite Bevolkerungsschicht der Arbeiter und Angestellten errichtet wurde Berliner Hinterhof 1952Mietskasernen wurden in der Regel von Grossgrundbesitzern oder Terraingesellschaften den Vorlaufern heutiger Wohnungsbaugesellschaften in geschlossener Bauweise errichtet Beim Bau einer Mietskaserne wurde die Grundstucksflache im Rahmen der Bauvorschriften bestmoglich ausgenutzt Nachdem viele Mietskasernen durch die Sanierungen der letzten Jahre und Jahrzehnte baulich aufgewertet wurden spricht man heute eher von Altbaugebieten oder Altbauquartieren oder zeitbezogen von Grunderzeitquartieren Nicht zu verwechseln sind sie mit tatsachlichen ehemaligen Kasernen die spater zu Wohnzwecken umgebaut wurden Inhaltsverzeichnis 1 Bauliche Gliederung 2 Baunorm und Bauform 3 Typische Mietskasernen 4 Entstehungsbedingungen 5 Reaktion auf das Wohnungselend 6 Siehe auch 7 Literatur 8 Weblinks 9 EinzelnachweiseBauliche Gliederung Bearbeiten nbsp Entwicklung der Grundstucksbebauung durch Mietskasernen BZ Berliner Zimmer Die Mietskaserne gliedert sich in mehrere Gebaudeteile Vorderhaus Unmittelbar an der Strasse und parallel dazu stehend oft mit reprasentativer Schau Fassade als Teil der strassenseitigen Blockrandbebauung Seitenflugel Erweiterung des Vorderhauses im 90 Winkel an einer oder beiden seitlichen Grundstucksgrenzen meist mit eigenem Treppenaufgang Hinterhaus auch Quergebaude oder euphemistisch Gartenhaus ruckseitige Hofbebauung die parallel zum Vorderhaus und somit parallel zur Strasse steht oft im Anschluss an Seitenflugel Bei mehreren Hofen gibt es dementsprechend mehrere Hinterhauser Remise meist ein oder zweigeschossiges Nebengebaude das als Garage oder gewerblich genutzt wird fruher oft auch als Stallgebaude fur Pferde oder Kuhe Insbesondere bei mehreren Hinterhausern und Seitenflugeln auf einem Grundstuck ergibt sich von oben betrachtet eine kammformige oder leiterformige Baustruktur aus Gebaudetrakten die parallel zur Strasse stehen Vorder und Hinterhauser und solchen die senkrecht dazu stehen Seitenflugel Remisen Baunorm und Bauform Bearbeiten nbsp Zinshauser im Hintergrund ersetzten im stark wachsenden Wien der Grunderzeit fast die gesamte dorflich gepragte Bebauung der ehemaligen Vorstadte nbsp Wie hier im Berliner Ortsteil Prenzlauer Berg sind bei Mietskasernen oft mehrere Hinterhofe miteinander verbunden nbsp Tempo der Grunderjahre Bauarbeiten in der Grenadierstrasse heute Almstadtstrasse um 1875 nbsp Zeitgenossische Kritik an der Mietskasernenstadt in einer Zeichnung von Heinrich Zille Mutta jib doch die zwee Blumtoppe raus Lieschen sitzt so jerne ins Jrune Grundlage der Bauvorschriften bildete der in Berlin von James Hobrecht erstellte erste Bebauungsplan mit 14 Abteilungen von 1862 Der Innenhof eines Miethauses musste nach Polizeivorschrift mindestens so gross geplant werden dass eine pferdegezogene Feuerwehrspritze darin wenden konnte Laut Baupolizeiordnung waren das genau 5 34 m 5 34 m Eine Abfolge von drei oder vier Hofen war keine Seltenheit Die Hofe waren meist uber Durchfahrten von der Strasse aus erreichbar Mehrere Mietskasernen bildeten einen Baublock Die unglaublich enge Bauweise dieser Wohnblocke kam einer Kasernierung der Bewohner gleich wovon sich die Bezeichnung ableitet 1905 lebten in Berlin in den damaligen Grenzen der Stadt 719 Einwohner auf einem Hektar mit Hausern bebauter Flache also der Stadtflache nach Abzug von Strassen Platzen sonstigen Verkehrsflachen Hofen Gewassern Parks landwirtschaftlichen Flachen Waldern usw In den damals selbstandigen Stadten Schoneberg waren es 576 Einwohner je Hektar mit Hausern bebauter Flache und in Charlottenburg 456 Einwohner 2 Damit waren Berlin Schoneberg und Charlottenburg die damals am dichtesten bewohnten deutschen Grossstadte vor Breslau dort 423 Einwohner je Hektar mit Hausern bebauter Flache Das Vorderhaus war mit seiner aufwandigeren Gestaltung an das Burgerhaus angelehnt Die Strassenfassaden waren oftmals mit Stuckaturen gestaltet und durch Gesimse gegliedert Die Geschosse des Vorderhauses waren meist hoher als in Seitenflugeln und Hinterhaus sodass die Wohnverhaltnisse durch mehr Tageslicht begunstigt und diese von sozial hoheren Schichten bewohnt wurden Zum Vorderhaus gehorte meistens noch das in der Ecke des Seitenflugels befindliche Berliner Zimmer als Durchgangszimmer zu den Stuben des Seitenflugels In den Hinterhausern bestanden die Wohnungen aus einer Kuche einem Schlafzimmer und manchmal noch einer Kammer Beheizbar war nur die Wohnkuche wo sich auch das Familienleben abspielte Im Erdgeschoss und im Souterrain siedelten sich meistens Gewerbebetriebe an Nur ein geringer Teil der Wohnungen war an das sanitare System angeschlossen Die meisten Grunderzeitbauten wurden erst in den 1920er Jahren mit Sanitareinrichtungen nachgerustet Meist teilten sich mehrere Mietparteien eine Toilette auf dem Gang oder im Treppenhaus Die ersten Mieter zogen bereits ein wahrend die Bauleute auf den Gerusten noch die Fassaden verputzten Man sprach daher seit den 1860er Jahren vom Trockenwohnen der Wohnungen Die oft mangelhaften hygienischen Zustande Kalte Feuchtigkeit und Dunkelheit verursachten ein gesundheitsschadliches Wohnklima das sich in den Wohnungen im Tiefparterre und Dachgeschoss noch verscharfte Dennoch mussten die Bewohner 25 bis 30 Prozent ihres Einkommens fur die Zwei bis Drei Zimmer Wohnungen ausgeben Um die Mieten finanzieren zu konnen wurden die zusatzlichen Raume der beengten Wohnungen meistens wieder untervermietet oder Betten an sogenannte Schlafganger vermietet Einen solchen Schlafplatz teilten sich oft mehrere Leute umschichtig Bis zu 30 Menschen lebten in einer Wohnung Sogar auf dem Flur hausten Menschen notdurftig auf einer Matratze In den engen Lichthofen sammelte sich oft der Mull Typische Mietskasernen BearbeitenMietskasernen existierten in Deutschland vor allem in Grossstadten wie Berlin und Hamburg wo die grossen Grundstucke grossflachig uberbaut wurden In Osterreich wurden sie in Wien ab 1880 vor allem in den sudlichen und westlichen Aussenbezirken jenseits des Wiener Gurtels unter der Bezeichnung Zinshaus gebaut Als besonders dicht verbaute Gebiete gelten in Wien beispielsweise Neu Penzing oder auch Neulerchenfeld und Favoriten Als extremes Beispiel galt Meyers Hof in der Berliner Ackerstrasse der sechs Hinterhofe umfasste und etwa 2000 Menschen in 300 Wohnungen beherbergte Die Wohnanlage Meyers Hof wurde im Zuge der Sanierungsmassnahmen im Sanierungsgebiet Brunnenstrasse abgerissen Einer der grossten geschlossenen Hauserblocks befindet sich in Berlin im Ortsteil Prenzlauer Berg Er hat uber 30 Hinterhofe verschiedener Grosse und liegt zwischen den Strassen Prenzlauer Allee Marienburger Strasse Winsstrasse und Immanuelkirchstrasse Der Architekt Franz Hoffmann Mitinhaber der Architektengemeinschaft Taut amp Hoffmann hat bei einem offentlichen Vortrag folgende Einschatzung einer Mietskaserne gegeben 3 Fruher waren die Baublocks von Berlin fast ausschliesslich mit Vorderhausern bebaut Die grossen Innenflachen der Baublocks bildeten Garten Durch die Bauordnung von 1858 wurde es moglich auch Tiefgrundstucke zu bebauen und nicht wie am Anfang in der Hauptsache nur Randbebauung durchzufuhren Dadurch entstanden die entsetzlichen Mietskasernen in allen grosseren Stadten der Welt und auch in Berlin Es wurden an engen Hofen mit ausserordentlich schlechten Grundrissen Wohnungen gebaut die jeder Hygiene widersprachen und zu einer Verelendung seiner Bewohner fuhren mussten Wenn man ausserdem bedenkt dass viele die in diesen schlechten lichtarmen Wohnungen leben mussten den Tag uber in hasslichen und unhygienischen Fabriken tatig waren so kann man sich vorstellen dass die Arbeiter der damaligen Zeit meistens schon mit 50 Jahren in die Grube sanken Als eine der letzten vollstandig erhaltenen Mietskasernen gilt der Loests Hof in Halle Saale Der Loests Hof wurde von 1884 bis 1890 vom Bauunternehmer Rudolf Loest errichtet Bei einer Lange von 250 Metern vier Stockwerken geschlossener Blockrandbebauung und in der Form eines profanen Backsteinfunktionalismus wurde er als einer der grossten seiner Art errichtet Die durchschnittliche Belegungszahl pro Wohneinheit betrug sechs Personen insgesamt wohnten einst 2700 Menschen im Loests Hof Der Hof war ursprunglich eng bebaut mit Stallen Schuppen und Gewerbebetrieben Der Loests Hof gilt als Paradebeispiel der stadtebaulich und hygienisch problematischen Mischkultur der grunderzeitlichen Arbeiterviertel 4 Entstehungsbedingungen Bearbeiten Hauptartikel Geschichte des Wohnens Grunde fur das Entstehen der Mietskasernen in den wachsenden Grossstadten war die durch starken Zuzug wahrend der Industrialisierung sowie hohes Bevolkerungswachstum in der zweiten Halfte des 19 Jahrhunderts entstandene Wohnungsnot die Ausweisung grosser Baugrundstucke und eine Bauordnung die den Bauherren die genaue Ausgestaltung der Bebauung weitgehend frei liess Da die Wohnungsspekulanten nur geringe Mieten von den Arbeitern verlangen konnten versuchten sie die Rendite durch enge Bebauung und auf Kosten der Qualitat zu erzielen Die neuen Rahmenbedingungen fuhrten auch zu einer Veranderung der Bauherrenschaft Bereits zuvor hatten wohlhabende Handwerker und Kaufleute Mietshauser als Geldanlage errichten lassen Im Verlauf der Industrialisierung nahmen aber auf die Erstellung von Geschosswohnungshausern spezialisierte Unternehmen eine wachsende Rolle ein Insbesondere agierten zunehmend Terraingesellschaften die vor allem den Kauf von grosseren Baugrundstucken die Bauplanung und Verkehrserschliessung fur ganze Stadtquartiere abwickelten und entweder die Grundstucke an Bauherren weiterverkauften oder selbst Mietshauser errichten liessen und diese an Investoren verausserten oder auch im eigenen Bestand behielten um Mieteinnahmen zu erzielen Dieses Geschaftsmodell wurde mithilfe erheblicher Anteile von Fremdkapital betrieben Dieses stellten wiederum Banken haufig uber das Instrument des Pfandbriefs zur Verfugung Insbesondere in den 1890er Jahren grundeten sich viele auf dieses Geschaftsmodell spezialisierte Banken auch als Tochtergesellschaften bestehender Bankhauser Zum Teil stiegen die Banken selbst auch in das Immobilienentwicklungsgeschaft ein Diese zunehmende Behandlung der Mietobjekte als Investitionsguter fuhrte auch zu einem zunehmenden Handel mit solchen Hausern Ein weiterer Effekte dieser Entwicklung war die fruhzeitige Sicherung von Agrarland im Umfeld der Grossstadte mit der Aussicht dort mittel bis langfristig weitere Mietskasernen errichten zu konnen Auch wiesen zahlreiche Umlandkommunen fruhzeitig Bauland aus um von diesen Prozessen zu profitieren 5 Zu einem Wandel des Geschaftsmodells kam es ab etwa 1901 als das Hypothekenbankgesetz die Vergabe von Pfandbriefen starker reglementierte und einschrankte Der damit begrenzte Zugang zu Fremdkapital fuhrte dazu dass einige Terraingesellschaften Mietskasernen verstarkt fur den eigenen Bestand bauen liessen und zu Wohnungsbaukonzernen wurden Insgesamt verringerte sich bis zum Ersten Weltkrieg der Handel mit Bauland im Deutschen Reich 6 Reaktion auf das Wohnungselend BearbeitenDie stadtische Verwaltung reagierte auf das entstandene Wohnungselend nur zogerlich weil die Arbeiterschaft in den stadtischen Gremien kaum vertreten war Weil das Burgertum aber einen mit der Uberbelegung einhergehenden Sittenverfall befurchtete begann man sich ab den 1890er Jahren Gedanken zur Losung des Problems der Kleinwohnungsfrage zu machen Kommunaler Wohnungsbau wurde als Eingriff in die Marktwirtschaft zunachst abgelehnt Einigen konnte man sich hochstens auf eine verbilligte Abgabe von Bauland Minderung von Strassenerschliessungskosten Erleichterungen im Kreditwesen und auf eine strengere Aufsicht durch die Behorden Um die Untervermietung einzudammen wurden bei spateren Bauten fur die Arbeiter die Kuchen klein gehalten damit die Familie auch die ubrigen Raume der Wohnung benutzen musste Als programmatische Gegenentwurfe zum Wohnungselend der Mietskasernen entstanden zum Beispiel die Gartenstadtbewegung und ab den 1920er Jahren ein genossenschaftlicher Wohnungsbau in Wien die Gemeindebauten Siehe auch BearbeitenSchlitzbau Wohnterrasse Werner Hegemann Das Steinerne BerlinLiteratur BearbeitenAdolf Damaschke Die Bodenreform Grundsatzliches und Geschichtliches Berlin 1902 Johann Friedrich Geist Klaus Kurvers Das Berliner Mietshaus Munchen 1980 1989 drei Bande Adelheid von Saldern Hauserleben Zur Geschichte stadtischen Arbeiterwohnens vom Kaiserreich bis heute Bonn 1995 Weblinks Bearbeiten nbsp Wiktionary Mietskaserne Bedeutungserklarungen Wortherkunft Synonyme UbersetzungenEinzelnachweise Bearbeiten Ernst Spindler Der letzte Berliner Wohnhaus Wettbewerb In Berliner Architekturwelt Nr 8 November 1904 S 273 Begriffsklarung zlb de S 276 Entwurf der Fassade Statistisches Jahrbuch deutscher Stadte Jg 15 1908 S 12 13 und S 45 46 Vortrag von Franz Hoffmann um 1950 Uber sozialistisches Bauen und uber Arbeitersiedlungen in der Vergangenheit und Zukunft Archivnummer 90 01 14 im Baukunstarchiv der Berliner Akademie der Kunste Holger Brulls Thomas Dietzsch Architekturfuhr Halle an der Saale 2000 S 181 Friederike Sattler Deutsche Hypothekenbanken zwischen Sicherheitsdenken und Spekulationsfieber Immobilienfinanzierung im Bauboom des spaten 19 Jahrhunderts In Jahrbuch fur Wirtschaftsgeschichte Band 63 Nr 1 12 Mai 2022 S 115 doi 10 1515 jbwg 2022 000 Friederike Sattler Deutsche Hypothekenbanken zwischen Sicherheitsdenken und Spekulationsfieber Immobilienfinanzierung im Bauboom des spaten 19 Jahrhunderts In Jahrbuch fur Wirtschaftsgeschichte Band 63 Nr 1 12 Mai 2022 S 130 doi 10 1515 jbwg 2022 000 Abgerufen von https de wikipedia org w index php title Mietskaserne amp oldid 231948823