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Der Godelsche Unvollstandigkeitssatz ist einer der wichtigsten Satze der modernen Logik Er beschaftigt sich mit der Ableitbarkeit von Aussagen in formalen Systemen Der Satz zeigt die Grenzen der formalen Systeme ab einer bestimmten Leistungsfahigkeit auf Er weist nach dass es in hinreichend starken Systemen wie der Arithmetik Aussagen geben muss die man formal weder beweisen noch widerlegen kann Der Satz beweist damit die Undurchfuhrbarkeit des Hilbertprogramms das von David Hilbert unter anderem begrundet wurde um die Widerspruchsfreiheit der Mathematik zu beweisen Der Satz wurde 1931 von dem osterreichischen Mathematiker Kurt Godel veroffentlicht 1 Genauer werden zwei Unvollstandigkeitssatze unterschieden Der erste Unvollstandigkeitssatz besagt dass es in allen hinreichend starken widerspruchsfreien Systemen unbeweisbare Aussagen gibt Der zweite Unvollstandigkeitssatz besagt dass hinreichend starke widerspruchsfreie Systeme ihre eigene Widerspruchsfreiheit nicht beweisen konnen Durch diese Satze ist der Mathematik eine prinzipielle Grenze gesetzt Nicht jeder mathematische Satz kann aus den Axiomen eines mathematischen Teilgebietes zum Beispiel Arithmetik Geometrie und Algebra formal abgeleitet oder widerlegt werden In der Wissenschaftstheorie und anderen Gebieten der Philosophie zahlt der Satz zu den meistrezipierten der Mathematik Das Buch Godel Escher Bach und die Werke von John Randolph Lucas werden haufig exemplarisch hervorgehoben Inhaltsverzeichnis 1 Grundbegriffe 2 Godels Satze 2 1 Erster Unvollstandigkeitssatz 2 1 1 Aussage 2 1 2 Beweisskizze 2 2 Zweiter Unvollstandigkeitssatz 3 Bedeutung 3 1 Erster Unvollstandigkeitssatz 3 2 Zweiter Unvollstandigkeitssatz 3 2 1 Bedeutung fur das Hilbertprogramm 4 Philosophische Interpretationen 5 Haufige Fehlschlusse 6 Beispiele fur die Unbeweisbarkeit konkreter Satze 7 Anwendung 8 Sonstiges 9 Literatur 9 1 Originalpublikationen 9 2 Populare Einfuhrungen 9 3 Mathematische Einfuhrungen 9 4 Zur Bedeutung der Satze 10 Weblinks 11 EinzelnachweiseGrundbegriffe BearbeitenAussagen sind Folgen von Zeichen die ahnlich wie ein Programm einer Programmiersprache einer gewissen Syntax genugen mussen Fur solche Aussagen kann man im Rahmen der Modelltheorie das Konzept der Gultigkeit oder Wahrheit in Strukturen definieren Dabei kann die Wahrheit einer Aussage durchaus von der betrachteten Struktur abhangen Die Aussage Es gibt eine Zahl zwischen 0 und 1 gilt zum Beispiel in den rationalen oder Bruch Zahlen die rationale Zahl 3 4 liegt zwischen 0 und 1 aber nicht in den ganzen Zahlen es gibt keine ganze Zahl zwischen 0 und 1 Ein formales System ist ein System in dem sich mathematische Aussagen beweisen lassen Jedes formale System besteht aus einer Sprache die die Menge der wohlgeformten Formeln und Aussagen spezifiziert einer Menge von Axiomen und einer Menge von Schlussregeln mit denen aus bereits bewiesenen Aussagen neue Aussagen hergeleitet werden konnen Ein formales System bestimmt eine Theorie die Menge aller im System herleitbaren Aussagen Wichtig ist dabei dass die Korrektheit eines Beweises im formalen System auf mechanische Weise verifiziert werden kann Damit sind beispielsweise Kalkule mit unendlich grossen Beweisen keine formalen Systeme in diesem Sinne Im Sinne der Berechenbarkeitstheorie entspricht dies der formalen Forderung dass die Theorie rekursiv aufzahlbar sein muss Der Begriff hinreichend machtig bedeutet im ersten und zweiten Unvollstandigkeitssatz jeweils etwas anderes Im zweiten Unvollstandigkeitssatz ist damit gemeint dass das System T displaystyle T nbsp die Lobschen Bedingungen L1 L3 erfullt 2 Ausserdem muss die Bernayssche Ableitbarkeitsbedingung erfullt sein 3 Ein System T displaystyle T nbsp heisst widerspruchsfrei oder konsistent wenn es keine Aussage A displaystyle A nbsp gibt sodass aus T displaystyle T nbsp sowohl A displaystyle A nbsp als auch die Verneinung Negation A displaystyle neg A nbsp von A displaystyle A nbsp folgt Diese Bedingung ist wie man mit dem Prinzip Ex falso quodlibet leicht zeigen kann aquivalent dazu dass nicht jede Aussage aus T displaystyle T nbsp folgt Ein System T displaystyle T nbsp heisst vollstandig wenn fur alle Aussagen A displaystyle A nbsp die Aussage A displaystyle A nbsp oder deren Negation A displaystyle neg A nbsp aus T displaystyle T nbsp folgt Godels Satze BearbeitenErster Unvollstandigkeitssatz Bearbeiten Aussage Bearbeiten Der erste Unvollstandigkeitssatz besagt dass man in rekursiv aufzahlbaren Systemen der Arithmetik nicht alle Aussagen formal beweisen oder widerlegen kann Jedes hinreichend machtige rekursiv aufzahlbare formale System ist entweder widerspruchlich oder unvollstandig Eine hinreichende Bedingung dafur dass ein System hinreichend machtig ist ist dabei dass es naturliche Zahlen mit Addition und Multiplikation beschreibt und dass sich einige elementare Eigenschaften von naturlichen Zahlen darin ausdrucken und beweisen lassen darunter beispielsweise dass es keine naturliche Zahl unter null gibt und dass sich Aussageformen wie x 0 displaystyle x 0 nbsp x 1 displaystyle x 1 nbsp oder x 2 displaystyle x 2 nbsp usw formulieren lassen Beweisskizze Bearbeiten Hauptartikel Beweise der godelschen Unvollstandigkeitssatze Godel zeigte den Satz ursprunglich unter einer etwas starkeren Voraussetzung als der Konsistenz namlich der der w Konsistenz die in dieser Skizze der Einfachheit halber auch angenommen wird John Barkley Rosser zeigte 1936 wie man diese Voraussetzung fallen lassen kann Seine Argumentation benutzt eine Abzahlung aller Satze innerhalb des betrachteten formalen Systems Hierbei wird jedem Satz eine eindeutige Nummer seine Godelnummer zugewiesen Godel konstruiert dann eine Formel der Form Der Satz mit der Nummer x displaystyle x nbsp ist nicht ableitbar Er zeigt mit Hilfe einer Diagonalisierung dass es eine Einsetzung n displaystyle n nbsp fur x displaystyle x nbsp gibt sodass der Satz mit der Nummer n displaystyle n nbsp aquivalent ist zu der Aussage Der Satz mit der Nummer n displaystyle n nbsp ist nicht ableitbar Damit erhalt er einen Satz mit der intuitiven Bedeutung Ich bin nicht ableitbar den sogenannten Godelsatz Diese Konstruktion motivierte Godel selbst mit dem Lugner Paradoxon Man betrachte nun den Satz Der Satz mit der Nummer n displaystyle n nbsp ist ableitbar Anhand eines Widerspruchsbeweises zeigt sich dass dieser Satz ebenso wenig wie seine Negation ableitbar und somit das System unvollstandig ist Angenommen der Satz ware ableitbar Dann ergibt sich aus der w Konsistenz und der Starke des Systems dass der Satz mit der Nummer n displaystyle n nbsp ableitbar ist Dieser ist aber gerade aquivalent zur Negation des Satzes Der Satz mit der Nummer n displaystyle n nbsp ist ableitbar Hieraus ergibt sich ein Widerspruch im System Da dieses aber als konsistent angenommen wurde kann der Satz nicht ableitbar sein Man nehme nun an dass die Negation des Satzes also Der Satz mit der Nummer n displaystyle n nbsp ist nicht ableitbar ableitbar ist und somit auch der dazu aquivalente Satz mit der Nummer n displaystyle n nbsp Aus der Tatsache dass das System als hinreichend machtig angenommen wird um jeden Beweis innerhalb des Systems nachzuvollziehen folgt dass mit der Ableitbarkeit eines Satzes mit irgendeiner Nummer k displaystyle k nbsp auch der Satz Der Satz mit der Nummer k displaystyle k nbsp ist ableitbar ableitbar ist namlich indem der Beweis mit Godelnummern nachvollzogen wird Das gilt auch fur den Satz oben mit der Nummer n displaystyle n nbsp Er soll laut Annahme ableitbar sein und daher ist auch Der Satz mit der Nummer n displaystyle n nbsp ist ableitbar ableitbar Das ist aber genau die Negation der Annahme und daher musste hierfur das System widerspruchlich also nicht w konsistent sein Daher kann auch der Satz Der Satz mit der Nummer n displaystyle n nbsp ist nicht ableitbar nicht ableitbar sein Der metasprachliche Satz dass der Satz mit der Nummer n displaystyle n nbsp in dem System nicht ableitbar ist ist damit jedoch bewiesen Zweiter Unvollstandigkeitssatz Bearbeiten Der zweite Unvollstandigkeitssatz besagt dass jedes hinreichend machtige konsistente System die eigene Konsistenz nicht beweisen kann Jedes hinreichend machtige konsistente formale System kann die eigene Konsistenz nicht beweisen Die Aussage folgt aus dem ersten Satz Sei T displaystyle T nbsp ein konsistentes formales System das so stark ist dass darin der erste Unvollstandigkeitssatz formalisiert und bewiesen werden kann Dann beweist T displaystyle T nbsp die Aussage Wenn T displaystyle T nbsp konsistent ist dann ist der Satz Ich bin nicht beweisbar nicht in T displaystyle T nbsp beweisbar Mittels eines Widerspruchsbeweises folgt die gewunschte Aussage Man nehme an T displaystyle T nbsp beweise die Aussage T displaystyle T nbsp ist konsistent Kombiniert man die beiden Aussagen erhalt man durch Modus ponens in T displaystyle T nbsp einen Beweis der Aussage Der Satz Ich bin nicht beweisbar ist nicht in T displaystyle T nbsp beweisbar Diese Aussage ist aber gleichbedeutend mit der Aussage Ich bin nicht beweisbar damit gibt es auch einen Beweis fur diese Aussage Dies ist ein Widerspruch zum ersten Unvollstandigkeitssatz Also ist entweder T displaystyle T nbsp inkonsistent oder es kann die eigene Konsistenz nicht beweisen Bedeutung BearbeitenErster Unvollstandigkeitssatz Bearbeiten Godels erster Unvollstandigkeitssatz zeigt dass jedes konsistente formale System das genug Aussagen uber naturliche Zahlen enthalt unvollstandig ist Es gibt wahre Aussagen die in seiner Sprache ausdruckbar sind die aber nicht beweisbar sind Damit kann kein formales System das die Voraussetzungen des Satzes erfullt die naturlichen Zahlen eindeutig charakterisieren da immer unbeweisbare zahlentheoretische Aussagen ubrigbleiben Die Existenz eines unvollstandigen formalen Systems ist zunachst nicht uberraschend Ein System kann einfach deswegen unvollstandig sein weil nicht alle notigen Axiome formuliert worden sind Beispielsweise ist die Euklidische Geometrie ohne das Parallelenaxiom unvollstandig dieses kann mit den ubrigen Axiomen weder bewiesen noch widerlegt werden Godels Satz zeigt dass in Theorien die eine kleine Menge Zahlentheorie enthalten eine vollstandige und konsistente endliche Liste von Axiomen prinzipiell nicht existieren kann und dass eine entsprechende unendliche Liste von einem Computerprogramm nicht aufgezahlt werden kann Nach der Church Turing These kann eine solche Liste auch nicht durch einen anderen intuitiv berechenbaren Algorithmus erstellt werden Jedes Mal wenn ein neuer Satz als Axiom hinzugefugt wird gibt es andere wahre Aussagen die auch mit dem neuen Axiom immer noch nicht bewiesen werden konnen Wenn ein Axiom hinzugefugt wird das das System vollstandig macht wird das System gleichzeitig widerspruchlich Dennoch gibt es vollstandige und konsistente Axiomenmengen fur die Arithmetik die aber von einem Algorithmus nicht aufgezahlt werden konnen Beispielsweise ist die Menge der wahren Aussagen uber naturliche Zahlen F L PA N F displaystyle Phi in mathcal L operatorname PA mid mathbb N models Phi nbsp eine vollstandige und konsistente Axiomatisierung der Arithmetik Die Schwierigkeit dabei ist dass es keine mechanische Methode gibt um nachzuweisen dass eine Aussage in dieser Menge liegt Ein ahnliches Problem entsteht bei unendlichen Kalkulen wie der Arithmetik mit w Regel einer unendlichen Schlussregel mit der sich genau die wahren arithmetischen Aussagen beweisen lassen Da Ableitungen mit der w Regel unendlich gross sind gibt es keine mechanische Methode solche Beweise zu verifizieren Der Unvollstandigkeitssatz sagt nur etwas aus fur formale Systeme die die notwendigen Voraussetzungen erfullen Nicht alle mathematisch interessanten Axiomensysteme erfullen diese Voraussetzungen selbst wenn sie Modelle haben die die naturlichen Zahlen enthalten Beispielsweise gibt es vollstandige Axiomatisierungen der euklidischen Geometrie der Theorie der algebraisch abgeschlossenen Korper von Charakteristik p displaystyle p nbsp der dichten linearen Ordnungen ohne grosstes und kleinstes Element und der naturlichen Zahlen ohne Multiplikation Presburger Arithmetik Entscheidend ist dass diese Theorien nicht ausdrucksstark genug sind um bestimmte wesentliche Eigenschaften uber naturliche Zahlen darzustellen Zweiter Unvollstandigkeitssatz Bearbeiten Godels zweiter Unvollstandigkeitssatz impliziert auch dass eine ausreichend starke konsistente Theorie T 1 displaystyle T 1 nbsp nicht die Konsistenz einer Theorie T 2 displaystyle T 2 nbsp beweisen kann wenn diese die Konsistenz von T 1 displaystyle T 1 nbsp beweist Denn eine solche Theorie T 1 displaystyle T 1 nbsp kann beweisen dass wenn T 2 displaystyle T 2 nbsp konsistent ist und dies die Konsistenz von T 1 displaystyle T 1 nbsp beweist T 1 displaystyle T 1 nbsp auch konsistent sein muss Denn die Konsistenz von T 1 displaystyle T 1 nbsp lasst sich formalisieren als keine Zahl n displaystyle n nbsp ist Godelnummer eines Widerspruchsbeweises in T 1 displaystyle T 1 nbsp Ware T 1 displaystyle T 1 nbsp inkonsistent dann wurde T 2 displaystyle T 2 nbsp fur ein n displaystyle n nbsp beweisen dass n displaystyle n nbsp die Godelnummer eines Widerspruchsbeweises in T 1 displaystyle T 1 nbsp ist Wurde aber T 2 displaystyle T 2 nbsp auch die Konsistenz von T 1 displaystyle T 1 nbsp beweisen so bewiese es auch dass kein solches n displaystyle n nbsp existiert ware also inkonsistent Dieses Korollar des zweiten Unvollstandigkeitssatzes zeigt dass es nicht moglich ist etwa die Konsistenz der Peano Arithmetik mit finiten Mitteln zu formalisieren die sich in einer schwacheren Theorie formalisieren lasst deren Konsistenz die Peano Arithmetik beweisen kann Beispielsweise lasst sich die Konsistenz der primitiv rekursiven Arithmetik PRA die oft als Formalisierung des finiten Kerns der Mathematik angesehen wird in der Peano Arithmetik beweisen Damit kann PRA die Konsistenz der Peano Arithmetik nicht beweisen Die Tatsache wird oft als Beweis gesehen dass Hilberts Programm das die Mathematik durch finite Konsistenzbeweise begrunden wollte zumindest nicht im engeren Sinne von finit ausfuhrbar ist Der zweite Unvollstandigkeitssatz macht Konsistenzbeweise nicht vollkommen unmoglich sondern nur Konsistenzbeweise die in der betroffenen Theorie selbst formalisiert werden konnen Insbesondere sind oft Konsistenzbeweise in starkeren Systemen moglich So beweist die Peano Arithmetik die Konsistenz schwacherer Formen der Arithmetik die Zermelo Fraenkel Mengenlehre die Konsistenz der Peano Arithmetik und Erweiterungen der Zermelo Fraenkel Mengenlehre mit grossen Kardinalzahlen beweisen die Konsistenz der Mengenlehre Eine solche Theorie muss aber nicht immer starker sein So lasst sich Gentzens Konsistenzbeweis fur die Peano Arithmetik in einer Theorie formalisieren die aus der schwachen primitiv rekursiven Arithmetik und einem Axiom fur die Wohlfundiertheit der Ordinalzahl e 0 displaystyle varepsilon 0 nbsp besteht Keine der beiden Theorien beweist alle Aussagen der anderen die Starken der beiden Theorien sind also nicht direkt vergleichbar Der zweite Unvollstandigkeitssatz ist nur fur formale Systeme bewiesen die stark genug sind um den Beweis des ersten Unvollstandigkeitssatzes zu formalisieren Es gibt konsistente Theorien die Konsistenz ausdrucken und beweisen konnen insbesondere Subsysteme der Arithmetik in denen Multiplikation nicht beweisbar eine totale Funktion ist Diese Systeme konnen zwar den Beweisbarkeitsbegriff formalisieren aber nicht die fur den ersten Unvollstandigkeitssatz notige Diagonalisierung 4 Bedeutung fur das Hilbertprogramm Bearbeiten Godel versetzte mit seinem Unvollstandigkeitssatz dem sogenannten Hilbertprogramm einen schweren Schlag Dieses wurde von David Hilbert 1921 vorgeschlagen und hatte einen entscheidenden Einfluss auf die Forschung in der Logik in den 1920er Jahren Es zielte darauf ab die gesamte Mathematik durch ein Axiomensystem in Pradikatenlogik erster Stufe zu formalisieren und die Widerspruchsfreiheit der Axiome nachzuweisen Hiermit sollten die Bedenken gegenuber nichtkonstruktiven Schlussweisen in der Mathematik die vor allem von Intuitionisten geaussert wurden ausgeraumt werden Hilbert schlug vor die Widerspruchsfreiheit von komplexeren Systemen durch diejenige einfacherer Systeme nachzuweisen Die Motivation hierfur ist dass einem Beweis zur Widerspruchsfreiheit eines Systems der in diesem System selbst gegeben ist nicht getraut werden kann Denn aus einem Widerspruch heraus lasst sich alles beweisen Ex falso quodlibet also liesse sich aus einem Widerspruch im System auch die Widerspruchsfreiheit des Systems beweisen Daher sollte die Widerspruchsfreiheit in einem einfacheren System bewiesen werden sodass letztlich die Widerspruchsfreiheit der gesamten Mathematik auf einfache offensichtlich widerspruchsfreie Axiome zuruckgefuhrt werden kann Nach dem zweiten Unvollstandigkeitssatz ist es aber unmoglich die Widerspruchsfreiheit eines Systems in ihm selbst nachzuweisen und damit erst recht sie in einem einfacheren System nachzuweisen Philosophische Interpretationen BearbeitenObwohl Godel sich im Laufe seines Lebens wiederholt als Platoniker zu erkennen gab wurde sein Unvollstandigkeitssatz wiederholt in einem subjektivistischen Sinn interpretiert Auch schien Godels Teilnahme am Wiener Kreis eine Nahe des Unvollstandigkeitssatzes mit dem logischen Positivismus nahezulegen der dem Platonismus in vielerlei Hinsicht entgegengesetzt ist Godels zuruckhaltende konfliktscheue Art trug dazu bei diese Interpretationen am Leben zu erhalten Godel selbst verstand seinen Satz jedoch insbesondere als einen Schlag gegen das von Hilbert initiierte Programm das darauf abzielte die Machbarkeit eines innerlich vollkommen widerspruchslosen mathematischen Formalismus zu beweisen was in letzter Konsequenz die gesamte Mathematik zu einem Gebilde ohne Bezug zur realen Welt degradiert hatte Fur Godel als Platoniker waren jedoch die mathematischen Objekte durchaus real Sie waren der Erkenntnis zwar erst auf dem Wege reinen Denkens zuganglich somit nicht direkt aus der empirischen Sinneswahrnehmungen ableitbar wie es die Positivisten einforderten standen jedoch deswegen nicht ohne Verbindung zu dieser Art Spur und wissenschaftlicher Messbarkeit Den Unvollstandigkeitssatz deutete Godel im Sinne eines starken Indizes zugunsten einer ersten Ursache dieses dimensional raumzeitlichen empirischen Geschehens d h als etwas das sich nicht seinerseits kausal begrunden lasst jedoch oder weil es den Grund des Kausalnexus darstellt siehe seinen ontologischen Gottesbeweis Damit war fur Godel bewiesen dass ein in sich luckenlos logischer Formalismus wie ihn Hilbert ins Auge gefasst hatte aussichtslos ist demnach auch kein Werkzeug sein kann mit dem sich der empirischen Realitat beikommen liesse Obwohl Godel sich in seiner Grundhaltung gegenuber dem damals Furore machenden logischen Positivismus nicht sehr von Ludwig Wittgenstein unterschied hielten doch beide Manner zeit ihres Lebens nicht viel voneinander In Wittgensteins Werk wird der Unvollstandigkeitssatz eher abschatzig behandelt derselbe tauge lediglich fur logische Kunststucke Godel wiederum wies in spateren Interviews jeglichen Einfluss Wittgensteins auf sein eigenes Denken weit von sich Haufige Fehlschlusse BearbeitenDie Godelschen Unvollstandigkeitssatze werden auch ausserhalb der mathematischen Logik zitiert Nichtmathematiker oder philosophische Laien ubersehen hierbei leicht dass die in den Satzen verwendeten Fachausdrucke nicht immer die gleiche Bedeutung haben wie gleich oder ahnlich lautende Begriffe in anderem Zusammenhang In manchen Versuchen die Ergebnisse einem breiteren Publikum zuganglich zu machen wird dieses Phanomen namlich die Austauschbarkeit der Bedeutungen die Begriffen zugewiesen sind nicht oder nur ungenugend gewurdigt Dadurch konnen falsche Vorstellungen uber die Bedeutung der Satze zustande kommen Daher folgen hier einige Warnungen vor moglichen Fehlschlussen Verwirrung kann dadurch entstehen dass Godel nicht nur die Unvollstandigkeitssatze bewiesen hat sondern auch den Godelschen Vollstandigkeitssatz Hier ist zu beachten dass der Begriff der Vollstandigkeit in zwei verschiedenen Bedeutungen gebraucht wird Der Vollstandigkeitssatz beweist die semantische Vollstandigkeit der Pradikatenlogik der ersten Stufe behandelt also eine Beziehung zwischen Modellen und Beweisen Der Unvollstandigkeitssatz hingegen beweist dass gewisse Mengen von Ausdrucken nicht vollstandig im Sinn einer Theorie sind Es gibt Falle wo weder ein Satz noch seine Negation zur Theorie gehoren Ein weiterer Fehlschluss ist dass Godel behauptet habe die meisten in der Mathematik benutzten Theorien seien unvollstandig Es gibt aber einige wichtige vollstandige rekursiv aufzahlbare widerspruchsfreie Theorien wie z B die Theorie der algebraisch abgeschlossenen Korper von Charakteristik p displaystyle p nbsp die Theorie der dichten linearen Ordnungen ohne grosstes und kleinstes Element oder Tarskis Axiomatisierung der euklidischen Geometrie Entscheidend ist dass diese Theorien nicht genugend stark sind um die wesentlichen Eigenschaften naturlicher Zahlen darzustellen und um uber sich selbst zu reden Es gibt sogar gewisse vollstandige rekursiv aufzahlbare Fragmente der Arithmetik in einer eingeschrankten Sprache Ein Beispiel fur ein derartiges schwaches System ist die Arithmetik nur mit 0 und Nachfolger ein weiteres die Presburger Arithmetik Es ist moglich die Arithmetik vollstandig zu beschreiben Die Theorie T F L PA N F displaystyle T Phi in mathcal L operatorname PA mid mathbb N models Phi nbsp ist eine im hier verlangten Sinn vollstandige widerspruchsfreie Erweiterung der bekannten Peano Axiome true arithmetic genannt Man konnte die gesamte Menge dieser Satze als Axiomatisierung der Arithmetik bezeichnen Der erste Unvollstandigkeitssatz zeigt dass diese Axiomatisierung aber nicht rekursiv aufzahlbar ist Beispiele fur die Unbeweisbarkeit konkreter Satze BearbeitenWahrend die unbeweisbare Aussage die beim Beweis des ersten Unvollstandigkeitssatzes konstruiert wird eher kunstlich ist sind auch naturliche mathematische Aussagen bekannt die in naturlichen mathematischen Axiomensystemen unbeweisbar sind 1943 zeigte Gerhard Gentzen dass die transfinite Induktion bis e 0 displaystyle varepsilon 0 nbsp in der Peano Arithmetik nicht hergeleitet werden kann 5 1977 zeigten Jeff Paris und Leo Harrington dass eine gewisse Variante des Satzes von Ramsey zwar in den durch die Zermelo Fraenkel Mengenlehre gegebenen naturlichen Zahlen wahr aber in der Peano Arithmetik unbeweisbar ist Satz von Paris Harrington 1982 zeigten Jeff Paris und Laurie Kirby dass der Satz von Goodstein in der Peano Arithmetik unbeweisbar ist Seit einem Beweis Paul Cohens von 1963 ist bekannt dass sowohl das Auswahlaxiom als auch die Kontinuumshypothese auf Grundlage der Zermelo Fraenkel Mengenlehre formal unentscheidbar sind in dieser Mengenlehre kann man aber ausreichend viele Aussagen uber naturliche Zahlen formulieren Seitdem wurden zahlreiche weitere Beispiele dafur gefunden dass in der Zermelo Fraenkel Mengenlehre und Einschrankungen oder Erweiterungen davon Aussagen weder beweis noch widerlegbar sind Anwendung BearbeitenUm die Unbeweisbarkeit einiger Aussagen der Mengenlehre zu zeigen lasst sich mitunter auch direkt der zweite Unvollstandigkeitssatz verwenden Wenn aus einer Aussage in einer Mengenlehre folgt dass es ein Modell dieser Mengenlehre gibt und sie daher konsistent ist dann kann diese Aussage Konsistenz der jeweiligen Mengenlehre angenommen nicht ableitbar sein Beispiele sind die Unbeweisbarkeit des Ersetzungsaxioms in der Zermelo Mengenlehre denn mit ihm lasst sich das Modell V w w displaystyle V omega omega nbsp konstruieren oder die Unbeweisbarkeit des Universenaxioms das direkt die Existenz gewisser Modelle von ZFC Zermelo Fraenkel Choice fordert Sonstiges BearbeitenGodel nannte seinen Aufsatz Uber formal unentscheidbare Satze der Principia Mathematica und verwandter Systeme I weil er plante einen zweiten Aufsatz zu verfassen in dem er den Beweis genauer erlautern wollte Der erste Aufsatz fand jedoch bereits so grosse Anerkennung dass der Bedarf fur einen zweiten entfiel der daher auch nie geschrieben wurde Konkret bezog sich Godels Aufsatz auf die Principia Mathematica ein grosses formales System das Bertrand Russell und Alfred North Whitehead zwischen 1910 und 1913 veroffentlichten Godel zeigte jedoch auf dass jedes System mit der gleichen Machtigkeit wie die Principia Mathematica ebenso anfallig ist Weiterhin konnte Gerhard Gentzen zeigen dass eine konstruktive Mathematik und Logik durchaus widerspruchsfrei ist Hier zeigt sich ein Grundlagenstreit der Mathematik Der Philosoph Paul Lorenzen hat eine widerspruchsfreie Logik und Mathematik erarbeitet Methodischer Konstruktivismus und sein Buch Metamathematik 1962 eigens geschrieben um zu zeigen dass der godelsche Unvollstandigkeitssatz keinen Einwand gegen einen widerspruchsfreien Aufbau der Mathematik darstellt Literatur BearbeitenOriginalpublikationen Bearbeiten Kurt Godel Uber formal unentscheidbare Satze der Principia Mathematica und verwandter Systeme I In Monatshefte fur Mathematik und Physik 38 1931 S 173 198 doi 10 1007 BF01700692 Zentralblatt MATH online verfugbar unter 1 abgerufen am 20 Juli 2020 Kurt Godel Diskussion zur Grundlegung der Mathematik Erkenntnis 2 In Monatshefte fur Math und Physik 1931 32 S 147 148 J Barkley Rosser Extensions of some theorems of Godel and Church In Journal of Symbolic Logic Band 1 1936 S 87 91 Populare Einfuhrungen Bearbeiten Douglas R Hofstadter Godel Escher Bach ein Endloses Geflochtenes Band Munchen 1991 ISBN 3 423 30017 5 enthalt u a eine interessante und relativ leicht verstandliche Erklarung von Godels Satz und seinen Implikationen Wolfgang Franz Uber mathematische Aussagen die samt ihrer Negation nachweislich unbeweisbar sind Der Unvollstandigkeitssatz von Godel Franz Steiner Verlag Wiesbaden 1977 27 S ISBN 3 515 02612 6 Raymond Smullyan Dame oder Tiger Logische Denkspiele und eine mathematische Novelle uber Godels grosse Entdeckung Fischer Verlag Frankfurt am Main 1983 Das amerikanische Original erschien bei Alfred A Knopf New York 1982 Raymond Smullyan To Mock a Mockingbird 1985 Raymond Smullyan Forever undecided A puzzle guide to Godel 1987 Dirk W Hoffmann Die Godel schen Unvollstandigkeitssatze Eine gefuhrte Reise durch Kurt Godels historischen Beweis Springer 2013 ISBN 978 3 8274 2999 5 Mathematische Einfuhrungen Bearbeiten Bernd Buldt Unvollstandigkeitssatz in Jurgen Mittelstrass Hrsg Enzyklopadie Philosophie und Wissenschaftstheorie 2 Auflage Band 8 Th Z Stuttgart Metzler 2018 ISBN 978 3 476 02107 6 S 216 219 eine Seite Literaturverzeichnis David Hilbert Paul Bernays Grundlagen der Mathematik II Die Grundlehren der mathematischen Wissenschaften Band 50 Springer Berlin 1939 enthalt eine detaillierte arithmetisierte Beweisskizze des zweiten Unvollstandigkeitssatzes Peter G Hinman Fundamentals of Mathematical Logic A K Peters Wellesley 2005 ISBN 1 56881 262 0 enthalt einen detaillierten Beweis des zweiten Unvollstandigkeitssatzes in der Mengenlehre Ernest Nagel James R Newman Der Godelsche Beweis 8 Auflage 2007 ISBN 978 3 486 45218 1 Wolfgang Rautenberg Einfuhrung in die Mathematische Logik Vieweg Teubner Wiesbaden 2008 ISBN 978 3 8348 0578 2 Peter Smith An Introduction to Godel s Theorems Cambridge Introductions to Philosophy 2 Auflage Cambridge 2013 ISBN 978 1 107 60675 3 Craig Smorynski The incompleteness theorems In Jon Barwise Hrsg Handbook of Mathematical Logic North Holland 1977 ISBN 0 444 86388 5 Raymond Smullyan Godel s Incompleteness Theorems Oxford Logic Guides Oxford University Press 1992 Christian Thiel Kurt Godel Die Grenzen der Kalkule In Josef Speck Hrsg Philosophie der Neuzeit VI Tarski Reichenbach Kraft Godel Neurath Gottingen Vandenhoeck amp Ruprecht 1992 UTB 1654 ISBN 3 525 03319 2 S 138 181 Max Urchs Klassische Logik Eine Einfuhrung Berlin 1993 ISBN 3 05 002228 0 dort im Kapitel Theorien erster Ordnung S 137 149 Zur Bedeutung der Satze Bearbeiten Norbert Domeisen Logik der Antinomien Bern 1990 ISBN 3 261 04214 1 Zentralblatt MATH Ludwig Fischer Die Grundlagen der Philosophie und der Mathematik Leipzig 1933 Torkel Franzen Godel s Theorem An incomplete guide to its use and abuse Wellesley MA 2005 ISBN 1 56881 238 8 eine leicht verstandliche Erlauterung von Godels Unvollstandigkeitssatzen ihren Implikationen und ihren Fehlinterpretationen Sybille Kramer Symbolische Maschinen Die Idee der Formalisierung in geschichtlichem Abriss Darmstadt 1988 ISBN 3 534 03207 1 Paul Lorenzen Metamathematik Mannheim 1962 ISBN 3 86025 870 2 Paul Lorenzen Lehrbuch der konstruktiven Wissenschaftstheorie Stuttgart 2000 ISBN 3 476 01784 2 S G Shanker Hrsg Godel s Theorem in focus London New York 1988 ISBN 0 415 04575 4 Wolfgang Stegmuller Unvollstandigkeit und Unentscheidbarkeit Die metamathematischen Resultate von Godel Church Kleene Rosser und ihre erkenntnistheoretische Bedeutung 3 Auflage Springer Verlag Wien New York 1973 ISBN 3 211 81208 3 Max Woitschach Godel Gotzen und Computer Eine Kritik der unreinen Vernunft Stuttgart 1986 ISBN 3 87959 294 2 Palle Yourgrau Godel Einstein und die Folgen Vermachtnis einer ungewohnlichen Freundschaft Beck Munchen 2005 ISBN 3 406 52914 3 Original A World Without Time The Forgotten Legacy of Godel and Einstein Basic Books Cambridge MA 2005 Weblinks BearbeitenPanu Raatikainen Godel s Incompleteness Theorem In The Stanford Encyclopedia of Philosophy Edward N Zalta 2013 abgerufen am 7 August 2021 Jorg Resag Die Grenzen der Berechenbarkeit Unvollstandigkeit und Zufall in der Mathematik Memento vom 25 Januar 2010 im Internet Archive Christopher v Bulow Der erste Godelsche Unvollstandigkeitssatz Eine Darstellung fur Logiker in spe Memento vom 20 Oktober 2016 im Internet Archive PDF 355 kB Marz 1992 Eine englische Ubersetzung von Godels Aufsatz Uber formal unentscheidbare Aussagen Memento vom 15 Februar 2010 im Internet Archive PDF 328 kB Thomas Jech On Godel s Second Incompleteness Theorem Memento vom 2 Dezember 2008 im Internet Archive PDF 85 kB Godelscher Unvollstandigkeitssatz im Lexikon der Mathematik auf Spektrum de Einzelnachweise Bearbeiten Kurt Godel Uber formal unentscheidbare Satze der Principia Mathematica und verwandter Systeme I In Monatshefte fur Mathematik und Physik 38 1931 S 173 198 doi 10 1007 BF01700692 Zentralblatt MATH Egon Borger Berechenbarkeit Komplexitat Logik Eine Einfuhrung in Algorithmen Sprachen und Kalkule unter besonderer Berucksichtigung ihrer Komplexitat 2 Auflage Springer Fachmedien 2013 ISBN 978 3 663 14213 3 S 378 Google Books Matthias Varga von Kibed Strukturtypen der Logik Springer Verlag Berlin 1984 ISBN 978 3 642 61722 5 S 343 Google Books Dan E Willard Self Verifying Axiom Systems the Incompleteness Theorem and the Tangibility Reflection Principle In Journal of Symbolic Logic Band 66 2001 S 536 596 Gerhard Gentzen Beweisbarkeit und Unbeweisbarkeit von Anfangsfallen der transfiniten Induktion in der reinen Zahlentheorie In Mathematische Annalen Band 119 1943 S 140 161 doi 10 1007 BF01564760 gdz sub uni goettingen de Normdaten Sachbegriff GND 4021417 5 lobid OGND AKS LCCN sh85055601 Abgerufen von https de wikipedia org w index php title Godelscher Unvollstandigkeitssatz amp oldid 226580168