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Rechtsschein ist der ausserliche Anschein des Bestehens eines Rechts Der Rechtsschein ist kein Recht und gewahrt von daher auch kein Recht Ausnahmsweise schutzt das Recht gutglaubige Rechtssubjekte die auf die Richtigkeit einer Aussage oder einer nicht vorhandenen Befugnis vertrauen Inhaltsverzeichnis 1 Allgemeines 2 Lehre vom Rechtsschein 3 Voraussetzungen 4 Vorkommen und Arten 4 1 Rechtsschein aus Besitz 4 2 Rechtsschein aus offentlichem Glauben 4 3 Vollmachten 4 4 Handelsrecht 4 5 Offentliches Recht 5 Sonstige Rechtsscheintatbestande 6 International 6 1 Schweiz 6 2 Osterreich 6 3 Angelsachsischer Rechtskreis 7 Literatur 8 Weblinks 9 EinzelnachweiseAllgemeines BearbeitenEin Rechtsschein wird geschaffen wenn rechtliche und tatsachliche Wirklichkeit auseinanderfallen und jemand berechtigt darauf vertraut dass eine bestimmte tatsachlich nicht vorhandene Rechtslage vorliegt Dann wird der Rechtsschein zur Rechtswirklichkeit sogenannte positive Vertrauensentsprechung Der Rechtsschein ist eine im deutschen Recht haufig vorkommende Rechtsfigur die im Alltags und Wirtschaftsleben fur Rechtssicherheit sorgen soll Um den erwunschten Rechtsfrieden zu erzeugen hat der Gesetzgeber Rechtsscheintatbestande geschaffen bei denen eine vorgegebene Rechtsfolge unabhangig davon eintritt wie sich die wirkliche Rechtslage darstellt Gesetzestechnisch wird auf Tatbestandsseite ein zurechenbarer Scheintatbestand geschaffen aus dem ein objektiver Beobachter den Anschein einer bestimmten gegenwartigen Rechtslage ableiten kann Der auf den Rechtsschein Vertrauende muss gutglaubig sein Kenntnis vom Scheintatbestand besitzen und eine Disposition treffen fur die sein Vertrauen kausal ist Rechtsfolge ist die Gleichstellung von Rechtsschein und Rechtswirklichkeit Bereits der Jurist Moritz Wellspacher 1871 1923 definierte im Jahre 1906 das allgemeine Rechtsscheinprinzip so Wer im Vertrauen auf einen ausseren Tatbestand rechtsgeschaftlich handelt der zufolge Gesetzes oder Verkehrsauffassung die Erscheinungsform eines bestimmten Rechtes Rechtsverhaltnisses oder eines rechtlich relevanten Momentes bildet ist in seinem Vertrauen geschutzt wenn jener Tatbestand mit Zutun desjenigen zu Stande gekommen ist dem der Vertrauensschutz zum Nachteile gereicht 1 Lehre vom Rechtsschein BearbeitenDer Rechtsschein ergibt sich aus dem Gesetz und wird gesetzestechnisch haufig aber nicht immer durch Vermutungen ausgesprochen Ein Beispiel fur einen Rechtsschein der nicht in Form einer Vermutung ausgestaltet ist ist der 54 Abs 3 HGB Der Rechtsschein ist als Fiktionstatbestand konstruiert denn das Gesetz stellt eine meist widerlegliche Vermutung auf Die Grenzen des Rechtsscheins zieht der BGH folgendermassen Aus dem Vertrauen aus einem Rechtsschein kann niemand weitergehende Anspruche herleiten als er haben wurde wenn der Rechtsschein der wirklichen Rechtslage entsprache 2 Mangel in der Geschaftsfahigkeit werden durch den Rechtsschein nicht beseitigt 3 Der Grundgedanke der Lehre des Rechtsscheins ist im BGB in mehreren Bestimmungen enthalten insbesondere in den 171 405 409 BGB Zusammengefasst soll derjenige der in zurechenbarer Weise einen Rechtsschein veranlasst hat weniger schutzwurdig sein als der auf diesen Rechtsschein vertrauende gutglaubige Dritte und muss sich gegenuber dem gutglaubigen Dritten nach dem Rechtsschein behandeln lassen weil er ihn erweckt hat 4 Voraussetzungen BearbeitenEin vom Gesetz geschutzter Rechtsschein liegt vor wenn folgende Voraussetzungen erfullt sind Zunachst muss in zurechenbarer Weise ein Rechtsscheintatbestand in Form einer wahrnehmbaren Erklarung oder Handlung geschaffen worden sein auf den der durch Rechtsschein Geschutzte vertraut Die vom Geschutzen darauf hin kausal abgegebenen Erklarungen oder vorgenommenen Handlungen sind aufgrund seiner Gutglaubigkeit schutzenswert Zurechenbarkeit bedeutet dabei dass die Verursachung von Tatsachen die ein falsches Abbild der Wirklichkeit auslosen zulasten des Verursachers gehen wenn diese Folge fur ihn erkennbar war und er die Moglichkeit hatte die irrefuhrenden Tatsachen zu beseitigen Sind diese Voraussetzungen im Einzelfall vorhanden entsteht kraft Gesetzes ein Rechtsschein mit der Folge dass die wirklichen Verhaltnisse der gesetzlichen Vermutung gleichgesetzt werden und ein positiver Vertrauensschutz eintritt sogenannte Rechtsscheinentsprechung Vorkommen und Arten BearbeitenDer Rechtsschein kommt in fast allen Rechtsgebieten vor Das deutsche Zivilrecht kennt den Rechtsschein insbesondere bei allgemeinen Vollmachtsfragen oder im Recht zum Eigentumer Besitzer Verhaltnis Auch der nach Erbfall ausgestellte Erbschein unterliegt Rechtsscheinregeln ebenso gibt es Regeln in Ansehung des Handels und Gesellschaftsrecht Hier erlangt besondere Bedeutung die Rosinentheorie des BGH Alle Rechtsscheinthemen besitzen eine gemeinsame Struktur Danach sollen Dritte im Rechtsverkehr geschutzt werden wenn sie aus dem erkennbaren Geschehen auf das Vorliegen eines Tatbestands vertrauen durften selbst wenn dieser Tatbestand tatsachlich gar nicht erfullt ist 5 Allen Rechtsscheintatbestanden ist zudem gemeinsam dass sich ein Bosglaubiger nicht auf den Rechtsschein berufen durfen soll Unterschiedlich geregelt ist jedoch der Grenzverlauf zwischen Gut und Bosglaubigkeit Wahrend beim Besitz als Anknupfungspunkt fur den Rechtsschein bereits das grob fahrlassige Nicht Kennen der tatsachlichen Umstande fur Bosglaubigkeit ausreicht ist der Rechtsschein der meisten offentlichen Register so stark dass erst die positive Kenntnis der tatsachlichen abweichenden Umstande Bosglaubigkeit begrundet Rechtsschein aus Besitz Bearbeiten Die Methodik der Rechtsscheinlehre lasst sich am besten mit dem aus Besitz resultierenden Rechtsschein erklaren Wer eine bewegliche Sache besitzt schafft hierdurch fur Andere den Rechtsschein dass er auch ihr Eigentumer sei 1006 Abs 1 BGB Diese Bestimmung stellt allerdings klar dass dies nicht gilt bei gestohlenen verloren gegangenen oder sonst abhanden gekommenen Sachen Der Rechtsschein eines Eigentumers besteht aber fur alle anderen legalen Besitzverhaltnisse wenn etwa ein Mieter der Besitzer einer beweglichen Sache ist Verkauft dieser die gemietete Sache so schafft sein Besitz nach 1006 BGB dem gutglaubigen Erwerber gegenuber den Rechtsschein von Eigentum weshalb der gutglaubige Erwerber rechtmassig Eigentum erwerben 932 Abs 1 BGB kann Es handelt sich um eine widerlegbare Vermutung die nur durch die Bosglaubigkeit des Anderen zerstort werden kann Rechtsfolge ist dass das Eigentum des Vermieters untergegangen ist Rechtsschein aus offentlichem Glauben Bearbeiten Der offentliche Glaube spielt insbesondere bei der Eintragung in offentlichen Registern eine Rolle denn bereits die Mitwirkung der Registergerichte bringt eine erhohte Richtigkeitsgewahr 6 Die Eintragungen in offentlichen Registern geniessen offentlichen Glauben Mit diesem offentlichen Glauben ist ein Rechtsschein dergestalt verbunden dass etwa nach 892 Abs 1 BGB die im Grundbuch stehenden Eintragungen fur den gutglaubigen Rechtserwerber als richtig gelten sofern kein Widerspruch eingetragen ist Gibt es also diese Einschrankungen Gutglaubigkeit Widerspruch nicht sind die Grundbucheintragungen unwiderleglich richtig selbst wenn die wahre Grundbuchlage eine andere ist Auch die Eintragungen insbesondere im Handels Genossenschafts Vereins und Guterrechtsregister geniessen einen weitgehenden Rechtsscheinschutz Der Gutglaubensschutz bezieht sich auf das Nichtvorliegen einer nicht in diesen Registern eingetragenen Tatsache 68 70 1412 BGB 15 HGB 29 Abs 1 und 86 GenG 7 So wird durch 15 HGB das Vertrauen in den Rechtsschein geschutzt wenn die Eintragung in einem Handelsregister der Wirklichkeit nicht entspricht Nach 15 Abs 3 HGB kann sich hier jemand auf eine unrichtige Eintragung berufen wenn er gutglaubig ist 8 Vollmachten Bearbeiten Im Recht der Stellvertretung geniessen die Anscheinsvollmacht und die Duldungsvollmacht einen besonderen Rechtsschein Es geht darum dass sich jemand hierbei als rechtsgeschaftlicher oder gesetzlicher Vertreter prasentiert und Dritte darauf vertrauen dass er es auch wirklich ist Beide Rechtsscheinvollmachten unterscheiden sich nur durch die Kenntnis des Vertretenen Bei der Anscheinsvollmacht hat der Vertretene keine Kenntnis vom angeblichen Vertreter bei der Duldungsvollmacht hat der Vertretene zwar Kenntnis er duldet jedoch die Vertretungshandlung In beiden Fallen muss sich der Vertretene so behandeln lassen als ob er eine Vollmacht erteilt habe Handelsrecht Bearbeiten Im Handelsrecht wird das Vertrauen in einen Rechtsschein besonders geschutzt Damit der Handelsverkehr schneller abgewickelt werden kann kennt das HGB einige Formvorschriften des BGB nicht Zudem geht das Handelsrecht davon aus dass Kaufleute bei Handelsgeschaften versierter sind als die besonders schutzenswerten Verbraucher Wer den Anschein erweckt Kaufmann oder Gesellschafter zu sein der muss sich wie ein Kaufmann oder Gesellschafter behandeln lassen 9 Der Anschein beginnt bereits mit dem kaufmannischen Bestatigungsschreiben Dessen Inhalt gilt bei einem Angebot als richtig wenn der Annehmende nicht unverzuglich widerspricht sein Schweigen gilt als Annahme 362 Abs 1 HGB Auch wenn nichtberechtigte Kommissionare Frachtfuhrer Spediteure oder Lagerhalter auftreten auf die die meisten Vorschriften uber Handelsgeschafte anwendbar sind begrundet der Rechtsschein die Anwendung dieser Vorschriften auch auf den Nichtgewerbetreibenden 10 Wer erklart er sei Kaufmann setzt bei Dritten einen entsprechenden Rechtsschein in Gang Eine Firma darf nur ein Kaufmann fuhren darauf durfen gutglaubige Dritte vertrauen Scheinkaufmann Tritt jemand ohne Erlaubnis als Prokurist auf und sein Prinzipal veranlasst keine Richtigstellung so konnen gutglaubige Dritte ihn als echten Prokuristen ansehen Scheinprokura 11 Unterlasst eine GmbH die Fuhrung des Rechtsformzusatzes nach 4 GmbHG so kann der Rechtsschein einer personlichen und unbeschrankten Haftung eines Gesellschafters neben dem Gesellschaftsvermogen entstehen und eine personliche Haftung entsprechend 179 BGB begrunden 12 Offentliches Recht Bearbeiten Im offentlichen Recht der Bundesrepublik Deutschland spielt der Begriff des Rechtsscheins eine geringere Rolle da die offentliche Verwaltung an Gesetz und Recht gebunden ist Art 20 Abs 3 Grundgesetz sie darf also in der Regel ihr Handeln nicht bloss auf einen Anschein stutzen sondern ist zur Ermittlung des Sachverhalts verpflichtet siehe aber Anscheinsgefahr Die Probleme des Vertrauens auf bestimmte Umstande werden ublicherweise unter dem Begriff des Vertrauensschutzes behandelt Gemeint ist hier stets das Vertrauen des Burgers auf das Bestehen einer bestimmten Rechtsposition Die Verwaltung selbst kann sich nicht auf einen Vertrauensschutz zu Lasten des Burgers berufen So kann zum Beispiel der Rechtsschein eines Verwaltungsakts bestehen wenn behordliches Handeln eigentlich keinen Verwaltungsakt darstellt es jedoch so aussieht als ob ein Verwaltungsakt erlassen werden sollte z B ein Schreiben wird ausdrucklich als Verwaltungsakt bezeichnet Dann sind die gleichen Rechtsschutzmoglichkeiten gegeben wie bei einem Verwaltungsakt In engen Grenzen hat die deutsche Rechtsprechung auch anerkannt dass nichtige Gesetze einen Rechtsschein erzeugen konnen auf den sich ein Vertrauen des Burgers grunden kann 13 Sonstige Rechtsscheintatbestande BearbeitenEs wird vermutet dass ein Kaufmann als Besitzer auch verfugungsbefugt ist wenn er dies behauptet 366 HGB Von ihm kann jeder gutglaubige Dritte Eigentum erwerben Es wird vermutet dass jemand der im Erbschein als Erbe ausgewiesen ist auch tatsachlich Erbe ist 2365 BGB International BearbeitenSchweiz Bearbeiten Eines der wichtigsten Ziele des Art 933 ZGB ist der Verkehrsschutz dem auch die Rechtsscheinlehre vordringlich dient 14 Wahrend in Deutschland die Rechtsscheinentsprechung einen positiven Vertrauensschutz schafft sieht das Schweizer Recht lediglich einen Schadensersatz vor negativer Vertrauensschutz 15 Anders als in Deutschland wird nach Art 39 OR der Vertretene nur durch seinen Willen vertreten zu werden nicht jedoch aufgrund geschaffenen Rechtsscheins verpflichtet so dass der vollmachtlose Vertreter ersatzpflichtig wird 16 Osterreich Bearbeiten Auch in Osterreich ist der Rechtsschein ein weitverbreitetes Rechtskonstrukt Insbesondere gilt er bei der Eigentumsvermutung des 323 ABGB oder bei Vollmachten Verwalter und Ladenvollmacht 1029 Satz 2 und 1030 ABGB Allerdings wird bei 323 ABGB nicht wie bei 1006 Abs 1 BGB in Deutschland das Eigentum des Besitzers vermutet sondern nur die Rechtmassigkeit was allerdings nur von geringer praktischer Bedeutung ist 17 Angelsachsischer Rechtskreis Bearbeiten Im Common Law spielt der Rechtsschein englisch apparent legality eine ahnlich prominente Rolle wie im deutschen Recht Literatur BearbeitenHolger Altmeppen Die Disponibilitat des Rechtsscheins Otto Schmidt Koln 1994 ISBN 3 504 06120 0 Georg Borges Rechtsscheinhaftung im Internet In NJW 33 2011 2400 Johann Kindl Rechtsscheintatbestande und ihre ruckwirkende Beseitigung Dissertation Springer Verlag 1999 ISBN 3 642 58411 X 18 Weblinks BearbeitenDer unsichtbare Rechtsscheintrager Der Zuckerfall In JURA Juristische Ausbildung Zeitschrift Marz 2010 S 292 296 Einzelnachweise Bearbeiten Moritz Wellspacher Das Vertrauen auf aussere Tatbestande im burgerlichen Rechte 1906 S 267 f BGHZ 12 105 109 BGHZ 115 178 181 Lutz Schade Handels und Gesellschaftsrecht 2012 S 10 Jan Eltzschick Jens Wenzel Die Anfangerklausur im BGB 2007 S 1 92 Chris Thomale Leistung als Freiheit 2012 S 67 Petra Buck Wissen und juristische Person 2001 S 62 Peter Bulow Handelsrecht 2009 S 31 Lutz Schade Handels und Gesellschaftsrecht 2012 S 10 Peter Bulow Handelsrecht 2009 S 32 Peter Ulmer Grosskommentar HGB 1995 S 346 BGH NJW 2007 1529 vgl Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts BVerfGE 53 115 Walter Guller Unfreiwilliger Besitzverlust und gutglaubiger Fahrniserwerb Diss 1924 S 9 Arnold F Rusch Gutglaubiger Fahrniserwerb als Anwendungsfall der Rechtsscheinlehre In Jusletter vom 28 Januar 2008 S 2 Memento vom 23 Oktober 2013 im Internet Archive PDF 448 kB Eugen Bucher Stellvertretung ohne Jahrgang S 612 Peter Apathy u a Osterreichisches Bankvertragsrecht Band IX 2012 S 283 Der Verfasser wendet sich gegen die verbreitete Auffassung dass eine Anfechtung mit dem Wesen des Rechtsscheins nicht vereinbar sei und befurwortet die grundsatzliche analoge Anwendbarkeit der Anfechtungsregeln auf die untersuchten Scheintatbestande Bitte den Hinweis zu Rechtsthemen beachten Normdaten Sachbegriff GND 4177263 5 lobid OGND AKS Abgerufen von https de wikipedia org w index php title Rechtsschein amp oldid 236439501