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Der Rechtssatz ist in der Rechtswissenschaft ein Satz mit rechtlichem Inhalt der als rechtsverbindliche Aussage des Sollens anzusehen ist Er ist ein Grundelement der Rechtsordnung Spezieller wird als Rechtssatz auch die komprimierte Zusammenstellung wesentlicher Aussagen einer Gerichtsentscheidung im Rechtsinformationssystem der Republik Osterreich bezeichnet siehe auch Leitsatz Inhaltsverzeichnis 1 Allgemeines 2 Geschichte 3 Arten 4 Kontext 5 Rechtsquellen 6 Literatur 7 EinzelnachweiseAllgemeines BearbeitenDie Rechtsordnung bildet die Gesamtheit aller geltenden Rechtsvorschriften als Verhaltensnormen fur die Burger und Entscheidungsnormen fur Behorden und Gerichte Rechtsvorschriften setzen sich aus einer mehr oder weniger grossen Zahl an Einzelaussagen namlich grammatisch als Satzen bezeichneten sprachlichen Einheiten zusammen Der Rechtssatz ist mithin nichts anderes als ein Satz mit einer Rechtsaussage Jeder Rechtssatz lasst sich als eigener Rechtsbegriff ansehen und jeder Rechtsbegriff lasst sich in einen Rechtssatz auflosen 1 Bei ersterem ergibt beispielsweise der Rechtssatz dass der Wille eines Rechtssubjekts unter bestimmten Voraussetzungen Rechtsfolgen fur ein anderes Rechtssubjekt auslost den Rechtsbegriff der Stellvertretung Bei der zweiten Alternative ergibt der Rechtsbegriff der Erbschaft den Rechtssatz dass beim Tode eines Erblassers dessen Vermogen auf seine Erben ubergeht 2 Der Rechtssatz ist eine abstrakt generelle Verhaltensnorm die durch einen Rechtsakt auf den individuell konkreten Fall angewendet wird und damit Recht bewirkt 3 Eine Legaldefinition enthielt in der Schweiz Art 5 Abs 2 Geschaftsverkehrsgesetz vom Marz 1962 wonach der Rechtssatz eine Regelung ist die sich an eine unbestimmte Zahl von Adressaten richtet und eine unbestimmte Zahl von Fallen erfasst und welche Rechte und Pflichten der Burger begrundet oder die Organisation Zustandigkeit oder Aufgaben der Behorden oder das Verfahren regelt Geschichte BearbeitenAls einer der ersten deutschsprachigen Juristen die sich mit dem Rechtssatz befassten gilt Georg Jellinek 4 Fur ihn gehorte 1887 die Allgemeinheit des Rechtssatzes wirklich zu den schwierigsten Fragen der ganzen Rechtswissenschaft 5 Was den Rechtssatz augenscheinlich vor allen sonstigen staatlichen Machtausserungen auszeichnet ist seine Allgemeinheit Aber nicht alles was in irgendeinem Punkte allgemein ist ist darum ein Rechtssatz und nicht jeder Rechtssatz ist in allen Punkten allgemein 6 Gerhard Anschutz verfasste 1891 eine Dissertation zum Rechtssatz worin er die Bestimmung des Rechtssatzes als diejenige staatliche Anordnung fur unrichtig und willkurlich hielt welche abstrakte Tatbestande im Voraus normiert 7 Paul Laband sah im Rechtssatz 1901 die Abgrenzung der Befugnisse und Pflichten einzelner Subjekte 8 Jellineks Sohn Walter Jellinek definierte 1931 den Rechtssatz als Anordnung an eine unbestimmte Vielheit von Personen 9 Allen gemeinsam war die Gleichsetzung von materiellem Gesetz und Rechtssatz Arten BearbeitenKonditionale Rechtssatze bestehen aus Tatbestand und Rechtsfolge und verbinden beide miteinander So besteht beim Diebstahl nach 242 Abs 1 StGB der Tatbestand aus der Formulierung wer eine fremde bewegliche Sache einem anderen in der Absicht wegnimmt die Sache sich oder einem Dritten rechtswidrig zuzueignen wahrend der zweite Halbsatz die Rechtsfolge schildert wird mit Freiheitsstrafe bis zu funf Jahren oder mit Geldstrafe bestraft Materielle Rechtssatze schreiben ein bestimmtes Verhalten vor und sagen was getan oder unterlassen werden soll Beispielsweise kann nach 985 BGB der Eigentumer vom Besitzer die Herausgabe der Sache verlangen Dieser Herausgabeanspruch soll die Eigentumsstorung durch unberechtigten Fremdbesitz beseitigen so dass der unrechtmassige Besitzer etwas tun muss namlich die Sache herausgeben Formale Rechtssatze legen den Rechtsstatus Organisatorisches oder Verfahren fest Als Rechtsstatus von Rechtssubjekten gelten vor allem Rechtsfahigkeit Geschaftsfahigkeit Staatsangehorigkeit oder Wohn oder Geschaftssitz 10 Danach sind die Willenserklarungen eines Geschaftsunfahigen nach 104 Abs 1 BGB nichtig Nach 6 Abs 1 KWG ubt die Bundesanstalt fur Finanzdienstleistungsaufsicht die Bankenaufsicht uber Kreditinstitute aus so dass dieser Rechtssatz eine organisatorische Regelung enthalt Das gilt auch fur 115 GVG wonach die Oberlandesgerichte mit einem Prasidenten sowie mit Vorsitzenden Richtern und weiteren Richtern zu besetzen sind Ein Verfahren regelnder Rechtssatz enthalt 133 GVG wonach der Bundesgerichtshof in Zivilsachen zustandig ist fur die Verhandlung und Entscheidung uber die Rechtsmittel der Revision der Sprungrevision der Rechtsbeschwerde und der Sprungrechtsbeschwerde Zwingende Rechtssatze gelten ohne Rucksicht auf den Willen der beteiligten Normadressaten wahrend dispositive nur dann gelten wenn die Beteiligten keine abweichenden Regelungen getroffen haben Wenn der Rechtssatz zu erkennen gibt dass ein Recht nicht durch Rechtsgeschaft ausgeschlossen oder beschrankt werden kann 137 BGB liegt zwingendes unabdingbares Recht vor Im Regelfall handelt es sich jedoch beim Zivilrecht um dispositives nachgiebiges Recht wenn der Rechtssatz etwa die Formulierung enthalt sofern nichts anderes vereinbart ist Das gilt beispielsweise beim Widerrufsrecht des Verbrauchers nach 312g Abs 2 BGB Ist etwas anderes vereinbart gilt diese Vorschrift nicht sie ist abdingbar Daneben gibt es zwar sprachlich vollstandige Satze die aber als unvollstandige Rechtssatze gelten Sie sind keine Aussagesatze sondern Teile von Geltungsanordnungen 11 wie etwa der blosse Verweis auf andere Vorschriften Es handelt sich hierbei um reine Verweisnormen wie 167 Abs 1 Satz 1 VwGO die zwar ein grammatikalisch vollstandiger Satz ist sich jedoch inhaltlich auf einen Verweis beschrankt Soweit sich aus diesem Gesetz nichts anderes ergibt gilt fur die Vollstreckung das Achte Buch der Zivilprozessordnung entsprechend Kontext BearbeitenDie in einem Gesetz stehenden Rechtssatze stehen nicht einfach isoliert nebeneinander sondern sind aufeinander bezogen und ergeben erst in ihrer wechselseitigen Verschrankung und in ihrem Zusammenspiel eine gesetzliche Regelung Damit besteht die Rechtsordnung nicht aus einer Summe von Rechtssatzen sondern aus Regelungen 12 Zwischen den verketteten Rechtssatzen besteht uber die zeitliche auch eine logische Prioritat bzw Posterioritat denn ein Rechtssatz kann nicht ohne den vorherigen gedacht werden 13 Zuweilen wird der Rechtssatz als Synonym fur die Rechtsnorm verwendet 14 doch weist der Jurist Hans Kelsen darauf hin dass es sich bei Rechtssatzen um Aussagesatze handelt die sich inhaltlich auf Rechtsnormen beziehen selbst aber keine Rechtsnormen sind 15 Jeder Rechtssatz enthalt eine Norm aber nicht jede Norm einen Rechtssatz Der Rechtssatz ist eine Norm mit bestimmten Merkmalen 16 Die reine Verweisnorm ist zwar eine Norm aber kein Rechtssatz Alle im Rechtssatz verwendeten Begriffe sind Rechtsbegriffe 17 Rechtsquellen BearbeitenRechtsquellen der Rechtssatze sind insbesondere Gesetze und Verordnungen Volkerrecht Gewohnheitsrecht Richterrecht oder offentliche oder private Satzungen Da viele dieser Rechtsnormen auch gleiche oder ahnliche Sachverhalte regeln gilt eine allgemein anerkannte und auch gesetzlich verfolgte Rangordnung 18 der ranghohere Rechtssatz geht einem rangniedrigeren vor Lex superior derogat legi inferiori der besondere Rechtssatz lateinisch lex specialis geht einem ranggleichen allgemeinen lateinisch lex generalis vor Lex specialis derogat legi generali und der jungere Rechtssatz geht einem ranggleichen nicht besonderen alteren vor Lex posterior derogat legi priori Diese Rangfolge dient zur Vermeidung von Normenkollisionen Literatur BearbeitenJurgen Rodig Einfuhrung in eine analytische Rechtslehre Springer Berlin 1986 ISBN 3 540 16833 8 Bernd Ruthers Rechtstheorie 4 Auflage C H Beck Munchen 2008 ISBN 3 406 52311 0 Ota Weinberger Norm und Institution Manz Wien 1988 ISBN 3 214 06047 3 Sabine Wesser Der Rechtssatz In Rechtstheorie Zeitschrift fur Logik und Juristische Methodenlehre Rechtsinformatik Kommunikationsforschung Normen und Handlungstheorie Soziologie und Philosophie des Rechts 37 Bd 2006 ISSN 0034 1398 S 257 305 Einzelnachweise Bearbeiten Rudolf Stammler Lehrbuch der Rechtsphilosophie 1928 S 261 Rudolf Stammler Lehrbuch der Rechtsphilosophie 1928 S 128 Paul Kirchhof Rechtsquellen und Grundgesetz in Christian Stark Bundesverfassungsgericht und Grundgesetz Band II 1976 S 55 Dieter Volkmar Allgemeiner Rechtssatz und Einzelakt 1962 S 34 Vgl Georg Jellinek Gesetz und Verordnung 1887 S 139 254 Georg Jellinek Gesetz und Verordnung 1887 S 139 ff Gerhard Anschutz Kritische Studien zur Lehre vom Rechtssatz und formellen Gesetz 1891 S 26 Paul Laband Das Staatsrecht des Deutschen Reiches 1901 S 168 Walter Jellinek Verwaltungsrecht 1931 S 8 Karl Larenz Methodenlehre der Rechtswissenschaft 1975 S 237 f Ernst Rudolf Bierling Juristische Prinzipienlehre Band IV 1911 S 222 Karl Larenz Methodenlehre der Rechtswissenschaft 1975 S 248 Hans R Klecatsky Rene Marcic Herbert Schambeck Die Wiener rechtstheoretische Schule Schriften von Hans Kelsen Adolf Merkl Alfred Verdross 2010 S 1094 Karl Larenz Methodenlehre der Rechtswissenschaft 1975 S 232 Fn 1 Hans Kelsen Reine Rechtslehre 2 Auflage 1960 S 73 ff Gerhard Anschutz Kritische Studien zur Lehre vom Rechtssatz und materiellen Gesetz 1891 S 36 Festgabe der juristischen Fakultaten zum 50 jahrigen Bestehen des Reichsgerichts Die Reichsgerichtspraxis im deutschen Rechtsleben Band V 1929 S 68 Hagen Weiler Gerechter Nutzen der Gleichbehandlung 1997 S 93 Bitte den Hinweis zu Rechtsthemen beachten Normdaten Sachbegriff GND 4048812 3 lobid OGND AKS Abgerufen von https de wikipedia org w index php title Rechtssatz amp oldid 233308013