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Ursprunglich war der Begriff Muhạdschir die Bezeichnung fur einen Begleiter des islamischen Religionsstifters und Propheten Mohammed auf der Flucht 622 n Chr von Mekka nach Medina 1 Im vorliegenden Artikel behandelt der Begriff des Muhacir osmanisch مهاجر spater auch turkisch als Gocmen 2 oder mubadil 3 Austauschheimkehrer bezeichnet oder Macirlar die Millionen von muslimischen Fluchtlingen Ruckwanderern Vertriebenen und Umsiedlern aus dem europaischen Teil des Osmanischen Reichs vor allem vom Balkan aber auch aus Russland z B von der Krim aus dem Kaukasus und anderen Regionen des Osmanischen Reiches die mit dessen Niedergang und Zerfall sukzessive seit dem 18 Jahrhundert in Anatolien angesiedelt wurden Vor allem die Einwanderer die erst nach 1951 in die Turkei kamen werden als Gocmen bezeichnet Einen Unterschied zwischen den Muhacir und Gocmen gibt es allerdings nicht Beide Gruppen sind Fluchtlinge Gocmen ist das turkische Wort Muhacir der fruher gebrauchliche arabische Ausdruck Unterschiede gab es nur bei der Ansiedlung Wahrend den ersten Einwanderern vom Staat in der Regel nur Wohn und Ackerplatze zugewiesen wurden hat man den Gocmen daruber hinaus auch neue Siedlungen errichtet 4 Die Abbildung zeigt die Haupt Siedlungsgebiete der Muhacir in Rot und die der wichtigsten Minderheiten in der Turkei 1989 Inhaltsverzeichnis 1 Hintergrunde des Muhacirlik 2 Die wichtigsten Fluchtlingswellen und die Herkunft der Muhacir 3 Ansiedlung der Muhacir 4 Wirken und Wohnen der Muhacir in der Turkei 5 Literatur 6 EinzelnachweiseHintergrunde des Muhacirlik BearbeitenMit dem Verfall der osmanischen Herrschaft war den orthodoxen Muslimen in den verlorenen Reichsgebieten nur die Alternative der Emigration ins muslimische Mutterland geblieben wenn sie nicht jener Vorschrift islamischen Rechts zuwiderhandeln wollten dass der glaubige Muslim das Land zu verlassen habe wenn dieses unter die Herrschaft der Unglaubigen fallt Die Fluchtlingsstrome zeigten was Herkunft und Ethnie betraf ein ausgesprochen buntes Muster Dass ein grosser Teil der Fluchtlinge keine Turken sondern Nachkommen islamisierter Bosniaken Mazedonier Bulgaren oder Griechen waren und ihre Umgangssprache vielfach nicht turkisch war spielte dabei keine Rolle Gemeinsam war ihnen nur die islamische Religion Entscheidend war das Bekenntnis zum Islam und damit zum Osmanischen Reich als Vormacht des Islam und Sitz des Kalifen Es trat in den meisten Fallen an die Stelle der fehlenden Nationalitat verband die Fluchtlinge untereinander und zumeist auch mit den einheimischen Turken 5 Den Hohepunkt dieser Auslegung bildete 1923 der Vertrag von Lausanne der den Bevolkerungsaustausch allein auf das Kriterium der Religion Muslime gegen Orthodoxe grundete so dass man z B eine Gruppe christlich orthodoxer Araber aus Kilikien in Griechenland aussiedelte und es bedurfte damals langer Verhandlungen vor der Gemischten Kommission um die Massen Deportation muslimischer Albaner von griechischem Territorium oder orthodoxer Bulgaren oder Jugoslawen von turkischem Territorium zu verhindern 6 Auf diesem Hintergrund ist mindestens seit uber zwei Jahrhunderten ab 1783 7 der Lebensweg betrachtlicher Teile der turkischen Bevolkerung gekennzeichnet von Mobilitat an der oft schon der Grossvater beteiligt war Umgangssprachliche Begriffe wie Muhacirlik Rucksiedlung Gurbetcilik weg von daheim Pendelmigration Gocmenlik unterwegs sein Binnenmigration oder Almancilik Alman Deutscher Synonym fur Arbeitsmigration nach Europa verdeutlichen dass Wanderungsvorgange verschiedenster Art in der Turkei ublich und auch den Menschen dort bewusst sind Dabei war das Muhacirlik seit 1783 bis in die Mitte des 20 Jahrhunderts in erster Linie eine Ruck und Umsiedlung als Reaktion auf politische Zwange und Auseinandersetzungen mit Nachbarstaaten der Turkei bzw des Osmanischen Reiches 8 Es war aber zugleich ein Element das besonders seit 1878 die Besiedlung Kleinasiens entscheidend vorantreiben sollte als turkische und muslimische Fluchtlinge den Balkan verliessen und nach Anatolien zuruckstromten die Muhacir Die fruheste Emigrantenwelle kam allerdings von der Krim wo die Annexion von 1783 durch Russland eine auf 1 5 Mio Menschen geschatzte tatarische Bevolkerung unter russische Herrschaft brachte Das russische Vorrucken in die muslimischen Gebiete der Krim des Kaukasus und Zentralasiens rief einen Bevolkerungsstrom hervor der kaum geringer war als jene spateren vom Balkan So folgte seit dem Ende des 18 Jahrhunderts eine Fluchtlingswelle auf die andere 9 Dass es heute so viele verschiedene ethnische Gruppierungen auf dem Gebiet der Turkei gibt ist letztendlich das Erbe des ubernationalen Osmanischen Reiches das Ergebnis eines jahrhundertelangen und vielschichtigen Uberlagerungs Durchmischungs und Assimilierungsprozesses Gerade im Laufe des Niedergangs des Osmanenreiches seit dem 17 Jahrhundert sammelten sich zu den alt eingesessenen unterschiedlichen Stammen turkmenischer und mongolischer Abstammung zu den Kurden Arabern Armeniern Griechen und Juden im anatolischen Mutterland weitere Volksgruppen u a auch Athiopier schwarzer Hautfarbe als Ruckwanderer Muhacir aus den verlorenen Reichsgebieten 10 Inwieweit man andere sprachliche ethnische Minoritaten die sich in der nordlichen turkischen Schwarzmeer Region erhalten haben zu den Muhacir rechnen sollte ist sicherlich eine Diskussion wert Von ihnen den Grusinern Hemsinlis und Lazen die irrtumlicherweise von den meisten Turken generell als Lazen bezeichnet werden weil sie ein gemeinsames Siedlungsgebiet zwischen Rize und Artvin besetzen sind die Hemsinli vermutlich im 15 Jahrhundert zum Islam konvertierte Teile einer altansassigen Bevolkerung armenischen Ursprungs Die Grusiner dagegen die bis nach Savsat verbreitet sind und zudem weitere Siedlungsgebiete um Ordu Giresun und Unye sowie im Westpontus Samanlidag Adapazari Ova Akcakoca Bergland und sudlichen Marmarabereich Inegol und Manyas haben gehoren wie die Lazen zur kaukasischen Sprachgruppe Wahrend die Lazen als autochthone Gruppe angesehen werden mussen sind die meisten Grusiner muslimische Zuwanderer aus dem Kaukasus christliches Georgien die nach dem russisch turkischen Krieg 1877 78 hierher fluchteten 11 Dass bei diesen Fluchtprozessen nicht immer nur das Motiv der Religion die entscheidende Rolle spielte zeigte die noch recht junge Fluchtlingswelle aus Bulgarien nach Thrakien als Reaktion auf politische Repressalien gegen die in Bulgarien lebenden turkischen Bevolkerungsteile Daruber hinaus ist die Turkei seit 1980 auch Aufnahmeland fur Kriegs Fluchtlinge aus dem Irak aus Iran und Afghanistan deren Zahl auf 1 5 bis 2 Millionen Menschen geschatzt wird und seit dem allerjungsten Burgerkrieg in Syrien auch solche aus dem syrischen Raum die bislang allerdings nicht zu den Muhacir gezahlt werden 12 Die wichtigsten Fluchtlingswellen und die Herkunft der Muhacir BearbeitenAls Russland im 18 Jahrhundert die Schutzherrschaft uber die unter turkischer Herrschaft lebenden Christen beanspruchte kamen zwischen 1782 und 1790 die ersten 300 000 muslimischen Fluchtlinge von der Krim ins anatolische Mutterland Unter Katharina II hatten russische Verbande die von etwa 1 5 Millionen muslimischen Krimtataren bewohnten Gebiete annektiert 70 000 russische Kolonisten waren dort im gleichen Zug angesiedelt worden 12 Darauf folgte ein ununterbrochener Exodus wahrend des ganzen 19 Jahrhunderts Eine zweite Welle zwang im Zusammenhang mit den kriegerischen Auseinandersetzungen von 1812 und 1828 etwa 200 000 Personen zur Flucht 1814 lebten nur noch etwa 238 000 Tataren im Lande vor allem im gebirgigen Teil der Krim und auf ihrem Sudabfall Dagegen wurde die Steppe im Norden praktisch ganz aufgegeben Eine dritte Welle folgte nach dem verlorenen Krimkrieg 225 000 Fluchtlinge und die letzte mit nochmals etwa 60 000 Fluchtlingen zwischen 1890 und 1892 Ahnliches gilt fur die Tscherkessen und andere Kaukasier die sich besonders gegen Ende des Kaukasuskrieges 1817 64 zum kleineren Teil auch spater von der Schwarzmeerkuste aus zwischen Sinop und Samsun in einem tief nach Suden bis Maras reichenden Keil quer durchs Land ansiedelten und weitere Schwerpunkte auf der nordostliche Biga Halbinsel sowie in der Cukurova bilden Die Eroberung des Kaukasus und Turkmenistans durch die Russen 1859 1864 bzw 1864 1868 trieb dann 100 000 Nogai Tataren aus westkaspischen Steppen Kaukasiens und 400 000 bis 500 000 Tscherkessen islamischen Glaubens und kaukasischer Sprache nach Anatolien 13 Tscherkessen liessen sich ausserdem in grosser Zahl in den nordlichen und westlichen Teilen des Fruchtbaren Halbmonds bis in die Dschazira und das mittlere Euphrattal nieder Sie haben dort in bemerkenswerter Weise die Pioniergrenze der Sesshaftigkeit in den Randsteppen der Syrischen Wuste vorangetrieben und bilden noch heute grossere Minderheiten in Syrien und Jordanien 14 Eine weitere Gruppe sibirische Tataren aus der Provinz Tomsk liess sich noch 1908 in der zentralanatolischen Steppe nordostlich des Aksehir Golu in Zentral Anatolien nieder Gleichzeitig markierten grossere vom Balkan kommende Fluchtlingsstrome die Phasen des osmanischen Ruckzugs aus Sudost Europa Die Expansion Griechenlands 1881 1898 auf Kosten des Osmanischen Reiches und die nationale Verselbstandigung Serbiens Rumaniens und Bulgariens auf dem Balkan losten die Flucht der turkischen und islamisierten Balkanbewohner aus Mehrere 100 000 Fluchtlinge verliessen nach dem Niedergang der turkischen Herrschaft besonders nach dem Berliner Frieden 1878 den Balkan Nach dem Verlust von Kreta 1900 waren es wohl nochmals mehrere 10 000 Fluchtlinge 1878 hatte man die Zahl der Mohammedaner auf dem Balkan auf etwa 3 5 Millionen geschatzt Nach dem Balkankrieg durften es nur noch 2 Millionen gewesen sein Damals war es zu einem ersten offiziellen Bevolkerungsaustausch zwischen Turken und Bulgaren gekommen 1913 ca 50 000 auf beiden Seiten Danach folgten 1923 aufgrund einer zweiten derartige Vereinbarung zwischen der Turkei und Griechenland weitere Umsiedlungswellen Die Ruckwanderung von 1921 bis 1928 die erste uber die wir genauer unterrichtet sind vertrieb etwa 400 000 von griechischem Territorium Bis 1934 verliessen uber eine Million Griechen die Turkei und 375 000 Turken emigrierten nach Anatolien Auch in Friedenszeiten riss diese Bewegung nicht mehr ab So wurde noch 1936 bei Antalya ein Dorf von Zyprioten errichtet 15 Nach der Eroberung Zyperns 1571 durch die Osmanen hatte ein grosser Teil der indigenen griechisch zypriotischen Bevolkerung zum Islam konvertiert Gleichzeitig war dort Land turkischen Siedlern zugeteilt worden deren Zustrom sich zeitweise bis zum Ende der osmanischen Zeit fortsetzte Insgesamt mindestens etwa 300 000 Fluchtlinge verliessen die Insel Richtung Anatolien nachdem das Osmanische Reich die Kontrolle uber Zypern 1878 bzw 1923 Vertrag von Lausanne an das Britische Empire ubertragen hatte und auch spater wahrend des Zweiten Weltkrieges sowie im Zusammenhang mit dem Zypernkonflikt in den 1960er und 1970er Jahren Der letzte grosse Exodus aus dem fruher rumanischen Teil der Dobrudscha und um Varna begann mit einer spontanen Emigration sehr zahlreicher bulgarischer Turken die durch die Konvention von 1925 geregelt wurde und jahrlich stets mehrere tausend Menschen zahlte 1950 51 wurde sie durch einen bulgarischen Beschluss sogar gewaltsam beschleunigt Insgesamt fast ein Viertel 155 000 dieser als kaum assimilierbar angesehenen und auf 700 000 geschatzten Minderheit wurden bis zur endgultigen Schliessung der Grenze im Jahre 1951 vertrieben 14 Selbst die Kasachen aus chinesisch Turkestan fanden nach ihrem Exodus 1951 als turkische Muslime in der Turkei Aufnahme 5 Insgesamt stromten lt Cevat Eren 16 nach 1923 uber 2 Millionen Menschen als Rucksiedler ins Mutterland Anatolien Xavier de Planhol 17 schatzt die Gesamtzahl der turkischen Muhacir auf uber 3 Millionen Menschen Und er konstatiert dass viele der Betroffenen nach einer vorubergehenden Ansiedlung in anderen Reichsteilen ausserhalb des Kernlandes Anatolien erneut aus ihrer neuen Heimat vertrieben wurden Hakan Asan bemerkt dazu dass es durch die Zuwanderung zwischen 1860 und 1914 zu Veranderungen der Sprach Religions und ethnischen Struktur der anatolischen Bevolkerung kam und die Anderung der Bevolkerungsrate zu politischen militarischen und soziokulturellen Veranderungen fuhrte Wahrend in den 1820er Jahren 60 der Bevolkerung aus Muslimen bestand erreichte dieser Anteil durch die Zuwanderung in den 1890er Jahren 80 Gleichzeitig wuchs zwischen 1850 und 1882 aufgrund der Einwanderung die anatolische Bevolkerung nicht die des Osmanischen Reiches um 42 Im folgenden Zeitraum stieg das Verhaltnis noch weiter an Andererseits verringerte sich die Bevolkerung des Osmanischen Reiches von 1844 bis 1914 aufgrund des verlorenen Landes von etwa 35 Millionen auf etwa 18 Millionen 18 Ansiedlung der Muhacir Bearbeiten nbsp Die Abbildung zeigt die Lage der Muhacir Siedlungen in Rot und der rezenten und aufgegebene landlichen Siedlungen in der Troas Bis heute gibt es noch keine absolut exakten Angaben uber die Siedlungsgebiete der Muhacir in der Turkei Die meisten Ergebnisse stammen aus oft zufalligen wissenschaftlichen Einzeluntersuchungen Einen sehr brauchbaren Eindruck vermittelt die vergleichsweise aktuelle und partiell auch detaillierte TAVO Karte uber ethnischen Minderheiten im landlichen Raum der Ost Turkei von Peter Andrews 19 die allerdings auch nicht den Anspruch auf Vollstandigkeit erhebt Verstandlich ist dass den Rucksiedlern in erster Linie Siedlungsplatze zugewiesen wurden die falls uberhaupt vorher besiedelt von ihren ehemaligen Bewohnern verlassen worden waren Als Folge der Pestepidemie zwischen 1700 und 1850 20 aufgrund des Armenier Exodus des Ersten Weltkrieges des griechisch turkischen Bevolkerungsaustausches und verschiedener Kurdenaufstande lagen in weiten Gebieten Anatoliens viele Orte bisweilen ganze Landstriche verlassen So gibt es unter anderem in der Troas diverse Beispiele von Muhacirdorfern auf oder neben wusten einstigen Griechendorfern 21 Und als im Rahmen des turkisch griechischen Bevolkerungsaustausches 1913 1923 34 Anfang der 1950er Jahre mehrfache Umsiedlungsprozesse stattfanden waren auch Grossdorfer im Latmos und Latmos Vorland Besparmak Daglari davon betroffen Erinnert sei nur an die dort ehemals griechisch gepragten Dorfer Mersinet Bafa Azap Karakilise Mendelia oder Hiristiyanbagi Christenweinberg die mit dem Bevolkerungsaustausch auch neue Ortsnamen Pinarcik Camici Yesilkoy Akmescit Selimiye oder Bagarasi erhielten Somit ist der Ubergang zur modernen Turkei seit der Wende zum 20 Jahrhundert gekennzeichnet durch eine Wiederbesiedlung verlassener Orte durch politische Ruckwanderer 22 Der grosste Teil des Bevolkerungsaustauschs im Zusammenhang mit dem Vertrag von Lausanne fand in den Jahren 1923 1924 statt aber in wenigen verbleibenden Fallen wurde die Zwangsmigration bis zum Griechisch Turkischen Freundschaftsabkommen von 1930 Verhandlungen die 1930 mit der Unterzeichnung des Freundschaftsabkommens durch Eleftherios Venizelos und Ismet Inonu endeten fortgesetzt und hatte fur etwa 20 Jahre eine schwere Krise sowohl in der turkischen als auch in der griechischen Wirtschaft verursacht 23 Damals hatten die turkischen Behorden einen Masterplan fur eine moglichst gleichmassige Verteilung der Muhacir in Anatolien und Ostthrakien entwickelt Das kurdisch gepragte Ostanatolien wurde aus Sicherheitsgrunden weitgehend ausgespart Wegen der Moglichkeit dass Fluchtlinge die sich in den Grenz Provinzen insbesondere in Erzurum niederlassen wurden um kunftig nach Russland zuruckkehren zu konnen hatte Russland damals gefordert dass die Auswanderer in Regionen weit entfernt von der russischen Grenze im Suden Anatoliens und sogar in der syrischen Region angesiedelt werden sollten Obwohl die Umsiedlung der Einwanderer in die nahe gelegenen Regionen Ostanatoliens einfacher und kostengunstiger gewesen ware berucksichtigte der Osmanische Staat die Forderung Russlands zumal bereits 1889 nach dem letzten Russisch Turkischen Krieg eine Konvention zwischen Russland und dem Osmanischen Reich geschlossen worden war wonach keine Fluchtlinge in die Regionen ostlich von Sivas angesiedelt werden sollten England dagegen wollte dass die Einwanderer als eine Art Pufferzone in Nordost und Ostanatolien angesiedelt wurden beginnend an der Schwarzmeerkuste die geografisch und kulturell ihrem Heimatland ahnlich war und sich bis nach Erzurum erstreckte um Anatolien im Bedarfsfall gegen einen weiteren moglichen russischen Vormarsch zu schutzen 24 Fluchtlinge sollten dort angesiedelt werden wo die Bedingungen denen ihrer fruheren Heimat ahnelten und wo sie ihre Fahigkeiten anwenden konnten Fur den Unterhalt der Muhacir Familien kam die Regierung in der Regel zwei Monate auf und stellte ihnen ihre Lebensgrundlage Garten Ackerland und Bienenstocke vorausgesetzt dass sie sich an dem fur sie vorgesehenen Ort niederliessen 25 Naturlich war eine Niederlassung nur dann moglich wenn dafur ausreichend Land zur Verfugung stand So konnte in der Cukurova im Landkreis Ceyhan wo der Staat genug Land Devlet arazisi besass und heute noch besitzt den Zuwanderern Land fur Wohn und Ackerflachen problemlos zugewiesen werden Offenbar wurden dabei Platze an denen man Wasser fand von den Einwanderern trotz Versumpfung bevorzugt Auch die Bodengute und die Bewasserungsmoglichkeiten spielten bei der Wahl des neuen Siedlungsplatzes eine Rolle So wurde von den heute insgesamt 79 Dorfern des Landkreises Ceyhan etwa die Halfte von Muhacir angelegt und besiedelt 26 Uber konkrete Massnahmen zur Unterbringung der Muhacir von Seiten des Staates ist wenig bekannt Die Verluste von Menschen auf der Flucht und in den provisorischen Auffanglagern meist alte Karawansereien in den Hafenstadten waren fraglos hoch Die ersten Einwandererwellen wurden offenbar vergleichsweise kaum betreut Sie wurden bestimmten Provinzen zugewiesen wo Komitees die Zuteilung von Staatsland vornahmen deren Bemuhungen aber offenbar selten uber die Zuweisung eines Siedlungsplatzes hinausgingen Um dabei Konflikte mit bereits bestehenden einheimischen Siedlungen zu vermeiden wurde Land moglichst von diesen entfernt zugeteilt Bei der Wiederbesiedlung offenbarte sich mit jedem neuen Fluchtlingsstrom allerdings auch ein zunehmender Mangel verfugbarer Ackerflachen bei der Landzuweisung was Differenzen mit alteingesessenen Dorflern brachte die Gemarkungsteile abtreten mussten 27 Trotz manch auffalligen Gemeinsamkeiten vieler Muhacir Siedlungen betreffend Haustyp Ortsgrundriss und oder Flursystemen die sich nur mit der Einflussnahme von Regierungsseite erklaren lassen scheinen die Schritte der Ansiedlung trotz aller staatlichen Vorschriften weitgehend den Muhacir selbst uberlassen geblieben zu sein Nicht selten bekamen die Fluchtlinge Platze zugewiesen wo sie anfangs betrachtliche Fehlschlage hinnehmen mussten weil sie mit deren klimatischen und edaphischen Bedingungen nicht vertraut waren Vor allem Malaria beeintrachtigte Ansiedlungen in den Ebenen Sud und Westanatoliens besonders stark 28 So hatte z B die Malaria in der Ebene des grossen Maander Buyuk Menderes mit ihrer Wiederbesiedlung und agraren Erschliessung Drainage vor allem durch muslimische politische Ruckwanderer aus verlorenen osmanischen Reichsgebieten in Sudosteuropa seit Mitte des 19 Jahrhunderts in den neuen Siedlungen die Landbevolkerung deutlich dezimiert so auch im Dorf Azapkoy Erst mit Bannung der Malaria Gefahr und Ruckgang der hohen Sterberaten nach 1946 war der Ort in Yesilkoy Grundorf umbenannt worden 29 Der grosste Teil der Muhacir Ansiedlungen dort und auch in der Cukurova war gekennzeichnet von Misserfolgen 28 Nach dem verlorenen Krimkrieg 1853 1856 waren Nogai Tartaren Muslime aus Sudrussland vom Staat im Landkreis Ceyhan und Yumurtalik Landereien mit 2500 Gehoften an beiden Ceyhan Ufern zur Ansiedlung zugewiesen worden 30 Davon sind infolge der Malaria des feuchten Klimas und des schlechten Wassers nur etwa 50 bis 60 Gehofte ubriggeblieben 31 Nach dem russisch turkischen Krieg 1877 1878 hatten sich tscherkessische Kaukasus Turken ebenfalls in der Cukurova in einigen Dorfern des Amtsbezirkes Ceyhan niedergelassen Auch sie sind spater ebenso wie die Nogaier aus den gleichen Grunden fast ausgestorben 32 Vergleichbares gilt fur die Ebene des Skamander vor den Toren von Troia wo neben der Pest die Malaria noch weit bis ins 20 Jahrhundert einen gravierenden Beitrag zur Veranderung des Siedlungs und Landschaftsbildes in der Troas geleistet hat die besonders Ansiedlungen der Muhacir bei der Drainage der troadischen Sumpfgebiete betraf 33 Derartige Probleme begleiteten alle grossen Kolonisationswellen der Muhacir von Anfang an selbst die ganz fruhen obwohl damals noch vergleichsweise viel potentielles Siedlungsland vorhanden war und die Muhacir in fruheren Einwanderungswellen des 18 und 19 Jahrhunderts eher bevolkerungsarme Regionen und Lucken im Siedlungsgefuge nutzen konnten In peripheren Lagen in seit dem 16 Jahrhundert versteppten Hochlandbereichen oder versumpften Binnenbecken und Kustenebenen wo nicht nur Malaria drohte sondern wo man auch leicht mit Nomaden Sommerweiden bzw Winterquartiere in Konflikte geraten konnte nbsp Die Karte zeigt die Verteilung der Muhacir Siedlungen in den fla chen Senken sowie den Tafel und Hugellandern am oberen Sa karya und am Por suk um die Stadt Eskisehir Ende der 1950er Jahre Wichtige potentielle Siedlungsgebiete fur Muhacir boten somit unter Beachtung derartiger Pramissen u a die Ebenen Kilikiens Cukurova oder Pamphyliens Ansiedlung von Tscherkessen Balkan Muhacir Tschetschenen die westanatolischen Graben von Menderes oder Gediz Ansiedlung von Balkan Muhacir und die Beckenreihen der Marmararegion Ansiedlung von Tscherkessen Balkan Muhacir von der Troas bis ins Becken von Duzce sowie die partiell noch dicht bewaldeten Mundungsdeltas von Yesilirmak und Kizilirmak Ansiedlung von Tscherkessen Dazu zahlten aber auch die flachhugeligen Mittelgebirgsteile z B des Samanli Dag das Bergland von Susurluk oder westpontische Partien um Duzce und Adapazari sowie die Hugellandbereiche Thrakiens Ansiedlung von Balkan Muhacir und weite Partien des Antitaurus sudlich der Uzun Yayla bzw in den weiten relativ dunn oder unbesiedelten Hochflachen der Uzun Yayla selbst Ansiedlung von Tscherkessen Andere bevorzugte Siedlungsgebiete lagen im Zentrum der anatolischen Hochlander um den Tuz Golu Krim und Nogai Tataren in den ebenen Steppensaumen von Lykaonien Krimtataren Tscherkessen Balkan Fluchtlinge Pisidien Balkan Muhacir und vor allem Phrygien mit ihren weiten und flachen Senken am oberen Sakarya Balkan Fluchtlinge und am Porsuk Tscherkessen Krim und Nogai Tataren Balkan Muhacir im Bogen des Kizilirmak und am Yesilirmak Albaner Osseten Tscherkessen Balkan Muhacir Georgier Vor allem Tataren fanden hier Bedingungen vor die denen ihrer Herkunftsgebiete vergleichbar waren 27 Bis zum Ersten Weltkrieg war Anatolien allerdings nicht das einzige Ziel der Muhacir Viele von ihnen flohen oft sogar fur immer in die zunachst noch osmanischen Gebiete um bei einem zweiten Exodus beim endgultigen Zusammenbruch der osmanischen Macht nach Anatolien aufzubrechen So nahm der balkanische Teil der Turkei besonders bis 1878 zahlreiche vor dem russischen Druck Fluchtende auf und die meisten Krimtataren und Nogaier hatten sich bereits in den stark turkisierten Gebieten der Dobrudscha und des Donautals niedergelassen deren Kolonisierung sie vorantrieben Andere siedelten zunachst auf den schon kultivierten Fluren der Bulgaren die teilweise an ihrer Stelle auf russischem Territorium auf der Krim heimisch wurden und zogen spater von dort nach Anatolien 34 Wirken und Wohnen der Muhacir in der Turkei BearbeitenXavier de Planhol beurteilte den Einfluss der Muhacir auf das anatolische Mutterland und ihr Wirken dort nicht besonders anerkennend wenn er vermerkt So haben die muhacir das anatolische Leben kaum wirklich positiv gepragt Die Muhacir wirkten vor allem durch ihre grosse Zahl und dadurch dass sie dazu beitrugen die am Ende des 19 Jahrhunderts noch leere Landkarte Anatoliens zu fullen 35 Tatsachlich war ihr Einfluss auf die landlichen und nicht nur alltaglichen Strukturen Anatoliens jedoch in vielerlei Hinsicht durchaus bemerkenswert Siedlungsgeographisch bedeutsam waren besonders die Einwanderungswellen zwischen etwa 1860 und dem Ersten Weltkrieg denn ihr Anteil an der agrarischen Erschliessung grosser Landstriche und vor allem die Drainage der Becken und Kustenebenen bleiben ein dauerhaftes Verdienst fur die neuere wirtschaftliche Entwicklung der Turkei auch wenn die Suche der Muhacir nach einer wirtschaftlichen Grundlage fur manche Familien lang und muhsam war und viele denen dies nicht gelang in die Stadte zogen und dort ein verelendetes Proletariat bildeten 36 So kamen z B nach 1923 etwa 1000 Turken aus Saloniki nach Karatas in der Cukurova 1970 waren von diesen Einwanderern nur noch ca 300 ubriggeblieben alle anderen waren nach und nach nach Adana gezogen Auch von den Muhacir Familien in den Cukurova Dorfern Hinnaplihuyuk Tapur Konakli Sarimsak Hayriye Ugurkaya und in Hasiragaci im Amtsbezirk Tuzla sind alle in die Stadt gezogen weil der ihnen vom Staat zugeteilte Boden sandig und salzig war und fur eine Existenz nicht ausreichte 37 Relativ selten sind Falle wo eine Muhacirsiedlung sich bis zur Kreisstadt weiterentwickelte Immerhin sind aber Cumra Esme Ceyhan und Pinarbasi aus derartigen Fluchtlingssiedlungen hervorgegangen mit denen sie ein regelmassiges Grundrissschema gemein haben Wenn Muhacir auf schon bestehenden Siedlungen verteilt wurden so hing dies einerseits zusammen mit dem Mangel an Boden zum anderen beabsichtigte man damit eine schnellere Assimilation der Einwanderer So finden sich die Bulgarienfluchtlinge von 1952 in diversen Dorfvierteln uber Thrakien Nordwest und Zentralanatolien verstreut 35 Fraglos bemuhte sich die osmanische Regierung Muhacir moglichst nur dort anzusiedeln wo es z B keine Winterweideplatze von machtigeren Stammesverbanden gab Damit sollte die Gefahr einer bewaffneten Auseinandersetzung zwischen den Nomaden oder bereits angesiedelten Ostanatoliern Sarkli einerseits und den Muhacir andererseits verhindert werden So wurden die Einwanderer in der Cukurova z B moglichst an der Peripherie der Winterweidegebiete der oberen Ebene angesiedelt und zwar jeweils da wo noch geeignetes Land randlich zu bereits von Dorfern erschlossenen Flachen vorhanden war 38 Manche der ersten landwirtschaftlichen Ansatze endeten erfolglos wenn nicht sogar katastrophal weil es in der Turkei im ausgehenden 19 Jahrhundert oft noch an technischen Voraussetzungen fehlte Nicht wenige Muhacir versuchten sich in den feuchten Ebenen mit unangepassten Wirtschaftsweisen die sie aus ihrem Herkunftsgebiet mitgebracht hatten z B in Ziegenzucht und Olivenkultivierung Weizensaaten verfaulten in sumpfigen Boden so dass man auf magere anpassungsfahige Hirsesorten zuruckgreifen oder sich auf Melonenzucht umorientieren musste wovon man auch nichts verstand Oft war man kein Landwirt gewesen und stand plotzlich vor dem Problem der Feldbestellung Mancher makedonische Tabakbauer versuchte vergeblich sich auf Rebkulturen umzustellen und die Weinproduktion von den christlichen Griechen hinterlassen musste zunachst mit Hilfe auslandischer Fachleute vom Staat ubernommen werden 39 Auch Tscherkessen die aus einem humiden kuhlen Waldland stammten und vielerorts ihre Pferdezucht weiter betrieben hatten zunachst erhebliche Anpassungsschwierigkeiten In spaterer republikanischer Zeit wurden die Fluchtlinge auch nicht mehr in eigenen Dorfern angesiedelt um eine schnellere Assimilation zu erreichen wohl aber auch weil inzwischen der Platz dafur fehlte Auch wenn die meisten von vornherein vorwiegend auf Ackerbau festgelegt waren und die Ansiedlungsbedingungen fur viele Einwanderer in vielerlei Hinsicht ahnlich waren so galt Erfolglosigkeit doch nicht generell Da die Ackerflachen grosstenteils in Ebenen oder auf Plateaus und somit fur mechanische Bearbeitung zuganglich lagen konnten besonders Einwanderer vom Balkan die fortschrittlichere Methoden des Ackerbaus bereits kannten relativ fruh die ersten technischen Innovationen eiserner Pflug Mahmaschine anwenden Krim und Nogaitataren zeichneten sich so durch eine geschickte Anpassung an die Anbaubedingungen Zentralanatoliens aus 40 In den zunachst nur dunn besiedelten Regionen stand ihnen zudem eine nicht unbetrachtliche agrarische Basis zur Verfugung Im Durchschnitt erhielt jeder Fluchtling etwa 5 6 ha d h oft 25 30 ha je Familie Da die Emigranten die Erlaubnis erhielten alles zwischen den Dorfern der Einheimischen liegende unkultivierte Land wirtschaftlich urbar zu machen konnten sie ihre Agrarflachen rasch vergrossern Emigranten die uber zahlreichere Arbeitskrafte und mehr Mittel zur Kultivierung verfugten schufen dadurch allerdings in ihren Dorfern von Anfang an eine scharfe soziale Schichtung und Ungleichheiten in der Bodenverteilung Andererseits waren diese Fluren fast immer von geringerer Qualitat schwierig trocken zu legen oder karge steinige Boden auf Schotterterrassen kir memleket graues Land Steppenland die hoher lagen als die altbauerlich genutzten alluvialen Talauen 41 So wurden diejenigen Muhacir die aus Gegenden stammten die insgesamt starker entwickelt und fortschrittlicher waren als der Durchschnitt Anatoliens in der neuen Turkei Vorbilder und Katalysatoren des Fortschritts 42 nbsp Bereits in der Zeit nach dem Ersten Weltkrieg wurden fast alle Muhacirdorfer wie hier in Manyas als relativ gepflegt und sauber beschrieben Vielfach waren die Hausformen aus den Herkunftslandern nach Anatolien ubertragen worden und bereits in der Zeit nach dem Ersten Weltkrieg wurden fast alle Muhacirdorfer als relativ gepflegt und sauber beschrieben Die Turkei hatte mit diesen Einwanderern offenbar ein Bevolkerungspotential gewonnen das politisch loyal zum Staat stand und gegenuber Neuerungen relativ aufgeschlossen war Die Verteilung auf viele einzelne Siedlungsgebiete im Land hatte zudem die Entstehung isolierter Sprachinseln wie bei den Kurden in Ostanatolien verhindert Die gewunschte Assimilation allerdings dauerte oft mehrere Generationen sodass erhoffte Innovationseffekte nur begrenzt eintraten 43 Zunachst hielt man die Muttersprache wohl fur weniger wichtig bzw glaubte bei den Neusiedlern mit nicht turkischer Muttersprache an eine rasche Akzeptanz des Turkischen Allerdings verband man bei der Staatsgrundung der modernen Turkei die Idee wer Turke sei oft starker mit traditionellen Vorstellungen als eingestanden wird Turke war und ist ein sunnitischer Muslim der sich zur Turkei fruher dem Osmanischen Reich spater zur Republik bekannte Die Mehrzahl der Muhacir durfte wohl die Bereitschaft zum Gebrauch der turkischen Sprache mit der Ubersiedlung in die Turkei eingeschlossen haben 44 nbsp Typisch fur die altere anatolische Flureinteilung im Altsiedelland ist die unregelmassige Blockflur die durch Realerbteilung oft stark zersplittert ist nbsp Die Feldflur von Baspinar bei Terzikoy Provinz Amasya Turkei zeigt die typische Streifenflur einer Muhacir Ansiedlung Auffallig ist haufig bis heute die Gestaltung von Dorf und Flur der Muhacir In Anatolien ist traditionell ungeregelter Ortsgrundriss und unregelmassige Flur fast uberall typisch ausser bei jungen Muhacir Plansiedlungen 45 Die Landnahme durch Rucksiedler zwischen 1860 und dem Ersten Weltkrieg hatte offenbar eine Landaufteilung auf einen Schlag gefordert bei der genossenschaftliche Prinzipien angewendet wurden und wenn technische Hilfsmittel und ausgebildete Landmesser fehlten war eine Streifeneinteilung des Ackerlandes am leichtesten zu bewerkstelligen Diese Regelmassigkeit zur Zeit der Landnahme hatte zumeist aber keinen langen Bestand und fiel spater haufig der ublichen Tendenz zu individueller Umgestaltung zum Opfer Zusatzlicher Landbedarf und Realerbteilung veranderten die anfangliche streifige Flur und spatere individuelle Expansion schuf zusatzliche unregelmassige Blockparzellen Familien wuchsen unterschiedlich stark Arbeitsbedingungen liessen Familien aufgeben deren Land sich die Verbliebenen teilten Als Resultat finden wir wenn auch inzwischen vielfaltig zersplittert bei vielen Muhacir Dorfern einen langstreifigen Flurkern auf den relativ guten Boden nbsp Die drei Grundrissplane zeigen typische Regelanlagen von Muhacirdorfern in Zentralanatolien Stand 1960er Jahre im weiteren Umfeld von Konya In Mecidiye und Mesudiye beide rechts ist das regelmassige Anlage Muster noch deutlich zu erkennen in Ikizdere Ikizce ist der ostliche Ortsteil im Gegensatz zum westlichen bereits stark individuell uberpragt Ahnliches gilt auch fur die Siedlungen Vollig abweichend von der anatolischen Tradition der ungeregelten Ortsgrundrisse erscheinen Muhacir Dorfer mit ihren auffallend regelmassigen oft schachbrettartigen Grundrissen die seit der zweiten Halfte des 19 Jhs angelegt wurden Spater wurden Hofgrundstucke zu den Strassen hin erweitert Anbauten unregelmassig zugefugt oder rechtwinklige Nebenstrassen einfach uberbaut sodass auch der schematische Grundriss mit der Zeit stark modifiziert wurde Da Urkunden uber die Modalitaten der Landzuweisung bislang nicht bekannt sind ist unklar auf wessen Initiative dieser geregelte Typ zuruckgeht Nach Aussagen der Bevolkerung wurde den Vorfahren zwar das Siedlungsgebiet zugewiesen die individuelle Landaufteilung jedoch wurde in eigener Regie durchgefuhrt Die Einfuhrung dieser Regelform hat in der Turkei keine alteren Vorbilder Andererseits ist der Schachbrett Grundriss nicht nur in Anatolien verbreitet sondern auch in anderen Teilen des einstigen Osmanischen Reiches So wurden im 19 Jh in Sudungarn Banat Batschka in der Walachei und in der Sudukraine derartige Planformen fast ausschliesslich verwendet Es ist somit sehr wahrscheinlich dass osmanische Beamte und Offiziere dieses Siedlungsmuster uber die damalige Militargrenze hinweg dort kennen gelernt haben Der Schachbrett Grundriss anatolischer Muhacir Dorfer des spaten 19 Jhs bekundet demnach einen Kolonisationsmodus der in Osterreich Ungarn und in Russland des 18 Jhs entwickelt worden war 46 nbsp Altere locker angeordnete Hauser von Emigranten in Eski Manyas Soguksu waren noch 1984 partiell mit Stroh oder Schilfdachern ausgestattet nbsp Im Gegensatz zu den locker angeordneten Hausern der meisten Emigrantendorfer sind die dicht gedrangten Dorfer mit Flachdachern in vielen Regionen Anatoliens als Siedlungen alteingesessener Einheimischer auch heute noch oft typisch und von Muhacirdorfern klar unterscheidbar nbsp Die Muhacirgehofte in Cumra Provinz Konya Turkei wurden partiell noch aus Adobeziegeln und mit Flachdach errichtet nbsp Jungere Muhacirgehofte in Cumra Provinz Konya Turkei wurden zwar immer noch aus Adobeziegeln errichtet die Dacher aber waren bereits ziegelbedeckte Satteldacher Erst seit der Ankunft der Fluchtlinge aus Kreta hatte der Staat den Muhacir ein genormtes Haus gestellt Im Allgemeinen zwei Raume mit einem ausgebauten Schuppen aus Ziegelsteinen und mit Ziegeldach In den Plateaulandschaften stachen diese Emigrantendorfer mit ihren locker angeordneten Hausern und mit ihren Stroh oder Schilfdachern noch nach mehr als einem Jahrhundert stark von den dicht gedrangten Dorfern mit Flachdachern der Einheimischen ab sie waren und sind zum Teil auch heute noch in der Steppe schon vom Weiten zu erkennen In Phrygien revolutionierten die Zuwanderer die Baumaterialien Den alten Steinhausern des gebirgigen Phrygien und den Holzhausern der Nomaden fugten sie Lehmhauser aus Adobeziegeln hinzu die sie aus den Ebenen des Balkans mitbrachten und die sich den versteppten Ebenen vollig anpassten Das Ziegeldach breitete sich dort auf Kosten der alten Stroh oder Flachdacher schneller aus als in den Dorfern der Einheimischen Manche derartigen urbanen Gewohnheiten finden sich uberall in der Lebensweise der Emigranten was ihre einheimischen Nachbarn auch hervorheben und ihnen sehir usulu stadtische Manieren urbaner Stil nachsagen Obwohl oft einfach lebend erweckten sie doch den Eindruck hoherer Lebensart und wurden anfangs von ihren Nachbarn auch mit Eifersucht betrachtet Selbst am Backofen kann man die Dorfer der balkanischen Emigranten noch heute oft auf den ersten Blick erkennen Im Unterschied zu dem dunnen Fladenbrot der Nomaden das noch heute das Brot vieler anatolischer Bauern ist machten sie im Backofen gebackenes Weissbrot bekannt und salonfahig Sie besassen Mobiliar oft sogar Betten wahrend man in Anatolien auf abends auf dem Boden ausgebreiteten Matratzen schlief die morgens in der Zimmerecke zusammengerollt wurden nbsp Noch 1998 war im Antitaurus bei Doganbeyli Landkreis Tufanbeyli Provinz Adana der ochsenbespannte Scheibenradwagen kagni ein typisches traditionelles Transportmittel auf dem Lande nbsp Das Pferdegespann des Tatar arabasi Tatarenwagen ein vierradriger Deichselwagen der Muhacir hatte mit der Ansiedlung der Fluchtlinge bald die zentrale Steppe Anatoliens und alle befahrbaren Ebenen erobert Auch im ruralen Transportwesen ubten Balkan Muhacir bei ihrer Ankunft 1878 1889 nachhaltigen Einfluss aus Damals war Anatolien noch im Wesentlichen ein Land der Tragtiere und man kannte auf dem Lande allenfalls den kagni jenen schweren ochsenbespannten Scheibenradwagen im Volkskund anatolische Nachtigall wahrend die vierradrigen Deichselwagen Tatar arabasi Tatarenwagen der Emigranten bald die zentrale Steppe und alle befahrbaren Ebenen eroberten Die fruheren Muhacir hatten somit nicht nur ihre eigenen Siedlungstypen mitsamt ihrer Konzeption dorflicher Organisation mitgebracht sondern auch manche hilfreiche Technik 47 Literatur BearbeitenAhmet Cevat Eren Die Bedeutung des Fluchtlingsproblems in der Turkei In Integration Bulletin International Band 6 Nr 3 Vaduz 1959 167 177 Xavier de Planhol Kulturgeographische Grundlage der islamischen Geschichte Aus dem Franzosischen ubertragen von Heinz Halm J van Ess Hrsg Die Bibliothek des Morgenlandes Artemis Verlag Zurich Munchen 1975 Mustafa Soysal Siedlungs und Landschaftsentwicklung der Cukurova Erlanger Geographische Arbeiten Sonderband 4 Erlangen 1976 Volker Hohfeld Turkei Schwellenland der Gegensatze Perthes Landerprofile Gotha 1995 Wolf Dieter Hutteroth Volker Hohfeld Turkei Wissenschaftliche Landerkunden Darmstadt 2002 Hakan Asan Devlet Asiret ve Eskiya Baglaminda Osmanli Muhacir Iskan Siyaseti 1860 1914 In Goc Arastirmalari Dergisi Band 2 Nr 3 2016 S 34 61 Einzelnachweise Bearbeiten Muhạdschir In Wissen de 2021 abgerufen am 15 Februar 2021 deutsch Wolf Dieter Hutteroth Volker Hohfeld Turkei Wissenschaftliche Landerkunden Darmstadt 2002 S 156 30 Ocak 1923 Turkiye Yunanistan nufus mubadelesi In Anahtar Emlak Tarihte Bugun 2020 abgerufen am 22 Februar 2021 turkisch Mustafa Soysal Siedlungs und Landschaftsentwicklung der Cukurova In Erlanger Geographische Arbeiten Sonderband 4 Erlangen 1976 S 63 a b Volker Hohfeld Turkei Schwellenland der Gegensatze Perthes Landerprofile Perthes Gotha 1995 S 82 Xavier de Planhol Kulturgeographische Grundlage der islamischen Geschichte Aus dem Franzosischen ubertragen von Heinz Halm Artemis Zurich Munchen 1975 S 291 Kemal H Karpat The Gecekondu Rural Migration and Urbanization In Cambridge University Press Band 9 Nr 3 Cambridge 1976 S 48 Volker Hohfeld Turkei Schwellenland der Gegensatze Perthes Landerprofile Perthes Gotha 1995 S 198 Xavier de Planhol Kulturgeographische Grundlage der islamischen Geschichte Aus dem Franzosischen ubertragen von Heinz Halm Artemis Zurich Munchen 1975 S 288 f Volker Hohfeld Turkei Schwellenland der Gegensatze Perthes Landerprofile Perthes Gotha 1995 S 67 Volker Hohfeld Turkei Schwellenland der Gegensatze Perthes Landerprofile Perthes Gotha 1995 S 70 a b Ahmet Cevat Eren Die Bedeutung des Fluchtlingsproblems in der Turkei In Integration Bulletin International Band 6 Nr 3 Vaduz 1959 S 169 Volker Hohfeld Turkei Schwellenland der Gegensatze Perthes Landerprofile Perthes Gotha 1995 S 70 83 a b Xavier de Planhol Kulturgeographische Grundlage der islamischen Geschichte Aus dem franzosischen ubertragen von Heinz Halm Artemis Zurich Munchen 1975 S 292 f Xavier de Planhol Kulturgeographische Grundlage der islamischen Geschichte Aus dem franzosischen ubertragen von Heinz Halm Artemis Zurich Munchen 1975 S 289 f Ahmet Cevat Eren Die Bedeutung des Fluchtlingsproblems in der Turkei In Integration Bulletin International Band 6 Nr 3 Vaduz 1959 S 167 ff Xavier de Planhol Kulturgeographische Grundlage der islamischen Geschichte Aus dem franzosischen ubertragen von Heinz Halm Artemis Zurich Munchen 1975 S 290 Hakan Asan Devlet Asiret ve Eskiya Baglaminda Osmanli Muhacir Iskan Siyaseti 1860 1914 In Goc Arastirmalari Dergisi Band 2 Nr 3 2016 S 39 Peter Andrews Republik Turkei Ethnische Minderheiten im landlichen Raum Ostteil In Tubinger Atlas des Vorderen Orients 1 2000000 Kartenblatt A VIII 14 Reichert Wiesbaden 1987 Volker Hohfeld Herakleia Stadt und Landschaft des Latmos Ein historisch geografischer Leitfaden durch das Latmos Gebirge und seine Umgebung In Volker Hohfeld Hrsg Global Studies Working Papers Band 37 Tubingen 2017 S 154 Volker Hohfeld Turkei Schwellenland der Gegensatze Perthes Landerprofile Perthes Gotha 1995 S 84 Abb 10 Volker Hohfeld Herakleia Stadt und Landschaft des Latmos Ein historisch geografischer Leitfaden durch das Latmos Gebirge und seine Umgebung In Volker Hohfeld Hrsg Global Studies Working Papers Band 37 Tubingen 2017 S 156 f 30 Ocak 1923 Turkiye Yunanistan nufus mubadelesi In Anahtar Emlak Tarihte Bugun 2020 abgerufen am 22 Februar 2021 turkisch Hakan Asan Devlet Asiret ve Eskiya Baglaminda Osmanli Muhacir Iskan Siyaseti 1860 1914 In Goc Arastirmalari Dergisi Band 2 Nr 3 2016 S 42 f Klaus Kreiser Der grosse Bevolkerungstausch In Frankfurter Allgemein Zeitung FAZ NET 18 August 2016 abgerufen am 20 Februar 2021 deutsch Mustafa Soysal Siedlungs und Landschaftsentwicklung der Cukurova Erlanger Geographische Arbeiten Sonderband 4 Erlangen 1976 S 57 61 a b Volker Hohfeld Turkei Schwellenland der Gegensatze Perthes Landerprofile Perthes Gotha 1995 S 85 a b Wolf Dieter Hutteroth Volker Hohfeld Turkei Wissenschaftliche Landerkunden Darmstadt 2002 S 157 Volker Hohfeld Herakleia Stadt und Landschaft des Latmos Ein historisch geografischer Leitfaden durch das Latmos Gebirge und seine Umgebung In Global Studies Working Papers Band 37 Tubingen 2017 S 26 Cevdet Pascha Terziar 1865 Ubersetzt von C Baysun In Turk Tarih Kurumu Yayinlari Band 2 17b Ankara 1963 S 223 Wolfram Eberhard Types of Settlement in Southeast Turkey In Sociologus N F Band 1 1953 S 55 Mustafa Soysal Siedlungs und Landschaftsentwicklung der Cukurova Erlanger Geographische Arbeiten Sonderband 4 Erlangen 1976 S 57 Rustem Aslan Veranderung des Landschaftsbildes durch Malaria In Volker Hohfeld Hrsg Stadt und Landschaft Homers Ein historisch geografischer Fuhrer fur Troia und Umgebung Philipp von Zabern Mainz 2009 S 159 Xavier de Planhol Kulturgeographische Grundlage der islamischen Geschichte Aus dem franzosischen ubertragen von Heinz Halm Artemis Zurich Munchen 1975 S 292 a b Xavier de Planhol Kulturgeographische Grundlage der islamischen Geschichte Aus dem franzosischen ubertragen von Heinz Halm Artemis Zurich Munchen 1975 S 299 und 302 Wolf Dieter Hutteroth Volker Hohfeld Turkei Wissenschaftliche Landerkunden Darmstadt 2002 S 158 301 Mustafa Soysal Siedlungs und Landschaftsentwicklung der Cukurova Erlanger Geographische Arbeiten Sonderband 4 Erlangen 1976 S 62 Mustafa Soysal Siedlungs und Landschaftsentwicklung der Cukurova Erlanger Geographische Arbeiten Sonderband 4 Erlangen 1976 S 63 f Xavier de Planhol Kulturgeographische Grundlage der islamischen Geschichte Aus dem franzosischen ubertragen von Heinz Halm Artemis Zurich Munchen 1975 S 298 f Wolf Dieter Hutteroth Volker Hohfeld Turkei Wissenschaftliche Landerkunden Darmstadt 2002 S 157 f Xavier de Planhol Kulturgeographische Grundlage der islamischen Geschichte Aus dem franzosischen ubertragen von Heinz Halm Artemis Zurich Munchen 1975 S 297 Xavier de Planhol Kulturgeographische Grundlage der islamischen Geschichte Aus dem franzosischen ubertragen von Heinz Halm Artemis Zurich Munchen 1975 S 294 Wolf Dieter Hutteroth Volker Hohfeld Turkei Wissenschaftliche Landerkunden Darmstadt 2002 S 158 Wolf Dieter Hutteroth Volker Hohfeld Turkei Wissenschaftliche Landerkunden Darmstadt 2002 S 179 Wolf Dieter Hutteroth Volker Hohfeld Turkei Wissenschaftliche Landerkunden Darmstadt 2002 S 193 Wolf Dieter Hutteroth Volker Hohfeld Turkei Wissenschaftliche Landerkunden Darmstadt 2002 S 198 207 Xavier de Planhol Kulturgeographische Grundlage der islamischen Geschichte Aus dem franzosischen ubertragen von Heinz Halm Artemis Zurich Munchen 1975 S 300 ff Abgerufen von https de wikipedia org w index php title Muhacir amp oldid 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