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Die Deutsche Volksliste DVL teilte die Bevolkerung in den vom Deutschen Reich im Zweiten Weltkrieg eingegliederten und besetzten Teilen Polens in Bevolkerungsgruppen mit unterschiedlichen Rechten Wer in die Deutsche Volksliste aufgenommen wurde erhielt je nach Einstufung in eine von vier Gruppen die deutsche Staatsangehorigkeit bzw ein spateres Anrecht auf sie In oft diskriminierenden Verfahren wurden bei Antragen auf Eintrag in die Deutsche Volksliste vor allem das politische Verhalten vor dem deutschen Uberfall auf Polen 1939 und die ethnische Abstammung uberpruft Das Verfahren wurde in ahnlicher Form auch bald auf das Reichskommissariat Ukraine und auf Nordfrankreich ausgeweitet Ausweis der deutschen Volksliste Inhaltsverzeichnis 1 Vorgeschichte 2 Einburgerungsverfahren und Selektionskriterien 3 Folgen nach Ende des Zweiten Weltkriegs 4 Literatur 4 1 Einzelnachweise 5 WeblinksVorgeschichte BearbeitenDurch die Aufteilung Polens Ende des 18 Jahrhunderts zwischen Russland Preussen und Osterreich wurden ethnische Polen Staatsburger dieser Lander Im Zarenreich waren die im Weichselland Wohnenden russische Untertanen Die westlichen und sudlichen Teile des ehemaligen Polen waren mit unterschiedlichem Anteil von ethnisch Deutschen besiedelt 1919 erhielt Polen im kleinen Vertrag von Versailles eine eigene Staatsangehorigkeit zuruck Deutsche Staatsangehorige in zuvor zum Deutschen Reich gehorigen Regionen wie z B den Provinzen Westpreussen Posen und den Abstimmungsgebieten auf dem Gebiet des neuen polnischen Staates konnten nach den Bestimmungen des Versailler Vertrags innerhalb gewisser Fristen zwischen deutscher oder polnischer Staatsangehorigkeit wahlen wenn sie vor 1908 zugezogen waren Eine Entscheidung fur die deutsche Staatsangehorigkeit bedeutete in der Regel den erzwungenen Wegzug aus Polen Einburgerungsverfahren und Selektionskriterien BearbeitenDie DVL wurde am 28 Oktober 1939 zunachst in dem von den deutschen Besatzern auf polnischem Territorium eingerichteten Reichsgau Posen dem spateren Wartheland durch eine Verordnung des dortigen Reichsstatthalters Arthur Greiser begrundet Auf Grund der Anordnung des Reichsfuhrers SS Heinrich Himmler als Reichskommissar fur die Festigung deutschen Volkstums vom 12 September 1940 erschien die Verordnung uber die Deutsche Volksliste und die deutsche Staatsangehorigkeit in den eingegliederten Ostgebieten vom 4 Marz 1941 im Reichsgesetzblatt I S 118 Sie wurde von der Publikationsstelle Berlin Dahlem unter Albert Brackmann verwaltet und im Zusammenhang mit der Ausarbeitung des Generalplans Ost ausfuhrlich dargestellt 1 nbsp DVL GrundungsdokumentDie als Deutsche Brauchbaren der Bevolkerung wurden durch die DVL in folgende vier Abteilungen eingeteilt Volksliste 1 So genannte Bekenntnisdeutsche die sich vor dem Krieg fur das deutsche Volkstum eingesetzt hatten also etwa in Organisationen der deutschen Minderheiten organisiert waren und zwar unabhangig davon ob sie eine deutsche Abstammung nachweisen konnten Volksliste 2 Menschen die zwar nicht Mitglieder in den Organisationen der deutschen Minderheiten gewesen waren aber an deutscher Sprache und Kultur festgehalten hatten Wahrend Angehorige der Abteilung 1 sofort der NSDAP beitreten konnten und auch tatsachlich den Kern der Partei in den annektierten Gebieten bildeten konnten sich die Mitglieder der Abteilung 2 zunachst lediglich als Anwarter auf eine Parteimitgliedschaft registrieren lassen Volksliste 3 entweder so genannte Stammesdeutsche also Menschen die angeblich deutscher Abstammung waren obwohl sie in der Regel nicht mehr Deutsch sprachen oder aber Angehorige der sog Zwischenschicht also Kaschuben Masuren Schlonsaken soweit sie nicht Mitglieder in polnischen politischen Organisationen waren Sie bekamen die deutsche Staatsangehorigkeit auf Widerruf 2 Volksliste 4 sog Renegaten d h Menschen die nach Auffassung der deutschen Zivilverwaltung deutscher Abstammung waren die aber ins Polentum abgeglitten waren d h sich selbst als Polen betrachteten Sie erhielten die Anwartschaft auf die deutsche Staatsangehorigkeit auf Widerruf und waren von der Wehrpflicht ausgenommen Fur alle galt deutsches Recht aber jede Abteilung erhielt abgestufte Rechte und Privilegien erkennbar an Ausweisen in unterschiedlichen Farben Abteilung 1 und 2 blau Abteilung 3 grun Abteilung 4 rot Am 4 Marz 1941 wurde die DVL auf alle annektierten westpolnischen Gebiete also Danzig Westpreussen Ostoberschlesien und Teile Ostpreussens ausgeweitet Ungefahr zum gleichen Zeitpunkt Mitte Marz 1941 wurde die Vertreibung von Polen aus diesen Gebieten in das Generalgouvernement wegen der Vorbereitung des Angriffs auf die Sowjetunion vorubergehend und schliesslich bald ganz eingestellt Im Wartheland wurden die Selektionskriterien bis zur deutschen Niederlage verhaltnismassig restriktiv gehandhabt Nur ein relativ geringer Anteil von ca 10 der einheimischen Bevolkerung sollte dort in die Deutsche Volksliste aufgenommen werden Die DVL des Warthelandes von 1939 hatte trotz anders lautender Beteuerungen nicht die Funktion Nicht Deutsche fur das deutsche Volkstum zu gewinnen Sie sollte im Gegenteil ethnische Polen und solche ethnischen Deutschen ausgrenzen die sich nicht zur nationalsozialistischen Interpretation des Deutschtums bekennen wollten Vor allem in den Provinzen Danzig Westpreussen und Oberschlesien stellte sich die Situation vollig anders dar Dort wurden jeweils ca 60 der einheimischen Bevolkerung eingetragen die uberwiegende Mehrheit in die Abteilung 3 Kriegsbedingt bestand ein grosser Bedarf an Arbeitskraften und es wurde nun in diesen Gebieten ein wesentlich grosserer Teil der Bevolkerung in die privilegierten Abteilungen der Liste aufgenommen und zu Deutschen gemacht Die Volksliste diente ab 1941 auch dazu Soldaten fur die deutsche Wehrmacht zu rekrutieren Rund die Halfte der Personen die ihre polnische Staatsburgerschaft durch Beitritt zur Deutschen Volksliste gewechselt hatten liefen nach der Gefangennahme durch alliierte Streitkrafte zu diesen uber und dienten dann in mit den Alliierten verbundeten polnischen Einheiten Von den 89 000 in Westeuropa durch die Alliierten gefangen genommenen Wehrmachtsangehorigen ursprunglich polnischer Nationalitat schlossen sich rund 50 000 den auf britischer Seite kampfenden Polnischen Streitkraften im Westen an 3 Die Einteilung in die verschiedenen Abteilungen der DVL hatte umfangreiche Folgen in allen Bereichen des Lebens von der Lebensmittelration uber die Gesundheitsversorgung bis zur Bildung Die Angehorigen der Gruppen 3 und 4 sollten nach doktrinarer und rasch illusorisch gewordener Bestimmung Himmlers ins Altreich umgesetzt werden um dort durch eine intensive Erziehungsarbeit zu vollwertigen Deutschen gemacht zu werden 4 In der Regel wurden die Antragsteller nicht einer rassischen Musterung unterzogen Zwar drangte Himmler auf eine solche rassistische Selektion konnte sich jedoch nicht gegen die jeweiligen Reichsstatthalter und Gauleiter durchsetzen Allein im Wartheland stimmte der dortige Reichsstatthalter und Gauleiter Arthur Greiser einer rassistischen Selektion des grossten Teils der Personen in den Abteilungen 3 und 4 der DVL zu sodass etwa 60 000 Menschen durch die sogenannten Eignungsprufer des Rasse und Siedlungshauptamtes der SS gemustert wurden Im Gegensatz hierzu liess in Oberschlesien der dortige Oberprasident und Gauleiter Fritz Bracht lediglich die Selektion der ca 50 000 Personen in Abteilung 4 zu wahrend der Reichsstatthalter und Gauleiter Albert Forster in Danzig Westpreussen die Selektionen ganzlich untersagte Da jedoch die Deportationen in das Generalgouvernement kriegsbedingt eingestellt worden waren wurden vermutlich nur sehr wenige der Personen bei denen das Rasse und Siedlungshauptamt auf die Wertungsgruppe IV oder IVf erkannt hatte aus der Deutschen Volksliste entfernt oder hatten sonstige daraus resultierende Nachteile zu erleiden Deutsche Volksliste Stand 1942 5 Gebiet DVL zusammen DVL 1 DVL 2 DVL 3 DVL 4Ostpreussen 45 000 8 500 21 500 13 500 1 500Reichsgau Danzig Westpreussen 1 153 000 150 000 125 000 870 000 8 000Warthegau 476 000 209 000 191 000 56 000 20 000Oberschlesien 1 450 000 120 000 250 000 1 020 000 60 000Zusammen 3 124 000 487 500 587 500 1 959 500 89 500Gebiet Gesamtbevolkerung deutsche Bevolkerung 1939 in die DVL eingetragen polnische SchutzangehorigeOstoberschlesien 2 450 100 1 477 973Wartheland 4 400 325 512 5 3 887 5Danzig Westpreussen 1 650 243 976 674Zichenau Sudauen 1 000 46 5 920Stand 1944 Zahlen jeweils in 1000 Volksliste alle Abteilungen Abt I bis Abt IVDie Tabelle zeigt dass eine grosse Zahl von Menschen eingedeutscht worden ist die bis 1939 polnische Staatsburger waren Dies geschah zwar manchmal freiwillig ofter aber unter Zwang und unter Androhung von KZ Haft oder der Wegnahme der Kinder In einem der Nurnberger Prozesse dem Prozess Rasse und Siedlungshauptamt der SS der von einem amerikanischen Militargericht 1947 48 gefuhrt wurde wurde dieses System der gestaffelten Einburgerung fremder Staatsburger uber die Deutsche Volksliste als Verbrechen geahndet Folgen nach Ende des Zweiten Weltkriegs BearbeitenNach dem Krieg bewertete die Volksrepublik Polen Menschen die in die DVL eingetragen waren zunachst pauschal als faschistisch hitleristische Kollaborateure Das hatte oft Repressalien zur Folge etwa Lagerhaft oder gar Vertreibung Zwar gab es unter den Eingedeutschten tatsachlich Kollaborateure und Menschen die die Politik der Nationalsozialisten mit Uberzeugung vertreten hatten Ab der zweiten Jahreshalfte 1945 setzte sich in den Reihen polnischer Politiker allerdings die Auffassung durch dass zahlreiche DVL Angehorige der Gruppen III und IV insbesondere in Oberschlesien nicht freiwillig sondern zwangsweise eingeschrieben worden waren Das Gleiche galt fur Danzig Westpreussen Im Rahmen eines Rehabilitationsverfahren wurde die Nationalitat der Betroffenen gepruft und gegebenenfalls die polnische Staatsburgerschaft verliehen die ubrigen wurden als Deutsche klassifiziert und vertrieben Nach dem Ergebnis der polnischen Volkszahlung von 1950 lebten 1 104 100 derartig rehabilitierte DVL Angehorige und ehemalige deutsche Staatsburger auf dem Gebiet der Volksrepublik Polen 6 Nach der Grundung der Bundesrepublik Deutschland erhielten diejenigen die auf der DVL eingetragen waren und deren Nachkommen das Recht als Aussiedler in der Bundesrepublik Deutschland Aufnahme zu finden Bundesdeutsche Gerichte benutzten dabei die Einstufungen der Nationalsozialisten als Grundlage bei Streitigkeiten uber die Frage ob jemand als deutscher Volkszugehoriger im Sinne des Art 116 GG gelten musse 7 1990 berichteten Medien dass diese Praxis durch eine Einzelfallprufung ersetzt wurde 8 Die Definition der Volkszugehorigkeit aufgrund des Bekenntnisses zu deutscher Sprache Erziehung Kultur aus der Verordnung uber die Deutsche Volksliste und die deutsche Staatsangehorigkeit in den eingegliederten Ostgebieten von 1941 findet sich beinahe wortgleich in 6 des Bundesvertriebenengesetzes vom 22 Mai 1953 9 Literatur BearbeitenMartin Broszat Nationalsozialistische Polenpolitik 1939 1945 Walter de Gruyter 2010 Wolfgang Bleyer Elisabeth Brachmann Teubner Gerhart Hass Helma Kaden Manfred Kuhnt Norbert Muller Ludwig Nestler Fritz Petrick Werner Rohr Wolfgang Schumann Martin Seckendorf Hrsg Kollegium Nacht uber Europa Die Okkupationspolitik des deutschen Faschismus 1938 1945 Achtbandige Dokumenten Edition Band 2 Die faschistische Okkupationspolitik in Polen 1939 1945 Koln 1989 ISBN 3 89144 292 0 ebd 1992 ISBN 3 7609 1260 5 Lizenz von Deutscher Verlag der Wissenschaften Berlin 1989 hier unter dem Reihentitel Europa unter dem Hakenkreuz ISBN 3 326 00294 7 Manfred Raether Polens deutsche Vergangenheit Schoneck 2004 ISBN 3 00 012451 9 aktualisierte Neuausgabe als E Buch verfugbar ohne Verf Sigel hb das ist Heinz Brandt Volle Staatsburgerrechte In Kreuzburger Heimatnachrichten Feldpostzeitung der NSDAP Kreisleitung Kreuzburg OS Februar 1944 S 15 Einzelnachweise Bearbeiten H H Schubert Volkspolitische Voraussetzungen der Deutschen Volksliste In Neues Bauerntum Band 33 1941 ZDB ID 500244 8 S 404 f x berg de Aufsatz zur Praxis der Germanisierung und den Kriterien ob man in Oberschlesien in Gr 3 nach einiger Zeit Deutscher wurde oder nicht ist instruktiv Heinz Brandt 1944 siehe Lit Brandt war auch Autor eines NS Propagandabuchs Oberschlesien Grossdeutschlands jungster Gau Junker amp Dunnhaupt Berlin 1942 Brandt nannte sich offiziell Gaupresseamtsleiter Norbert Haase Von Ons Jongen Malgre nous und anderen Das Schicksal der auslandischen Zwangsrekrutierten im Zweiten Weltkrieg PDF 475 5 kB Vortrag an der Universitat Strassburg 27 August 2011 Martin Broszat Nationalsozialistische Polenpolitik 1939 1945 Walter de Gruyter 2010 S 125 Ryszard Kaczmarek Polacy w Wehrmachcie Wydawnictwo Literackie Krakow 2010 ISBN 978 83 08 04488 9 S 412 Sylwia Bykowska The Rehabilitation and Ethnic Vetting of the Polish Population in the Voivodship of Gdansk after World War II Peter Lang Verlagsgruppe 2020 ISBN 978 3 631 67940 1 S 239 englisch Als SS Braut ungeeignet In Der Spiegel Nr 43 1989 online Der Tagesspiegel 2 Marz 1990 zitiert nach Nora Rathzel Gegenbilder Nationale Identitaten durch Konstruktion der Anderen Springer 2013 ISBN 978 3 663 10130 7 S 163 Georg Hansen Staatsburgerrecht als Instrument der Ausgrenzung In Norbert Wenning Martin Spetsmann Kunkel Susanne Winnerling Hrsg Strategien der Ausgrenzung Exkludierende Effekte staatlicher Politik und alltaglicher Praktiken in Bildung und Gesellschaft Waxmann Munster 2010 ISBN 978 3 8309 2416 6 S 93 114 hier S 98 f Weblinks BearbeitenVerordnung uber die Deutsche Volksliste und die deutsche Staatsangehorigkeit in den eingegliederten Ostgebieten vom 4 Marz 1941 RGBl I S 118 Joachim Rogall Die Deutschen in Polen Bundeszentrale fur politische Bildung 2005 Abgerufen von https de wikipedia org w index php title Deutsche Volksliste amp oldid 238501416