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Artikel 116 des Grundgesetzes fur die Bundesrepublik Deutschland regelt wer Deutscher im Sinne des Grundgesetzes ist Begriff des Burgers Er ist in zwei Absatze gegliedert Abweichend von diesem Verstandnis vertreten Rechtsextremisten und Rechtspopulisten einen ethnischen Volksbegriff Inhaltsverzeichnis 1 Wortlaut 2 Erlauterungen 2 1 Art 116 Abs 1 GG 2 2 Art 116 Abs 2 GG 2 2 1 Nichteheliche Abkommlinge von NS Verfolgten 2 2 2 Wiedereinburgerung NS Verfolgter nach einfachem Recht 3 Kritik 4 Neue Rechte und Rechtspopulismus 5 EinzelnachweiseWortlaut Bearbeiten 1 Deutscher im Sinne dieses Grundgesetzes ist vorbehaltlich anderweitiger gesetzlicher Regelung wer die deutsche Staatsangehorigkeit besitzt oder als Fluchtling oder Vertriebener deutscher Volkszugehorigkeit oder als dessen Ehegatte oder Abkommling in dem Gebiete des Deutschen Reiches nach dem Stande vom 31 Dezember 1937 Aufnahme gefunden hat 2 Fruhere deutsche Staatsangehorige denen zwischen dem 30 Januar 1933 und dem 8 Mai 1945 die Staatsangehorigkeit aus politischen rassischen oder religiosen Grunden entzogen worden ist und ihre Abkommlinge sind auf Antrag wieder einzuburgern Sie gelten als nicht ausgeburgert sofern sie nach dem 8 Mai 1945 ihren Wohnsitz in Deutschland genommen haben und nicht einen entgegengesetzten Willen zum Ausdruck gebracht haben Erlauterungen BearbeitenArt 116 Abs 1 GG Bearbeiten Eine Legaldefinition fur die Zugehorigkeit zum deutschen Volk gibt es nicht 1 Artikel 116 Abs 1 liefert erstmals in der Verfassungsgeschichte eine begriffliche Festlegung des Begriffs Deutscher 2 Deutscher ist demnach ein Oberbegriff und umfasst sowohl die deutschen Staatsangehorigen als auch die im Anschluss genannten Fluchtlinge und Vertriebenen deutscher Volkszugehorigkeit Mithin ist Staatsburger wer die deutsche Staatsangehorigkeit besitzt sowie die hiermit gleichgestellten Personen die insofern Trager von burgerlichen Rechten und Pflichten sind 3 Das Grundgesetz unterscheidet mit diesem Begriff des Burgers zwischen allen Menschen Art 1 5 GG den deutschen Staatsburgern und Unionsburgern der Europaischen Union 4 Die Definition Deutscher sei wer die deutsche Staatsangehorigkeit besitzt ist tautologisch 2 Neu ist der eigenstandige Rechtsbegriff des so genannten Statusdeutschen den die Verfasser des Grundgesetzes in Art 116 schufen Mit ihm wollten sie den Volksdeutschen weder die deutsche Staatsangehorigkeit umstandslos einraumen noch sie als Auslander behandeln Deutsche Staatsangehorige konnen keine Statusdeutschen sein Diese sind jenen allerdings rechtlich im Wesentlichen gleichgestellt insbesondere was die Ausubung der Grundrechte betrifft die das Grundgesetz Deutschen vorbehalt also etwa die Versammlungs und die Berufsfreiheit Dies hatte zum Hintergrund die Millionen von Deutschen die von den Bevolkerungsverschiebungen wahrend und nach dem Zweiten Weltkrieg betroffen waren 5 Mit dem Begriff der deutschen Volkszugehorigkeit stellten sich die Verfasser des Grundgesetzes in die Kontinuitat der deutschen Verfassungsgeschichte die auch mit der Fortgeltung des Reichs und Staatsangehorigkeitsgesetzes von 1913 betont wird Volk wird darin nicht staatsburgerlich sondern ethnisch kulturell konzipiert Gleichzeitig ubernahmen sie die historische Verantwortung fur die Verbrechen des NS Staats In den von der Wehrmacht eroberten Gebieten Osteuropas waren Menschen die die nationalsozialistischen Rassekriterien zu erfullen schienen ausgesondert worden um sie in die privilegierte Herrenschicht zu integrieren Nach der Befreiung dieser Gebiete durch die Rote Armee sahen sie sich der Rache der Mehrheitsbevolkerung der Entrechtung und Vertreibung ausgesetzt Fur sie ubernahm die Bundesrepublik nun die Verantwortung 2 Mit dem Angebot Volksdeutsche im Falle einer Einwanderung automatisch einzuburgern erhebt die Bundesrepublik einen besonderen Vertretungsanspruch hinsichtlich dieser Minderheiten in Osteuropa 6 Der Artikel steht im Abschnitt XI des Grundgesetzes der Ubergangs und Schlussbestimmungen enthalt Der Artikel war als Provisorium bis zu abschliessenden gesetzlichen Regelungen gedacht Sein Zweck war nach ubereinstimmender Rechtsprechung vertriebenen Volksdeutschen und ihren Familien einen Rechtsstatus zu verschaffen der ihre Integration in die Gesellschaft der Bundesrepublik erleichtern sollte Dieser Ubergangszustand wahrte mehr als funfzig Jahre Mit dem Gesetz zur Reform des Staatsangehorigkeitsrechts vom 15 Juli 1999 wurde allen Statusdeutschen mit Wirkung vom 1 August 1999 automatisch die deutsche Staatsangehorigkeit zuerkannt 7 Die deutsche Staatsangehorigkeit galt auch fur die Burger der DDR Deren Staatsburgerschaft mass die Bundesrepublik lediglich eine begrenzte Bedeutung und Rechtswirkung bei Das Bundesverfassungsgericht stellt nach dem Grundlagenvertrag mit dem die Regierung Brandt 1973 die DDR staatsrechtlich anerkannt hatte 1973 ausdrucklich fest dass die deutsche Staatsangehorigkeit auf die Art 116 Abs 1 GG Bezug nahm zugleich die Staatsangehorigkeit der Bundesrepublik Deutschland ist Daraus ergab sich die Verpflichtung jeden Burger der DDR der in den Schutzbereich der Bundesrepublik und ihrer Verfassung gerat gem Art 116 Abs 1 und 16 GG als Deutschen wie jeden Burger der Bundesrepublik zu behandeln DDR Burger galten demnach in der Bundesrepublik als Inlander Hierin sah die DDR einen Eingriff in ihre inneren Angelegenheiten und in ihr volkerrechtlich garantiertes Selbstbestimmungsrecht Die Anerkennung einer eigenen Staatsburgerschaft der DDR war eine der Geraer Forderungen Erich Honeckers vom 13 Oktober 1980 Zwar kamen danach Stimmen auf die sich fur die Anerkennung der DDR Staatsburgerschaft aussprachen so zum Beispiel vom saarlandischen Ministerprasidenten Oskar Lafontaine doch war dies in einer Formulierung des Staatsrechtlers Burkhardt Ziemske nur eine Gespensterdiskussion 8 Art 116 Abs 2 GG Bearbeiten Nach seinem Sinn und Zweck dient Absatz 2 der Wiedergutmachung nationalsozialistischen Unrechts im Bereich des Staatsangehorigkeitsrechts 9 Die Ausburgerung von judischen Staatsburgern nach dem Gesetz uber den Widerruf von Einburgerungen und die Aberkennung der deutschen Staatsangehorigkeit vom 14 Juli 1933 10 bleibt ein historisches Geschehen das als solches nicht nachtraglich beseitigt werden kann Art 116 Abs 2 GG will aber das Unrecht das den ausgeburgerten Verfolgten angetan worden ist im Rahmen des Moglichen ausgleichen 11 Fruhere deutsche Staatsangehorige denen zwischen dem 30 Januar 1933 und dem 8 Mai 1945 die Staatsangehorigkeit aus politischen rassischen oder religiosen Grunden entzogen worden war und ihre Abkommlinge sind auf Antrag wieder einzuburgern Art 116 Abs 2 Satz 1 GG Ihnen wird ein Rechtsanspruch auf Wiedereinburgerung Repatriierung zuerkannt so sie im Ausland leben Leben sie in Deutschland und haben keinen entgegengesetzten Willen zum Ausdruck gebracht gelten sie als nicht ausgeburgert 116 Abs 2 Satz 2 GG 12 Auch dies zeigt dass die Verfasser des Grundgesetzes Verantwortung fur das nationalsozialistische Unrecht ubernahmen 2 Nichteheliche Abkommlinge von NS Verfolgten Bearbeiten Nach Ansicht des Bundesverwaltungsgerichts standen die Rechte der Abkommlinge nur Kindern oder Enkeln eines Ausgeburgten zu die zu ihm in einem rechtlichen Verhaltnis standen an welches das deutsche Staatsangehorigkeitsrecht den Erwerb der deutschen Staatsangehorigkeit knupft 13 Nichteheliche Kinder deutscher Vater gehorten nicht dazu 14 15 Mit Beschluss vom 20 Mai 2020 ist das Bundesverfassungsgericht dieser Auffassung entgegengetreten 16 Diese Auslegung des Begriffs Abkommlinge trage der Bedeutung und Tragweite des Art 6 Abs 5 GG und des Art 3 Abs 2 GG nicht hinreichend Rechnung Der Wortlaut des Art 116 Abs 2 Satz 1 GG spreche von Abkommlingen ihm lasse sich eine Eingrenzung auf eheliche Abkommlinge nicht zwingend entnehmen Der Begriff Abkommlinge in Art 116 Abs 2 Satz 1 GG ist demnach weit auszulegen dabei die verfassungsrechtlichen Wertentscheidungen zugunsten nichtehelicher Kinder miteinzubeziehen und den Einburgerungsanspruch nicht solchen Abkommlingen vorzuenthalten die nach einem durch das Grundgesetz uberwundenen Rechtsverstandnis die deutsche Staatsangehorigkeit von ihrem Vater auch ohne dessen Ausburgerung nicht hatten erwerben konnen Nur eine Auslegung des Abkommlingsbegriffs die nichteheliche Kinder eines ausgeburgerten Vaters umfasst durfte zudem mit Art 8 und Art 14 EMRK vereinbar sein 17 Wiedereinburgerung NS Verfolgter nach einfachem Recht Bearbeiten Durch das Vierte Gesetz zur Anderung des Staatsangehorigkeitsgesetzes vom 12 August 2021 18 wurde in 15 StAG ein gesetzlicher Anspruch auf Wiedergutmachungseinburgerung fur Personen geschaffen die von nationalsozialistischen Verfolgungsmassnahmen betroffen waren aber keinen Anspruch auf Wiedererwerb der deutschen Staatsangehorigkeit nach der Wiedergutmachungsvorschrift des Art 116 Abs 2 GG haben weil sie nicht formlich ausgeburgert worden waren Diese Regelung betrifft Personen die nicht formlich ausgeburgert worden waren aber im Zusammenhang mit Verfolgungsmassnahmen aus den in Art 116 Abs 2 Satz 1 GG aufgefuhrten Grunden in der Zeit vom 30 Januar 1933 bis zum 8 Mai 1945 die deutsche Staatsangehorigkeit aufgegeben oder verloren hatten 19 oder nicht erwerben konnten 20 21 22 Kritik BearbeitenLaut dem Historiker Dieter Gosewinkel hatte die Staatsangehorigkeitskonzeption des Grundgesetzes wie sie sich in Art 116 zeigt einen provisorischen und ruckwartsgewandten Charakter vorausweisend oder neugestaltend war sie nicht Sie stellte sich in die historische Kontinuitat um die fragmentierte staatliche Gegenwart zu stabilisieren und die Folgelasten der Unrechtsvergangenheit zu bewaltigen 23 Neue Rechte und Rechtspopulismus BearbeitenOrganisationen die abweichend von Art 116 einen ethnisch abstammungsmassig definierten Volksbegriff vertreten und somit ethnischen Minderheiten die Zugehorigkeit zum deutschen Staatsvolk verwehren werden vom Bundesamt fur Verfassungsschutz als gesichert rechtsextremistisch gefuhrt da dies mit der in Art 1 des Grundgesetzes schrankenlos garantierten Menschenwurde unvereinbar ist Dies gilt fur das Institut fur Staatspolitik des neurechten Publizisten Gotz Kubitschek 24 Auch einzelne Politiker der AfD vertreten einen solchen Volksbegriff und wurdigen Menschen mit Migrationshintergrund pauschal herab Daher wurden mehrere Landesverbande der Partei vom Verfassungsschutz als Pruffall eingestuft der Landesverband Thuringen gilt als gesichert rechtsextremistisch 25 Einzelnachweise Bearbeiten Eckart Klein Der Status der deutschen Volkszugehorigen und die Minderheiten im Ausland In Josef Isensee und Paul Kirchhof Hrsg Handbuch des Staatsrechts der Bundesrepublik Deutschland Bd X Deutschland in der Staatengemeinschaft C F Muller Heidelberg 2012 S 229 Rn 7 a b c d Dieter Gosewinkel Einburgern und Ausschliessen Die Nationalisierung der Staatsangehorigkeit vom Deutschen Bund bis zur Bundesrepublik Deutschland 2 Auflage Vandenhoeck amp Ruprecht Gottingen 2003 S 422 Christof Gramm Stefan Ulrich Pieper Grundgesetz Burgerkommentar 3 Aufl Nomos Baden Baden 2015 S 30 Christof Gramm Stefan Ulrich Pieper Grundgesetz Burgerkommentar 3 Aufl 2015 S 31 Ingo von Munch Die deutsche Staatsangehorigkeit Vergangenheit Gegenwart Zukunft De Gruyter Recht Berlin 2007 ISBN 978 3 89949 433 4 S 109 113 Otto Dann Nation und Nationalismus in Deutschland 1770 1990 2 Auflage C H Beck Munchen 1994 S 326 Ingo von Munch Die deutsche Staatsangehorigkeit Vergangenheit Gegenwart Zukunft De Gruyter Recht Berlin 2007 S 113 Burkhardt Ziemske Die deutsche Staatsangehorigkeit nach dem Grundgesetz Duncker und Humblot Berlin 1995 ISBN 3 428 08409 8 S 98 101 Margit Roth Innerdeutsche Bestandsaufnahme der Bundesrepublik 1969 1989 Neue Deutung Springer VS Wiesbaden 2014 S 78 f hier die ersten beiden Zitate und 204 f Vgl BVerfGE 8 81 86 88 RGBl I S 480 Vgl BVerfGE 54 53 67 f Dieter Hesselberger unter Mitarbeit von Helmut Norenberg Das Grundgesetz Kommentar fur die politische Bildung 9 verbesserte Auflage Luchterhand Neuwied 1995 S 341 BVerwG Urteil vom 11 Januar 1994 BVerwGE 95 36 BVerwG Urteil vom 6 Dezember 1983 1 C 122 80 BVerwG Urteil vom 27 Marz 1990 BVerwGE 85 108 BVerfG Beschluss vom 20 Mai 2020 2 BvR 2628 18 Rz 56 BVerfG Beschluss vom 20 Mai 2020 2 BvR 2628 18 Rz 56 62 BGBl I S 3538 Vgl 11 Verordnung zum Reichsburgergesetz vom 25 November 1941 RGBl S 722 Entwurf eines Vierten Gesetzes zur Anderung des Staatsangehorigkeitsgesetzes Drucksache 19 28674 vom 19 April 2021 S 12 f 15 ff Im Rahmen der Wiedergutmachung wieder Deutsch werden Bundesverwaltungsamt abgerufen am 26 Juni 2022 Anne Beatrice Clasmann Einburgerung Grosses Interesse an Wiedergutmachung Judische Allgemeine 23 Februar 2022 Dieter Gosewinkel Einburgern und Ausschliessen Die Nationalisierung der Staatsangehorigkeit vom Deutschen Bund bis zur Bundesrepublik Deutschland 2 Auflage Vandenhoeck amp Ruprecht Gottingen 2003 S 422 f Verfassungsschutzbericht 2022 S 78 Zugriff am 23 August 2023 Susanne Rippl Christian Seipel Rechtspopulismus und Rechtsextremismus Erscheinung Erklarung empirische Ergebnisse Kohlhammer Stuttgart 2022 ISBN 978 3 17 038789 8 S 73 Bitte den Hinweis zu Rechtsthemen beachten Abgerufen von https de wikipedia org w index php title Artikel 116 des Grundgesetzes fur die Bundesrepublik Deutschland amp oldid 236715293