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Charles Marie Joseph Desire De Visscher 2 August 1884 in Gent 2 Januar 1973 in Woluwe Saint Pierre war ein belgischer Jurist Nach fruhen Arbeiten im Zivil Sozial und Arbeitsrecht wandte er sich unter dem Eindruck des Ersten Weltkrieges dem Volkerrecht zu und nahm in diesem Bereich im Laufe seiner Karriere eine Reihe von hochrangigen Positionen und Amtern ein So wirkte er als Juraprofessor an den Universitaten in Gent und Lowen sowie als Gastdozent an der University of Chicago und der Haager Akademie fur Volkerrecht deren Kuratorium er ab 1932 angehorte Daruber hinaus war er Generalsekretar und Prasident des Institut de Droit international Institut fur Volkerrecht ab 1923 Mitglied des Standigen Schiedshofs in Den Haag sowie von 1937 bis 1946 Richter am Standigen Internationalen Gerichtshof und von 1946 bis 1952 an dessen Nachfolgeinstitution dem Internationalen Gerichtshof IGH Damit war er einer von zwei Richtern die an beiden Gerichten tatig waren sowie der bisher einzige Richter aus Belgien in der Geschichte des IGH Charles De VisscherDas volkerrechtliche Wirken von Charles De Visscher war damit sowohl durch akademische als auch durch praxisorientierte Aktivitaten gepragt Er veroffentlichte eine Vielzahl an Beitragen in verschiedenen Bereichen des internationalen Rechts darunter einige inhaltlich bedeutsame Arbeiten zu neuen Aspekten wie beispielsweise in den 1930er Jahren zum Schutz von Kulturgut bei bewaffneten Konflikten und nach dem Zweiten Weltkrieg zum Konzept der Menschenrechte Sein Hauptwerk das 1953 veroffentlichte Buch Theories et realites en droit international public Theorie und Wirklichkeit des Volkerrechts wurde im selben Jahr zur herausragendsten Neuerscheinung im Bereich des Volkerrechts gewahlt und galt bereits wenige Jahre spater als Klassiker Aufgrund seines Wirkens zahlte Charles De Visscher in der ersten Halfte des 20 Jahrhunderts sowohl in Belgien als auch international zu den wichtigsten Juristen im Bereich des Volkerrechts Er wurde 1954 zum funften und bisher letzten Ehrenprasidenten in der Geschichte des Institut de Droit international ernannt und war daruber hinaus Ehrenmitglied der Amerikanischen Gesellschaft fur internationales Recht sowie Mitglied der nationalen Akademien Belgiens der Niederlande Spaniens und des Institut de France Inhaltsverzeichnis 1 Leben 1 1 Ausbildung und fruhe Arbeiten 1 2 Wirken am Standigen Internationalen Gerichtshof 1 3 Der Internationale Gerichtshof und spatere Arbeiten 2 Wirken 2 1 Rechtsphilosophische und politische Ansichten 2 2 Lebenswerk 3 Auszeichnungen und Wurdigung 4 Werke Auswahl 5 Literatur 6 Weiterfuhrende Veroffentlichungen 7 Weblinks 8 EinzelnachweiseLeben BearbeitenAusbildung und fruhe Arbeiten Bearbeiten Charles De Visscher wurde 1884 in Gent als der altere von zwei Brudern geboren Sowohl seine Mutter als auch seinen Vater Charles De Visscher um 1852 4 Juli 1896 1 der als Arzt und Professor fur Rechtsmedizin an der Universitat Gent wirkte und als Autoritat auf dem Gebiete der Chirurgie galt verlor er bereits in jungen Jahren Er studierte Rechtswissenschaften an der Universitat seiner Heimatstadt sowie in Paris und beendete das Studium am 8 Oktober 1907 mit dem Doktorat Docteur en Droit Nach seiner Zulassung als Anwalt beschaftigte er sich zunachst vorrangig mit dem Zivilrecht das zur damaligen Zeit als fuhrende Rechtsdisziplin galt und veroffentlichte in den Jahren 1909 und 1910 seine ersten beiden juristischen Abhandlungen Parallel dazu schloss er im Februar 1909 ein Studium der Politikwissenschaft ab Im Jahr 1910 heiratete er Helene Mertens aus der Ehe gingen acht Kinder hervor Unmittelbar vor Beginn des Ersten Weltkriegs wandte sich Charles De Visscher dem Sozialrecht zu das zu dieser Zeit als neue eigenstandige Rechtsdisziplin entstand Er ging nach Paris und veroffentlichte hier 1911 unter dem Titel Le contrat collectif de travail eine Abhandlung zum Konzept von Tarifvertragen im Arbeitsrecht In dieser Schrift sah er das organisierte Auftreten der Arbeitnehmer als einen wichtigen Schritt zur Gleichberechtigung gegenuber den Arbeitgebern an und betrachtete den Abschluss von Tarifvertragen als einen wichtigen Teil dieser Organisation 1911 ubernahm er von Alberic Rolin dem Bruder von Gustave Rolin Jaequemyns dessen Lehraufgaben an der Universitat Gent in den Bereichen Strafrecht und Strafprozessrecht und nach der Emeritierung von Rolin im Jahr 1913 den Bereich des internationalen Privatrechts Im selben Jahr folgte seine erste Veroffentlichung im Bereich des Volkerrechts Mit dem Beginn des Ersten Weltkrieges zog sich Charles De Visscher 1914 zunachst nach Antwerpen und kurze Zeit spater nach Oxford in England zuruck Es gilt als sicher dass der Krieg sein juristisches Interesse endgultig in Richtung des Volkerrechts pragte siehe Francois Rigaux 2000 und Joe Verhoeven 2000 Er veroffentlichte in England mehrere Artikel in englisch und franzosischsprachigen Rechtszeitschriften in denen er sich mit dem Bruch des Volkerrechts beschaftigte dem das neutrale Belgien durch die deutsche Besetzung ausgesetzt war Daruber hinaus schrieb er 1916 zu dieser Thematik zwei Bucher Belgium s Case A Juridical Enquiry und La Belgique et les juristes allemands 1917 in deutscher Ubersetzung unter dem Titel Belgien und die deutschen Rechtsgelehrten Nach dem Ende des Krieges wurde er 1919 Rechtsberater des belgischen Aussenministeriums und war in dieser Funktion an den Verhandlungen beteiligt die 1920 zur Grundung des Volkerbundes fuhrten Im Jahr 1924 wurde er Dekan der juristischen Fakultat der Universitat Gent Ab 1920 war er daruber hinaus Mitherausgeber der Zeitschrift Revue de droit international et de legislation comparee in der er bis zu ihrer Einstellung aufgrund des Zweiten Weltkrieges eine Vielzahl an Artikeln veroffentlichte Ein Jahr spater wurde er zum Associate sowie 1927 zum Mitglied und Generalsekretar des Institut de Droit international Institut fur Volkerrecht ernannt Daruber hinaus gehorte er ab 1923 dem Standigen Schiedshof in Den Haag an Wirken am Standigen Internationalen Gerichtshof Bearbeiten nbsp Der Friedenspalast in Den Haag Sitz des Standigen Internationalen Gerichtshofs und der Akademie fur VolkerrechtIm selben Jahr trat Charles De Visscher als Rechtsberater der rumanischen Regierung erstmals vor dem Standigen Internationalen Gerichtshof auf In dem Fall der als European Commission of the Danube Case in den Annalen des Gerichts verzeichnet ist ging es um die Kompetenzen der 1856 gegrundeten Europaischen Donaukommission Deren Zustandigkeit war durch verschiedene Abkommen an deren Zustandekommen Rumanien nicht beteiligt gewesen war auf den auf rumanischem Territorium liegenden Donau Abschnitt zwischen Galați und Brăila ausgeweitet worden Der Fall in dem Charles De Visscher unter anderem die Gleichheit der Staaten sowie die staatliche Souveranitat als Argumente fur die rumanische Position anfuhrte wurde vom Gericht allerdings zuungunsten Rumaniens entschieden In einem ahnlichen Fall International Commission of the Oder Case um die Zustandigkeiten der Internationalen Oder Kommission fur Abschnitte der Oder die ausschliesslich auf dem Staatsgebiet Polens lagen hatte er 1929 als Vertreter der polnischen Regierung ebenfalls keinen Erfolg In den Jahren 1931 und 1932 vertrat er erneut die Interessen Polens bei der Erstellung von zwei Gutachten des Gerichtshofs Einer dieser Falle betraf das Recht Polens mit seinen Kriegsschiffen unter bestimmten Bedingungen den Hafen der Freien Stadt Danzig anzulaufen Polish Warships in Danzig Case der andere die Behandlung polnischer Staatsburger in Danzig Treatment of Polish Nationals in Danzig Case Die Entscheidungen des Gerichts fielen in beiden Fallen jedoch zuungunsten der polnischen Position aus Sein letzter Fall vor dem Standigen Internationalen Gerichtshof betraf 1933 den Rechtsstatus des ostlichen Teils von Gronland The Legal Status of Eastern Greenland Case Dieser war zwischen Norwegen und Danemark umstritten nachdem Danemark seit 1921 die Oberhoheit uber Gronland beanspruchte und Norwegen ab 1931 mit einer teilweisen Besetzung von Ostgronland begonnen hatte Charles De Visscher gelang es in diesem Fall die danische Position erfolgreich zu vertreten 1931 wechselte Charles De Visscher an die Katholische Universitat Lowen da die Universitat Gent ein Jahr zuvor die niederlandische Sprache angenommen hatte Sechs Jahre spater gab er das Amt des Generalsekretars des Institut de Droit international ab ihm folgte sein Bruder Fernand der bis 1950 fungierte Beeinflusst durch die archaologischen Interessen seines Bruders und dessen rechtshistorisches Wirken im Bereich des romischen Rechts veroffentlichte er 1935 unter dem Titel La protection internationale des objets d art et des monuments historiques eine Abhandlung zum volkerrechtlichen Schutz von Kulturgutern Im selben Jahr kam es durch die Unterzeichnung des Roerich Paktes erstmals zum Abschluss eines volkerrechtlichen Vertrages in diesem Rechtsbereich Charles De Visscher ubernahm in der Folgezeit den Vorsitz eines Expertenkomitees das einen Entwurf fur eine umfassende Konvention zum Kulturgutschutz ausarbeitete der im September 1938 in Amsterdam vom Internationalen Museumsamt des Volkerbundes angenommen wurde und als Vorlaufer der 1954 abgeschlossenen Haager Konvention zum Schutz von Kulturgut bei bewaffneten Konflikten gilt Im Mai 1937 wurde Charles De Visscher in Nachfolge von Edouard Rolin Jaequemyns zum Richter am Standigen Internationalen Gerichtshof gewahlt Er wirkte in dieser Position bis zum Januar 1946 auch wenn die Aktivitaten des Gerichts im Februar 1940 infolge des Kriegsbeginns zum Erliegen kamen und 1942 eingestellt wurden und war in dieser Zeit an sieben Entscheidungen des Gerichts beteiligt Gegenstand dieser Falle waren ein Streit zwischen den Niederlanden und Belgien uber die Abzweigung von Wasser aus der Maas durch den Bau des Albert Kanals in Belgien The Diversion of Water from the Meuse Case eine Auseinandersetzung zwischen Frankreich und Griechenland bezuglich der Errichtung von Leuchtturmen auf den Inseln Kreta und Samos Lighthouses in Crete and Samos Case und der Vorwurf Belgiens gegenuber den spanischen Ermittlungsbehorden bei den Untersuchungen zur Ermordung des belgischen Barons Jacques de Borchgrave in Spanien nicht mit der notwendigen Sorgfalt vorzugehen The Borchgrave Case Weitere Entscheidungen betrafen Differenzen zwischen Frankreich und Italien um Forderrechte fur Phosphate in Marokko Phosphates in Morocco Case einen Streit zwischen Estland und Litauen um die Eigentums und Nutzungsrechte an einer Eisenbahnlinie The Panevezys Saldutiskis Railway Case eine Auseinandersetzung zwischen Belgien und Griechenland um Zahlungen Griechenlands an eine belgische Baufirma The Societe Commerciale De Belgique Case und eine Regelung zwischen Bulgarien und Belgien zur Lieferung von Kohle durch Bulgarien an ein belgisches Unternehmen das fur die Stromerzeugung fur die bulgarische Hauptstadt Sofia verantwortlich war The Electricity Company of Sofia and Bulgaria Case Wahrend des Zweiten Weltkrieges gehorte Charles De Visscher in Belgien als Vorsitzender einem aus sechs Mitgliedern bestehenden und verdeckt arbeitenden politischen Komitee an das in standigem Kontakt zur belgischen Regierung im Exil in London stand und in offizieller Funktion als Korrespondent der Regierung fungierte Am 6 Mai 1940 wurde er zum Vollmitglied der Belgischen Koniglichen Akademie der Wissenschaften und der Kunste gewahlt Nur vier Tage spater fiel sein altester Sohn Jacques der wie sein Vater Anwalt geworden war im Krieg Der Internationale Gerichtshof und spatere Arbeiten Bearbeiten Am 26 September 1944 wurde Charles De Visscher zum Minister ohne Geschaftsbereich in der ersten belgischen Regierung nach der Befreiung des Landes ernannt Nach dem Ende des Krieges war er Mitglied der belgischen Delegation zur Konferenz in San Francisco auf der 1945 die Charta der Vereinten Nationen ausgearbeitet wurde Am 6 Februar 1946 wurde er mit absoluter Mehrheit fur sechs Jahre zum Richter am Internationalen Gerichtshof gewahlt 2 3 Neben Jose Gustavo Guerrero aus El Salvador war er dabei der einzige Richter am neu entstandenen Gericht der bereits an dessen Vorgangerinstitution dem Standigen Internationalen Gerichtshof tatig gewesen war Wahrend seiner Zeit am Internationalen Gerichtshof war er an acht Entscheidungen und sechs Gutachten beteiligt In diesen Fallen ging es unter anderem um zwei Gutachten zur Regelung der Aufnahme von Staaten in die 1945 gegrundeten Vereinten Nationen UN um Entschadigungszahlungen Albaniens an Grossbritannien fur die Beschadigung von zwei britischen Zerstorern und den Tod von 44 britischen Marinesoldaten durch Seeminen in albanischen Hoheitsgewassern Corfu Channel Case sowie um ein Gutachten zur Zulassigkeit von Anspruchen der UN gegenuber nationalen Regierungen bezuglich der Verletzung von UN Mitarbeitern im Dienst Weitere Falle hatten beispielsweise einen Streit zwischen Grossbritannien und Norwegen um Fischereirechte Fisheries United Kingdom v Norway Case sowie die Klarung des internationalen Status von Sudwestafrika zum Inhalt Daruber hinaus wirkte Charles De Visscher in verschiedenen Komitees des Gerichts mit die unter anderem fur Verfahrensregeln und andere spezielle Fragestellungen zustandig waren Zu den Grunden warum er am 6 Dezember 1951 trotz seiner Reputation uberraschenderweise nicht fur eine weitere Amtszeit ab 1952 wiedergewahlt wurde ist nichts bekannt Es gilt jedoch als wahrscheinlich dass vorrangig politische Uberlegungen ausschlaggebend waren so beispielsweise die Aufteilung der Stimmen der europaischen Lander durch einen weiteren Kandidaten den Norweger Helge Klaestad sowie die Unterstutzung der USA fur einen Kandidaten aus Lateinamerika siehe Philippe Couvreur 2000 Im Jahr 1947 war Charles De Visscher zusammen mit dem ehemaligen belgischen Premierminister Paul van Zeeland dem Brusseler Juraprofessor Henri Rolin sowie anderen Juristen und Diplomaten an der Grundung des Institut royal des relations internationales Konigliches Institut fur internationale Beziehungen IRRI beteiligt einer unabhangigen Denkfabrik mit Sitz in Brussel fur Forschung und Informationsaustausch im Bereich der internationalen Beziehungen Im selben Jahr ubernahm er das Amt des Prasidenten des Institut de Droit international 1953 erschien das Buch Theories et realites en droit international public Theorie und Wirklichkeit des Volkerrechts das im Allgemeinen als Hauptwerk von Charles De Visscher gilt Die Amerikanische Gesellschaft fur internationales Recht wahlte es im Jahr seines Erscheinens einstimmig zur herausragendsten Veroffentlichung im Bereich des Volkerrechts siehe Josef L Kunz 1957 und bereits wenige Jahre spater galt es als Klassiker siehe Roger Pinto 1957 Weitere franzosischsprachige Auflagen erschienen 1955 1960 und 1970 daruber wurden auch englische und spanische Ausgaben veroffentlicht Im Alter von 70 Jahren zog sich Charles De Visscher 1954 von seinen akademischen Verpflichtungen zuruck und wurde zum funften Ehrenprasidenten in der Geschichte des Institut de Droit international gewahlt Er wirkte in den folgenden Jahren noch mehrfach als Vermittler in internationalen Streitfallen und veroffentlichte Schriften zu verschiedenen Aspekten des internationalen Rechts Am 2 August 1958 starb seine Frau Helene Er selbst starb 15 Jahre spater im Alter von 88 Jahren Sein Sohn Paul De Visscher folgte den Interessen des Vaters und wurde Professor fur offentliches und internationales Recht an der Katholischen Universitat Lowen sowie von 1969 bis 1981 Generalsekretar des Institut de Droit international Auch dessen Tochter Francoise Leurquin De Visscher wirkte als Juraprofessorin in Lowen Wirken BearbeitenRechtsphilosophische und politische Ansichten Bearbeiten nbsp Max Huber ein Freund von Charles De Visscher dessen Ansichten und Schriften ihn mit beeinflusstenDie Sichtweise von Charles De Visscher lassen sich nicht eindeutig einer bestimmten Rechtsphilosophie zuordnen Er lehnte naturrechtliche Verallgemeinerungen ebenso ab wie starre rechtspositivistische Zwange und betonte die Notwendigkeit einer moralischen und sozialen Basis des Rechts Fur besonders relevant im Volkerrecht hielt er die wechselseitigen Beziehungen zwischen Recht und Politik sowie die als Ius gentium Volkergemeinrecht bezeichneten gemeinsamen Rechtsnormen aller Volker Als Grundlage sowohl der menschlichen Gesellschaft als auch des Rechts betrachtete er das individuelle Gewissen Er gab praktischen Erwagungen den Vorzug vor theoretischen Formalismen und bewertete das Recht aus einer utilitaristischen Sichtweise an seinem Nutzen Als Realist hinsichtlich der Moglichkeiten und Grenzen des Volkerrechts sah er es vor allem als Werkzeug der internationalen Politik und als Mittel zur Forderung gemeinsamer Werte sowie zur Durchsetzung von grundsatzlichen Prinzipien die er in seinen Veroffentlichungen als human ends of power menschliche Ziele der Macht bezeichnete Zu diesen human ends die er gleichsam als Fundament des Volkerrechts und als Voraussetzung zum Erreichen einer dauerhaften Friedensordnung betrachtete zahlten fur ihn vor allem grundlegende Menschenrechte und das Gebot der Menschlichkeit Dabei sprach er sich gegen eine unreflektierte und nicht am jeweiligen Einzelfall gemessene Anwendung feststehender Regeln auch in den Bereichen des Volkerrechts aus in denen positive Rechtsnormen und entsprechende Institutionen zu ihrer Durchsetzung existieren Seine weltanschaulichen Prinzipien beruhten insbesondere auf der durch den franzosischen Philosophen Emmanuel Mounier gepragten Denkrichtung des Personalismus In seinen Schriften nannte er selten andere Juristen deren Haltung ihn gepragt hatten Zu den wenigen Rechtswissenschaftlern deren Arbeiten Auswirkungen auf Charles De Visscher hatten und von denen er einige Ideen ubernahm zahlten die Osterreicher Hersch Lauterpacht Alfred Verdross Drossberg und Hans Kelsen auch wenn er Kelsen in wesentlichen Fragen nicht zustimmte und insbesondere dessen rechtspositivistische Positionen kritisierte Auch der Schweizer Max Huber Prasident des Internationalen Komitees vom Roten Kreuz von 1928 bis 1944 beeinflusste ihn in seinen Ansichten Er widmete Huber mit dem er befreundet war die vierte Auflage seines Buches Theories et realites en droit international public das zum Teil unter dem Eindruck von Hubers Werk Die soziologischen Grundlagen des Volkerrechts entstanden war Zu den Juristen die Charles De Visscher mit seinen Ansichten beeinflusste zahlten unter anderem Wolfgang Friedmann der von 1955 bis zu seinem Tod Professor an der Juristischen Fakultat der Columbia University war der Franzose Michel Virally der an den Universitaten Strassburg und Genf wirkte sowie Rene Jean Dupuy der am College de France tatig war siehe Pierre Marie Dupuy 2000 Lebenswerk Bearbeiten Das Lebenswerk von Charles De Visscher gliedert sich in verschiedene zeitliche und berufliche Abschnitte Fruhen Arbeiten im Zivil Sozial und Arbeitsrecht folgte eine lange Karriere im Bereich des Volkerrechts zu dem er sowohl eine akademische als auch durch sein jahrzehntelanges Wirken als Anwalt und als Richter am Internationalen Gerichtshof in Den Haag eine praxisorientierte Perspektive einnahm Seine Lehrtatigkeit umfasste neben dem Wirken an den Universitaten in Gent und Lowen auch Kurse an der University of Chicago und in den Jahren 1923 1925 1929 1935 und 1954 an der Haager Akademie fur Volkerrecht deren Kuratorium er ab 1932 angehorte In den rund 15 Jahren seines Lebens die er als Richter am Standigen Internationalen Gerichtshof sowie dessen Nachfolgeinstitution verbrachte sah er von Veroffentlichungen weitestgehend ab da er es aufgrund des Gebots der richterlichen Neutralitat als nicht angemessen empfand sich ausserhalb der Gerichtsentscheidungen zu volkerrechtlichen Fragestellungen zu aussern Auch auf die durch die Statuten beider Institutionen gebotene Moglichkeit individuelle oder abweichende Stellungnahmen in den Entscheidungen zu formulieren verzichtete er wie die meisten anderen Richter aus kontinentaleuropaischen Landern weitestgehend und machte davon im Laufe seiner Karriere nur zweimal Gebrauch Nach dem Ende seiner Tatigkeit als Richter veroffentlichte Charles De Visscher sein Hauptwerk Theories et realites en droit international public In diesem Buch das in vier Teile gegliedert war setzte er sich entsprechend seinen rechtsphilosophischen Ansichten vor allem mit dem Wechselspiel aus Macht und Recht im Bereich der internationalen Beziehungen auseinander Er betrachtete dabei unter anderem die entsprechende historische Entwicklung von der Entstehung moderner Staaten bis zum Beginn des Zweiten Weltkrieges erster Teil allgemeine Beziehungen im Verhaltnis aus Macht und Recht zweiter Teil sowie die sich daraus zum Teil ergebenden Spannungen dritter Teil Im vierten Teil widmete er sich der Rolle des Rechts bei der friedlichen Beilegung internationaler Konflikte Die ersten beiden Teile des Buches die in den vier Auflagen nahezu unverandert blieben stellten dabei im Wesentlichen De Visschers personliche Sichtweise dar Er beschrieb darin vor allem wie das Volkerrecht seiner Ansicht nach beschaffen sein konnte und sollte Den tatsachlichen Status des Volkerrechts sowie dessen Moglichkeiten stellte er insbesondere im dritten und vierten Teil dar deren inhaltliche Gewichtung zum Teil durch sein eigenes Wirken gepragt war Der dritte Teil des Buches unterlag dabei durch Anpassungen an neuere Entwicklungen den umfangreichsten Anderungen zwischen den verschiedenen Ausgaben Die akademischen Interessen von Charles De Visscher in Bezug auf das internationale Recht waren vielfaltig und teilweise gekennzeichnet durch zeitlich befristete aber inhaltlich bedeutsame Arbeiten zu neuen oder speziellen Aspekten Dies galt beispielsweise fur sein Wirken zum Kulturgutschutz im Falle eines Krieges in den 1930er Jahren sowie seine Arbeiten zum Konzept der Menschenrechte kurz nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges die unter anderem die Grundlage waren fur eine entsprechende Resolution des Institut de Droit international Weitere Themen mit denen er sich beschaftigte waren zum Beispiel die volkerrechtliche Behandlung der Rechtsverweigerung das Prinzip der Nationalitat und der Schutz von Minderheiten die juristische Position von auslandischen Staatsangehorigen im Rahmen der nationalen Rechtsprechung eines Landes sowie verfahrensrechtliche Aspekte im Volkerrecht Seine Schrift Le deni de justice en droit international aus dem Jahr 1935 zur Rechtsverweigerung im internationalen Recht gilt bis in die jungere Zeit als herausragendste franzosischsprachige Veroffentlichung zu diesem Thema siehe Jan Paulsson 2005 Ein Teil seiner relevanten Veroffentlichungen erschien erst nach seiner Emeritierung im Jahr 1954 wie beispielsweise einige in den 1960er Jahren publizierte Arbeiten zur Zusammenfassung des Standes und zukunftiger Entwicklungen des Rechts in verschiedenen Bereichen Auszeichnungen und Wurdigung BearbeitenZu den Auszeichnungen und Anerkennungen die Charles De Visscher fur sein Wirken erhielt zahlten unter anderem Ehrendoktorate der Universitaten Paris Nancy Montpellier Poitiers und Wien sowie die 1947 verliehene Ehrenmitgliedschaft der Amerikanischen Gesellschaft fur internationales Recht ASIL Daruber hinaus wurde er als Mitglied in verschiedene wissenschaftliche Akademien aufgenommen so in die Academie royale des Sciences des Lettres et des Beaux Arts de Belgique Konigliche Akademie der Wissenschaften und Schonen Kunste von Belgien die Koniglich Niederlandische Akademie der Wissenschaften Koninklijke Nederlandse Akademie van Wetenschappen die spanische Real Academia de Ciencias Morales y Politicas sowie das Institut de France Zu den ihm verliehenen Preisen gehorten zum Beispiel 1955 das ASIL Certificate of Merit Verdiensturkunde fur sein Buch Theories et realites en droit international public sowie 1966 die Manley O Hudson Medaille die hochste Auszeichnung der Amerikanischen Gesellschaft fur internationales Recht Das 1963 gegrundete Zentrum fur internationales Recht an der Universite catholique de Louvain wurde noch im Jahr seines Todes nach Charles De Visscher benannt heute ist es unter der Bezeichnung Departement de droit international Charles De Visscher Charles De Visscher Abteilung fur internationales Recht Teil der juristischen Fakultat Werke Auswahl BearbeitenBelgium s Case A Juridical Enquiry Hodder and Stoughton London 1916 La Belgique et les juristes allemands Payot Paris 1916 The Stabilization of Europe The University of Chicago Press Chicago 1924 La protection internationale des objets d art et des monuments historiques In Revue de droit international et de legislation comparee 16 1935 S 32 74 und 246 288 Le deni de justice en droit international In Recueil des cours 52 1935 S 365 442 Human Rights in Roman Law Countries In Annals of the American Academy of Political and Social Science 243 1946 S 53 59 The Fundamental Rights of Man Basis of a Restoration of International Law In Annuaire de l Institut de Droit International 41 1947 S 1 13 Theories et realites en droit international public Editions A Pedone Paris 1953 Problemes d interpretation judiciaire en droit international public Editions A Pedone Paris 1963 Aspects recents du droit procedural de la Cour internationale de Justice Editions A Pedone Paris 1966 Les effectivites en droit international public Editions A Pedone Paris 1967Literatur BearbeitenGrundlage dieses Artikels sind insbesondere vier Veroffentlichungen im European Journal of International Law die verschiedene Aspekte des Lebens von Charles De Visscher darstellen Die Informationen wurden dabei insbesondere der Arbeit von Francois Rigaux entnommen wahrend die Publikation von Philippe Couvreur vor allem das Wirken von Charles De Visscher am Standigen Internationalen Gerichtshof und am Internationalen Gerichtshof detailliert beschreibt Des Weiteren wurde die im 1937 erschienenen 13 Jahresbericht des Standigen Internationalen Gerichtshofs veroffentlichte Biographie zum Abgleich verwendet Francois Rigaux An Exemplary Lawyer s Life 1884 1973 In European Journal of International Law 11 4 2000 Oxford University Press amp European Society of International Law S 877 886 ISSN 0938 5428 Philippe Couvreur Charles De Visscher and International Justice In European Journal of International Law 11 4 2000 Oxford University Press amp European Society of International Law S 905 938 ISSN 0938 5428 Biographical Notes concerning Members of the Court M Ch De Visscher Member of the Court In Thirteenth Annual Report of the Permanent Court of International Justice A W Sijthoff s Publishing Leiden 1937 S 26Das Lebenswerk von Charles De Visscher und seine rechtsphilosophischen Positionen sind schwerpunktmassig in zwei weiteren Publikationen umfassend dargestellt Dabei basieren die im Artikel enthaltenen Inhaltsangaben zu seinem Hauptwerk auf der Veroffentlichung von Joe Verhoeven und die Informationen zum Verhaltnis seines Wirkens zu anderen Juristen auf der Arbeit von Pierre Marie Dupuy Joe Verhoeven Charles De Visscher Living and Thinking International Law In European Journal of International Law 11 4 2000 Oxford University Press amp European Society of International Law S 887 904 ISSN 0938 5428 Pierre Marie Dupuy The European Tradition in International Law Charles De Visscher By Way of an Introduction In European Journal of International Law 11 4 2000 Oxford University Press amp European Society of International Law S 871 875 ISSN 0938 5428Erganzende Angaben zu Rezeption und Nachwirkungen seiner Werke wurden den folgenden weiteren Veroffentlichungen entnommen Josef L Kunz Theory and Reality in Public International Law By Charles De Visscher Translated by P E Corbett Buchrezension in Harvard Law Review 70 7 1957 The Harvard Law Review Association ISSN 0017 811X S 1331 1336 Roger Pinto Theory and Reality in Public International Law By Charles De Visscher Translated from the French by P E Corbett Buchrezension in University of Pennsylvania Law Review 106 2 1957 The University of Pennsylvania Law Review ISSN 0041 9907 S 321 325 Jan Paulsson Denial of Justice in International Law Cambridge University Press Cambridge 2005 ISBN 0 521 85118 1 S 3Weiterfuhrende Veroffentlichungen BearbeitenManfred Lachs The Teacher in International Law Teachings and Teaching Martinus Nijhoff Publishers Den Haag 1982 ISBN 90 247 2566 6 S 111 112 Sally Marks De Visscher Charles In Warren F Kuehl Hrsg Biographical Dictionary of Internationalists Greenwood Press Westport 1983 ISBN 0 313 22129 4 S 207 208 Charles De Visscher In Arthur Eyffinger Arthur Witteveen Mohammed Bedjaoui La Cour internationale de Justice 1946 1996 Martinus Nijhoff Publishers Den Haag und London 1999 ISBN 90 411 0468 2 S 333Weblinks BearbeitenLiteratur von und uber Charles De Visscher im Katalog der Deutschen Nationalbibliothek Departement de droit international Charles de Visscher nach Charles de Visscher benannte Abteilung fur internationales Recht der Universite catholique de Louvain franzosisch Societe francaise pour le droit international Charles De Visscher 1884 1973 franzosisch mit Bild Einzelnachweise Bearbeiten Charles De Visscher In Ostdeutsche Rundschau Wiener Wochenschrift fur Politik Volkswirthschaft Kunst und Literatur Ostdeutsche Rundschau Deutsches Tagblatt 9 Juli 1896 S 7 online bei ANNO Vorlage ANNO Wartung odr Die Wahl der Richter fur den Internationalen Gerichtshof In Weltpresse Unabhangige Nachrichten und Stimmen aus aller Welt Weltpresse 7 Februar 1946 S 2 online bei ANNO Vorlage ANNO Wartung dwp Die Mitglieder und Funktionare der UNO In Berichte und Informationen des Osterreichischen Forschungsinstituts fur Wirtschaft und Politik 3 Mai 1946 S 9 online bei ANNO Vorlage ANNO Wartung bif Normdaten Person GND 122460855 lobid OGND AKS LCCN n84173139 NDL 01105968 VIAF 49293095 Wikipedia Personensuche PersonendatenNAME De Visscher CharlesALTERNATIVNAMEN Visscher Charles Marie Joseph Desire De vollstandiger Name KURZBESCHREIBUNG belgischer Jurist und Experte im Bereich des VolkerrechtsGEBURTSDATUM 2 August 1884GEBURTSORT GentSTERBEDATUM 2 Januar 1973STERBEORT Woluwe Saint Pierre nbsp Dieser Artikel wurde am 30 November 2007 in dieser Version in die Liste der exzellenten Artikel aufgenommen Abgerufen von https de wikipedia org w index php title Charles De Visscher amp oldid 237817140