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Abstand und Ausbau sind Begriffe der Sprachwissenschaft genauer der Dialektologie die zur Charakterisierung sprachlicher Varietaten verwendet werden Eine Abstandsprache ist eine parallel zur Standardsprache verwendete vollwertige Alltagssprache die als nicht mit dieser verwandt empfunden wird z B Jiddisch gegenuber Hebraisch Eine Ausbausprache ist eine Varietat der Standardsprache die wie eine eigenstandige Sprache fur die anspruchsvolle auch die schriftliche Kommunikation verwendet wird z B Luxemburgisch gegenuber Hochdeutsch Inhaltsverzeichnis 1 Sprache und Dialekt 2 Begriffsgeschichte 3 Abstandsprache 4 Ausbausprache 5 Abstandsprache und Ausbausprache im Sinne von Kloss 6 Abstandsprache und Kulturdialekt im Sinne von Bossong 7 Siehe auch 8 Literatur 9 WeblinksSprache und Dialekt BearbeitenEs gibt sprachliche Varietaten deren Charakter als Sprache bzw Einzelsprache oder Standardsprache eindeutig ist wie z B Deutsch Englisch oder Spanisch andere Varietaten deren Status als Dialekt einer zugeordneten Sprache ebenso eindeutig ist wie z B das Bairische als Dialekt gruppe des Deutschen Dazwischen gibt es viele Varietaten die nicht ohne Weiteres eindeutig als Sprache oder als Dialekt qualifiziert werden konnen Mit den Begriffen Abstand und Ausbau lasst sich das weite Spektrum zwischen Hochsprache und Dialekt genauer beschreiben und die Definition von Sprache prazisieren Begriffsgeschichte BearbeitenDas Begriffspaar Abstand und Ausbausprache geht auf den Sprachsoziologen Heinz Kloss 1978 zuruck der in seinem Buch Die Entwicklung neuer germanischer Kultursprachen seit 1800 von 1978 den Versuch unternahm die vielen Idiome germanischer Sprachen daraufhin zu untersuchen welche von ihnen als Dialekt welche als Sprache aufgefasst werden und warum Eine Prazisierung erhielten diese Begriffe unter anderem durch Georg Bossong 2008 Abstand und Ausbau werden als Germanismen auch in nicht deutschsprachiger Fachliteratur verwendet Abstandsprache BearbeitenAls Abstandsprache bezeichnet man eine Sprachvarietat die so verschieden von einer anderen Sprachvarietat ist dass sie unmoglich als Dialekt dieser anderen Varietat aufgefasst werden kann Diese Definition wird zum Teil unabhangig vom Ausbaugrad getroffen so Kloss 1978 teilweise nur fur Varietaten mit geringem Ausbaugrad so Bossong 2008 Der Abstand einer Sprachvarietat zu einer anderen Varietat wird durch ihre Unterschiede in den Bereichen Wortschatz Phonetik Morphologie Nominalsystem Verbalsystem Syntax und durch den Grad ihrer wechselseitigen Verstandlichkeit festgestellt wobei das letzte Merkmal eher problematisch ist Selbstverstandlich ist die Feststellung dass eine Varietat von einer anderen einen grossen Abstand oder geringen Abstand hat nicht mit mathematischer Prazision und als allgemeingultiges Urteil zu treffen Ausserdem ist ein so definierter Abstandsbegriff graduell Als unzweifelhaftes Beispiel einer Abstandsprache wird das Baskische genannt das sich als isolierte Sprache eindeutig von allen romanischen Varietaten der geographischen Umgebung des Sprachgebiets unterscheidet oder auch indigene Sprachen Amerikas afrikanische Sprachen australische Sprachen und Sprachen Papua Neuguineas Unklar bleibt ob weit voneinander entfernte Varietaten innerhalb eines Dialektkontinuums unter die Definition Abstandsprache fallen Ausbausprache BearbeitenUnter Ausbausprache oder Ausbaudialekt versteht man eine Sprachvarietat die so weit entwickelt ist dass sie fur anspruchsvolle kommunikative Zwecke z B Sachprosa dienen kann Zum Ausbau der Sprache gehort ein gewisser Grad der Normierung in Bezug auf die Grammatik Orthographie und den Wortschatz Ausbausprachen unterscheiden sich von den Abstandsprachen darin dass sie aufgrund des eher geringen sprachlichen Abstandes zu den benachbarten Varietaten nicht unbedingt als Abstandsprachen eigene Sprache anzusehen sind infolge der Anwendung fur Hochliteratur Sachprosa Wissenschaft Verwaltung usw aber dennoch die Positionen einer Standardsprache einnehmen also in ihrem Gebrauch entsprechend ausgebaut sind Wahrend das Abstandkriterium sich ausschliesslich auf die inneren qualitativen Eigenschaften von Sprachvarietaten bezieht ist der Begriff Ausbau eine externe Charakterisierung die auch eher quantifiziert werden kann Massgeblich fur den Grad des Ausbaus einer Sprachvarietat sind folgende Kriterien Existenz einer Verschriftung mit einer anerkannten orthographischen Norm Schriftsprache Standardisierung von Phonetik Morphologie und Syntax Nutzung der Varietat fur anspruchsvolle kulturelle und wissenschaftliche Texte Vorhandensein einer selbstandigen Literatur Verwendung der Varietat als National oder AmtsspracheIn diesem Sinne sind Sprachen wie Deutsch oder Italienisch hoch ausgebaute Varietaten wahrend es den meisten deutschen Dialekten an einer orthographischen Norm und anspruchsvoller wissenschaftlicher Prosa fehlt sie also eher gering ausgebaut sind Von Ausbausprachen oder Ausbaudialekten ist aber vor allem bei Sprachvarietaten die Rede die aufgrund ihrer engen Verwandtschaft und hohen gegenseitigen Verstandlichkeit im Verhaltnis zu einer anderen Sprache keine Abstandsprachen sind In diesem Sinne sind das Jiddische im Verhaltnis zum Deutschen das Galicische im Verhaltnis zum Portugiesischen Afrikaans im Verhaltnis zu Niederlandisch und Mazedonisch im Verhaltnis zu Bulgarisch Ausbausprachen Auch das Luxemburgische wird oft als Ausbausprache angesehen obgleich Franzosisch und Deutsch als Amtssprachen im Grossherzogtum Luxemburg immer noch dominieren Autoren die solchen Varietaten aus politischen oder sprachwissenschaftlichen Motiven den Status von Einzelsprachen absprechen verwenden die Bezeichnung Ausbaudialekt oder Kulturdialekt Die Unterscheidung zwischen Sprache und Dialekt die hier vorausgesetzt wird ist jedoch sprachwissenschaftlich uneindeutig Uberdies sind die Grenzen zwischen Dialekt Ausbaudialekt und Sprache fliessend und konnen sich im Laufe der Zeit verschieben Der Ausbau einer Varietat erfordert eine gewisse Zeit und kann in unterschiedlichem Tempo verlaufen Meist ist mit dem Ausbau auch eine Erweiterung des Wortschatzes verbunden Solange der Prozess des Sprachausbaus noch in den Anfangen steckt ist es oft schwierig zu entscheiden ob es sich bereits um eine Ausbauvarietat handelt oder nicht Auch der umgekehrte Prozess kommt vor namlich dass ein Standard nicht gepflegt wird und eine Sprache so wieder zur Umgangsvarietat wird Diesen Vorgang nennt man auch Destandardisierung Dieses ist zum Beispiel mit einigen neuindischen Sprachen geschehen die mit der Expansion des Hindi wieder zu Dialekten des Hindi wurden obwohl sie einst Ausbausprachen waren beispielsweise Rajasthani Bihari Auch viele Gebardensprachen haben einen Prozess des Ausbaus durchlaufen wobei die Schreibung von Gebardensprachen noch in den Kinderschuhen steckt und man deshalb auch keine Regeln zur Orthographie erwarten kann Das uber den Wortschatz und die Grammatik Gesagte gilt aber auch fur Gebardensprachen Mit Ausbausprache nicht zu verwechseln sind die nationalen Varietaten Schweizer Hochdeutsch etwa baut nicht auf den schweizerdeutschen Dialekten auf sondern weicht nur in einer uberschaubaren Anzahl von Phanomenen von der deutschen oder osterreichischen Standardvarietat ab mit denen zusammen es die deutsche Standardsprache bildet Abstandsprache und Ausbausprache im Sinne von Kloss BearbeitenNach Heinz Kloss gelten folgende Definitionen Abstandsprachen sind sprachliche Varietaten die von allen anderen sie umgebenden Varietaten einen grossen sprachlichen Abstand besitzen unabhangig von ihrem Ausbaugrad Ausbausprachen sind alle Varietaten die einen hohen Ausbaugrad besitzen unabhangig von ihrem Abstand zu anderen Varietaten Eine Varietat ist dann als Sprache qualifiziert wenn sie Abstandsprache oder Ausbausprache oder beides ist Die Abstandsprachen Definition muss allerdings dahingehend prazisiert werden dass das nicht fur den Abstand zu den eigenen Untervarietaten gilt der naturgemass gering ist sonst waren alle Sprachen die Dialekte besitzen und es gibt kaum Sprachen ohne dialektale Aufgliederung keine Abstandsprachen im strengen Sinne der Definition Auch die Ausbausprachen Definition greift nicht vollig unabhangig vom Abstand Das in Deutschland gesprochene Deutsch ist vom osterreichischen Deutsch linguistisch so minimal entfernt dass die Tatsache dass beide Varietaten sehr hoch ausgebaut sind aus diesen Varietaten noch keine zwei verschiedene Sprachen macht Anders ist es beim ausgebauten Luxemburgischen Hier ist der Abstand zum Deutschen zwar auch gering aber genugend gross um von einer eigenstandigen Sprache zu sprechen Diese Beispiele zeigen dass die Klassifikation als Abstand oder Ausbausprache im Einzelfall sehr schwierig sein kann Abstandsprache und Kulturdialekt im Sinne von Bossong BearbeitenNach Bossong werden von Kloss abweichend als Abstandsprachen nur solche Abstandsvarietaten bezeichnet die einen geringen Ausbaugrad besitzen Ausbauvarietaten mit geringem Abstand zu anderen Varietaten bezeichnet Bossong als Kulturdialekt Damit kommt er zu folgender Kategorisierung Abstand zuReferenzvarietat Ausbaugrad Bezeichnungnach Bossonggross hoch Sprache Hochsprachegross gering Abstandspracheklein hoch Kulturdialektklein gering DialektEine Sprache ist demnach eine hoch ausgebaute Abstandsvarietat ein Kulturdialekt eine hoch ausgebaute Varietat die zu anderen Varietaten einen eher kleinen Abstand hat wahrend ein Dialekt zu seiner Referenzvarietat einen relativ kleinen Abstand und zudem einen geringen Ausbaugrad besitzt Der Begriff Abstandsprache wird hier nur bei geringem Ausbaugrad verwendet also anders als von Kloss Beispiele aus dem RomanischenNach dieser Definition sind im Romanischen Sprachen z B Spanisch Franzosisch Italienisch Portugiesisch Abstandsprachen mit geringem Ausbau z B Frankoprovenzalisch Kulturdialekte z B Galicisch Korsisch DialekteSpanisch Franzosisch Italienisch und Portugiesisch haben zu allen anderen romanischen Varietaten einen klar definierbaren Abstand und sind voll ausgebaute Kultursprachen Frankoprovenzalisch hat zwar zu den benachbarten franzosischen und okzitanischen Varietaten einen deutlichen linguistischen Abstand besitzt aber keinen hohen Ausbaugrad z B fehlen eine verbindliche Orthographie sowie umfangreichere Fachprosa Galicisch und Korsisch haben nur einen geringen linguistischen Abstand zu portugiesischen bzw italienischen Varietaten weisen aber auf Grund ihrer eigenstandigen Literatur einen hohen Ausbaugrad auf Siehe auch BearbeitenDachsprache Ausgleichssprache LiteraturspracheLiteratur BearbeitenGeorg Bossong Die romanischen Sprachen Eine vergleichende Einfuhrung Buske Hamburg 2008 ISBN 978 3 87548 518 9 insbesondere S 25 28 Helmut Gluck Hrsg unter Mitarbeit von Friederike Schmoe Metzler Lexikon Sprache 3 neu bearbeitete Auflage Metzler Stuttgart Weimar 2005 ISBN 3 476 02056 8 Harald Haarmann Abstandsprache Ausbausprache In Ulrich Ammon Norbert Dittmar Klaus J Mattheier amp Peter Trudgill Soziolinguistik Ein internationales Handbuch zur Wissenschaft von Sprache und Gesellschaft Band 1 de Gruyter Berlin New York 2004 2 Auflage S 238 ff Heinz Kloss Die Entwicklung neuer germanischer Kultursprachen seit 1800 2 erweiterte Auflage Schwann Dusseldorf 1978 ISBN 3 590 15637 6 Snjezana Kordic Plurizentrische Sprachen Ausbausprachen Abstandsprachen und die Serbokroatistik In Zeitschrift fur Balkanologie Band 45 Nr 2 2009 ISSN 0044 2356 S 210 215 online abgerufen am 2 Dezember 2010 Heinrich Loffler Germanistische Soziolinguistik Erich Schmidt Verlag Berlin 1985 ISBN 3 503 02231 7 S 63 65 Weblinks Bearbeiten nbsp Wiktionary Ausbausprache Bedeutungserklarungen Wortherkunft Synonyme Ubersetzungen nbsp Wiktionary Abstandsprache Bedeutungserklarungen Wortherkunft Synonyme Ubersetzungen Peter Trudgill Norwegian as a Normal Language 2002 englisch Peter Trudgill Glocalisation and the Ausbau sociolinguistics of modern Europe 2004 PDF Datei engl 138 kB Abgerufen von https de wikipedia org w index php title Abstand und Ausbau amp oldid 223314087 Abstandsprache