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Die Waldheimer Prozesse fanden im Zeitraum vom 21 April bis zum 29 Juni 1950 im Zuchthaus der sachsischen Kleinstadt Waldheim in der DDR statt Mehrere Strafkammern des Landgerichts Chemnitz verhandelten dort gegen 3442 von sowjetischen Behorden uberstellte Personen denen 1 Kriegs bzw nationalsozialistische Verbrechen vorgeworfen wurden 3324 Angeklagte wurden verurteilt 72 Personen nicht verhandlungsfahig 43 wahrend der Prozesse gestorben uberwiegend 1901 zu Freiheitsstrafen von 15 bis 25 Jahren 146 Personen zu lebenslanglich nur 5 zu bis zu vier Jahren In 1327 Fallen waren behauptete Verbrechen gegen die Menschlichkeit Grund der Urteile Obgleich viele der Angeklagten nachweislich schwer belastet waren wurden die Waldheimer Prozesse aufgrund ihrer zweifelhaften Rechtsgrundlage zu einem Inbegriff mangelnder Rechtsstaatlichkeit Verhandlung gegen Ernst Heinicker Sturmfuhrer der SA und stellvertretender Lagerkommandant des Konzentrationslagers Hohnstein das Urteil lautet nach Kontrollratsgesetz Nr 10 und Direktive 38 auf Todesstrafe wegen Verbrechens gegen die Menschlichkeit 21 Juni 1950 Geschichte BearbeitenDie Angeklagten wurden aus den verbliebenen drei sowjetischen NKWD Speziallagern Bautzen Buchenwald und Sachsenhausen in denen sie teilweise seit 1945 inhaftiert waren am 15 Februar 1950 nach Waldheim gebracht Da die Sowjetische Kontrollkommission im Verlauf des Jahres 1950 ihre Lager in der DDR aufzulosen beabsichtigte hatte ihr Vorsitzender Tschuikow im Januar 1950 die Uberstellung der Gefangenen an die DDR Behorden angekundigt Beim Landgericht Chemnitz wurden aus diesem Anlass zwolf grosse und acht kleine Strafkammern gebildet mit 18 Staatsanwalten 37 Richtern und 29 Schoffen Hildegard Heinze vom Justizministerium der DDR und Paul Hentschel Abteilungsleiter im SED Parteivorstand leiteten ein Organisationskomitee Die Prozesse fanden im ausgeraumten Haftlingskrankenhaus statt und dauerten vom 26 April bis 14 Juni In den meisten Fallen waren dies kurze Prozesse mit einer Dauer von oft nur wenigen Minuten ohne kritische Wurdigung des von den sowjetischen Untersuchungsorganen vorgelegten Belastungsmaterials und bis auf wenige Ausnahmen ohne Zulassung von Rechtsbeistanden Lediglich zehn eindeutig belastete Angeklagte wurden offentlich in Schauprozessen im Waldheimer Rathaus abgeurteilt darunter der oben abgebildete KZ Lagerkommandant Ernst Heinicker Der Prozessverlauf folgte den Planungen der SED Fuhrung und wurde wahrend des gesamten Zeitraums von ihr uberwacht Die Richter und Staatsanwalte waren aus dem Kreis der seit 1946 in Kurzlehrgangen ausgebildeten Volksrichter ausgewahlt worden Grundlage der Anklage war der Befehl Nr 201 der SMAD vom 16 August 1947 nach dem die Sanktionen zu bemessen waren Auch die spatere Justizministerin Hilde Benjamin war beratend tatig Fur das Strafmass war eine Mindestdauer von funf Jahren Zuchthaus festgelegt worden Bei den Verteidigern handelte es sich sofern welche zugelassen waren um von der Staatsfuhrung abkommandierte Staatsanwalte nbsp Strafvollzugskarte Walter Jurisch 2 Unter den Verurteilten waren 60 namentlich bekannte Jugendliche von denen drei in der Waldheimer Haftzeit verstarben Der jungste Verurteilte Walter Jurisch 1931 2010 war im Alter von 14 Jahren verhaftet worden und musste funf Jahre in Speziallagern verbringen Er wurde in Waldheim zu 20 Jahren Zuchthaus verurteilt und 1954 als einer der Letzten von Wilhelm Pieck begnadigt 3 Als Straftat wurde angegeben er habe durch seine Tatigkeit in der Hitlerjugend und dem Werwolf die NS Gewaltherrschaft gefordert und nach dem 8 Mai 1945 den Frieden des deutschen Volkes gefahrdet was auch zur Urteilsbegrundung diente Einige Verfahren wurden als sogenannte Hohnsteinprozesse abgetrennt Dabei wurden drei Schauprozesse gegen die Angeklagten Ernst Heinicker stv Lagerkommandant des KZ Hohnstein Friedrich Beyerlein Gestapo Mitarbeiter und Hellmut Peitsch DAF Gauobmann abgehalten ausnahmsweise unter Zulassung von Verteidigern und mit Einbeziehung von Zeugen sowie einer erweiterten Offentlichkeit Sie endeten mit Todesurteilen 4 Nach dem Abschluss der 1317 beantragten Revisionsverfahren 159 zugelassene Verhandlungen vor dem Strafsenat des OLG Dresden in Waldheim im Juli 1950 waren 33 Todesurteile gefallt 5 Sechs der zum Tode Verurteilten wurden zu hohen Haftstrafen begnadigt 6 zwei weitere starben vor der Vollstreckung 7 und der Gestapo Mann Lehne wurde an die CSSR UdSSR uberstellt 8 Die ubrigen 24 Todesurteile 9 wurden am 4 November 1950 vollstreckt 10 Zur Hinrichtungsart gibt es unterschiedliche Angaben Giftspritze 11 Strang 12 oder Guillotine 13 Von den zum Tode Verurteilten waren vier Richter Rudolf Niejahr Oberkriegsgerichtsrat Alfred Herzog die Oberstabsrichter Horst Rechenbach und Walter Schmidt 14 drei Staatsanwalte Wilhelm Klitzke Hermann Hahn Heinz Rosenmuller funf sog Denunzianten z B Paul Coijanovic 13 Funktionstrager KZ und Gefangnisaufseher NS Funktionare wie Hellmut Peitsch und Angehorige diverser Exekutivorgane z B Verwaltungsbeamte wie Ernst Kendzia Polizisten wie Friedrich Duda oder der vormalige Direktor der Heil und Pflegeanstalt Waldheim Gerhard Wischer 15 146 Verurteilte erhielten lebenslange Haft 1901 Strafen zwischen 15 und 25 Jahren 947 Strafen zwischen 10 bis 14 Jahren 290 Strafen zwischen 5 bis 9 Jahren 5 Strafen unter funf Jahren zwei Personen wurden in eine Heilanstalt eingewiesen 16 Nachgeschichte BearbeitenNach weltweiten Protesten wurden 1952 zahlreiche Verurteilte freigelassen oder das Strafmass reduziert So hat Thomas Mann im Juli 1950 an Walter Ulbricht geschrieben der Kommunismus musse sich mit dem Humanismus verbinden und auf die schweren Rechtsmangel und auf die Parallelen zum Stil Roland Freislers hingewiesen 17 In der DDR Regierung informierte der Justizstaatssekretar Helmut Brandt CDU den stellvertretenden Ministerprasidenten Otto Nuschke CDU nach einer Prozessteilnahme uber den Prozessverlauf Im Juli 1950 verlangte dieser die Wiederholung der Verfahren worauf er von Ulbricht niedergeschrien wurde Am 18 August beschrieb er dem Justizminister Max Fechner ausfuhrlich die Mangel und belegte sie mit einigen fragwurdigen Urteilen z B Kriminalkommissar Herbert Michalke Bei der Abstimmung im Ministerrat der DDR am 31 August stimmten alle Minister gegen Nuschkes Antrag Brandt wurde am 6 September verhaftet und nach vier Jahren Untersuchungshaft 1954 im Zusammenhang mit Georg Dertinger CDU verurteilt Selbst die sowjetische Kontrollkommission unter Oberst Titow kritisierte spater die Unterlagen vernichtend Im Jahr 1952 nahm sich eine Untersuchungskommission des MfS und verschiedener anderer Ministerien die Akten vor worauf im Oktober 1952 997 Verurteilte freigelassen wurden und das Strafmass von 1024 Personen reduziert wurde Weitere Reduzierungen und Freilassungen folgten 18 1954 stellte das Kammergericht in West Berlin fest es sei das alleinige Ziel dieser Verfahren gewesen die widerrechtlichen Massnahmen der sowjetischen Besatzungsmacht zu legalisieren und erklarte diese Urteile fur nichtig 19 Nach der deutschen Wiedervereinigung konnten die Verurteilten ihre Rehabilitierung beantragen da die Urteile des LG Chemnitz mit wesentlichen Grundsatzen einer freiheitlichen rechtsstaatlichen Ordnung unvereinbar waren 1 Abs 2 StrRehaG Gegen einige Richter und Staatsanwalte der Waldheimer Prozesse gab es Strafverfahren unter dem Vorwurf der Rechtsbeugung und Freiheitsberaubung 20 Literatur BearbeitenWolfgang Eisert Die Waldheimer Prozesse Der stalinistische Terror 1950 Ein dunkles Kapitel der DDR Justiz Esslingen und Munchen 1993 ISBN 3 76 280511 3 eingeschrankte Vorschau in der Google Buchsuche Karl Wilhelm Fricke Politik und Justiz in der DDR Wissenschaft und Politik Koln 1992 ISBN 3 8046 8568 4 eingeschrankte Vorschau in der Google Buchsuche fur Ausgabe 1979 Karl Wilhelm Fricke Der Wahrheit verpflichtet Texte aus funf Jahrzehnten zur Geschichte der DDR Links Berlin 2000 ISBN 978 3861532088 bes S 281 296 Michael Klonovsky Jan von Flocken Stalins Lager in Deutschland Dokumentation Zeugenberichte 1945 1950 dtv Munchen 1993 ISBN 3423029668 zuerst Ullstein Berlin 1991 Wilfriede Otto Die Waldheimer Prozesse 1950 Historische politische und juristische Aspekte im Spannungsverhaltnis zwischen Antifaschismus und Stalinismus Berlin 1993 Wilfriede Otto Die Waldheimer Prozesse in Sergej Miranenko L Niethammer A von Plato Hg Sowjetische Speziallager in Deutschland 1945 bis 1950 Bd I Studien und Berichte Akademie Berlin 1998 ISBN 9783050032443 S 533 554 Christiaan F Ruter u a Bearbeiter DDR Justiz und NS Verbrechen Band 14 Verfahren Nr 2001 2088 Waldheimverfahren Amsterdam University Press K G Saur 2009 ISBN 978 3 598 24627 2 Falco Werkentin Scheinjustiz in der fruhen DDR Aus den Regieheften der Waldheimer Prozesse des Jahres 1950 In Kritische Justiz 1991 S 333 350 Falco Werkentin Die Waldheimer Prozesse der Jahre 1950 52 In Materialien der Enquete Kommission Aufarbeitung von Geschichte und Folgen der SED Diktatur in Deutschland 12 Wahlperiode des Deutschen Bundestages Hrsg vom Deutschen Bundestag Frankfurt am Main 1995 a Band IV S 849 ff Falco Werkentin Politische Strafjustiz in der Ara Ulbricht Ch Links Berlin 1995 b S 176ff ISBN 3 86153 069 4 Gunther Wieland Justitielle Ahndung von Okkupationsverbrechen In Werner Rohr Hrsg Europa unterm Hakenkreuz Analysen Quellen Register Bd 8 Heidelberg 1996 ISBN 3 7785 2338 4 Bernd Withoft Die Todesurteile der Waldheimer Prozesse Dissertation Wien 2008 uberarbeitet 2014 mit 25 Fallanalysen darunter 22 Hingerichtete Weblinks Bearbeiten nbsp Commons Waldheimer Prozesse Sammlung von Bildern Videos und Audiodateien Falco Werkentin Die Waldheimer Prozesse In Kurt Groenewold Alexander Ignor Arnd Koch Hrsg Lexikon der Politischen Strafprozesse Online Stand Juli 2018 Einzelnachweise Bearbeiten Zahlen im Folgenden nach Klonowsky von Flocken 1993 S 205 213 und zuverlassiger Otto 1998 S 547 ff auf der Basis des Abschlussberichts der Deutschen Volkspolizei Kurt Noack NachkriegsErinnerungen Als Funfzehnjahriger in Stalins Lagern Niederlausitzer Verlag Guben 2009 1 Auflage ISBN 978 3 935881 70 8 S 309 Besser nicht so weit aus dem Fenster hangen Nicht mehr online verfugbar In Lausitzer Rundschau 6 Marz 2014 ehemals im Original abgerufen am 11 Marz 2019 1 2 Vorlage Toter Link www lr online de Seite nicht mehr abrufbar Suche in Webarchiven Bernd Withoft 2008 14 S 65 78 Henry Leide NS Verbrecher und Staatssicherheit 2 Auflage 2006 S 42 Klaus Behling Die Kriminalgeschichte der DDR 2017 Kapitel 3 Werkentin KJ 1991 S 333 338 und Fricke Der Wahrheit verpflichtet 2 Auflage 2000 S 292 nennen 32 Todesurteile J Muller Hommel Zieger Hunger und Knoffler am 2 November 1950 Eisert S 262 292 ausserdem Sagolla DDR Justiz und NS Verbrechen 2008 Memento des Originals vom 24 August 2021 im Internet Archive nbsp Info Der Archivlink wurde automatisch eingesetzt und noch nicht gepruft Bitte prufe Original und Archivlink gemass Anleitung und entferne dann diesen Hinweis 1 2 Vorlage Webachiv IABot www expostfacto nl Roloff und Rummler Withoft S 101 DDR Justiz und NS Verbrechen 2006 2035 Zum ausgelieferten Lehne vgl Bernd Withoft 2008 14 S 101 DDR Justiz und NS Verbrechen 2014 Todesurteile Waldheimer Prozesse Nicht mehr online verfugbar Archiviert vom Original am 6 Marz 2019 abgerufen am 2 Marz 2019 Die Website nennt die Zahl 23 listet aber 24 Namen auf nbsp Info Der Archivlink wurde automatisch eingesetzt und noch nicht gepruft Bitte prufe Original und Archivlink gemass Anleitung und entferne dann diesen Hinweis 1 2 Vorlage Webachiv IABot www waldheim sachsen de Beyerlein Coijanovic Duda Geppert Hahn Heinicke Heinicker Hentschel Herzog Kendzia Klitzke Koplowitz May P Muller Niejahr Peitsch Pietsch Rechenbach Rosenmuller Schmidt Schneider Steinberg Uhlig Wischer Todesurteile Waldheimer Prozesse Bernd Withoft 2008 14 S 100 Karl Wilhelm Fricke 2000 S 292 Michael Klonovsky Jan von Flocken Stalins Lager in Deutschland 1945 1950 Ullstein Berlin Frankfurt 1 Auflage 1991 S 219 ISBN 3 550 07488 3 Dieter Winderlich Karl Mays Zuchtanstalt im Wandel der Zeiten Mai 2007 abgerufen am 10 Marz 2019 Withoft 2008 14 S 37 99 Klonovsky von Flocken 1993 S 212 Klonowsky von Flocken Hrsg Stalins Lager in Deutschland dtv dokumente Munchen 1993 ISBN 3 423 02966 8 S 219 222 Angaben nach Klonovsky von Floren 1993 S 213 218 Beschluss des Kammergerichts vom 15 Marz 1954 1 RHE AR 7 54 PDF 262 kB nachfolgend Bezirksgericht Dresden BSK 1 118 91 und BSK 1 231 91 Beispiel Irmgard Jendretzky geb Eisermann Richterin am Revisionssenat des OLG Dresden in Waldheim LG Dresden 28 November 1997 1 Ks 825 Js 21999 94 Normdaten Sachbegriff GND 4325122 5 lobid OGND AKS Bitte den Hinweis zu Rechtsthemen beachten Abgerufen von https de wikipedia org w index php title Waldheimer Prozesse amp oldid 237428583