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Die theoretische Biologie entwickelt formale Modelle zur Beschreibung biologischer Phanomene Dazu nutzt sie insbesondere Methoden aus der Mathematik Es werden Modelle und Theorien erarbeitet um die Struktur und Dynamik lebender Systeme zu beschreiben Viele fundamentale Erkenntnisse der Biologie etwa die Beschreibung evolutionar stabiler Strategien oder auch die Replikatorgleichungen stammen aus der theoretischen Biologie In ihrer rein mathematischen Ausrichtung wird die theoretische Biologie auch Biomathematik genannt und ist ein Teilgebiet der Angewandten Mathematik Phasenraumtrajektorien eines Rauber Beute Systems Einer der ersten mathematischen Gegenstande der Theoretischen Biologie Inhaltsverzeichnis 1 Geschichte 2 Bereiche 2 1 Theoretische Okologie 2 2 Mathematische Epidemiologie 2 3 Theoretische Neurobiologie 2 4 Theoretische Evolutionsbiologie 2 5 Weitere mathematisch orientierte Felder der theoretischen Biologie 3 Entwicklung 4 Studium 5 Literatur 6 Weblinks 6 1 Fachjournale 6 2 Forschungseinrichtungen 6 3 Fachgesellschaften 7 EinzelnachweiseGeschichte Bearbeiten nbsp Fruhes Standardwerk der vormathematischen theoretischen Biologie 1920 Die Idee einer theoretischen Biologie entwickelte sich um 1900 An zentraler Stelle taucht der Begriff theoretische Biologie erstmals 1901 im Titel des Buches Einleitung in die theoretische Biologie von Johannes Reinke auf In der sich hieraus entwickelnden Tradition wurde die Aufgabe der theoretischen Biologie allerdings noch weniger in der Mathematisierung der biologischen Theorien sondern vielmehr als konzeptionelle Grundlegung fur die Biologie gesehen Die Biologie war zu diesem Zeitpunkt als Disziplin gerade erst dabei sich zu formieren und der Theoriebestand der vielen verschiedenen Einzeldisziplinen war unubersichtlich und in grossen Teilen widerspruchlich Im 19 Jahrhundert hatte man noch gehofft dass die Evolutionstheorie Darwins die Aufgabe einer Grundlegung fur die Biologie ubernehmen konnte Aber der Darwinismus durchlief um 1900 eine tiefe Krise Im Anschluss an Reinke erschienen zahlreiche Publikationen von Autoren die sich mit theoretischen und philosophischen Problemen der Biologie auseinandersetzen Als zentral fur diese fruhe Phase der theoretischen Biologie sind vor allem Jakob Johann von Uexkull und Julius Schaxel zu nennen Beide arbeiteten mit dem Begriff theoretische Biologie Wahrend Uexkull eine eigene Neukonzeption fur die Biologie erarbeiten wollte versuchte Schaxel mit seinem Buch Grundzuge der Theoriebildung in der Biologie von 1919 und der im gleichen Jahr gegrundeten Schriftenreihe Abhandlungen zur theoretischen Biologie auf die theoretischen Probleme der Biologie aufmerksam zu machen und ein Forum fur die Bearbeitung dieser Probleme zu etablieren Weitere wichtige Vertreter der theoretischen Biologie waren Max Hartmann und Ludwig von Bertalanffy Die heutige Bedeutung des Begriffs theoretische Biologie als einer Biologie mit mathematischen Mitteln entwickelte sich erst relativ spat Fruhe Protagonisten der mathematisch verstandenen theoretischen Biologie waren um 1925 26 der Mathematiker Alfred J Lotka sowie der Physiker Vito Volterra die zu dieser Zeit unabhangig voneinander Systeme von gewohnlichen Differentialgleichungen zur Beschreibung der Dynamik von Populationen angaben Doch erst wahrend und nach dem Zweiten Weltkrieg entwickelte sich eine breite mathematikorientierte Tradition in der theoretischen Biologie Hier spielte auch der Einfluss von Biologen aus Russland eine grosse Rolle wo die Verbindung von Mathematik und Biologie eine langere Tradition und eine starkere Verbreitung hatte Vor allem die Populationsgenetik war hier ein wichtiger Bereich Biologen wie Theodosius Dobzhansky Ronald Fisher Sewall Wright und John Burdon Sanderson Haldane die auch zu den zentralen Figuren der synthetischen Evolutionstheorie gehorten leisteten hier wichtige Pionierarbeit 1948 folgte die Einrichtung des weltweit ersten Graduiertenstudiengangs in Mathematischer Biologie durch Nicolas Rashevsky Von 1952 bis 1954 legte Alan Turing mit epochemachenden Ergebnissen zur Musterbildung in biologischen Systemen insbesondere dem nach ihm benannten Turing Mechanismus die Grundlage fur die Mathematisierung der Entwicklungsbiologie Heutzutage erlebt aber auch das ursprungliche Programm der Theoretischen Biologie als Philosophie der Biologie neuen Aufschwung Bereiche BearbeitenWeite Teilgebiete der theoretischen Biologie bedienen sich mathematischer Methoden aus dem Gebiet der Dynamischen Systeme zur Modellierung biologischer Zusammenhange Eine gewisse Verwandtschaft besteht in Teilen der theoretischen Biologie mit Themengebieten der theoretischen Informatik und Bioinformatik In diesen letzteren Bereichen kommen vor allem Werkzeuge aus der Diskreten Mathematik zur Verwendung Unter den Bereichen der theoretischen Biologie befinden sich unter anderem Theoretische Okologie Bearbeiten Hier wird unter anderem versucht Aussagen uber die Dynamik von Populationen und Biozonosen zu machen Als grundlegend erweisen sich die in fast jeder okologischen Interaktionstruktur gegenwartigen Rauber Beute Beziehungen Bei der mathematischen Formulierung von Rauber Beute Modellen die erstmals in den 1920er Jahren von Lotka und Volterra unternommen wurde kommen klassischer Weise vor allem gewohnliche Differentialgleichungen z B die Lotka Volterra Gleichungen und Differenzengleichungen zur Anwendung Eine Schwierigkeit besteht in der Tatsache dass viele biologische Zusammenhange in naturlicher Weise auf nichtlineare Gleichungen fuhren die nur uber numerische indirekte oder qualitative Methoden untersucht werden konnen Ein starker anwendungsbezogener Unterbereich der theoretischen Okologie macht sich die Moglichkeiten expliziter Computersimulation zunutze und geht von einfachen multiagentbasierten Simulationen bis zur computergestutzten Darstellung ganzer Okosysteme Hier besteht ein fliessender Ubergang zwischen theoretischer Okologie und praktischem Okosystemmanagement Mathematische Epidemiologie Bearbeiten Fragen nach der Form und Geschwindigkeit der Ausbreitung von ansteckenden Krankheiten sowie zur Wirksamkeit von Schutzmassnahmen versucht die mathematische Epidemiologie exakt zu fassen und auf Grundlage der Theorie dynamischer Systeme zu beantworten Beispielsweise kann das sogenannte SIR Modell dazu eingesetzt werden die Epidemiologie von Influenza zu beschreiben Die verwendeten Gleichungen sind oft den Gleichungen der theoretischen Okologie nah verwandt Theoretische Neurobiologie Bearbeiten Gearbeitet wird wie auch in der experimentellen Neurobiologie auf verschiedenen Integrationsebenen Die Aufgaben der theoretischen Neurobiologie auch Computational Neuroscience genannt erstrecken sich damit beispielsweise von der Modellierung eines oder einiger weniger Ionenkanale bis hin zur Analyse und Simulation grosser neuronaler Verbande Ein Beispiel ist die Modellierung von bestimmten Hirnfunktionen zum Beispiel die Generierung des Tag Nacht Zyklus Circadiane Rhythmik Es bestehen teils enge Verbindungen zur Neuroinformatik Theoretische Evolutionsbiologie Bearbeiten Die theoretische Evolutionsbiologie untersucht mit mathematischen Methoden die Dynamik von evolvierenden Systemen Die klassische theoretische Evolutionsbiologie basiert zu grossen Teilen auf einflussreichen Arbeiten von Fischer Wright und Haldane Ein jungeres Teilgebiet der theoretischen Evolutionsbiologie ist die Evolutionare Spieltheorie zu der unter anderen John Maynard Smith 1 wichtige Grundlagen schuf Im Mittelpunkt des Interesses stehen dort als gemeinsames Abstraktum selbstreplizierender Systeme die sogenannten Replikatordynamiken und evolutionar stabile Strategien Die Grundgleichungen der Replikatordynamik sind teilweise uber Diffeomorphismen mit Lotka Volterra Systemen verwandt wie Arbeiten von Hofbauer zeigen In neuerer Zeit findet eine starkere Beschaftigung mit endlichen Populationen statt In endlichen Populationen spielen stochastische Effekte eine grossere Rolle Das Konzept der evolutionar stabilen Strategie wurde von Martin A Nowak auf den Fall endlicher Populationen ausgeweitet Weitere mathematisch orientierte Felder der theoretischen Biologie Bearbeiten Kunstliches Leben Metabolic Control Analysis Theoretische Entwicklungsbiologie Theoretische ImmunologieEntwicklung BearbeitenIn jungerer Zeit ist die im anglo amerikanischen Kulturraum seit langerem stark expandierende theoretische Biologie auch in Deutschland im Aufstieg begriffen Davon zeugt die Einrichtung mehrerer Lehrstuhle fur Theoretische Biologie es kann eine Diversifikation der Forschungsthemen beobachtet werden Ein Zentrum der theoretischen Biologie in Deutschland stellt das Institut fur Theoretische Biologie an der Humboldt Universitat zu Berlin dar Historisch wurden gelegentlich auch einige nicht mathematische Bereiche der Biologie zur Theoretischen Biologie gezahlt Studium BearbeitenAls regulares Fach des Grundstudiums bzw der Bachelorausbildung ist theoretische Biologie nicht an allen Hochschulen verpflichtend Als Hauptfach im Studium der Biologie kann theoretische Biologie derzeit unter anderem an der Humboldt Universitat in Berlin und der Universitat Bonn studiert werden Obwohl Art und Umfang der Mathematikausbildung von Biologiestudenten mancherorts stark gesteigert wurden verfugt nach wie vor nur ein geringer Teil der Biologen uber Kenntnisse die zur Forschung in der theoretischen Biologie befahigen An mehreren Universitaten besteht die Moglichkeit theoretische Biologie im Rahmen eines Mathematikstudiums mit Schwerpunkt in der Angewandten Mathematik zu studieren Die Universitat Greifswald bietet Stand 2018 den grundstandigen Studiengang Biomathematik Bachelor of Science und Master of Science B Sc und M Sc 2 an Daneben bieten unter anderem die Universitaten Wien und Oxford eine Spezialisierung im Bereich der theoretischen Biologie an Wien bietet ein Masterstudium Schwerpunkt des Departments sind quantitative Verfahren in der Entwicklungsbiologie mit Hilfe hochauflosender micro CT Bildgebung sowie Modellierung und theoretische Integration von Entwicklungsprozessen 3 Wahrend und nach der Promotion kann das Studium an mittlerweile zahlreichen auf theoretische Biologie spezialisierten Forschungsinstituten fortgesetzt werden Literatur BearbeitenJ T Bonner The Evolution of Complexity by Means of Natural Selection Princeton University Press Princeton 1988 J Bammert H J Jesdinsky E Walter C Otto R Rossner Biomathematik fur Mediziner 3 Auflage Teubner 1988 Nicholas F Britton Essential Mathematical Biology Springer H Hertel Structure Form Movement Reinhold Publishing Corp New York 1963 M Mangel Special Issue Classics of Theoretical Biology part 1 In Bull Math Biol Band 52 Nr 1 2 1990 S 1 318 J Murray Mathematical Biology Springer P Prusinkiewicz A Lindenmeyer The Algorithmic Beauty of Plants Springer Verlag Berlin 1990 D W Thompson On Growth and Form 2 Auflage Cambridge University Press Cambridge 1942 2 Bande S Vogel Life s Devices The Physical World of Animals and Plants Princeton University Press Princeton 1988 Ricard Sole Brian Goodwin Signs of Life How Complexity Pervades Biology Basic Books 2001 ISBN 0 465 01927 7 How the Leopard Changed its Spots The Evolution of Complexity Scribner 1994 ISBN 0 02 544710 6 deutsch Der Leopard der seine Flecken verliert Piper Munchen 1997 ISBN 3 492 03873 5 Gerry Webster B C Goodwin Form and Transformation Generative and Relational Principles in Biology Cambridge Univ Press 1996 ISBN 0 521 35451 X Kwang W Jeon Richard J Gordon Hrsg Mechanical Engineering of the Cytoskeleton in Developmental Biology International Review of Cytology Academic Press London 1994 ISBN 0 12 364553 0 Brian Goodwin Peter Saunders u a Hrsg Theoretical Biology Epigenetic and Evolutionary Order for Complex Systems Edinburgh University Press 1989 ISBN 0 85224 600 5 A J Lotka Elements of Physical Biology Williams and Wilkins Baltimore 1925 ISBN 0 486 60346 6 A J Lotka Analytical Theory of Biological Populations The Plenum Series on Demographic Methods and Population Analysis Plenum Press New York 1998 ISBN 0 306 45927 2 Weblinks BearbeitenWas ist theoretische Biologie F Hoppensteadt Getting Started in Mathematical Biology PDF 197 kB Notices of American Mathematical Society Sept 1995 M C Reed Why Is Mathematical Biology So Hard PDF 52 kB Notices of American Mathematical Society Marz 2004 R M May Uses and Abuses of Mathematics in Biology PDF 222 kB In Science 6 Februar 2004 J D Murray How the leopard gets its spots MS Word 931 kB In Scientific American Band 258 Nr 3 1988 S 80 87 S Schnell R Grima P K Maini Multiscale Modeling in Biology In American Scientist Vol 95 Marz April 2007 S 134 142 Fachjournale Bearbeiten Journal of Theoretical Biology Journal of Mathematical Biology BioSystems Theory in BiosciencesForschungseinrichtungen Bearbeiten Institut fur theoretische Biologie Theoretische Biologie an der Uni Bonn Zentrum fur mathematische Biologie an der Uni Oxford Department fur Theoretische Biologie Universitat WienFachgesellschaften Bearbeiten American Mathematical Society British Society of Developmental Biology European Mathematical Society ESMTB European Society for Mathematical and Theoretical Biology The International Biometric Society abgerufen am 23 Dezember 2018 International Society for Ecological Modelling London Mathematical Society Societe Francophone de Biologie Theorique abgerufen am 23 Dezember 2018 Society for Industrial and Applied Mathematics Society for Mathematical BiologyEinzelnachweise Bearbeiten John Maynard Smith Evolution and the Theory of Games Cambridge University Press 1982 Universitat Greifswald Alle Studienfacher in alphabetischer Reihenfolge PDF 77 5 kB 3 Seiten Stand 15 Juni 2018 S 1 abgerufen am 28 Oktober 2018 Department fur Theoretische Biologie Universitat WienNormdaten Sachbegriff GND 4185095 6 lobid OGND AKS Abgerufen von https de wikipedia org w index php title Theoretische Biologie amp oldid 236191198