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Der Reichskanzler war im Deutschen Kaiserreich die Exekutive auf foderaler Ebene Es gab also keine kollegiale Regierung sondern nur einen einzigen Amtstrager der die Funktion eines verantwortlichen Ministers hatte Das Amt des Reichskanzlers ist identisch mit dem Bundeskanzler des Norddeutschen Bundes Nachdem der Norddeutsche Bund am 1 Januar 1871 in Deutsches Reich umbenannt wurde wurde am 4 Mai 1871 auch der Bundeskanzler zum Reichskanzler Der junge Kaiser Wilhelm II links mit Reichskanzler Otto von Bismarck im Dreikaiserjahr 1888 Der Kanzler war die zentrale Figur der Reichsexekutive Allerdings behielt der Kaiser das Ubergewicht im Konfliktfall da er den Kanzler jederzeit entlassen konnte 1 Ernannt und entlassen wurde der Reichskanzler vom Deutschen Kaiser Formell war der Kaiser frei in seiner Entscheidung wen er ernannte und wann und warum er ihn entliess In der Praxis wurde gleichwohl mitberucksichtigt ob der Reichskanzler mit dem Reichstag zusammenarbeiten konnte Jede Handlung des Kaisers musste vom Reichskanzler gegengezeichnet werden wie man es auch aus anderen konstitutionellen Monarchien kannte Das Amt des Reichskanzlers wird in der Bismarckschen Reichsverfassung wie schon in den Vorgangerverfassungen ausserst knapp eingefuhrt Minister als Kollegen des Reichskanzlers gab es nicht Die obersten Reichsbehorden wurden von Staatssekretaren geleitet Er konnte diesen untergeordneten Beamten Weisungen erteilen Da es keine eigentliche Regierung gab war er offiziell kein Regierungschef sondern die Regierung in einer Person nach Kotulla eine Einmann Regierung 2 Man nannte Reichskanzler und Staatssekretare daher meist Reichsleitung Mit kurzen zeitlichen Ausnahmen waren die Reichskanzler gleichzeitig preussische Ministerprasidenten was ihre Machtstellung erheblich starkte Davon abgesehen hatte der Reichskanzler noch eine weitere Funktion laut Verfassung Er war Vorsitzender des Bundesrates Ansonsten aber war der Kanzler kein Mitglied des Bundesrates und hatte keine Bundesratsstimme Weitere Rechte erhielt er jedoch de facto dadurch dass er fast immer gleichzeitig preussischer Ministerprasident war Die Amtszeit eines Reichskanzlers war an sich unbefristet und auch nicht von Neuwahlen des Parlaments oder einem Wechsel des Kaisers abhangig Der erste Reichskanzler Otto von Bismarck hatte bereits seit 1867 als Bundeskanzler amtiert Entlassen wurde er erst 1890 was ihn zum langstdienenden Kanzler in der deutschen Geschichte macht Die spateren Reichskanzler amtierten zwischen vier und neun Jahren Erst im Ersten Weltkrieg wurden die Amtszeiten erheblich kurzer Die beiden letzten Reichskanzler Georg von Hertling und Max von Baden wurden in Absprache mit den Reichstagsfraktionen ernannt und standen bereits einer Koalitionsregierung vor Inhaltsverzeichnis 1 Entstehung des Amtes 2 Preussen und Reich 3 Entwicklung in der Kaiserzeit 4 Ende des Kaiserreichs 5 Vergleich zu spateren Verfassungen 6 Amtstrager 7 Siehe auch 8 BelegeEntstehung des Amtes Bearbeiten Hauptartikel Bundeskanzler Norddeutscher Bund nbsp Verfassungsdiagramm fur den monarchischen Bundesstaat in Deutschland 1867 1918Als der Norddeutsche Bund zum Kaiserreich wurde gab es keine erneute Ernennung des Amtstragers Bismarck Der deutsche Reichskanzler ist nicht Nachfolger des norddeutschen Bundeskanzlers denn beide Amter sind identisch Die Bezeichnung stammt von der Kanzlei ein Kanzler ist ursprunglich der Vorsteher einer Kanzlei also einer Art Geschaftsstelle in der Dokumente hergestellt werden Historische Vorbilder fur den Gebrauch des Wortes Kanzler gibt es aus Preussen Osterreich der Schweiz und anderen Landern Bismarcks Entwurf fur eine Bundesverfassung 1867 sah einen Bundeskanzler als einen Beamten vor der die Beschlusse des Bundesrats ausfuhrte Erst durch Widerspruch im konstituierenden Reichstag wurde daraus ein verantwortlicher Minister Anfangs gab es noch keinerlei Behorden auf foderaler Ebene sodass der preussische Ministerprasident und neuerdings norddeutsche Bundeskanzler Bismarck auf die Hilfe preussischer Behorden angewiesen war In der Zeit des Norddeutschen Bundes bis 1870 kam es nur zu zwei foderalen Behorden dem Auswartigen Amt fur die Aussenpolitik sowie dem Bundeskanzleramt fur alles Ubrige Preussen und Reich Bearbeiten nbsp Das Deutsche Reich von 1871 bis 1918 und das Konigreich Preussen blau Durch die Entstehungsgeschichte des Norddeutschen Bundes und seiner Verfassung hatte es sich ergeben dass der preussische Ministerprasident und preussische Aussenminister der wichtigste Politiker auf foderaler Ebene wurde Der Gliedstaat Preussen umfasste an Flache und Einwohnerzahl etwa vier Funftel des Norddeutschen Bundes bzw zwei Drittel des Deutschen Reiches Das hatte gravierende Folgen fur das Funktionieren des Foderalismus in Deutschland Ausserdem war der preussische Konig laut Verfassung automatisch Deutscher Kaiser Auch ansonsten war die preussische Hegemonie verfassungsmassig abgesichert Daher war wie Ernst Rudolf Huber feststellt Reichspolitik nur im engen Einvernehmen zwischen der Reichsleitung und der preussischen Staatsleitung moglich 3 Bismarck versuchte es trotzdem einmal sich der Last eines der Amter zu entledigen Vom 21 Dezember 1872 bis zum 9 November 1873 amtierte Albrecht von Roon als preussischer Ministerprasident Nachdem sich diese Amtertrennung nicht bewahrt hatte wurde Bismarck schliesslich wieder Ministerprasident In den Jahren 1892 1894 uberliess Reichskanzler Leo von Caprivi das Ministerprasidentenamt Botho zu Eulenburg Auch der letzte Reichskanzler des Kaiserreichs Max Prinz von Baden war in seiner kurzen Amtszeit im Oktober und November 1918 nie preussischer Ministerprasident an seiner Stelle amtierte der Vizeprasident seines Vorgangers Hertling Robert Friedberg Es hatte allgemein Bedenken gegeben dass ein badischer Thronfolger als preussischer Ministerprasident amtiert 4 Aber auch Bismarck Caprivi und Prinz Max waren stets preussische Aussenminister das war wichtig weil der Aussenminister die preussischen Stimmen im Bundesrat instruierte d h bestimmte wie die preussischen Bundesratsmitglieder abzustimmen hatten Eine Ausnahme machte hier nur Reichskanzler Hohenlohe Schillingsfurst 1894 1900 der den Staatssekretaren im Auswartigen Amt Adolf Marschall von Bieberstein 1894 1897 und Bernhard von Bulow 1897 1900 das preussische Aussenministerium uberliess Die preussischen Stimmen hatten im Bundesrat zwar allein noch keine Mehrheit wurden aber normalerweise die Grundlage fur Bundesratsbeschlusse Fur einen Reichskanzler im Kaiserreich war dies von besonderer Bedeutung An sich hatte der Kanzler wenige Rechte im politischen System und fuhrte im Bundesrat zwar den Vorsitz aber ohne eigene Mitgliedschaft und Stimme Erst durch die Amterverbindung erhielt der Kanzler die Macht im Bundesrat denn als preussischer Ministerprasident und Aussenminister bestimmte er die preussischen Stimmen die in der Verfassung Prasidialstimmen genannt werden wenngleich sie preussische Stimmen waren Als Bundesratsmitglied erhielt er Rederecht im Reichstag Nur Bundesrat und Reichstag konnten Gesetzentwurfe einbringen ein Gesetz bedurfte der Zustimmung beider Organe In der Verfassungswirklichkeit wurde es der Reichskanzler der dem Bundesrat Gesetzentwurfe quasi im Namen der Reichsleitung vorlegte nicht als Vertreter Preussens Die Amterverbindung fuhrte zu der Befurchtung dass das Reich preussischer werden wurde Tatsachlich aber war das Gegenteil der Fall Nicht der preussische Ministerprasident leitete die Reichsgeschafte sondern der deutsche Reichskanzler leitete die preussischen Regierungsgeschafte 5 Der Kaiser ernannte nicht etwa den jeweiligen preussischen Ministerprasidenten zum Reichskanzler sondern er ernannte jemanden zum Reichskanzler den er dann auch zum preussischen Ministerprasidenten machte Die Halfte der Reichskanzler im Kaiserreich stammte nicht aus Preussen Hohenlohe und Hertling waren frankischer bzw rheinhessischer Herkunft und amtierten beide zuvor als bayerische Ministerprasidenten Bulow stammte aus Holstein und Prinz Max war der badische Thronfolger Haufig waren deutsche Staatssekretare gleichzeitig preussische Minister Entwicklung in der Kaiserzeit BearbeitenErst ab 1871 wuchs die Zahl der Staatssekretare bzw der obersten Reichsbehorden so dass die Reichsleitung in der Praxis mehr und mehr einer kollegialen Regierung glich 6 Der Reichskanzler war zwar fur die Richtlinien der Politik zustandig was er im Reich wie auch in Preussen geltend zu machen suchte Ein preussischer Minister bzw ein deutscher Staatssekretar war aber meist eine Personlichkeit die sich durchaus der Eingriffe des Ministerprasidenten bzw Reichskanzlers zu erwehren wusste Das schrankte dessen Macht durchaus ein 7 Liberale Politiker im Reichstag forderten eine kollegiale Regierung ein Kompromiss mit Bismarck fuhrte daraufhin 1878 wenigstens zum Stellvertretungsgesetz Der Kanzler blieb gegenuber den Staatssekretaren weisungsbefugt aber statt des Kanzlers konnten nun auch die Staatssekretare die Gegenzeichnung fur den Kaiser leisten Bismarck ernannte ausserdem den Freikonservativen Otto zu Stolberg Wernigerode zum allgemeinen Stellvertreter Vizekanzler Dieser leitete keine oberste Reichsbehorde und war so gesehen kein Untergebener Bismarcks Die Reichsleitung kam ab 1879 zu beratenden Konferenzen zusammen daher nahm so Huber die Reichsleitung offen den Charakter eines de facto Kollegiums an 8 Es lassen sich also Anzeichen dafur finden dass die Reichsleitung sich langsam aber stetig zu einer Kollegialregierung wandelte Bismarck hatte zwar verboten im amtlichen Sprachgebrauch von Reichsregierung zu sprechen Allerdings verwendete man im Verkehr mit dem Ausland durchaus Ausdrucke wie Kaiserliche Regierung und im Jahr 1913 meinte Vizekanzler Clemens Delbruck im Reichstag der Sache nach gabe es eine solche Regierung bereits 9 Manfred Rauh sieht ausserdem eine schleichende Parlamentarisierung also die Regierungsbildung aufgrund von Koalitionen im Reichstag Diese Entwicklung sei auch ohne die Krise im Ersten Weltkrieg langfristig nicht zu verhindern gewesen 10 Skeptischer ist Michael Sturmer dem zufolge die Parteien und die gesamte Nation sich bequem mit dem monarchischen Obrigkeitsstaat arrangiert hatten Daher hatten selbst die Sozialdemokraten keinen grossen Nutzen in einer Parlamentarisierung gesehen 11 Ende des Kaiserreichs Bearbeiten nbsp Prinz Max von Baden der letzte Reichskanzler des KaiserreichsZwei Wochen vor dem Ende des Kaiserreichs kam es noch zu einer gravierenden Verfassungsanderung welche die Stellung des Reichskanzlers betraf In den sogenannten Oktoberreformen 1918 wurde Art 15 Abs 3 geandert Der Reichskanzler brauchte zur Amtsfuhrung seitdem das Vertrauen des Reichstags Ausserdem wurde die Gegenzeichnungspflicht auf militarische Anordnungen des Kaisers ausgedehnt Reichskanzler Max von Baden drangte den Kaiser am 9 November 1918 zur Abdankung da er eine gewaltsame Revolution in Berlin befurchtete Letztlich ohne Zustimmung des Kaisers verkundete er die Abdankung Sein Amt als Reichskanzler ubertrug Prinz Max dem Sozialdemokraten Friedrich Ebert obwohl laut Verfassung nur der Kaiser einen Reichskanzler ernennen konnte Ebert unterzeichnete zwar einen Aufruf als Reichskanzler vom 10 November bis zum 11 Februar 1919 war er faktischer Regierungschef Deutschlands allerdings nur als einer von zwei Vorsitzenden des revolutionaren Rats der Volksbeauftragten Vergleich zu spateren Verfassungen BearbeitenIn der Weimarer Republik gab es ebenfalls das Amt des Reichskanzlers Allerdings wurde der Reichskanzler laut neuer Reichsverfassung ein Teil der kollegialen Reichsregierung neben den Reichsministern Die Verfassung bekraftigte die weiterhin hervorgehobene Stellung des Reichskanzlers Der Weimarer Reichskanzler bestimmte die Richtlinien der Politik hatte den Vorsitz im Kabinett und leitete die Geschafte der Regierung Der Kanzler uberprufte ob ein Minister die Richtlinien beachtete war allerdings nicht mehr weisungsbefugt Ausserdem bedurften Beschlusse der Reichsregierung einer Mehrheit der Stimmen im Kabinett Der Reichskanzler und auf seinen Vorschlag die Reichsminister wurden vom Reichsprasidenten ernannt Die Rolle des Reichsprasidenten erinnerte auch deswegen an die des Kaisers der bis 1918 fur die Ernennung der Kanzler zustandig war Der Bundeskanzler der Bundesrepublik Deutschland wird vom Bundestag gewahlt Ansonsten ahnelt seine Stellung der des Reichskanzlers in der Weimarer Republik Im Verfahren der Wahl des Bundeskanzlers hat der Bundesprasident das Recht und die Pflicht dem Bundestag einen Kandidaten vorzuschlagen Dies ist ein blasses Uberbleibsel aus der Zeit der Monarchie und der ersten Republik Amtstrager BearbeitenName Lebensdaten Amtsantritt Ende der Amtszeit Kabinett Anmerkungen BildReichskanzlerFurst Otto von Bismarck 1815 1898 4 Mai 1871 20 Marz 1890 I Rucktritt im Konflikt mit Kaiser Wilhelm II nbsp Graf Leo von Caprivi 1831 1899 20 Marz 1890 28 Oktober 1894 I preussischer General nbsp Furst Chlodwig zu Hohenlohe Schillingsfurst 1819 1901 29 Oktober 1894 17 Oktober 1900 I ehemaliger Reichsgesandter 1848 und bayerischer Ministerprasident nbsp Furst Bernhard von Bulow 1849 1929 17 Oktober 1900 14 Juli 1909 I Rucktritt nach Niederlage im Reichstag und Konflikt mit dem Kaiser nbsp Theobald von Bethmann Hollweg 1856 1921 14 Juli 1909 13 Juli 1917 I Rucktritt nach Konflikt mit der Obersten Heeresleitung und dem Reichstag nbsp Georg Michaelis 1857 1936 14 Juli 1917 1 November 1917 I Beamter ohne Machtbasis nbsp Graf Georg von Hertling 1843 1919 1 November 1917 30 September 1918 I Mitglied der Zentrumspartei teilweise parlamentarische Regierung nbsp Prinz Max von Baden 1867 1929 3 Oktober 1918 9 November 1918 I sorgte fur das Ende der Amter des Kaisers und des Kanzlers nbsp Siehe auch BearbeitenReichskanzler Konstitutionelle MonarchieBelege Bearbeiten Michael Kotulla Deutsches Verfassungsrecht 1806 1918 Eine Dokumentensammlung nebst Einfuhrungen 1 Band Gesamtdeutschland Anhaltische Staaten und Baden Springer Berlin u a 2006 S 279 Michael Kotulla Deutsches Verfassungsrecht 1806 1918 Eine Dokumentensammlung nebst Einfuhrungen 1 Band Gesamtdeutschland Anhaltische Staaten und Baden Springer Berlin u a 2006 S 279 Ernst Rudolf Huber Deutsche Verfassungsgeschichte seit 1789 Band IV Struktur und Krisen des Kaiserreiches Verlag W Kohlhammer Stuttgart u a 1969 S 130 Ernst Rudolf Huber Deutsche Verfassungsgeschichte seit 1789 Band IV Struktur und Krisen des Kaiserreiches Verlag W Kohlhammer Stuttgart u a 1969 S 130 ders Deutsche Verfassungsgeschichte seit 1789 Band V Weltkrieg Revolution und Reichserneuerung 1914 1919 W Kohlhammer Stuttgart u a 1978 S 545 f Michael Kotulla Deutsches Verfassungsrecht 1806 1918 Eine Dokumentensammlung nebst Einfuhrungen 1 Band Gesamtdeutschland Anhaltische Staaten und Baden Springer Berlin u a 2006 S 279 Nach Ernst Rudolf Huber Deutsche Verfassungsgeschichte seit 1789 Band III Bismarck und das Reich 3 Auflage W Kohlhammer Stuttgart u a 1988 S 801 S 825 Manfred Rauh Die Parlamentarisierung des Deutschen Reiches Droste Verlag Dusseldorf 1977 S 442 Ernst Rudolf Huber Deutsche Verfassungsgeschichte seit 1789 Band IV Struktur und Krisen des Kaiserreiches Verlag W Kohlhammer Stuttgart u a 1969 S 136 f Ernst Rudolf Huber Deutsche Verfassungsgeschichte seit 1789 Band IV Struktur und Krisen des Kaiserreiches Verlag W Kohlhammer Stuttgart u a 1969 S 144 Manfred Rauh Die Parlamentarisierung des Deutschen Reiches Droste Verlag Dusseldorf 1977 S 29 f Manfred Rauh Die Parlamentarisierung des Deutschen Reiches Droste Verlag Dusseldorf 1977 S 430 Michael Sturmer Regierung und Reichstag im Bismarckstaat 1871 1880 Casarimus oder Parlamentarismus Droste Verlag Dusseldorf 1974 Abgerufen von https de wikipedia org w index php title Reichskanzler Deutsches Kaiserreich amp oldid 229590933