Als Wahrsagen oder Wahrsagung, abwertend Wahrsagerei, werden zahlreiche Praktiken und Methoden zusammengefasst, die dazu dienen sollen, zukĂŒnftige Ereignisse vorherzusagen und gegenwĂ€rtige oder vergangene Ereignisse, die sich der Kenntnis des Fragenden entziehen, zu ermitteln. Die Beschreibung der Wahrsagung fĂ€llt in die Fachbereiche Kulturgeschichte, Religionswissenschaft oder Ethnologie. In der Literatur sind die Bezeichnungen Mantik (von altgriechisch ΌαΜÏÎčÎșᜎ ÏÎÏΜη mantikáž tĂ©chnÄ âKunst der Zukunftsdeutungâ) und Divination (von lateinisch divinatio âWahrsagungâ, eigentlich âErforschung des göttlichen Willensâ) gebrĂ€uchlich. Unter Divination versteht man nicht nur EnthĂŒllung der Zukunft, sondern jede Auslegung von Zeichen der Götter.
Ob Wahrsager tatsĂ€chlich zukĂŒnftige Ereignisse vorhersagen können, ist seit dem 18. Jahrhundert nicht mehr Gegenstand wissenschaftlicher Diskussion. Den Glauben an die divinatorischen KĂŒnste, welche bereits von den Kirchenlehrern als heidnische Relikte abgelehnt wurden, rechnen Kirchen und Theologen dem Aberglauben zu. Die katholische Kirche und maĂgebliche evangelische Theologen lehnen das Wahrsagen daher entschieden ab und argumentieren, es handele sich dabei um eine AnmaĂung des Menschen gegenĂŒber Gott und sei mit dem christlichen Glauben unvereinbar.
Begriffsbestimmung und Klassifikation Bearbeiten
Im Unterschied zu Prognostikern, die sich auf normale, fĂŒr jeden grundsĂ€tzlich einsichtige KausalzusammenhĂ€nge berufen, beanspruchen Wahrsager, ein den Unkundigen verborgenes Wissen ĂŒber okkulte ZusammenhĂ€nge zu besitzen, das ihnen den Blick in die Zukunft ermögliche. Manche Wahrsager behaupten, einen unmittelbaren intuitiven Zugang zu Wissen ĂŒber die Zukunft zu haben, auch âZweites Gesichtâ oder PrĂ€kognition genannt, andere interpretieren Zeichen, die sie als Symbole fĂŒr KĂŒnftiges betrachten. Bei der Zeichendeutung lassen sich zwei Arten unterscheiden: Entweder deutet der Wahrsager von ihm nicht beeinflusste Ereignisse oder Sachverhalte als Anzeichen, aus denen ZukĂŒnftiges herausgelesen werden könne, oder er verursacht selbst nach bestimmten Regeln ein Ereignis, dessen Verlauf oder Ergebnis er dann als verschlĂŒsselte Information ĂŒber ZukĂŒnftiges auffasst und auslegt. Zum ersten Typus gehören beispielsweise die Deutung von Gestirnkonstellationen (Astrologie) und ungewöhnlichen Wettererscheinungen oder das Handlesen (Chiromantie), zum zweiten Typus das Kartenlegen oder die Wurforakel, bei denen aus dem Wurf eines Gegenstands (WĂŒrfel, Knochen, Eier beim Eierorakel und andere) die Antwort auf eine gestellte zukunftsbezogene Frage gelesen wird. Die Unterscheidung zwischen ânatĂŒrlicherâ (unmittelbarer) und âkĂŒnstlicherâ (auf Zeichendeutung durch Fachleute beruhender) Erlangung von Zukunftswissen wurde schon in der antiken Divinationstheorie vorgenommen. Eine etwas andere, besonders an den schamanischen Praktiken ethnischer Religionen orientierte Klassifikation unterscheidet zwischen intuitiver Wahrsagung, bei der sich der Wahrsager ausschlieĂlich auf ein intuitiv seinem eigenen Geist entnommenes Wissen beruft, âBesessenheitswahrsagungâ, bei der Götter oder andere körperlose Wesen zeitweilig von einem Körper Besitz ergreifen sollen, um ĂŒber ihn Botschaften zu ĂŒbermitteln, und âWeisheitswahrsagungâ, bei welcher der Wahrsager den Anspruch erhebt, die Basis seines Zukunftswissens seien ihm bekannte objektive GesetzmĂ€Ăigkeiten, aus denen er im Einzelfall jeweils zutreffende Folgerungen ableite.
Vom Wahrsagen unterschieden wird die religiöse Prophetie oder Weissagung. Dabei handelt es sich um zukunftsbezogene Behauptungen, fĂŒr die eine unmittelbare göttliche Inspiration in Anspruch genommen wird. Der Prophet oder Weissagende tritt als beauftragter VerkĂŒnder eines göttlichen Plans auf. Weissagung betrifft gewöhnlich Schicksale von Völkern oder der ganzen Menschheit, Wahrsagung Schicksale von Individuen oder kleineren Gruppen. Die Abgrenzung der Weissagung vom Wahrsagen ist jedoch nicht immer eindeutig möglich und unprĂ€ziser Sprachgebrauch ist hĂ€ufig. UrsprĂŒnglich und bis ins 16. Jahrhundert verstand man unter einem âWahrsagerâ oder âWeissagerâ (althochdeutsch wÄ«z(z)ago, altsĂ€chsisch wÄrsago, mittelhochdeutsch wÄrsage) einen Propheten, erst in der Neuzeit erhielt das Wort âWahrsagerâ seine heutige Bedeutung.
Weltanschauliche Grundlage Bearbeiten
Den verschiedenen Formen von Wahrsagung liegt ein Weltbild zugrunde, das von einer einheitlichen Struktur des gesamten Kosmos ausgeht, die immer und ĂŒberall auf den gleichen qualitativen Prinzipien beruht. Die Welt gilt als so aufgebaut, dass ihre Teile analog strukturiert sind und einander spiegeln. Es wird angenommen, dass zwischen rĂ€umlich und zeitlich getrennten Bereichen verborgene, aber erkennbare gesetzmĂ€Ăige ZusammenhĂ€nge oder Analogien bestehen. PhĂ€nomene unterschiedlicher Art, zwischen denen kein kausaler Zusammenhang aufgezeigt werden kann, werden auf ein einheitliches Organisationsprinzip der Weltordnung zurĂŒckgefĂŒhrt und dadurch miteinander verknĂŒpft. So wird ein strenger Parallelismus zwischen Kosmischem bzw. Himmlischem und Irdischem bzw. Menschlichem unterstellt. Im Rahmen dieses Weltbilds geht man davon aus, dass auch zwischen Wahrnehmbarem und (noch) Verborgenem detaillierte Analogiebeziehungen bestehen. Die Erkenntnis des Wesens dieser Beziehungen soll es ermöglichen, das Verborgene â auch ZukĂŒnftiges â zu erfassen. Diese Annahme bildet die Grundlage fĂŒr den Anspruch des Wahrsagers, zutreffende Voraussagen machen zu können; denn er behauptet, die einschlĂ€gigen GesetzmĂ€Ăigkeiten zu kennen. In manchen FĂ€llen wird davon ausgegangen, dass das Zukunftswissen zwar nur einer göttlichen Instanz unmittelbar zugĂ€nglich sei, aber von der Gottheit einem Menschen ĂŒber Visionen oder TrĂ€ume offenbart werde.
Meist gilt die Zukunft nicht als unabĂ€nderlich feststehend. Vielmehr soll die Wahrsagung insbesondere dem Zweck dienen, drohendes Unheil frĂŒhzeitig zu erkennen und durch geeignete MaĂnahmen abzuwenden. Dennoch fĂŒhren die weltanschaulichen PrĂ€missen, von denen die Wahrsagung ausgeht, zu philosophischen Problemen, die mit der Frage nach Determiniertheit (Vorherbestimmtsein, ZwangslĂ€ufigkeit) und Willensfreiheit zusammenhĂ€ngen. Ein fĂŒr Aussagen ĂŒber die Zukunft erhobener Wahrheitsanspruch setzt voraus, dass schon in der Gegenwart feststeht, dass etwas zwangslĂ€ufig eintreten wird. Demnach ist nicht nur das vom Wahrsager Vorausgesagte determiniert, sondern auch der Umstand, dass der Wahrsager konsultiert wird. Diese Annahme fĂŒhrt zu einer fatalistischen oder deterministischen Philosophie und bedroht die Vorstellung der Willensfreiheit. Das Problem kann umgangen werden, wenn angenommen wird, dass das Vorausgesagte nicht unabĂ€nderlich sei, sondern ein durch Wahrsagung Gewarnter sein kĂŒnftiges Schicksal noch beeinflussen könne. Damit wird aber der Wahrheitsanspruch der Wahrsagung mehr oder weniger stark relativiert und eingeschrĂ€nkt und eine ĂberprĂŒfung ihrer Richtigkeit verunmöglicht.
Psychologische Aspekte Bearbeiten
Der Sozial- und Religionshistoriker Georges Minois hat eine umfassende Darstellung der Geschichte der Wahrsagung vorgelegt. Nach seinen Angaben sind 25 verschiedene Vorhersagemethoden gang und gĂ€be, âvon der Kristallkugel bis zum Kaffeesatz, von der Geomantie bis zur Numerologie, von der Chiromantie bis zur Kartomantieâ. Minois erklĂ€rt die andauernde weite Verbreitung der Praktiken sozialpsychologisch. Den Hauptgrund fĂŒr die anhaltende Beliebtheit des Wahrsagens in der Moderne sieht er nicht im BedĂŒrfnis, Wissen ĂŒber die Zukunft zu erlangen, sondern in der sozialen Funktion der Beziehung zwischen dem Wahrsager und seinem Orientierung suchenden Kunden. Der Kunde suche in unruhigen und unbestĂ€ndigen Zeiten tröstlichen menschlichen Kontakt. Eine Vorhersage sei niemals neutral, sondern es gehe um die Thematisierung von Absichten, WĂŒnschen und BefĂŒrchtungen des Kunden und um einen AnstoĂ zum Ergreifen von MaĂnahmen. Die Vorhersage impliziere stets eine Anweisung zum Handeln, sie sei untrennbar mit den Schritten verknĂŒpft, zu denen sie fĂŒhre. Einer Vorhersage, die âhilft, erleichtert, beruhigt und zum Handeln anregtâ, komme die Funktion einer Therapie zu.
Ăhnlich urteilt der Religionshistoriker Walter Burkert. Er meint, der âGewinn an Lebensmut, den die âZeichenâ als Entscheidungshilfe einbringenâ, sei âso betrĂ€chtlich, dass gelegentliche Falsifizierung durch Erfahrung dagegen nicht aufkommtâ, und kommt zum Ergebnis, dass âdie Entscheidungshilfe, die StĂ€rkung des Selbstvertrauens wichtiger ist als eigentliches Vorherwissenâ.
Geschichte Bearbeiten
In den Hochkulturen des Alten Orients wurde Wahrsagung insbesondere im Auftrag der Herrscher praktiziert. Zahlreiche Quellen aus Mesopotamien ĂŒberliefern eine FĂŒlle von Einzelheiten. Das wichtigste Verfahren war die schon um die Mitte des 3. Jahrtausends v. Chr. inschriftlich bezeugte Eingeweideschau. Dabei wurde meist aus der Beschaffenheit der Leber eines geschlachteten Opfertiers auf den Willen der Götter und den zu erwartenden Ausgang eines Vorhabens geschlossen. Der Erkenntniswert der verwendeten Wahrsagemethoden wurde unterschiedlich eingeschĂ€tzt, das Prinzip als solches aber nicht angefochten.
Im antiken Griechenland waren besonders die Vogelschau (Deutung des Vogelflugs, Ornithomantie), die Leberschau (Hepatomantie), die Traumdeutung und das Orakelwesen verbreitet. An den berĂŒhmten OrakelstĂ€tten wurden OrakelsprĂŒche als Antworten auf den Göttern gestellte Fragen verkĂŒndet. Oft enthielten die OrakelsprĂŒche keine klaren Aussagen ĂŒber ZukĂŒnftiges, sondern rĂ€tselhaft formulierte AuskĂŒnfte oder Anweisungen, die unterschiedlich interpretierbar waren.
Im Römischen Reich gehörten ebenfalls Vogelschau (augurium) und Eingeweideschau zu den wichtigsten Methoden, sie wurden von Staats wegen praktiziert. Bezweckt wurde damit nicht ein direkter Blick in die Zukunft, sondern die Beantwortung der Frage, ob die Götter mit einem politischen oder militĂ€rischen Vorhaben einverstanden waren und dieses daher als aussichtsreich gelten konnte. Neben dieser staatlichen Wahrsagung, die von Priesterkollegien betrieben wurde, gab es die private zur Erkundung kĂŒnftiger Schicksale einzelner Individuen. Die von berufsmĂ€Ăigen Wahrsagern betriebene Wahrsagung auĂerhalb staatlicher Institutionen war den römischen Behörden suspekt. Vielen Personen kĂŒndigten Wahrsager die Erlangung der KaiserwĂŒrde an, was vom regierenden Herrscher als Subversion aufgefasst wurde. Die unerwĂŒnschten Folgen politisch relevanter Divination â darunter Voraussagen ĂŒber den Tod des Kaisers â fĂŒhrten dazu, dass das Wahrsagen durch die Gesetzgebung reglementiert und eingeschrĂ€nkt oder verboten wurde.
Gegen die Wahrsagung erhob sich in der Antike heftige und verbreitete Kritik. Von fundamentaler Ablehnung erzĂ€hlt schon Homer. Jedoch kommen bei Homer hĂ€ufig Orakel vor, welche in ErfĂŒllung gehen, so in der Odyssee (9.504), wo der Kyklop Polyphem zugibt, dass ihm einst von einem Seher geweissagt worden sei, dass ihn Odysseus blenden werde. In Philosophenkreisen wurde die Vorstellung einer voraussagbaren Zukunft aus grundsĂ€tzlichen ErwĂ€gungen problematisiert und teils radikal abgelehnt. Gegner des Wahrsagens waren insbesondere die Kyniker, die Skeptiker und die Epikureer sowie viele Peripatetiker und Cicero. Abgesehen von grundsĂ€tzlichen philosophischen EinwĂ€nden entzĂŒndete sich die Kritik an der UnzuverlĂ€ssigkeit der Vorhersagen und vor allem an den kommerziellen Interessen der berufsmĂ€Ăigen Wahrsager, die als Scharlatane angegriffen wurden. Auch die bewusste Produktion von angeblichen Vorzeichen zum Zweck der Manipulation wurde thematisiert. Schriftsteller wie der Satiriker Lukian von Samosata griffen die Skepsis auf und verarbeiteten die Kritik an Betrug und LeichtglĂ€ubigkeit literarisch. In der griechischen Komödie wurden Wahrsager als geldgierige BetrĂŒger verspottet, ihr politischer Einfluss wurde als kriegstreiberisch und verhĂ€ngnisvoll angeprangert.
Die christliche Kirche betrachtete die biblische Prophetie als authentische, göttlich legitimierte Ăbermittlung von Wissen ĂŒber die Zukunft. Der Anspruch der Wahrsager, KĂŒnftiges voraussagen zu können, stieĂ aber bei den antiken KirchenvĂ€tern auf radikale Ablehnung. Sie sahen darin eine AnmaĂung, einen menschlichen Ăbergriff in eine Gott vorbehaltene SphĂ€re. AuĂerdem hing das Wahrsagewesen mit der alten griechischen und römischen Religion zusammen, die den Christen verhasst war, und galt als Teufelswerk. Im Verlauf der Christianisierung des Römischen Reichs im 4. Jahrhundert kam es zu scharfen gesetzlichen Wahrsageverboten. Auch spĂ€tantike Konzilien verhĂ€ngten Verbote. Allerdings war das staatliche Einschreiten gegen die Wahrsagung in der SpĂ€tantike kein ausschlieĂlich religiöses Anliegen christlicher Herrscher, sondern die MaĂnahmen setzten auch eine restriktive Politik fort, die schon der christenfeindliche Kaiser Diokletian eingeleitet hatte. Die hĂ€ufige Wiederholung der Verbote lĂ€sst erkennen, dass sie die gewĂŒnschte Wirkung nur teilweise erzielten und das Thema aktuell blieb.
Im Mittelalter und in der FrĂŒhen Neuzeit war die Wahrsagung weit verbreitet. Von kirchlichen Behörden und manchen theologischen AutoritĂ€ten wurde sie weiterhin bekĂ€mpft und zurĂŒckgedrĂ€ngt, doch fand sie unter den mittelalterlichen Philosophen und Theologen auch Verteidiger. Im spĂ€teren Mittelalter gewannen Wahrsager nicht nur an FĂŒrstenhöfen, sondern auch im kirchlichen Raum betrĂ€chtlichen Einfluss. Manche Herrscher, darunter Kaiser Friedrich II., beschĂ€ftigten Hofastrologen. Ab dem 14. Jahrhundert waren Astrologen sogar an der pĂ€pstlichen Kurie tĂ€tig, in der Renaissance lieĂen sich PĂ€pste und KardinĂ€le astrologisch beraten.
AuĂerdem gab es seit der Antike christliche Formen des Voraussagens, die in kirchlichen Kreisen akzeptiert waren und insbesondere in der Hagiographie breiten Raum einnahmen. Oft wurde Heiligen die FĂ€higkeit zugeschrieben, dank göttlicher Eingebung KĂŒnftiges (beispielsweise einen Todesfall) vorauszusehen. Die reichhaltige mittelalterliche Visionsliteratur berichtete ĂŒber göttliche Offenbarungen, die oft auch Voraussagen enthielten. Eine teils philosophisch, teils physikalisch oder historisch argumentierende Kritik an den Zukunftsvoraussagen nahm ab dem Ende des 16. Jahrhunderts zu und ergĂ€nzte die traditionelle religiös motivierte Kritik, rief aber auch eine FĂŒlle von Gegenschriften hervor.
Ab 1820 kamen in der westlichen Zivilisation dokumentierte Konstruktionen von Wahrsageautomaten auf. Diese Automaten suggerieren, in der Regel gegen Geldeinwurf, die Zukunft vorhersagen zu können. Am ĂŒblichsten war die Ausgabe der Prophezeiung als Text auf einem KĂ€rtchen. Besonders beliebt waren die Automaten um die 1930er in den USA, doch auch in Deutschland waren GerĂ€te aufgestellt.
Gegenpositionen Bearbeiten
Zu den erklÀrten Gegnern des Wahrsagens gehört die Katholische Kirche, die in ihrem Katechismus unter anderem festhÀlt:
âSĂ€mtliche Formen der Wahrsagerei sind zu verwerfen: Indienstnahme von Satan und DĂ€monen, Totenbeschwörung oder andere Handlungen, von denen man zu Unrecht annimmt, sie könnten die Zukunft âentschleiernâ. Hinter Horoskopen, Astrologie, Handlesen, Deuten von Vorzeichen und Orakeln, Hellseherei und dem Befragen eines Mediums verbirgt sich der Wille zur Macht ĂŒber die Zeit, die Geschichte und letztlich ĂŒber die Menschen, sowie der Wunsch, sich die geheimen MĂ€chte geneigt zu machen. Dies widerspricht der mit liebender Ehrfurcht erfĂŒllten Hochachtung, die wir allein Gott schulden.â
Konzilianter ist die Haltung protestantischer Kirchen. Die Evangelische Informationsstelle sieht in der Inanspruchnahme von Wahrsagung die Befriedigung eines menschlichen GrundbedĂŒrfnisses, mit dem sich jede Religion zu befassen habe. Das Wahrsagen könne jedoch fĂŒr die evangelischen Landeskirchen kein Weg sein, weil diese Kirchen âbewusst mit der rational-wissenschaftlichen Erfassung der Welt in Ăbereinstimmung stehenâ wollen. Stattdessen wird empfohlen, âsich der Ungewissheit der Zukunft zu stellen im Wissen, dass Gott die GlĂ€ubigen, egal wie das Kommende aussehen mag, nicht alleinlĂ€sstâ.
Sonstige Rezeption Bearbeiten
Die Gesellschaft zur wissenschaftlichen Untersuchung von Parawissenschaften (GWUP) veröffentlicht alljĂ€hrlich einen âPrognosencheckâ, der auf einem Blog des Privatmanns Michael Kunkel basiert und in dem eine Reihe öffentlich getroffener Vorhersagen von Astrologen, Wahrsagern und Hellsehern kommentiert werden. Zu dem Umstand, dass Wahrsager sich groĂer Beliebtheit erfreuen und dass Klienten oft von verblĂŒffenden âTreffernâ berichten, wĂ€hrend in âkontrollierten Experimenten keine ĂŒber den Zufall hinausgehenden Trefferquoten ermittelt werden konntenâ, weist die GWUP auf die ErklĂ€rungsmuster des Cold Readings, des Barnum-Effekts und der SelbsterfĂŒllenden Prophezeiung hin.
Nach dem Altorientalisten Stefan Maul war die grundlegende Einbeziehung des Wahrsagens und von Orakeln in ökonomische, militĂ€rische und politische Entscheidungen ein wichtiger Faktor fĂŒr den ĂŒber zwei Jahrtausende anhaltenden Erfolg Mesopotamiens. Dabei sei allerdings entscheidend gewesen, welche Frage wie und zu welchem Zeitpunkt gestellt wurde.
Nachdem das berufsmĂ€Ăige Wahrsagen in Deutschland, insbesondere in der Zeit des Nationalsozialismus, zunĂ€chst vielfach verboten war, wurde es 1965 durch das Bundesverwaltungsgericht der durch Art. 12 Abs. 1 S. 2 GG grundrechtlich verbĂŒrgten Berufsfreiheit zugeordnet und zugelassen. Dass das Wahrsagen aus âweltanschaulichen, religiösen, wissenschaftlichen oder sonstigen GrĂŒnden umstritten ist und von einem Teil der Gesellschaft nicht als eine wirklich sinnvolle Arbeit und als ein Beitrag zur gesellschaftlichen Gesamtleistung gewertetâ werde, fĂŒhre fĂŒr sich genommen nicht dazu, es schlechthin von der 1949 neu verbĂŒrgten Berufsfreiheit ebenso auszuschlieĂen wie die BetĂ€tigung als âBerufsverbrecherâ oder die âAusĂŒbung der Gewerbsunzuchtâ.
Literatur Bearbeiten
Quellen und Darstellungen aus der Sicht von Wahrsagern Bearbeiten
- Gabriele Hoffmann: Wahrsagen. Wegweiser fĂŒr Schicksal und Zukunft. Hugendubel, Kreuzlingen 2007, ISBN 3-7205-6022-8.
- Albert S. Lyons: Das groĂe Buch vom Wahrsagen. Dumont, Köln 2004, ISBN 3-8321-7389-7.
- Eva-Christiane Wetterer: Der heiĂe Draht zur Zukunft. Heyne, MĂŒnchen 2006, ISBN 3-453-67011-6.
Untersuchungen Bearbeiten
- 1958, Gerhard Eis: Wahrsagetexte des SpÀtmittelalters. Aus Handschriften und Inkunabeln herausgegeben (= Texte des spÀten Mittelalters. Band 1).
- 1968, Joachim Telle: Funde zur empirisch-mantischen Prognostik in der medizinischen Fachprosa des spĂ€ten Mittelalters. In: Sudhoffs Archiv. Band 52, S. 130â141.
- 1970, Joachim Telle: BeitrĂ€ge zur mantischen Fachliteratur des Mittelalters. In: Studia neophilologica. Band 47, S. 180â206.
- 1987, Francis B. BrĂ©vart: Mondwahrsagetexte (deutsche). In: Verfasserlexikon. 2. Auflage. Band 7, Sp. 674â681.
- 1998, Georges Minois: Geschichte der Zukunft. Orakel, Prophezeiungen, Utopien, Prognosen. Artemis & Winkler, DĂŒsseldorf und ZĂŒrich. ISBN 3-538-07072-5.
- 2001, Matthew Hughes, Robert Behanna, Margaret L. Signorella: Perceived accuracy of fortune telling and belief in the paranormal. In: The Journal of social psychology 141, S. 159â160. PMID 11294162 ISSNÂ 0022-4545.
- 2005, Wolfram Hogrebe (Hrsg.): Mantik. Profile prognostischen Wissens in Wissenschaft und Kultur. Königshausen und Neumann, WĂŒrzburg. ISBN 3-8260-3262-4.
- 2007, Kocku von Stuckrad: Geschichte der Astrologie. Von den AnfĂ€ngen bis zur Gegenwart (= Beckâsche Reihe Band 1752), Beck, MĂŒnchen. ISBN 3-406-54777-X .
- 2013, Stefan Maul: Die Wahrsagekunst im alten Orient. Beck, MĂŒnchen 2013, ISBN 978-3-406-64514-3.
Weblinks Bearbeiten
- Ausstellung Der Blick in die Zukunft vom 19. Oktober 2022 bis 21. Januar 2023 in der Badischen Landesbibliothek
Anmerkungen Bearbeiten
- Wolf-Dieter MĂŒller-Jahncke: Zum Magie-Begriff in der Renaissance-Medizin und -Pharmazie. In: Rudolf Schmitz, Gundolf Keil (Hrsg.): Humanismus und Medizin. Acta humaniora, Weinheim 1984 (= Deutsche Forschungsgemeinschaft: Mitteilungen der Kommission fĂŒr Humanismusforschung. Band 11), ISBN 3-527-17011-1, S. 99â116, hier: S. 99 f.
- Fritz Graf: Divination/Mantik. In: Religion in Geschichte und Gegenwart, 4. Auflage, Band 2, TĂŒbingen 1999, Sp. 883â886, hier: 883â885.
- Evan M. Zuesse: Divination: An Overview. In: Lindsay Jones (Hrsg.): Encyclopedia of Religion, 2. Auflage, Bd. 4, Detroit u. a. 2005, S. 2369â2375, hier: 2370â2372.
- Siehe die Beispiele bei Will-Erich Peuckert: Weissagung und Weissagungen. In: Handwörterbuch des deutschen Aberglaubens, Band 9, Berlin 1938/1941, Sp. 358â441. Vgl. Wassilios Klein: Propheten, Prophetie. I. Religionsgeschichtlich. In: Theologische RealenzyklopĂ€die, Bd. 27, Berlin 1997, S. 473â476, hier: 473f.
- Friedrich Kluge: Etymologisches Wörterbuch der deutschen Sprache, 21. Auflage, Berlin 1975, S. 832, 850; Wolfgang Pfeifer: Etymologisches Wörterbuch des Deutschen, Band MâZ, 2. Auflage, Berlin 1993, S. 1552.
- Zum Analogiedenken siehe Veit Rosenberger: GezĂ€hmte Götter. Das Prodigienwesen der römischen Republik. Stuttgart 1998, S. 94â97.
- Zu den weltanschaulichen Grundlagen siehe Stefan Maul: Divination. I. Mesopotamien. In: Der Neue Pauly. Band 3, Metzler, Stuttgart 1997, Sp. 703â706; Francesca Rochberg: The Heavenly Writing. Cambridge 2004, S. 1â13; Michael A. Flower: The Seer in Ancient Greece. Berkeley 2008, S. 104â114.
- Zur antiken Diskussion ĂŒber diese Problematik siehe François Guillaumont: Le De divinatione de CicĂ©ron et les thĂ©ories antiques de la divination. Bruxelles 2006, S. 214â253.
- Georges Minois: Geschichte der Zukunft, DĂŒsseldorf 1998, S. 712.
- Georges Minois: Geschichte der Zukunft, DĂŒsseldorf 1998, S. 19f., 716.
- Walter Burkert: Griechische Religion der archaischen und klassischen Epoche, Stuttgart 1977, S. 181.
- Walter Burkert: Griechische Religion der archaischen und klassischen Epoche, Stuttgart 1977, S. 184.
- Stefan Maul: Divination. I. Mesopotamien. In: Der neue Pauly, Band 3, Stuttgart 1997, Sp. 703â706. FĂŒr Einzelheiten der Wahrsagung bei den verschiedenen Völkern siehe Manfried Dietrich, Oswald Loretz: Mantik in Ugarit, MĂŒnster 1990; Giovanni Pettinato: Die Ălwahrsagung bei den Babyloniern, 2 BĂ€nde, Rom 1966; Annelies Kammenhuber: Orakelpraxis, TrĂ€ume und Vorzeichenschau bei den Hethitern, Heidelberg 1976; Frederick H. Cryer: Divination in Ancient Israel and its Near Eastern Environment, Sheffield 1994; Ann Jeffers: Magic and divination in ancient Palestine and Syria, Leiden 1996; Willem H. Ph. Römer: Zukunftsdeutungen in sumerischen Texten. In: Otto Kaiser (Hrsg.): Texte aus der Umwelt des Alten Testaments, Bd. 2: Orakel, Rituale, Bau- und Votivinschriften, Lieder und Gebete, GĂŒtersloh 1986â1991, S. 17â55; Rosel Pientka-Hinz: Akkadische Texte des 2. und 1. Jahrtausends v. Chr. 1. Omina und Prophetien. In: Texte aus der Umwelt des Alten Testaments, Neue Folge Band 4: Omina, Orakel, Rituale und Beschwörungen, GĂŒtersloh 2008, S. 16â60.
- FĂŒr Einzelheiten siehe David E. Aune: Prophecy in Early Christianity and the Ancient Mediterranean World, Grand Rapids 1983, S. 23â79; Sarah Iles Johnston: Ancient Greek Divination, Malden 2008, S. 125â143; zur öffentlichen Inanspruchnahme von Orakeln Christian Oesterheld: Göttliche Botschaften fĂŒr zweifelnde Menschen, Göttingen 2008 (besonders S. 534â569 ĂŒber Orakel als Steuerungsinstanzen sozialen Handelns).
- Zur staatlichen Wahrsagung siehe Veit Rosenberger: GezĂ€hmte Götter. Das Prodigienwesen der römischen Republik, Stuttgart 1998, S. 46â71.
- Jörg Hille: Die Strafbarkeit der Mantik von der Antike bis zum frĂŒhen Mittelalter, Frankfurt 1979, S. 51â64.
- Michael A. Flower: The Seer in Ancient Greece, Berkeley 2008, S. 133â135.
- JĂŒrgen Hammerstaedt: Die Orakelkritik des Kynikers Oenomaus, Frankfurt 1988 (Edition mit Einleitung und Kommentar).
- Zur philosophischen Kritik siehe Friedrich Pfeffer: Studien zur Mantik in der Philosophie der Antike, Meisenheim 1976, S. 104â112; speziell zu Cicero François Guillaumont: Le De divinatione de CicĂ©ron et les thĂ©ories antiques de la divination, Bruxelles 2006, S. 214â354.
- Eine Fallstudie bietet Michael A. Flower: The Seer in Ancient Greece, Berkeley 2008, S. 114â119; vgl. S. 132, 138f.
- Michael A. Flower: The Seer in Ancient Greece, Berkeley 2008, S. 135f.
- Michael A. Flower: The Seer in Ancient Greece, Berkeley 2008, S. 175f.
- Nicholas D. Smith: Diviners and Divination in Aristophanic Comedy. In: Classical Antiquity 8, 1989, S. 140â158.
- FĂŒr Einzelheiten siehe die ausfĂŒhrliche Darstellung von Marie Theres Fögen: Die Enteignung der Wahrsager. Studien zum kaiserlichen Wissensmonopol in der SpĂ€tantike, Frankfurt am Main 1993, S. 11ff.
- Zur Haltung der antiken Christen siehe Pierre Courcelle: Divinatio. In: Reallexikon fĂŒr Antike und Christentum, Band 3, Stuttgart 1957, Sp. 1235â1251, hier: 1241â1250; Jörg Hille: Die Strafbarkeit der Mantik von der Antike bis zum frĂŒhen Mittelalter, Frankfurt 1979, S. 64â81.
- Zu den frĂŒhmittelalterlichen VerhĂ€ltnissen siehe Jörg Hille: Die Strafbarkeit der Mantik von der Antike bis zum frĂŒhen Mittelalter, Frankfurt 1979, S. 81â116.
- Gerd Mentgen: Astrologie und Ăffentlichkeit im Mittelalter, Stuttgart 2005, S. 161â273.
- Zur mittelalterlichen und frĂŒhneuzeitlichen Wahrsagung siehe Margarethe Ruff: Zauberpraktiken als Lebenshilfe, Frankfurt 2003, S. 29â62 und die BeitrĂ€ge in der Aufsatzsammlung von Klaus Bergdolt und Walther Ludwig (Hrsg.): Zukunftsvoraussagen in der Renaissance, Wiesbaden 2005.
- Nic Costa: Automatic pleasures the history of the coin machine. Nr. 1. Kevin Francis, East Dulwich, London 1988, S. 153 (englisch).
- Your Wish is Granted. In: americanantiquities.com. American Antiquities, abgerufen am 31. Mai 2021 (amerikanisches Englisch).
- Der Automat. Das Fachorgan der Automaten-Wirtschaft. Band 7, Nr. 12. Der Automat, Berlin Dezember 1933, S. 416.
- III: âDu sollst neben mir keine anderen Götter habenâ
- Georg Otto Schmid 1995 bei relinfo.ch
- Prognosencheck der GWUP fĂŒr 2011
- Inge HĂŒsgen, Wolfgang Hund: Wahrsager
- Deutschlandfunk, 5. April 2015, Interview, mit Stefan Maul: âEine Ohrfeige fĂŒr den modernen, aufgeklĂ€rten Menschenâ
- BVerwG, Urt. v. 4. November 1965, Az. I C 6.63 = BVerwGE 22, 286
- Martin Rath: Ruinenstadt Berlin verbietet esoterische GeschÀfte. In: Legal Tribune Online. 11. Oktober 2020, abgerufen am 11. Oktober 2020.