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Die Sprengstoffwerke Allendorf und Herrenwald waren zwei Sprengstofffabriken die in der Zeit des Nationalsozialismus ab 1938 39 im Herrenwald in der Gemarkung der damaligen Landgemeinde Allendorf heute Stadtallendorf im seinerzeit preussischen Landkreis Marburg errichtet wurden Die Errichtung der Werke erfolgte im Auftrag und auf Rechnung der deutschen Wehrmacht uber ein getarntes staatliches Finanzierungs und Verwaltungssystem Montan Schema wahrend der eigentliche Betrieb in den Handen der Gesellschaft m b H zur Verwertung chemischer Erzeugnisse Verwertchemie als Tochterfirma der Dynamit AG DAG bzw der Westfalisch Anhaltischen Sprengstoff Actien Gesellschaft WASAG lag Luftbild der beiden Sprengstoffwerke von ca 1944Der Tarnname fur das Werk Allendorf der Verwertchemie bzw DAG lautete Barbara I Tarnname fur das benachbarte Werk Herrenwald der WASAG war Barbara II Die im Zweiten Weltkrieg nicht zerstorten Anlagen und Gebaude der beiden Sprengstoffwerke bildeten nach 1945 die Grundlage fur die Entwicklung des Dorfes Allendorf hin zur heutigen Mittelstadt Stadtallendorf im Landkreis Marburg Biedenkopf in Hessen Inhaltsverzeichnis 1 Vorgeschichte und Standortwahl 2 Das Werk Allendorf der Verwertchemie DAG 2 1 Aufbau und Infrastruktur 2 2 Produktion 3 Das Werk Herrenwald der WASAG 3 1 Aufbau und Infrastruktur 3 2 Produktion 4 Arbeitskrafte und Lager 4 1 Zahl und Herkunft der Arbeitskrafte 4 2 Lebens und Arbeitsbedingungen 4 3 Siedlungen und Lager 5 Die Werke nach 1945 5 1 Entmilitarisierung und Demontage 5 2 Vertriebenengemeinde und Industriestandort 5 3 Rustungsaltlast 5 4 DIZ und Stadtmuseum 6 Literatur 7 Weblinks 8 EinzelnachweiseVorgeschichte und Standortwahl Bearbeiten nbsp Das Dorf Allendorf die heutige Altstadt von StadtallendorfDie Planung und der Bau der beiden Sprengstofffabriken standen im Zusammenhang mit der Aufrustung der Wehrmacht nach der sogenannten Machtergreifung der Nationalsozialisten am 30 Januar 1933 Um den massiven Munitionsbedarf der Wehrmacht vor allem auch im Kriegsfall decken zu konnen mussten die durch den Friedensvertrag von Versailles eingeschrankten Produktionskapazitaten im Pulver und Sprengstoffbereich deutlich ausgeweitet werden In Absprache zwischen dem Heereswaffenamt und den privaten Firmen wie insbesondere der DAG und WASAG begann daher die Errichtung einer Reihe von getarnten Schattenwerken die erst im Mobilmachungs oder Kriegsfall die Produktion aufnehmen sollten Gemeinsam war all diesen Werken die abgelegene Lage im landlichen Raum die aufgelockerte und teilweise verbundene Bauweise und Tarnungsmassnahmen Bis 1938 war die rund 1 500 Einwohner zahlende Gemeinde Allendorf im Osten des Landkreises Marburg ein bauerlich gepragtes Dorf wie viele andere Zur Unterscheidung von den anderen Ortschaften gleichen Namens darunter allein 13 im heutigen Hessen wurde es umgangssprachlich auch Allendorf im Barenschiessen oder Katholisch Allendorf genannt Die letztere Bezeichnung erklart sich daher dass die Einwohner von Allendorf mit Ausnahme einer kleinen judischen Gemeinde fast ausschliesslich katholischen Glaubens waren Wegen der durchweg kleinen landwirtschaftlichen Flachen war ein Teil der Ortsbevolkerung gezwungen als Saisonarbeiter Westfalenganger insbesondere im Ruhrgebiet zu arbeiten Im Jahr 1937 wandten sich im Rahmen des Schnellplans zum Ausbau der deutschen Pulver und Sprengstofffabriken Offiziere der deutschen Luftwaffe wegen moglicher Standorte von Sprengstoffwerken an das Landratsamt in Marburg Im Vordergrund stand dabei zunachst die Gegend um Wetter Hessen aufgrund der Nahe zu der bereits im Bau befindlichen Luftmunitionsanstalt Frankenberg 1 Von Seiten des Landkreises wurde zunachst der Frauenberg sudlich von Marburg vorgeschlagen welcher jedoch nicht die Zustimmung der Militars fand Ausgewahlt wurde schliesslich der Staatsforst Herrenwald im Raum Allendorf und Neustadt Dieses Gelande erfullte die Forderungen im Hinblick auf die Abgeschiedenheit die Tarnungsmoglichkeiten und das Arbeitskraftepotential trotz hoher Anforderungen an die Wasser und Energieversorgung Das Werk Allendorf der Verwertchemie DAG BearbeitenAufbau und Infrastruktur Bearbeiten nbsp Luftbild vom Werk Allendorf DAG vom 16 Februar 1948 nbsp Detail aus dem Luftbild zeigt die Erdwalle um die Produktionsgebaude nbsp Fruheres Schmelz und Giesshaus der Bombenfullstelle B nbsp Fruhere Verladehalle und Stuckhaus der Bombenfullstelle YIm Jahr 1938 erhielt die Dynamit Aktien Gesellschaft vormals Alfred Nobel amp Co kurz DAG aus Troisdorf den Planungs und Bauauftrag fur eine Fabrik zur Produktion von Trinitrotoluol TNT bei Allendorf Auf Beschluss des OKH wurde die Fabrik nach dem Montan Schema betrieben Eigentumer des Werkes war daher die im Besitz des Heereswaffenamtes befindliche Verwertungsgesellschaft fur Montanindustrie GmbH kurz Montan Diese verpachtete den Standort an die Gesellschaft m b H zur Verwertung chemischer Erzeugnisse kurz Verwertchemie welche wiederum eine 100 prozentige Tochterfirma der DAG war Die Bauarbeiten begannen noch im Jahr 1938 mit dem massiven Ausbau des Bahnhofes Allendorf an der Main Weser Bahn Der eigentliche Werksausbau erfolgte ab 1939 wobei die Aufnahme der Produktion fur den 1 Oktober 1940 geplant war Vollstandig fertiggestellt wurden die Werksanlagen bis Kriegsende indes nie Das vollstandig umzaunte Werk Allendorf umfasste eine Flache von 420 Hektar und bestand aus 413 Gebauden sowie drei zugehorigen Wasserwerken mit 10 Gebauden und 33 Tiefbrunnen 2 Kernstuck des Werkes waren die mit den Ziffern I bis IV bezeichneten Produktionsgruppen fur den Sprengstoff TNT 3 4 Ebenfalls mit romischen Ziffern bezeichnet wurden die beiden Anlagengruppen zur Saureruckgewinnung Denitrierung und die vier Anlagengruppen zur Hochkonzentrierung von Schwefelsaure sowie die beiden Saurespaltanlagen davon eine gegen Kriegsende noch im Bau nbsp Fruheres Wasserwerk III der Fabrik noch heute in BetriebDas im Werk produzierte TNT wurde teilweise noch vor Ort in angelieferte Bomben und Granathulsen verfullt Diesem Zweck dienten die werkseigenen Granatenfullstellen I und II und die Bombenfullstellen B S und Y die beiden letzteren kamen uber den Versuchsbetrieb nicht hinaus Zur eigentlichen Fertigstellung der Munition wurde diese anschliessend mit der Bahn weiter an die Munitionsanstalten des Heeres und der Luftwaffe geliefert Im Werk Allendorf gab es weiterhin noch vier Delaborierungsbetriebe zur Aufarbeitung von fehlerhafter Munition bzw von Blindgangern nbsp Fruheres HauptlagerhausFur die Energieversorgung wurden drei Kraftwerke mit einem Hoch und Niederspannungsnetz von 110 km Lange errichtet Uber die eigenen Wasserwerke wurden zwei getrennte Leitungsnetze zur Wasser und Loschwasserversorgung gespeist Zwei Neutralisationsanlagen mit funf voneinander getrennten Leitungsnetzen sowie ein 24 km langer Kanal leiteten uber ein Zwischenpumpwerk die neutralisierten Produktionsabwasser sudlich von Marburg in die Lahn ab Fur den werksinternen Transport bestanden ein 35 km langes Werksbahnnetz und ein 25 km langes Strassennetz Zu den Neben und Unterstutzungsbetrieben des Werkes zahlten ausserdem zwei unterirdische Tanklager fur Vorprodukte Lagerbunker fur Sprengstoff und Munition Maschinen und Tischlerwerkstatten einschliesslich eines Sagewerks eine Werkskuche eine Wascherei eine Sanitatsstation eine Werkfeuerwehr ein Brandplatz und sechs Kesselanlagen fur die Schwefelgaserzeugung 5 Die permanent gegebene Explosionsgefahr beim Betrieb und die Berucksichtigung feindlicher Luftaufklarung liess eine eigene auch bei anderen Sprengstofffabriken der NS Zeit angewandte Bauform der Gebaude entstehen Die Produktionsgebaude waren mit bis zum Dachfirst reichenden Erdwallen umgeben Die Verbindungsgange zwischen den einzelnen Gebauden waren ebenfalls mit Erde abgedeckt Auf diese Weise entstand der bis heute verbreitete Eindruck einer unterirdischen Anlage Tatsachlich handelte es sich in allen Fallen um oberirdische Bauten wahrend nur die Leitungsnetze Strom Wasser Kanal unter der Erde verlegt waren Produktion Bearbeiten Das Werk Allendorf produzierte ausschliesslich TNT Der Hohepunkt bei der Produktion dieses Sprengstoffs wurde im Juni 1944 erreicht als in Allendorf monatlich 5 343 t TNT erzeugt wurden zu diesem Zeitpunkt ein Viertel der deutschen Gesamtfertigung 6 In der Folge sank die Produktion auch wegen alliierter Luftangriffe auf die Grundstoffindustrie Salpetersaure aber auf rund 3 300 t im Monat Insgesamt produzierte das Werk Allendorf wahrend des Zweiten Weltkrieges 125 131 t TNT womit es auch den grossten TNT Produktionsausstoss aller Verwertchemie Fabriken erreichte vor der ca 80 km entfernten Sprengstofffabrik Hessisch Lichtenau 7 Noch hohere Produktionsziffern erreichten das WASAG Werk bei Elsnig 142 750 t und die Dynamitfabrik Krummel 157 044 t Das im Werk Allendorf hergestellte TNT wurde zum Teil und in Verbindung mit anderen Spreng und Ersatzstoffen auch vor Ort in Munitionshulsen verfullt Die beiden Granatfullstellen waren auf eine Kapazitat von 500 t pro Monat ausgelegt die drei Bombenfullstellen auf 1000 bis 1500 t pro Monat 8 Befullt wurden uberwiegend Granaten der Kaliber 10 5 cm 15 cm und 15 2 cm fur das Heer sowie Splitter und Minenbomben und Lastraume des Marschflugkorpers Fieseler Fi 103 Propagandabezeichnung V1 fur die Luftwaffe 9 Das Werk Herrenwald der WASAG BearbeitenAufbau und Infrastruktur Bearbeiten Auf Weisung des OKW wurde 1939 das Oberkommando der Marine OKM zum Bauherr und Eigentumer einer Fabrik fur den Sprengstoff Hexanitrodiphenylamin Hexyl mit Fullstellen fur Seeminen Torpedos und Bomben fur den Einsatz gegen Schiffsziele Sowohl Planung und Bau als auch Pacht und Betrieb der in unmittelbarer Nahe zum Werk der Verwertchemie bzw DAG gelegenen Fabrik erfolgten unter der Regie der Westfalisch Anhaltischen Sprengstoff Actien Gesellschaft WASAG Die Werksanlagen waren im Prinzip ahnlich aufgebaut wie diejenigen der Verwertchemie Das Werksgelande umfasste ebenfalls eine Flache von etwa 420 ha auf dem 230 Gebaude Hallen und Lagerbunker errichtet wurden 10 Die wichtigsten Anlagen im Werk Herrenwald waren die vier teilmechanisierten Fullgruppen sowie die beiden Hexyl Produktionsgruppen Zwei weitere Produktionsgruppen sowie eine Zunderanlage befanden sich bei Kriegsende noch im Bau Weiterhin waren je eine Anlagengruppe zur Saureruckgewinnung und Konzentration vorhanden Der Versorgung und Unterstutzung des Betriebes dienten ein 75 km langes Hoch und Niederspannungsnetz ein 29 km langes Wasserversorgungs und Loschwassernetz zwei Abwasserneutralisationsanlagen mit zwei getrennten und insgesamt 10 km langen Abwasserleitungsnetzen ein 25 km langes Strassennetz und ein eigener Werksbahnhof mit Anschluss zum Bahnhof Allendorf Ahnlich wie im Nachbarwerk gab es Werkstatten Sanitareinrichtungen Notstromanlagen eine Werkfeuerwehr einen Brandplatz und eine Anlage zur Schwelgaserzeugung Produktion Bearbeiten Das Werk Herrenwald produzierte ausschliesslich Hexyl Nach Anlaufen der Produktion wurden in den Jahren 1943 und 1945 von diesem Spezialsprengstoff etwa 6 000 t hergestellt bis Anfang 1945 die Produktion wegen Rohstoffmangels eingestellt wurde 11 Die vier Sprengstoff Fullgruppen waren auf eine monatliche Leistung von 4 000 t ausgelegt wobei eine daruber hinaus auch noch als Delaborierungsanlage genutzt wurde 12 Insgesamt wurden hier rund 100 000 t Sprengstoff in verschiedene Munitionshulsen von Heer Luftwaffe und Kriegsmarine verfullt Hierzu gehorten neben den Lastraumen der Fieseler Fi 103 auch Gefechtskopfe der Fernrakete Aggregat 4 A4 Propagandabezeichnung V2 fur das Heer Das im Werk Herrenwald verfullte TNT stammte samtlich aus dem benachbarten Werk Allendorf der Verwertchemie Arbeitskrafte und Lager Bearbeiten nbsp Gedenkstatte am Standort des fruheren Zwangsarbeiter und KZ Aussenlagers MunchmuhleZahl und Herkunft der Arbeitskrafte Bearbeiten Bereits der Aufbau der beiden Werke erforderte eine Zahl von Arbeitern die weit uber das Arbeitskraftepotential der Region hinausging Ab 1939 war Allendorf ein Schwerpunkt der Arbeitsvermittlung im Landesarbeitsamt Bezirk Hessen wobei die Mehrzahl der Arbeitskrafte schon vor Kriegsbeginn im Rahmen von Dienstverpflichtungen nach Allendorf kam 13 1941 waren etwa 17 000 Personen beim Bau der Werke beschaftigt Hierzu zahlten auch Angehorige des Reichsarbeitsdienstes RAD von denen zwischen 1941 und 1945 rund 10 000 bei Hilfsarbeiten im Rahmen des Werksausbaus zum Einsatz kamen 14 Beim Betrieb der beiden Sprengstoffwerke arbeiteten uberwiegend unfreiwillig Menschen aus 22 Nationen deren Behandlung sich nach den rassistischen Kriterien der NS Ideologie richtete Am 31 Dezember 1944 arbeiteten im Verwertchemie Werk Allendorf 4 982 Menschen im WASAG Werk Herrenwald waren es 1 758 15 Von den 6 740 Arbeitskraften beider Werke zu diesem Zeitpunkt waren 42 weiblich Nur 57 der Arbeitskrafte im Werk Herrenwald waren Deutsche im Werk Allendorf sogar nur 38 16 Die auslandischen Zwangsarbeiter stammten unter anderem aus Belgien Frankreich Italien Luxemburg den Niederlanden Jugoslawien Polen und Ungarn Hinzu kamen etwa 2 000 sogenannte Ostarbeiter aus der Sowjetunion davon 70 Kinder und Jugendliche von denen nachweisbar 123 an den Folgen von Unterernahrung Misshandlungen und Schwerstarbeit starben 17 Am 16 August 1944 traf ein Transport von rund 1 000 meist judischen Frauen aus Ungarn in Allendorf ein welche zuvor im KZ Auschwitz von Mengele selektiert worden waren 18 19 Lebens und Arbeitsbedingungen Bearbeiten Die auslandischen Zwangsarbeiter in den Sprengstoffwerken waren einer Vielzahl an Verordnungen Erlassen und Gesetzen unterworfen welche den Arbeitsalltag regeln sollten und durch Werkschutz Polizei und Lagerfuhrungen uberwacht und rigoros durchgesetzt wurden Dabei wurden die Arbeitskrafte aus Westeuropa im Allgemeinen besser behandelt als diejenigen aus Osteuropa und insbesondere die KZ Haftlinge Bei Vergehen drohte dem betreffenden Zwangsarbeiter die Meldung an die Staatsanwaltschaft oder die Gestapo und damit die Einlieferung in das bei Kassel gelegene Arbeitserziehungslager Breitenau mit eventuell folgender Einweisung in ein Konzentrationslager nachgewiesen in 80 Fallen 20 Gelegentlich wurden auch Todesurteile zur Abschreckung vor Ort im Beisein der Landsleute eines Zwangsarbeiters vollstreckt so am 26 Oktober 1942 im Fall eines bei Betziesdorf durch die Gestapo hingerichteten Polen 21 Kranke Zwangsarbeiter und Zwangsarbeiterinnen sowie Schwangere wurden in das Durchgangslager Pfaffenwald 22 abgeschoben wo bei schwangeren Zwangsarbeiterinnen nicht selten Zwangsabtreibungen vorgenommen wurden 23 Der tagtagliche direkte Umgang mit den in der Sprengstoffherstellung und verarbeitung verwendeten giftigen Stoffen fuhrte in zahlreichen Fallen zu Gesundheitsschaden unter den Beschaftigten Allgemein verbreitet waren gelbe bis lila Verfarbungen von Haaren Haut und Nageln 24 Weiterhin traten Allergien und Hautreaktionen auf Der Kontakt mit den Sprengstoffen fuhrte daruber hinaus wiederholt zu Schaden am Zentralnervensystem und zu Lebervergiftungen Durch die Brisanz der Sprengstoffe bestand jederzeit die Gefahr bei einer Explosion getotet zu werden Neben kleineren Explosionsunfallen ereignete sich am 20 September 1944 die Explosion eines Schmelz Misch und Giesshauses auf dem Werksgelande der WASAG Hierbei wurden elf Menschen darunter neun auslandische Zwangsarbeiter getotet und neun weitere verletzt 25 Siedlungen und Lager Bearbeiten Zur Unterbringung der Arbeitskrafte und Zwangsarbeiter sowie der am Bau der Werke Beschaftigten entstand ein ganzer Komplex von zehn Barackenlagern und sechs Siedlungen in der Umgebung insbesondere in der Nachbarschaft der Dorfer Allendorf und Niederklein Fur deutsche Angestellte und Beschaftigte in leitender Position wurden zum Teil eigene Einfamilienhauser in geschlossenen Siedlungen im Stil der Heimatschutzarchitektur errichtet Dies waren die Haart Siedlung 26 und die Weddingenstrasse sowie das bestehende Schloss Plausdorf fur die Verwertchemie und die Tirpitzstrasse fur die WASAG 27 Auch die Gossebach Siedlung 28 und die Graf Spee Strasse in Neustadt Hessen dienten hauptsachlich der Unterbringung deutscher Betriebsleiter Die RAD Manner waren in den Lagern Drausmuhle 29 Lehrbacher Strasse Wasserscheide 30 sowie vorubergehend Niederklein I einquartiert Die auslandischen Zwangsarbeiter waren sowohl in unbewachten als auch in bewachten Lagern untergebracht 31 Zu den unbewachten Lagern hauptsachlich fur die Arbeitskrafte aus Westeuropa gehorten Am Teich Teichlager 32 Niederklein I Niederklein II Munchmuhle 33 und die Siedlung Steimbl Daneben gab es vier bewachte und mit Stacheldrahtumzaunung sowie Wachturmen versehene Lager Lager Allendorfer Hohe fur Zivilarbeiter aus Polen und der Sowjetunion 34 Lager Hofwiese fur franzosische serbische und sowjetische Kriegsgefangene 35 Lager Falkenhahn als Aussenstelle des Zuchthauses Ziegenhain 36 Insassen waren ab Mai 1942 bis zu 100 polnische Strafgefangene spater etwa 400 deutsche Strafgefangene aus Ziegenhain und dem Landgerichtsgefangnis Marburg ab September 1944 noch 83 luxemburgische Frauen 37 Lager Munchmuhle ursprunglich fur franzosische und serbische Kriegsgefangene ab August 1944 Aussenlager des KZ Buchenwald fur bis rund 1 000 meist judische Frauen aus Ungarn sowie der Slowakei bewacht von 46 SS Mannern und 47 SS Aufseherinnen 38 39 40 Die Werke nach 1945 BearbeitenEntmilitarisierung und Demontage Bearbeiten Beide Allendorfer Sprengstoffwerke arbeiteten bis zum 27 Marz 1945 am 30 Marz 1945 besetzten dann Panzerverbande der US Army ohne nennenswerten Widerstand den Ort Allendorf 41 Das Gelande der Sprengstoffwerke selbst wurde jedoch erst sechs Tage spater besetzt Trotz eines umgehend verhangten Betretungsverbotes wurden die Werksanlagen umgehend von Deutschen und von befreiten Zwangsarbeitern geplundert Erst als die amerikanischen Truppen Teile des Gelandes fur eigene Zwecke insbesondere als Depot fur beschlagnahmtes Gerat und Munition der deutschen Wehrmacht nutzte gingen die Plunderungen zuruck Die ehemaligen Arbeiterlager wurden nach der Befreiung der Zwangsarbeiter durch die Amerikaner zunachst fur die Unterbringung von Displaced Persons DPs und Kriegsgefangenen genutzt 42 43 Am 19 Januar 1946 befahl die amerikanische Militarregierung der Regierung des Landes Gross Hessen die Demontage und Zerstorung der als kriegswichtige Anlagen eingestuften Sprengstofffabriken durchzufuhren 44 Bis Ende 1949 wurden in beiden Werken 97 Produktionsgebaude 27 Transformator und Unterstationen 7 Notstrom und Turbinenstationen und 53 Munitionsbunker gesprengt 45 Rund 30 000 t an Maschinen und Ausrustungen wurden als Reparationsgut abtransportiert Bei den verbleibenden Gebauden waren die Erdaufschuttungen und Erdwalle zu entfernen die Walltunnel einschliesslich der Flugelmauern an den Eingangen zu sprengen und die Tarnung auf den Dachern und im Umfeld zu beseitigen Das Werk Herrenwald wurde von 1947 bis 1949 von der STEG fur die Delaborierung von Munition genutzt 46 Vertriebenengemeinde und Industriestandort Bearbeiten nbsp Luftaufnahme der heutigen StadtMitte 1947 wurden im Landkreis Marburg 29 170 Evakuierte sowie Heimatvertriebene und Fluchtlinge aus den infolge des Potsdamer Abkommens abgetrennten deutschen Ostgebieten und dem Sudetenland registriert 47 In der Gemeinde Allendorf war ihr Anteil an der Bevolkerung besonders hoch da die bestehenden Barackenlager der Sprengstoffwerke als teilweise bis in die 1950er Jahre hinein genutzte Notunterkunfte verwendet wurden Vertriebene stellten die uberwiegende Mehrheit der bei der Demontage der Werke und der Delaborierung Beschaftigten was bei deren Ende zu einer hohen Arbeitslosigkeit vor Ort fuhrte Obgleich bereits 1945 von deutscher Seite eine zivile Umnutzung der vorhandenen Baulichkeiten von Verwertchemie und WASAG geplant war konnte dies erst ab 1947 umgesetzt werden so dass Anfang 1949 sechs Betriebe mit 478 Beschaftigten ausnahmslos Heimatvertriebene existierten 48 Trotzdem hatte Allendorf noch 1953 mit 23 eine der hochsten Arbeitslosenquoten im gesamten Gebiet der Bundesrepublik Deutschland 49 Ein deutlicher Aufschwung kam erst zustande als Allendorf zu einem der regionalen Schwerpunkte im 1951 aufgestellten Hessenplan erklart wurde In diesem Zusammenhang erwarb das Land Hessen 1954 das gesamte ehemalige Werksgelande der Verwertchemie zumeist DAG Gebiet genannt von der bundeseigenen Industrieverwaltungsgesellschaft mbH bis 1951 Montan Am 1 April 1954 nahm die neugegrundete Aufbaugesellschaft Allendorf ihre Arbeit auf und trieb die Ansiedlung von Industriebetrieben in umgebauten Hallen und Bunkern des Werkes Allendorf systematisch voran Weiterhin entstanden zwischen 1953 und 1966 insgesamt 2 800 Wohnungen in Neubausiedlungen nordlich und ostlich des DAG Gebietes 50 Im Unterschied zum rein zivil genutzten DAG Gebiet wurde das WASAG Gebiet bereits fruhzeitig fur eine militarische Nutzung im Rahmen der Wiederbewaffnung vorgesehen und ab 1959 zum Standort der Herrenwald Kaserne und der Hessen Kaserne der Bundeswehr Als die Aufbaugesellschaft im Jahr 1966 aufgelost wurde betrug die Einwohnerzahl 15 100 51 In Wurdigung der Entwicklung vom Dorf zur Industriestadt erhielt die Gemeinde Allendorf im Jahr 1960 die Stadtrechte und nannte sich von da an Stadt Allendorf Seit 1977 tragt die Stadt ihren heutigen Namen Stadtallendorf Rustungsaltlast Bearbeiten Bereits wahrend des Betriebes der beiden Sprengstofffabriken kam es infolge der Einleitung von Abwassern mit Nitroverbindungen im Jahr 1941 zu einer Braunfarbung der Lahn verbunden mit einem Fischsterben 52 Nach 1945 unterblieb wie an den anderen Standorten der deutschen Sprengstoffproduktionen eine Sanierung der chemischen Ruckstande der Produktion Bundesweit setzte ein Umdenken erst mit dem Stoltzenberg Skandal von 1979 ein 53 Parallel dazu begann auch erst in den 1980er Jahren die historische Aufarbeitung der Rustungsproduktion und Zwangsarbeit im Nationalsozialismus 1987 veroffentlichten der BUND und Wissenschaftler der Philipps Universitat Marburg die Ergebnisse ihre Recherchen uber die Rustungsaltlasten aus der NS Zeit auf dem Gebiet der damaligen beiden deutschen Staaten 54 Die systematische Sanierung der Rustungsaltlasten in Stadtallendorf begann 1986 mit einem im Auftrag des Landkreises Marburg Biedenkopf erstellten Gutachten 55 Bis dahin waren nur in Einzelfallen Sanierungsarbeiten durchgefuhrt worden 1990 91 bis 2005 wurde mit betrachtlichem Aufwand auf dem gesamten DAG Gebiet eine Bodensanierung durchgefuhrt DIZ und Stadtmuseum Bearbeiten nbsp Der Sitz des DIZ im fruheren Verwaltungsgebaude der DAG nbsp Ausstellungsraum im DIZErste Anstosse zur Aufarbeitung der Geschichte der Sprengstoffwerke gab die Teilnahme der Schulen in Stadtallendorf und Kirchhain am Geschichtswettbewerb des Bundesprasidenten 1980 81 zum Thema Alltag im Nationalsozialismus Die offentliche Diskussion in der Folgezeit mundete schliesslich 1986 in die Grundung einer stadtischen Arbeitsgruppe Im Oktober 1990 fand eine Begegnungswoche mit uberlebenden Haftlingen des KZ Aussenlagers Munchmuhle statt Im Ergebnis der intensiven Erforschung der Geschichte entstand schliesslich das am 4 November 1994 eroffnete Dokumentations und Informationszentrum DIZ im ehemaligen Verwaltungsgebaude der DAG im Stadtzentrum 56 Die Dauerausstellung im DIZ wurde 2010 um eine Dokumentation der Nachkriegsgeschichte erweitert Zum Angebot des DIZ gehoren auch Vortrage Seminare und Gelandefuhrungen 57 Literatur BearbeitenEva Fahidi Anima Rerum Meine Munchmuhle in Allendorf und meine wahren Geschichten Stadtallendorf 2004 Hessisches Ministerium fur Umwelt landlichen Raum und Verbraucherschutz HIM GmbH Bereich Altlastensanierung Hrsg Boden gut gemacht Die Sanierung des Rustungsaltstandortes Stadtallendorf Stadtallendorf 2005 Magistrat der Stadt Stadtallendorf Landkreis Marburg Biedenkopf Hrsg Gedenkstatte Munchmuhle 60 Jahre nach Kriegsende Gedenkveranstaltung Sonntag 8 Mai 2005 Stadtallendorf 2005 Herman Harmsen Erinnerungen an meine Kindheit und Jugend 1922 1945 Stadtallendorf 2008 Hans Jurgen Wolf Die Allendorfer Sprengstoffwerke DAG und WASAG Stadtallendorf 2010 Magistrat der Stadt Stadtallendorf Hrsg Dokumentations und Informationszentrum Stadtmuseum Allendorf Stadtallendorf 2010 Magistrat der Stadt Stadtallendorf Hrsg Dokumentations und Informationszentrum Stadtmuseum Allendorf Ausstellungskatalog Stadtallendorf 2011 Weblinks Bearbeiten nbsp Commons Sprengstoffwerke Allendorf und Herrenwald Sammlung von Bildern Videos und Audiodateien Stadtallendorf Sprengstofffabrik der Dynamit AG Nobel DAG Topografie des Nationalsozialismus in Hessen In Landesgeschichtliches Informationssystem Hessen LAGIS Stadtallendorf Sprengstofffabrik der Westfalisch Anhaltischen Sprengstoff AG WASAG Topografie des Nationalsozialismus in Hessen In Landesgeschichtliches Informationssystem Hessen LAGIS Stadtallendorf Gestapo Nebenstelle Sonderkommando Allendorf Topografie des Nationalsozialismus in Hessen In Landesgeschichtliches Informationssystem Hessen LAGIS Stadtallendorf Wohnsiedlung WASAG Topografie des Nationalsozialismus in Hessen In Landesgeschichtliches Informationssystem Hessen LAGIS Stadtallendorf Kriegsgefangenen Arbeitskommando Saal Ebeling Topografie des Nationalsozialismus in Hessen In Landesgeschichtliches Informationssystem Hessen LAGIS Stadtallendorf WASAG Hauptverwaltung Topografie des Nationalsozialismus in Hessen In Landesgeschichtliches Informationssystem Hessen LAGIS Stadtallendorf Lager Scheidfeld Topografie des Nationalsozialismus in Hessen In Landesgeschichtliches Informationssystem Hessen LAGIS Website der HIM GmbH Bereich Altlastensanierung zur Sanierung der Rustungsaltlast StadtallendorfEinzelnachweise Bearbeiten Magistrat Stadtallendorf Ausstellungskatalog DIZ S 28 HIM Boden gut gemacht S 72 HIM Boden gut gemacht S 74 Magistrat Stadtallendorf Ausstellungskatalog DIZ S 30 HIM Boden gut gemacht S 74 f HIM Boden gut gemacht S 80 HIM Boden gut gemacht S 31 Magistrat Stadtallendorf Ausstellungskatalog DIZ S 30 Magistrat Stadtallendorf Ausstellungskatalog DIZ S 31 HIM Boden gut gemacht S 75 HIM Boden gut gemacht S 81 HIM Boden gut gemacht S 75 HIM Boden gut gemacht S 80 Magistrat Stadtallendorf Ausstellungskatalog DIZ S 48 HIM Boden gut gemacht S 31 HIM Boden gut gemacht S 81 Magistrat Stadtallendorf Ausstellungskatalog DIZ S 50 Magistrat Stadtallendorf Ausstellungskatalog DIZ S 60 Eva Fahidi Die Seele der Dinge Aus dem Ungarischen ubersetzt von Doris Fischer Hrsg im Auftrag des Internationalen Auschwitz Komitees Berlin und der Gedenkstatte Deutscher Widerstand Berlin Lukas Verlag 2011 Seite 185 ISBN 978 3 86732 098 6 Rezension von Gunther B Ginzel 9 November 2011 Magistrat Stadtallendorf Ausstellungskatalog DIZ S 55 Magistrat Stadtallendorf Ausstellungskatalog DIZ S 54 Bad Hersfeld Durchgangslager Pfaffenwald Krankenlager Topografie des Nationalsozialismus in Hessen In Landesgeschichtliches Informationssystem Hessen LAGIS Magistrat Stadtallendorf Ausstellungskatalog DIZ S 44 Magistrat Stadtallendorf Ausstellungskatalog DIZ S 34 Magistrat Stadtallendorf Ausstellungskatalog DIZ S 34 Stadtallendorf Haardtsiedlung Wohnsiedlung Topografie des Nationalsozialismus in Hessen In Landesgeschichtliches Informationssystem Hessen LAGIS Magistrat Stadtallendorf Ausstellungskatalog DIZ S 40 Munchmuhle KZ Aussenlager Topografie des Nationalsozialismus in Hessen In Landesgeschichtliches Informationssystem Hessen LAGIS Stadtallendorf Lager Drausmuhle Topografie des Nationalsozialismus in Hessen In Landesgeschichtliches Informationssystem Hessen LAGIS Neustadt Hessen Lager Wasserscheide Topografie des Nationalsozialismus in Hessen In Landesgeschichtliches Informationssystem Hessen LAGIS Magistrat Stadtallendorf Ausstellungskatalog DIZ S 40 Stadtallendorf Zwangsarbeiterlager Am Teich Topografie des Nationalsozialismus in Hessen In Landesgeschichtliches Informationssystem Hessen LAGIS Munchmuhle KZ Aussenlager Topografie des Nationalsozialismus in Hessen In Landesgeschichtliches Informationssystem Hessen LAGIS Stadtallendorf Lager Allendorfer Hohe Topografie des Nationalsozialismus in Hessen In Landesgeschichtliches Informationssystem Hessen LAGIS Stadtallendorf Kriegsgefangenenlager Hofwiese Topografie des Nationalsozialismus in Hessen In Landesgeschichtliches Informationssystem Hessen LAGIS Stadtallendorf Zwangsarbeiterlager Falkenhahn Topografie des Nationalsozialismus in Hessen In Landesgeschichtliches Informationssystem Hessen LAGIS Magistrat Stadtallendorf Ausstellungskatalog DIZ S 56 Munchmuhle KZ Aussenlager Topografie des Nationalsozialismus in Hessen In Landesgeschichtliches Informationssystem Hessen LAGIS Magistrat Stadtallendorf Ausstellungskatalog DIZ S 58 ff Eva Fahidi Die Seele der Dinge Aus dem Ungarischen ubersetzt von Doris Fischer Hrsg im Auftrag des Internationalen Auschwitz Komitees Berlin und der Gedenkstatte Deutscher Widerstand Berlin Lukas Verlag 2011 Seite 185 ISBN 978 3 86732 098 6 Rezension von Gunther B Ginzel 9 November 2011 HIM Boden gut gemacht S 82 Stadtallendorf Zwangsarbeiterlager Am Teich Topografie des Nationalsozialismus in Hessen In Landesgeschichtliches Informationssystem Hessen LAGIS Stadtallendorf Haardtsiedlung Wohnsiedlung Topografie des Nationalsozialismus in Hessen In Landesgeschichtliches Informationssystem Hessen LAGIS HIM Boden gut gemacht S 83 HIM Boden gut gemacht S 84 HIM Boden gut gemacht S 84 ff HIM Boden gut gemacht S 87 HIM Boden gut gemacht S 89 HIM Boden gut gemacht S 89 HIM Boden gut gemacht S 98 HIM Boden gut gemacht S 94 HIM Boden gut gemacht S 40 f HIM Boden gut gemacht S 53 ff HIM Boden gut gemacht S 55 HIM Boden gut gemacht S 100 Stadtallendorf Hauptverwaltung DAG Topografie des Nationalsozialismus in Hessen In Landesgeschichtliches Informationssystem Hessen LAGIS DIZ und Stadtmuseum Stadtallendorf Abgerufen von https de wikipedia org w index php title Sprengstoffwerke Allendorf und Herrenwald amp oldid 231208402