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Eine Schwelerei auch Schwelwerk ist eine industrielle Anlage zur Kohleveredlung in der bei Temperaturen von 400 bis 650 C unter Luftabschluss die Umwandlung von Braunkohle oder Steinkohle zu Schwelteer Mittel und Leichtol Schwelgas und Grudekoks erfolgt Der Vorgang der Verschwelung wird auch Tieftemperaturverkokung allgemein Pyrolyse genannt Inhaltsverzeichnis 1 Technologie 2 Produkte 3 Geschichte 4 Literatur 5 EinzelnachweiseTechnologie Bearbeiten Hauptartikel Pyrolyse Schwelung ist die thermische Veredlung von Kohle in deren Ergebnis Gase Kohlenoxide Wasserstoff Methan flussige Produkte Teer und Koks entstehen Diese thermische Umwandlung wird zur Abgrenzung von der ublichen Verkokung auch Tieftemperaturverkokung genannt Wie bei der Verkokung fallen bei der Schwelung Koks Teer wassrige Kondensate und Gase an 1 Verschwelung findet bei Temperaturen von 400 bis 650 C Verkokung bei Temperaturen von 800 bis 1100 C statt 2 Zwar unterscheiden sich Verkokung und Schwelung nicht grundsatzlich voneinander infolge der unterschiedlichen Prozesstemperaturen fuhren sie jedoch zu verschiedenen Produkten So enthalt Teer aus der Verkokung hauptsachlich Aromaten wahrend Schwelteer sehr reich an Aliphaten ist 3 Produkte BearbeitenDer in Schwelereien gewonnene Teer wird Schwelteer Urteer Primarteer auch Braunkohlenteer beziehungsweise Steinkohlenteer genannt Dieser Teer kann durch direkte oder indirekte Hydrierung oder Destillation zu Benzin Dieselol Heizol Paraffin Teerpech Phenolen und Pyridinbasen weiterverarbeitet werden Als Ruckstandsprodukte konnen in Schwelereien auch Mittelole die direkt als Dieselkraftstoffe Verwendung finden und oder Leichtole zur Herstellung von Motorenbenzin erzeugt werden Schwelgas ist ein weiteres mogliches Produkt welches als Stadtgas und im eigenen Schwelwerk als Heizgas genutzt werden kann Bei der Verschwelung bleibt nach dem Abtrieb des Teers in den Schwelofen Schwelkoks auch Halbkoks oder Grudekoks genannt zuruck der als Brennstoff dient oder in Generatoren zu Synthesegas umwandelbar ist 3 4 Geschichte Bearbeiten nbsp Schwelerei und Tagebaugruben bei Deuben um 1927 Neubau 1936 Stilllegung 1990 nbsp Schwelwerk Golzau 1928 Stilllegung 1965 nbsp Braunkohlen Schwel Kraftwerk der Hessen Frankfurt AG HEFRAG in Wolfersheim 1929 Stilllegung 1954 Wahrend sich die Hochtemperaturverkokung aus den Bedurfnissen der Eisen und Stahlindustrie des Hochofenbetriebs entwickelte war insbesondere in Deutschland das primare Ziel der Verschwelung aus Stein und Braunkohlen moglichst viel flussige Produkte zu erhalten Die Anfange der Schwelerei gehen bis ins 17 Jahrhundert zuruck Zu dieser Zeit wurden in Erdmeilern fur die Pyrolyse uberwiegend Holz aber auch schon Steinkohle zur Erzeugung von Teer und Koks verwendet Die Ertrage waren gering sodass von einer so weit zuruckliegenden Schwelindustrie keine Rede sein kann 3 In England fuhrte 1851 der Chemiker James Young die Schwelerei von Bogheadkohle in einem eigens errichteten Werk ein Sein Verfahren zur trockenen Destillation von Steinkohle und Olschiefer bei tiefen Temperaturen wurde in England und den Vereinigten Staaten patentiert In den nachsten zehn Jahren entstanden in nordamerikanischen Hafenorten Schwelereien und Olraffinerien die importierte Bogheadkohle nach dem Young Verfahren verarbeiteten 5 Diese Industrie fand in den 1870er Jahren einen fruhen Abschluss als die Verwendung von texanischen Erdol einsetzte 1 In Deutschland starteten ab den 1820er Jahren verschiedene Schwelereien die teils mit bituminosem Schiefer teils mit Blatterkohle oder Bogheadkohle sowie Braun und Steinkohle betrieben wurden 6 Allerdings verlief die Entwicklung in Deutschland vollkommen unabhangig von England und den USA 1 1855 eroffnete die Sachsisch thuringische AG fur Braunkohlenverwertung im Zeitz Weissenfelser Braunkohlerevier die erste deutsche industrielle Schwelerei nebst Paraffin und Mineralolfabrik in Gerstewitz Dem folgte die Schwelerei Anna Antonie bei Deuben 1857 1931 die Berlin Wildschutzer Paraffin und Mineralolfabrik 1857 1884 in Wildschutz heute ein Ortsteil von Teuchern und zahlreiche weitere Unternehmen womit sich das Zeitz Weissenfelser Braunkohlerevier zur Wiege der deutschen Carbochemie und zu einem Pyrolysezentrum entwickelte Die Hauptprodukte waren Leuchtol Paraffine Teer und Mineralole 7 8 Zwischen 1822 und 1940 gingen allein im Raum Weissenfels Zeitz 43 Schwelereien in Betrieb 9 1909 wurden hier 16 3 Millionen Hektoliter Kohle zu 62 363 Tonnen Teer verschwelt 6 Doch ein Grossteil dieser Anlagen wurde zu Beginn des 20 Jahrhunderts schon wieder stillgelegt da Aktiengesellschaften kleinere Unternehmen verdrangten 9 Im Jahr 1919 liefen in Deutschland 31 Braunkohlenschwelereien die zusammen 79 000 Tonnen Teer und 435 000 Tonnen Grudekoks herstellten 10 Ab dem Jahr 1914 arbeitete das neu gegrundete Kaiser Wilhelm Institut fur Kohlenforschung intensiv auf dem Gebiet der Steinkohlenschwelung Wahrend des Ersten Weltkriegs wurden infolge des Erdolmangels innerhalb kurzester Zeit mit staatlichen Mitteln funf Steinkohleschwelanlagen errichtet vier im Ruhrgebiet eine in Hamburg Auch diese Werke lehnten sich in keiner Weise an englische oder US amerikanische Vorbilder an Ziel war nicht wie in England oder in den USA die Gewinnung von Schwelkoks sondern die Gewinnung von Urteer der zu Marinedieselol und anderen Kraftstoffen verarbeitet werden konnte 1 Die funf Steinkohleschwelwerke arbeiteten mangels ausgereifter Technologie unwirtschaftlich weshalb kurz nach dem Ersten Weltkrieg ihr Abbruch erfolgte Infolge der Autarkiebestrebungen in der Weimarer Republik wurde ab Beginn der 1920er Jahre die Forschung und Entwicklung der Kohleveredlung erheblich intensiviert Den Durchbruch zu Grossleistungs Schwelanlagen bei der Verarbeitung von Braunkohle brachte der Lurgi Spulgas Schwelofen dessen Entwicklung 1925 aufgenommen wurde 3 Moderne Schwelwerke entstanden zu dieser Zeit in verschiedenen deutschen Braunkohlerevieren 1929 existierten 21 Braunkohleschwelereien in der Provinz Sachsen drei in Hessen drei in Anhalt und je eine in Sachsen Thuringen Oldenburg und Wurttemberg 11 Auch Steinkohleschwelanlagen waren 1929 in Deutschland in Betrieb sie arbeiteten unter Bewegung des Schwelguts hauptsachlich in Drehofen der Firmen Fellner amp Ziegler und Thyssen befanden sich aber insbesondere im Ruhrgebiet bei Krupp und auf Zeche Mathias Stinnes in einem neuen Abschnitt der Entwicklung 12 13 Die Grundlagenforschung der Steinkohlenschwelerei war eng mit den Chemikern Franz Fischer Hans Tropsch und Fritz Muller verknupft die in der Verbindung von Schwelung und Kohlenwasserstoff Synthese beziehungsweise Hydrierverfahren eine optimale Ausnutzung des Chemierohstoffes Kohle sahen 14 15 So ergaben die spateren Hydrier und Synthesewerke weit hohere Ausbeute als herkommliche Schwelverfahren wobei einige der Werke mit den eigentlichen Prozess der Kunstolerzeugung gekoppelt waren 16 Von den deutschen Steinkohlen eigneten sich die Kohlearten aus dem Saarrevier und dem Oberschlesischen Revier nicht fur die Hochtemperaturverkokung wohl aber fur die Verschwelung Im Ruhrgebiet fanden sich besonders gute Steinkohlevorkommen fur die Verschwelung im nordlichen Teil der Emscher und der Lippe 13 Die Verschwelung von Steinkohle gelangte erstmals 1937 auf den Anlagen der Krupp Treibstoffwerke in Wanne Eickel zur grossindustriellen Durchfuhrung 1 In Kombination mit einer Fischer Tropsch Anlage gingen hier 67 Otto Hoffmann Regenerativ Koksofen und eine grosstechnische Schwelanlage mit sechs Krupp Lurgi Schwelofen Durchsatz 200 000 t a in Betrieb 15 17 Der Otto Hoffmann Regenerativofen konnte mit eigenem Gas beheizt werden und erzeugte noch Uberschussgas das weiterverkauft als Leuchtgas hohe Zusatzgewinne versprach 18 In der Folge nahmen verschiedene Unternehmen den Betrieb von leistungsstarken Steinkohlenschwelereien auf unter anderem Hoesch Benzin in Dortmund Schaffgotsch Benzin in Schlesien und Zeche Heinitz bei Neunkirchen Saar 13 In den deutschen Braunkohleschwelwerken wurden ab 1935 nur noch Schwelofen von Lurgi verbaut 3 Im gleichen Jahr ging in Bohlen bei Leipzig eines der grossten deutschen Schwelwerke in Betrieb Mit einem Durchsatz von 1 5 Millionen Tonnen Briketts konnte diese Schwelerei jahrlich 200 000 Tonnen Braunkohlenteer erzeugen wahrend der Grossteil des Grudekokses zur Staubkohlenfeuerung in das gleichzeitig errichtete Bohlener Grosskohlekraftwerk und zur Vergasung in Winkler Generatoren zur Synthesegasherstellung gelangte In unmittelbarer Nahe errichtete die Brabag eine grosse Bergius Pier Anlage zur Weiterverarbeitung des gewonnenen Schwelteers 10 Wahrend beim Bergius Pier Verfahren alle in Frage kommenden festen flussigen wasserstoffarmen und wasserstoffreichen Rohstoffe Stein und Braunkohle Teere Koks Schwelkoks Schieferole etc verarbeitet werden konnten basierte das Fischer Tropsch Verfahren damals in erster Linie auf der Umwandlung fester Brennstoffe vor allem Schwelkoks in Synthesegas 19 Neben Hydrier und Synthesewerken entstanden zwischen 1935 und 1945 in Deutschland noch weitere Grossschwelereien die Tagesleistungen von mehreren Tausend Tonnen Schwelkohle besassen Allein in deutschen Braunkohleschwelwerken arbeiteten 96 Lurgi Schwelofen die zusammen jahrlich 1 1 Millionen Tonnen Teer erzeugen konnten 3 1938 wurde in Espenhain der Grundstein fur einen der damals grossten Industriekomplexe Deutschlands gelegt In kurzer Zeit realisierte die ASW das gigantische Bauvorhaben und errichtete zwischen 1938 und 1944 die bis dahin grosste Brikettschwelerei der Welt und das modernste Kraftwerk Deutschlands 9 Nach 1945 fand die Verschwelung von Kohle in den Westzonen zunehmend keine Anwendung mehr da jener erfolgreiche Verdrangungsprozess durch Erdol und Erdgas einsetzte dem im Westen Deutschlands bis auf die Hochtemperatur Kokereien alle thermisch chemischen Kohleveredlungsanlagen innerhalb kurzer Zeit zum Opfer fielen 20 In der DDR wurden Schwelwerke mangels Erdol zur Treibstoffgewinnung bis 1990 betrieben Die giftigen und ubelriechenden Schwelerei Abwasser waren eine Hauptursache der Umweltbelastung insbesondere in den Flussen Beim Ruckbau der ehemaligen Kohleindustrieanlagen der DDR im Zuge der deutschen Wiedervereinigung gehorten die Schwelwerke zu den an erster Stelle stillgelegten Betriebsteilen 4 Zu den grossten Schwelereien zahlten bis 1990 das Kombinat Espenhain das Industriekraftwerk Deuben sowie die Werke in Bohlen und Rositz 21 Literatur BearbeitenWaldemar Scheithauer Die Schwelteere Ihre Gewinnung und Verarbeitung Springer Verlag 1922 Oskar Simmersbach Gustav Schneider Grundlagen der Koks Chemie Springer Verlag 1930 Hans Joachim von Alberti Bohlener Schwelfibel Der Braunkohlenschweler Ein Handbuch fur Schwelerei Maschinisten und Praktikanten Verlag Wilhelm Knapp 1951 Einzelnachweise Bearbeiten a b c d e Leo Brand Hrsg Forschungsberichte des Wirtschafts und Verkehrsministeriums Nordrhein Westfalen Herstellung und Untersuchung von Steinkohlenschwelteer Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH 1953 S 4 8 f 43 Braunkohlenverkokung bzw verschwelung DEBRIV abgerufen am 7 Oktober 2023 a b c d e f Dieter Osteroth Von der Kohle zur Biomasse Chemierohstoffe und Energietrager im Wandel der Zeit Springer Verlag 1989 S 91 97 a b Kultur und Heimatverein Weissandt Golzau 1990 e V Hrsg Weissandt Golzau Wirtschaftsstandort mit Tradition Horizont Projekt 2007 S 3 f Wolfgang Scheinert Die Grube Messel als Mineralolwerk Olschieferabbau und verarbeitung vor dem UNESCO Welterbe Titel In Mitteilungen Bd 24 Gesellschaft Deutscher Chemiker Fachgruppe Geschichte der Chemie Frankfurt Main 2014 S 136 a b Gustav de Grahl Wirtschaftliche Verwertung der Brennstoffe als Grundlage fur die gedeihliche Entwicklung der nationalen Industrie und Landwirtschaft Oldenbourg 1923 S 104 105 Dirk Hackenholz Die elektrochemischen Werke in Bitterfeld 1914 1945 Ein Standort der IG Farbenindustrie AG LIT Verlag Munster 2004 S 46 Mitteldeutsches Braunkohlenrevier Wandlungen und Perspektiven Heft 18 Zeitz Weissenfels S 13 LMBV abgerufen am 7 Oktober 2023 a b c Braunkohlenveredlung in Mitteldeutschland LMBV abgerufen am 9 Oktober 2023 a b Bernhard Neumann Lehrbuch der Chemischen Technologie und Metallurgie 3 Auflage Brennstoffe Anorganische Industriezweige Springer Verlag 1939 S 202 204 Wirtschaft und Statistik Januar 1931 S 5 Statistische Bibliothek abgerufen am 10 Oktober 2023 Deutsche Chemische Gesellschaft Hrsg Chemisches Zentralblatt Band 4 Verlag Chemie 1921 S 605 a b c Franz Spausta Treibstoffe fur Verbrennungsmotoren Springer Verlag 1939 S 33 34 S 184 Waldemar Scheithauer Edmund Graefe Die Schwelteere Ihre Gewinnung und Verarbeitung Springer Verlag 1922 S 215 a b Muller Fritz Deutsche Biographie abgerufen am 23 Oktober 2023 Wilhelm Mautner Deutschlands Selbstversorgung mit Mineralolen In Der Oestereichische Volkswirt vom 6 Februar 1937 S 368 ANNO abgerufen am 24 Oktober 2023 Karlheinz Rabas Karl Albert Rubach Bergbauhistorischen Atlas fur die Stadt Essen In Historisches Portal Essen Bergbau S 3 Historischer Verein fur Stadt und Stift Essen e V abgerufen am 24 Oktober 2023 Aufstieg und Blute der deutschen Kokereiindustrie Ruhr Universitat Bochum abgerufen am 24 Oktober 2023 Franz Spausta Treibstoffe fur Verbrennungsmotoren Erster Band Flussige Treibstoffe und ihre Herstellung Springer Verlag 1953 S 184 Manfred Rasch Industrielle thermisch chemische Kohlenveredlung In Gunter Bayerl Braunkohleveredelung im Niederlausitzer Revier 50 Jahre Schwarze Pumpe Waxmann Verlag 2009 S 65 66 72 Jochen Bethkenhagen DDR und Osteuropa Wirtschaftssystem Wirtschaftspolitik Lebensstandard Ein Handbuch Springer Verlag 2013 S 71 Abgerufen von https de wikipedia org w index php title Schwelerei Kohle amp oldid 239230026