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Religionsdefinitionen dienen in der Religionswissenschaft und anderen Kultur oder Sozialwissenschaften dazu das Phanomen Religion zu definieren das heisst genau zu bestimmen und gegen andere Phanomene abzugrenzen Es gibt mittlerweile uber hundert Religionsdefinitionen aber bisher hat sich keine als allgemein anerkannt durchsetzen konnen Inhaltsverzeichnis 1 Uberblick 1 1 Substanzialistischer Religionsbegriff 1 2 Funktionalistischer Religionsbegriff 1 3 Kulturwissenschaftlicher Ansatz zum Religionsbegriff 2 Beispiel Hinduismus 3 Siehe auch 4 Literatur 5 Weblinks 6 EinzelnachweiseUberblick BearbeitenDer Versuch gilt als problematisch sofern mit der Definition alles was gemeinhin unter Religion verstanden wird abgedeckt werden soll Das stellt sich als schwierig dar weil die Komplexitat und Unterschiedlichkeit der Religionen kaum eine einheitliche Definition zulasst Die Bandbreite des Religionsverstandnisses geht uber die monotheistischen Religionen wie das Judentum Christentum oder den Islam die einen personalen allmachtigen Gott JHWH Allah kennen uber henotheistische Religionen wie den Hinduismus der viele teilweise konkurrierende Gottheiten kennt bis hin zu Religionen die keinen bzw keinen personalen Gott kennen wie der Buddhismus der als Religion vollig ohne Gott auskommt Eingrenzungen des Gegenstandsgebietes konnen jedoch ebenfalls problematisch sein insofern diese einer bestimmten kulturellen zum Beispiel eurozentristischen Perspektive oder dem Geltungsanspruch einer bestimmten als idealtypisch gesetzten Religion Vorschub leisten konnen Innerhalb der Vielzahl von Religionsdefinitionen unterscheidet die Religionswissenschaft zwei Kategorien die substanzialistische Religionsdefinition und die funktionalistische Religionsdefinition Hinzu kommen schliesslich noch kulturwissenschaftliche Ansatze Substanzialistischer Religionsbegriff Bearbeiten Der substanzialistische bzw essentialistische Religionsbegriff bezieht sich auf inhaltliche Merkmale von Religion da die Definition vom Wesen der Religion abgeleitet wird und damit die wesentlichen Attribute von Religion charakterisiert werden sollen Er begreift Religion als etwas das sich auf das Heilige das Transzendente Das Absolute das Numinose oder das Allumfassende bezieht Allgemeine substanzialistische Definitionen von Religion beziehen Religion auf die Auseinandersetzung des Menschen mit einer numinosen Macht oder den Glauben an ubernaturliche Wesen Zu den klassischen Definitionen von Religion zahlt die von Gustav Mensching Religion ist erlebnishafte Begegnung mit dem Heiligen und antwortendes Handeln des vom Heiligen bestimmten Menschen Vertreter des substantialistischen Religionsbegriffes sind beispielsweise Rudolf Otto mit seiner Definition des Heiligen als irrationaler Dimension Friedrich Schleiermacher mit seiner Bestimmung das Wesen der Religion sei weder Denken noch Handeln sondern Anschauung und Gefuhl 1 und Mircea Eliade der sich auf Hierophanie und eine Dialektik zwischen heilig und profan bezieht Nathan Soderblom auch ein Vertreter des substanzialistischen Religionsbegriffes begreift das Wesen der Religion als Macht und das Machtvolle das Grundlage einer Religion sei nicht hingegen die Gottheit Ein Forschungsfeld das sich explizit mit dem Wesen der Religion auseinandersetzt ist die Religionsphanomenologie Ein Vertreter dieser Richtung ist beispielsweise Geo Widengren Ein anderer Religionsphanomenologe Gerardus van der Leeuw definierte Religion gleichfalls als das Erleben von uberlegener Macht welche personlich oder unpersonlich sein konne Mit der Definition von Religion uber den Begriff des Machtvollen wird das Problem ob Buddhismus der sich nicht auf Gottheiten bezieht eine Religion sei nicht gelost denn im Buddhismus gibt es die Vorstellung von einer absoluten oder transzendenten Macht und der Unterordnung unter diese nicht Der substanzialistische Religionsbegriff war immer wieder Kritik ausgesetzt da er in die Gegenstandsdefinition den Inhalt dessen was definiert werden soll ubernimmt Bernhard Uhde und Markus Enders entwickelten folgende Religionsdefinition die die funf Weltreligionen Christentum Islam Hinduismus Buddhismus Judentum formal umfassen soll Religionen haben ihren Entstehungsgrund in dem Mangel an anwesender d h reiner Gegenwart der alles irdische raumzeitliche Dasein des Menschen kennzeichnet Der der Religion eigentumliche Inhalt ist die Voraussetzung einer Instanz die diesen Mangel zu tilgen vermag was nur eine Wirklichkeit vermag die selbst reine Gegenwart also absolute Einheit ist Religion fordert daher explizit oder implizit die lebenslange und alle Lebensvollzuge umgreifende Einubung darin der Herrschaft dieser Einheit uber alles Viele zu entsprechen indem der selbstbezogene Eigenwille des Menschen explizit oder implizit an jenes einfache Prinzip das den menschlichen Mangel an anwesender Gegenwart zu tilgen vermag ubereignet wird Da man auch anders z B gleichgultig mit diesem Mangel umgehen kann und der religiose Umgang der Zustimmung des eigenen Willens bedarf ist nicht jeder Mensch religios 2 Funktionalistischer Religionsbegriff Bearbeiten Der funktionalistische Religionsbegriff definiert Religion uber die Funktion Er geht davon aus dass Religion fur das Individuum und die Gesellschaft eine pragende Rolle spielt und diese mitgestaltet Religion wird hier uber die soziale Funktion d h in Bezug auf gesellschaftliche und individuelle Zusammenhange definiert Vertreter der funktionalistischen Religionsdefinition sind Emile Durkheim Ninian Smart und Thomas Luckmann Durkheim definiert Religion als solidarisches System von Uberzeugungen und Praktiken die sich auf heilige Uberzeugungen und Praktiken beziehen die in einer moralischen Gemeinschaft z B einer Kirche alle Personen vereint die ihr angehoren Funktionalistische Religionsdefinitionen sind durch einen grossen Umfang gekennzeichnet sodass sie oftmals auch auf Phanomene bezogen werden konnen die normalerweise als nicht religios verstanden werden zum Beispiel Kunst Sport oder politische Uberzeugungen Die Religionssoziologie arbeitet im Allgemeinen mit einem funktionalistischen Begriff von Religion und bezieht in ihre Forschungen auch diese quasireligiosen Bereiche mit ein Typische Religionsfunktionen sind erstens die Reduktion von Angst bzw die emotionale Stabilisierung des Individuums Eine zweite Funktion ist die Vermittlung von Sinn fur den Einzelnen und die Gesellschaft Drittens hat Religion die Funktion ethisch moralische Werte zu vermitteln Besonders die dritte Funktion der Vermittlung eines Wertsystems wird heute von aussen sehr begrusst und ist sicherlich ein Grund warum es in manchen Landern wie etwa in Deutschland Religion immer noch als ein ordentliches Schulfach gibt und das Ersatzfach dazu Ethik lautet Eine kritische Position zur Funktionalitat haben insbesondere die Religionskritiker der Aufklarung erarbeitet Einige funktionalistische Religionsdefinitionen werden auch kulturalistisch genannt da sie aus den Kulturwissenschaften stammen Diese versuchen sowohl die anthropologischen als auch die soziologischen Definitionen zu integrieren Die bekannteste kulturalistische Religionsdefinition stammt von Clifford Geertz Gemass Geertz ist Religion ein Symbolsystem dessen Ziel es ist starke umfassende und dauerhafte Stimmungen und Motivationen im Menschen zu erzeugen indem Vorstellungen einer allgemeinen Seinsordnung formuliert werden die mit einer solchen Aura von Faktizitat umgeben werden dass die Stimmungen und Motivationen vollkommen der Realitat zu entsprechen scheinen Auch multidimensionale Religionsdefinitionen werden als funktionalistisch angesehen wobei diese Ansatze mindestens drei Dimensionen unterscheiden die Glaubensuberzeugungen die Praktiken und die Gemeinschaft also eine theoretische eine praktische und eine soziale Dimension Ninian Smart unterscheidet sieben Dimensionen von Religion Die multidimensionalen Definitionen sind jedoch eigentlich keine Definitionen sondern eher Beschreibungen von Aspekten die bei den meisten Religionen gegeben sind Den Vermittlungsaspekt berucksichtigt Udo Tworuschka Universitat Jena in seiner Definition Gegenstand der Religionswissenschaft sind die konkreten Religionen der Vergangenheit und Gegenwart Dabei tritt dem Religionswissenschaftler Religion immer als ein Ganzes mit verschiedenen Dimensionen entgegen Gemeinschaft Handlungen Lehren Erfahrungen Die Erforschung der Religion en erfordert die angemessene Berucksichtigung der Beziehungen der Religionen zueinander ihrer Vorstellungen voneinander der politisch okonomisch sozialen Determinanten sowie ihrer vielfaltigen Vermittlungen Kulturwissenschaftlicher Ansatz zum Religionsbegriff Bearbeiten In einer global vernetzten Welt wird ungeachtet des Scheiterns von substanzialistischen oder funktionalistischen Religionsdefinitionen von einem konsensfahigen zeitgenossischen Alltagsverstandnis von Religion ausgegangen 3 Dieses allgemeine Verstandnis wird auch die unerklarte Religion 4 genannt die sich auf religiose Prototypen wie das Christentum das Judentum und den Islam bezieht Somit ist das heutige westliche Religionsverstandnis mit der Zeit historisch erwachsen und kann als ein Ausgangspunkt fur die Religionswissenschaft gesehen werden welche den Gegenstand ihrer Analyse namlich die Religion wegen der Fluiditat des Begriffes und seiner kontingenten historischen Zuschreibung nicht definieren darf Michael Bergunder historisiert den Gegenstandsbereich Religion mit dem theoretischen Konzept der Genealogie Bezogen auf Michel Foucault wird von der Kontingenz aller geschichtlichen Ereignisse ausgegangen und jede teleologische Perspektive ausgeschlossen Nachdem kein Sprung in die Vergangenheit erfolgen kann muss zunachst vom Hier und Jetzt ausgegangen werden Unter Umdrehung des Zeitstrahls konnen somit Kontinuitaten und Diskontinuitaten des Begriffes Religion im Sinne von Jacques Derrida dekontextualisiert werden Genealogisch zeigt sich dass der konsensfahige zeitgenossische Religionsbegriff sich erst in der Auseinandersetzung mit den Naturwissenschaften und der Entdeckung der Religionsgeschichte in Folge der Kolonialisierung entwickelt hat Diese Entwicklung fand in der zweiten Halfte des 19 Jahrhunderts statt Im Ruckgriff auf Uberlegungen der Postkolonialen Theorie muss die Entwicklung dieses neuen Religionsbegriffes im Zusammenhang mit globalen Verflechtungen und Rezeptionen der kolonialisierten Subjekte gelesen werden um einer rein eurozentrischen Betrachtungsweise zu entgehen 5 Sprachwissenschaftlich lasst sich eine solche Fluiditat von Begriffen mit der Theorie Ernesto Laclau s begrunden Demnach liegt einem Begriff keine invariante Referenz zugrunde Religion muss in einem bestimmten Diskursfeld als leerer Signifikant gesehen werden Dieser entspricht einem Knotenpunkt zunachst differenter Signifikationen deren Differenz im jeweiligen Diskurs aquivalent gesetzt wird Historisch kann diese Fluiditat des Religionsbegriffes im Konzept des Postkolonialismus begrundet werden Nach der von Edward Said angestossenen Orientalismus Debatte wurde in den postkolonialen Studien die globale Verflechtungsgeschichte betont in deren Folge Allgemeinbegriffe wie auch Religion nicht mehr unter einer eurozentristischen Perspektive gesehen werden konnen Das heutige Alltagsverstandnis von Religion entspricht einem synchronen diskursiven Netzwerk Religion Diachron lasst sich eine entsprechende Traditions und Rezeptionslinie in Kontinuitat genealogisch nur bis in die zweite Halfte des 19 Jahrhunderts zuruckverfolgen Beispiel Hinduismus BearbeitenDer Hinduismus ist ein gutes Beispiel fur die Problematik des Religionsbegriffes Religion ist wie alle Begriffe mit vorgefassten Ideen und Vorstellungen verbunden Wir brauchen Begriffe um Themen und Konzepte zu kategorisieren Viele Religionsdefinitionen werden dem Hinduismus schon deshalb nicht gerecht weil es sich dabei nicht um ein einheitliches Phanomen handelt sondern um eine Vielzahl heiliger Schriften Glaubenslehren Gotterwelten und Rituale Sie teilen sich zwar gemeinsame Traditionen und Vorstellungen und beeinflussen sich gegenseitig weisen aber auch grosse Unterschiede auf Der Indologe Heinrich von Stietencron schlagt vor diesem Hintergrund fur Religion en zwei verschiedene Definitionen vor 6 Allgemein Religion Singular ist ein allgemeiner Begriff fur menschliche Versuche auf allen Ebenen und zu allen Zeiten mit dem Gottlichen zu kommunizieren Als Konzept setzt dies kulturubergreifende Universalien in der menschlichen Natur voraus Spezifisch Religionen Plural und darunter jede einzelne Religion die durch einen spezifizierenden Begriff definiert ist wie griechische Religion romische Religion Judentum Christentum sind Konkretisierungen religioser Systeme in Raum und Zeit und daher unterschiedliche historische Phanomene Siehe auch Bearbeiten nbsp Portal Religion Ubersicht zu Wikipedia Inhalten zum Thema Religion Liste von Religionen und Weltanschauungen Religionswissenschaft Religionssoziologie Religionspsychologie Religionsphilosophie Religionsphilologie Religionsgeschichte und Geschichte der Religion Religionspsychopathologie Zivilreligion ReligionsokonomieLiteratur BearbeitenFritz Stolz Grundzuge der Religionswissenschaft Gottingen 1988 Geo Widengren Religionsphanomenologie Berlin 1969 Johann Figl Hrsg Handbuch Religionswissenschaft Innsbruck Gottingen 2003 Udo Tworuschka Religionswissenschaft Stuttgart 2006 Udo Tworuschka Religionswissenschaft Wegbereiter und Klassiker UTB 3492 Koln Weimar Wien 2011 Rudolf Otto Das Heilige 1917 Feil E Hrsg Streitfall Religion Diskussionen zur Bestimmung und Abgrenzung des Religionsbegriffs 2001 Hartmut Zinser Grundfragen der Religionswissenschaft Verlag Ferdinand Schoningh Paderborn 2010 Weblinks BearbeitenVerschiedene Beschreibungen von Religion 11 philosophische und literarische Aussagen zur Religion zusammengestellt vom Bistum Limburg Bulletin zum Problem der vielfaltigen Religionsdefinitionen des Internationalen Institutes fur ReligionsfreiheitEinzelnachweise Bearbeiten Friedrich Schleiermacher Uber die Religion Hrsg Rudolf Otto 8 Auflage Vandenhoeck amp Ruprecht Gottingen ISBN 3 525 03276 5 S 49 Bernhard Uhde Gegenwart und Einheit Versuch uber Religion Habilitationsschrift Freiburg 1982 Markus Enders Ist Religion wirklich undefinierbar Uberlegungen zu einem interreligios verwendbaren Religionsbegriff in ders Holger Zaborowski Hg Phanomenologie der Religion Zugange und Grundfragen Akten des internationalen religionsphilosophischen Kongresses Freiburg im Breisgau 2003 Freiburg i Br Munchen 2004 S 49 87 Michael Bergunder Was ist Religion Kulturwissenschaftliche Uberlegungen zum Gegenstand der Religionswissenschaft In Christoph Auffarth et al Hrsg Zeitschrift fur Religionswissenschaft Band 19 Heft 1 2 DE GRUYTER Berlin 2011 S 3 55 Michael Bergunder Was ist Religion Kulturwissenschaftliche Uberlegungen zum Gegenstand der Religionswissenschaft In Christoph Auffarth et al Hrsg Zeitschrift fur Religionswissenschaft Band 19 Heft 1 2 DE GRUYTER Berlin 2011 S 10 exemplarisch Richard King Orientalism and religion postcolonial theory India and the mystic East London u a 1999 Routledge Stietencron Heinrich von auteur Hindu myth Hindu history religion art and politics ISBN 81 7824 122 6 S 20 Abgerufen von https de wikipedia org w index php title Religionsdefinition amp oldid 233340314