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Mit dem Ausdruck rationale Psychologie bezeichnet man vor allem die Bewusstseinsphilosophie und Seelenlehre vor allem des kontinentalphilosophischen Rationalismus 17 19 Jahrhundert Die rationale Psychologie ist ein Teilbereich der traditionellen speziellen Metaphysik Titelblatt von Wolff Lateinischer Logik in der er die Rationale Psychologie als philosophische Seelenkunde definiert wird Inhaltsverzeichnis 1 Allgemeines 2 Christian Wolff 3 Immanuel Kant 4 Weitere Rezeption 5 Einzelnachweise 6 WeblinksAllgemeines BearbeitenDie Bezeichnung rationale Psychologie geht auf die Systematik von Christian Wolff 1679 1754 zuruck 1 Der Begriff wird dort als Gegenbegriff zu dem der psychologia empirica eingefuhrt Der Grundgedanke einer Seele als res cogitans die jenseits der physikalischen Welt existiert stammt in ihrer philosophischen Bedeutung von Rene Descartes und ist Bestandteil seines ontologischen Dualismus Die Existenz eines Subjekts das der Trager von Vorstellungen sein muss ist die Konsequenz seines Gedankenexperiments des radikalen Zweifels an allen Wahrheiten siehe auch cogito ergo sum und Ich Daran schlossen sich theologisch relevante Streitfragen an insbesondere die Frage nach der Unsterblichkeit der Seele und die Frage inwiefern die Seele und die physikalische Welt in Wechselwirkung stehen siehe auch Psychophysischer Parallelismus Neben Descartes und Wolff sind vor allem Gottfried Wilhelm Leibniz Arnold Geulincx und Nicolas Malebranche als Vertreter einer rationalen Psychologie zu nennen Rationale Psychologie ist nicht im Sinne einer Denkpsychologie zu verstehen vielmehr handelt es sich um den Versuch eine rationalistische Wissenschaft mit der Seele als Gegenstand zu entwickeln die keinerlei Erfahrung voraussetzt Die Unterscheidung zwischen introspektiver Psychologie und Experimentalpsychologie betrifft die rationale Psychologie nicht da es sich dabei um Methodologien der empirischen Psychologie handelt Das Problem der Wechselwirkung zwischen Geist und Welt ist zum Teil in der modernen Philosophie des Geistes und der Handlungstheorie wieder aufgenommen worden Daruber hinaus haben verschiedene philosophische Positionen die die Subjekt Objekt Spaltung zuruckweisen das Etikett der rationalen Psychologie beansprucht Zu einem die einzelnen Positionen verbindenden gemeinsamen Forschungsprogramm ist es jedoch nie gekommen Christian Wolff BearbeitenDer Leibnizianer Christian Wolff definiert die Psychologie als jenen Teil der Philosophie welcher von der menschlichen Seele und ihren Moglichkeiten handelt Psychologiae definitio Pars philosophiae quae de anime agit Psychologia a me appellari solet Est itaque Psychologia scientia eorum quae per animas humanas possibilia sunt Ratio definitionis patet ut ante Est enim philosophia in genere scientia possibilium quatenus esse possunt 29 Quare cum Psychologia sit ea philosophiae pars quae de anima agit erit ea scientia eorum quae per animam humanam possibilia sunt 2 Definition der Psychologie Der Teil der Philosophie der von der Seele handelt pflegt von mir Psychologie genannt zu werden Es ist namlich die Psychologie die Wissenschaft von dem was durch menschliche Seelen moglich ist Der Grund dieser Definition ist aus dem Vorhergehenden klar Denn die Philosophie ist allgemein die Wissenschaft des Moglichen dessen was sein kann 29 Wenn nun die Psychologie der Teil der Philosophie ist der von der Seele handelt so ist sie die Wissenschaft von dem was durch die menschliche Seele moglich ist Diese Definition ist bereits die Definition der rationalen Psychologie da Wolff empirische Psychologie nicht als Teil der Philosophie gelten lassen will denn ihre Beobachtungen besitzen fur ihn keine ausreichende Gewissheit Nur was aus einem einfachen nicht weiter analysierbaren Begriff der Seele a priori geschlossen werden kann kann als Grundlage fur andere Wissenschaften vor allem aber fur die praktische Philosophie dienen 3 Die rationale Psychologie ist fur Wolff grundlegender Bestandteil eines allgemeinen Systems der Philosophie Auf ihn geht die traditionelle Gliederung rationalistischer Lehrbucher zuruck wonach die rationale Psychologie neben Ontologie rationaler Kosmologie und rationaler Theologie eines der vier Hauptgebiete der Metaphysik ist 4 Immanuel Kant BearbeitenImmanuel Kant behandelt in der Kritik der reinen Vernunft die rationale Psychologie im Paralogismenkapitel der Transzendentalen Dialektik Im Rahmen seiner Metaphysikkritik weist Kant die Idee einer rationalen Psychologie als metaphysischer Wissenschaft zuruck Ihr Gegenstand das cogito oder ich denke wird im Rahmen der von ihm entworfenen Transzendentalphilosophie von einer metaphysischen Substanz auf das nur funktional bestimmte transzendentale Subjekt reduziert Das ich denke wird dabei zum allgemeinsten Begriff des Verstandes der alle bewussten Vorstellungen unter sich enthalt 1 Die Seele istSubstanz2 Ihrer Qualitat nacheinfach 3 Den verschiedenen Zeitennach in welchen sie da ist numerisch identisch d i Einheit nicht Vielheit 4 Im Verhaltnissezu moglichenGegenstanden imRaume Die Topik der rationalen Seelenlehre Immanuel Kant AA 000003 III 264 KrV B 402 5 In seiner Kritik der rationalen Psychologie die sich zunachst gegen Wolff richtet in der zweiten Auflage aber auch gegen den Beweis der Unsterblichkeit der Seele von Moses Mendelssohn rekonstruiert Kant die rationale Psychologie wie folgt Die Vorstellung eines Ich als Subjekt des Bewusstseins folgt notwendig aus dem Vorhandensein bewusster Vorstellungen also innerer Wahrnehmung als blosser Apperception eines Ich denke Sobald aber irgendeine besondere Wahrnehmung meines inneren Zustandes etwa Lust oder Unlust berucksichtigt wird wird das methodische Programm der rationalen Psychologie verletzt eine solche Betrachtung ware nach Kant der empirischen Psychologie zuzurechnen 6 Auf die apriorisches Vorstellung Ich denke wendet Kant nun die Kategorien an und gewinnt so die vier Grundsatze fur die rationale Psychologie siehe Abbildung Aus diesen Grundsatzen folgen laut Kant die zentralen Behauptungen der rationalen Psychologie Aus diesen Elementen entspringen alle Begriffe der reinen Seelenlehre Diese Substanz bloss als Gegenstand des inneren Sinnes gibt den Begriff der Immaterialitat als einfache Substanz der Inkorruptibilitat die Identitat derselben als intellektueller Substanz gibt die Personalitat alle diese drei Stucke zusammen die Spiritualitat das Verhaltnis zu den Gegenstanden im Raume gibt das Kommerzium mit Korpern mithin stellt sie die denkende Substanz als das Prinzipium des Lebens in der Materie d i sie als Seele anima und als den Grund der Animalitat vor diese durch die Spiritualitat eingeschrankt Immortalitat Immanuel Kant AA 000003 III 403 KrV B 403 7 Bei diesen Ergebnissen handelt es sich Kant zufolge aber um das Ergebnis von Fehlschlussen bei denen ubersehen wird dass die Notwendigkeit des ich denke nur darauf beruht das wir uns selbst unsere bewussten Vorstellungen zuschreiben vgl Erste Person Perspektive Daraus konnen aber keine allgemeinen Schlusse fur eine res cogitans als unabhangige Substanz gezogen werden vielmehr ist das ich denke die allgemeinste mentale Funktion ohne dass deren Trager speziell erkennbar ware Siehe auch Paralogismus Kant Weitere Rezeption BearbeitenTrotz Kants grundlegender Kritik ist die Seele bzw das Bewusstsein ein zentraler Baustein der Philosophien des deutschen Idealismus zu Beginn des 19 Jahrhunderts Mit dem Aufstieg des Psychologismus in der Philosophie des 19 Jahrhunderts setzte sich die Vorstellung der Psychologie als empirische Wissenschaft durch Die philosophische Debatte in Philosophie des Geistes der Lebensphilosophie der Phanomenologie und im Existenzialismus wird dabei immer starker von der psychologischen entkoppelt In der Philosophie werden die Fragen nach der Seele in Anschluss an Kant von der Ontologie zu ihren praktischen und epistemischen Funktionen verschoben Zur Durchsetzung dieser Ansicht tragen nicht zuletzt die Metaphysikkritik nach der linguistischen Wende und durch den Positivismus bei Zugleich wird die Psychologie zu einer Naturwissenschaft nach dem Vorbild der Physik siehe auch Psychophysik Als innerhalb der jungen Disziplin der Psychologie die Experimentalpsychologie und Behaviorismus dominant wurden kam es zu Abwehrreaktionen die z T unter dem Namen Rationalen Psychologie auftraten C G Jung berichtet im Ruckblick auf die Situation am Beginn des 20 Jahrhunderts Die Lage der Psychologie lasst sich mit der einer psychischen Funktion vergleichen welche von seiten des Bewusstseins gehemmt wird Von einer solchen werden bekanntlich nur diejenigen Anteile als existenzberechtigt zugelassen welche mit der im Bewusstsein vorherrschenden Tendenz ubereinstimmen Was damit nicht ubereinstimmt dem wird sogar die Existenz abgesprochen trotz und entgegen der Tatsache dass zahlreiche Phanomene respektive Symptome vorhanden sind welche das Gegenteil beweisen Jeder Kenner solcher psychischer Vorgange weiss mit was fur Ausfluchten und Selbsttauschungsmanovern die Abspaltung des Nichtkonvenierenden zuwege gebracht wird Genau so geht es in der empirischen Psychologie als Disziplin einer allgemeinen philosophischen Psychologie ist die experimentelle Psychologie als Konzession an die naturwissenschaftliche Empirie unter reichlicher Durchsetzung mit philosophischer Fachsprache zugelassen Die Psychopathologie verbleibt aber der medizinischen Fakultat als seltenes Anhangsel der Psychiatrie Die medizinische Psychologie vollends findet keine oder geringe Berucksichtigung an den Universitaten C G Jung Theoretische Uberlegungen zum Wesen des Psychischen 8 Als Erbe der traditionellen rationalen Psychologie kann u U die geisteswissenschaftliche Padagogik von Eduard Spranger betrachtet werden Edmund Husserl schlug eine phanomenologische Neubegrundung der rationalen Psychologie als apriorischer Wissenschaft vor 9 10 die aber nur schwer von klassischer Denkpsychologie Introspektion oder den sprachanalytischen Arbeiten von Gilbert Ryle 11 abgrenzbar ist Husserls Ansatze haben aber insbesondere in den Arbeiten von Maurice Merleau Ponty eine eigenstandige Fortfuhrung erhalten Eine Wiedereingliederung von Themen die von Wolff der rationalen Psychologie zugerechnet wurden in den psychologischen Mainstream fand durch die Kognitive Wende und die humanistische Psychologie statt Eine grundlegende Kritik der Methoden der Psychologie erfolgte im Methodenstreit Dennoch sind auch Psychologen die vorwiegend qualitative Methoden verwenden Empiriker Einzelnachweise Bearbeiten Christian Wolff Philosophia rationalis sive logica methodo scientifica pertractata et ad usum scientiarum atque vitae aptata Discursus praeliminaris de philosophia in genere 1728 Google Buchsuche Digitalisat der 3 Auflage 1740 Letzteres ediert und ubersetzt in Gunter Gawlick Lothar Kreimendahl Hgg Einleitende Abhandlung uber Philosophie im allgemeinen Discursus praeliminaris Frommann Holzboog Stuttgart 2006 Christian Wolff Philosophia rationalis sive logica 1740 58 Seite 29 f Christian Wolff Philosophia rationalis sive logica 1740 112 Seite 51f Psychologia rationalis quam dicatur Postquam Psychologiam empiricam ab eam distinguere coepi philosophiae parte quam supra 58 sub Psychologiae nomine definivimus huic nomen Psychologiae rationalis imposui Non igitur opus est ut novam Psychologiae rationalis definitionem hic condamus In Psychologia rationali ex unico animae humanae conceptu derivamus a priori omnia quae eidem competere a posteriori observantur amp ex quibus observatis deducuntur quemadmodum decet Philosophum 46 Novus eum sit ausus amp praejudicatae opinione adversus nova vero ab initio a plerisque aegre admittantur praegnans maxima ratio fuit cur Psychologiam rationalem ab empirica discernerem ne psychologia promiscue rejicerentur Etenim principiis psychologicis nititur theoria et praxis moralis immo amp politica amp ex iis a nobis deducitur qui methodi demonstrativae rationem habemus Philosophia practica est maximi momenti quae igitur maximi sunt momenti istiusmodi principiis superstruere noluimus quae in disceptationem vocantur Ea de causa veritates philosophiae practicae non superstruimus nisi principiis quae per experientiam in Psychologia evidenter stabiliunter Praecipuum philosophiae fructum iudicamus virtutem sinceram Cavemus itaque ne fini a nobis intento obstacula ponamus Nihil ommittimus quod a nobis eo afferi podest ut veritate sua constet evidentia Was man als Rationale Psychologie bezeichnet Nachdem wir die empirische Psychologie von der rationalen Psychologie unterschieden haben ist dies der Teil der Philosophie den wir oben 58 unter dem Namen der Psychologie bestimmten diesem legen wir nun den Namen der rationalen Psychologie bei Daher sind wir nicht genotigt hier eine neue Definition der rationalen Psychologie zu begrunden In der rationalen Psychologie wird von uns allein aus dem Begriff der menschlichen Seele a priori alles abgeleitet was a posteriori als ihr angehorend beobachtet werden kann und auch was aus Beobachtungen der Seele abgeleitet wird wie es sich fur den Philosophen geziemt 46 Diese Neuerung ist gewagt und widerspricht der Meinung des Vorurteils aber der neuen Wahrheit wird am Anfang oft nur ungern beigepflichtet der hauptsachliche Grund warum die rationale Psychologie von der empirischen unterschieden wurde ist dass die Psychologie nicht unterschiedslos zuruckgewiesen werden darf Denn tatsachlich stutzen sich die Theorie und die Praxis der Moral und sogar der Politik auf psychologische Prinzipien und werden aus diesen von uns wenn wir die Methode des Vernunftbeweises befolgen abgeleitet Die praktische Philosophie ist von grosster Bedeutung darum wollen wir nicht was von grosster Bedeutung ist auf Prinzipien aufbauen die in Zweifel gezogen werden konnen Darum konnen wir Wahrheiten der praktischen Philosophie nur auf Grundsatzen aufbauen wenn sie die Erfahrung in der Psychologie offensichtlich stutzt Die vorzuglichste Frucht der Philosophie ist nach unserem Urteil die Gewissheit Deshalb huten wir uns davor dass wir uns nicht selbst vor dem angestrebten Ziel Hindernisse aufstellen Nichts werden wir auslassen das uns ermoglichen konnte zu erreichen dass ihre Wahrheit evident feststeht Georgi Schischkoff Hrsg Stichwort Rationale Psychologie In Philosophisches Worterbuch Alfred Kroner Verlag Stuttgart 14 Auflage 1982 ISBN 3 520 01321 5 S 568 Immanuel Kant Gesammelte Schriften Hrsg Bd 1 22 Preussische Akademie der Wissenschaften Bd 23 Deutsche Akademie der Wissenschaften zu Berlin ab Bd 24 Akademie der Wissenschaften zu Gottingen Berlin 1900ff AA 000003 III 264 KrV B 402 Denn innere Erfahrung uberhaupt und deren Moglichkeit oder Wahrnehmung uberhaupt und deren Verhaltnis zu anderer Wahrnehmung ohne dass irgendein besonderer Unterschied derselben und Bestimmung empirisch gegeben ist kann nicht als empirische Erkenntnis sondern muss als Erkenntnis des Empirischen uberhaupt angesehen werden und gehort zur Untersuchung der Moglichkeit einer jeden Erfahrung welche allerdings transzendental ist KrV B 399 ff Immanuel Kant Gesammelte Schriften Hrsg Bd 1 22 Preussische Akademie der Wissenschaften Bd 23 Deutsche Akademie der Wissenschaften zu Berlin ab Bd 24 Akademie der Wissenschaften zu Gottingen Berlin 1900ff AA 000003 III 403 KrV B 403 C G Jung Theoretische Uberlegungen zum Wesen des Psychischen 1946 In Gesammelte Werke Walter Verlag Dusseldorf 1995 Paperback Sonderausgabe Band 8 Die Dynamik des Unbewussten ISBN 3 530 40083 1 345 347 Seite 186 188 Edmund Husserl Die Phanomenologie und die Fundamente der Wissenschaften in Husserliana Bd 5 Meiner 1986 ISBN 3 7873 0686 2 S 39ff Edmund Husserl Grundprobleme der Phanomenologie 1910 11 google books Vgl insbesondere Gilbert Ryle The Concept of Mind Chicago 1949Weblinks BearbeitenRudolf Eisler Rationale Psychologie in Kant Lexikon 1930 Gerhard Schonrich Kant und die vermeintliche Unmoglichkeit einer wissenschaftlichen Psychologie 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