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Die Psychophysik stellt eines der wissenschaftshistorisch altesten psychologischen Forschungsgebiete dar Sie bezieht sich auf die gesetzmassigen Wechselbeziehungen zwischen subjektivem psychischen mentalen Erleben und quantitativ messbaren also objektiven physikalischen Reizen als den auslosenden Prozessen Die Psychophysik wurde 1860 als Teilgebiet der experimentellen Psychologie von Gustav Theodor Fechner begrundet und stutzt sich auf die Vorarbeiten von Ernst Heinrich Weber Sie wird bisweilen auch als Teilgebiet der Sinnesphysiologie Wahrnehmungspsychologie oder der Psychophysiologie betrachtet und befasst sich z T auch mit asthetischen Fragen des Geschmacks 1 Aussere Psychophysik 2 Innere Psychophysik 3 PhysiologieAuf Fechner geht die Unterscheidung zwischen ausserer und innerer Psychophysik zuruck Wahrend die aussere Psychophysik den Zusammenhang zwischen Reizungen der Sinnesorgane und Erleben misst beschaftigt sich die innere Psychophysik mit den Relationen zwischen neuronalen Prozessen und Erleben Meist wird unter Psychophysik primar die Untersuchung von Reiz Erlebenszusammenhangen verstanden wahrend der Bereich der inneren Psychophysik heute der kognitiven Neurowissenschaft zugeordnet wird Diese Zuordnungen resultieren aus der Tatsache dass Fechner die innere Psychophysik nur theoretisch postulieren aber aufgrund fehlender neurowissenschaftlicher Methoden nicht an ihr forschen konnte Inhaltsverzeichnis 1 Geschichte 2 Teilbereiche 3 Psychophysische Gesetze 4 Wissenschafts und philosophiehistorische Bedeutung 5 Literatur 6 Weblinks 7 EinzelnachweiseGeschichte BearbeitenDie Pythagoras ca 570 510 v Chr zugeschriebene Entdeckung eines konstanten Verhaltnisses zwischen der Lange der Saiten einer Leier und den Grundton beruht auf der Legende von Pythagoras in der Schmiede 1 Dennoch hat sich fur die auf der Quinte als dem harmonischsten Intervall beruhende Stimmung die Bezeichnung pythagoreische Stimmung erhalten vgl a Quintenzirkel Die als harmonisch bezeichneten Tonintervalle weisen folgende Schwingungsverhaltnisse auf Oktave 1 2 Quinte 2 3 Quart 3 4 und Grosse Terz 4 5 2 Mit diesen Ausfuhrungen ist bereits der Bogen gespannt zu asthetischen Fragestellungen wie z B denen des Goldenen Schnitts zu denen Fechner ebenfalls empirische Studien verfasst hat 3 Einer der fruhesten Ansatze zur psychophysischen Skalierung stammt von Claudius Ptolemaus ca 100 175 n Chr um 150 n Chr Er hat ein brauchbares Mass fur die Grosse der Gestirne vorgeschlagen anhand der scheinbaren Helligkeit der Sterne 4 Teilbereiche Bearbeiten nbsp Gustav Theodor Fechner 1801 1887 Neben der Unterscheidung zwischen innerer und ausserer Psychophysik kann man die Arbeitsbereiche in Bezug auf die Sinnesmodalitaten differenzieren Viele psychophysische Arbeiten sind auf einen Sinn also etwa auf die visuelle oder auditive Wahrnehmung s a Psychoakustik den Geruchs oder Tastsinn spezialisiert Zudem kann man vier verschiedene Fragebereiche unterscheiden Zum einen kann die Wahrnehmungsschwelle Absolutschwelle untersucht werden Dabei wird erforscht wie stark die Reizung eines gegebenen Sinnesorgans sein muss damit eine Reaktion erfolgt Durch Adaptationseffekte kann die Wahrnehmungsschwelle in verschiedenen Zusammenhangen erheblich variieren Des Weiteren kann die Reizunterscheidung untersucht werden Wie verschieden mussen zwei Reize sein damit sie in einem gegebenen Kontext als unterschiedlich empfunden werden Unterschiedsschwelle Mittels des Unsicherheitsintervalls werden physisch verschiedene Reize definiert die die gleiche Empfindung auslosen Bei der Farbwahrnehmung spricht man auch von Metamerie Ein weiteres Thema ist die Reizerkennung So kann man fragen wann etwa ein blaues Dreieck als ein blaues Dreieck erkannt wird In der Regel wird das Vorhandensein eines Reizes registriert Reizdetektion bevor eine Identifikation moglich ist Ein letzter Untersuchungsbereich ist die Skalierung in der nicht nur untersucht wird ob eine Person einen Reiz erkannt hat sondern ob sie schatzen kann wie stark der Reiz ist Die Skalierungsfahigkeiten konnen in verschiedenen Situationen erheblich variieren Psychophysische Gesetze Bearbeiten nbsp Ernst Heinrich Weber 1795 1878 In der Psychophysik sind drei klassische Gesetze formuliert worden Das Webersche Gesetz beschreibt die Beobachtung dass die Unterschiedsschwelle in einem nahezu festen Verhaltnis zur Reizintensitat steht Je starker der Reiz desto grosser muss der Reizunterschied sein um diesen Unterschied zu bemerken Die formale Beschreibung lautet D R R c o n s t k displaystyle frac Delta R R const k nbsp Dabei steht D R displaystyle Delta R nbsp fur den Reizunterschied und R displaystyle R nbsp fur den Reiz Der Quotient wird auch als Weberscher Bruch bezeichnet Ein Beispiel Bei k 1 10 braucht man bei einem Reiz von 10 Einheiten einen Reizunterschied von einer Einheit um ihn zu bemerken Bei einem Gewicht von 20 g wurde man folglich 2 g brauchen um einen Unterschied zu registrieren Bei einem Gewicht von 20 kg waren es hingegen 2 kg Reizschwankung Fechners Gesetz auch Fechner Skala beschreibt den Zusammenhang zwischen Reiz und Erlebnisintensitat E k log R f displaystyle E k cdot log R f nbsp E displaystyle E nbsp reprasentiert in der Formel die Empfindungsstarke R displaystyle R nbsp die Reizstarke Die Empfindungsstarke entspricht damit dem Logarithmus der Reizintensitat multipliziert mit einer Konstanten zu dem eine weitere kleine Konstante addiert wird Anders formuliert besagt Fechners Gesetz dass die Empfindungsstarke naherungsweise und in einem geeigneten Bereich mit dem Logarithmus der Reizstarke wachst Eine Verdopplung der Reizstarke hat also nicht eine Verdopplung der Empfindungsstarke sondern etwa nur einen Zuwachs von k 30 displaystyle k cdot 30 nbsp zur Folge Fechner leitete seine Skala aus dem Weberschen Gesetz ab mittels des Postulats dass die je nach Reizintensitat unterschiedliche Unterschiedsschwelle einem konstanten Empfindungszuwachs entspricht Die Empfindungsstarke ist dann das Integral des Weberschen Bruchs Wie alle sinnesphysiologischen wahrnehmungspsychologischen Gesetze gilt Fechners Gesetz nur innerhalb eines gewissen Geltungsbereichs Fechnerskalen liegen zum Beispiel der Lautstarkemessung als Schalldruckpegel in dB und Helligkeitsmessung zugrunde nbsp Exemplarischer Verlauf eines Experiments mit einem adaptiven Schwellenbestimmungsverfahren hier das sog Transformed Staircase Verfahren Bis zum ersten Umkehrpunkt welcher hier nicht mitgezahlt wird wird eine grossere Schrittweite und das Simple Up Down Staircase Verfahren verwendet damit man sich schnell in den Bereich der Schwelle begibt Mitte des 20 Jahrhunderts fand Stanley S Stevens 1957 einen Weg Empfindungsstarken direkt zu messen Er fuhrte dazu verschiedene Verfahren der sog Magnitude Estimation ein Die mittels dieser Methoden gefundenen Empfindungsstarken lassen sich uber einen grossen Bereich gut durch eine Potenzfunktion beschreiben Stevenssche Potenzfunktion G k R m displaystyle G k cdot R m nbsp Der Exponent m displaystyle m nbsp reprasentiert hier die modalitatsspezifische Potenz die fur die meisten Sinne kleiner als eins ist mit Ausnahme des Schmerzes und der Langenempfindung und G displaystyle G nbsp die subjektiv geschatzte Grosse eines Attributes Nach Stevens trifft die durchschnittliche Schatzung der Grosse eines Attributes etwa als Potenzfunktion der Intensitat des Reizes zu Das Stevens sche Gesetz wird gern in einer doppelt logarithmischen Darstellung gezeigt in ihr ist der Zusammenhang eine Gerade deren Steigung durch den Exponent m displaystyle m nbsp gegeben ist 5 In den meisten Darstellungen wird das Steven sche Gesetz als das gegenuber dem Fechner schen zutreffendere dargestellt Dieser gangigen Lehrbuchmeinung wird jedoch auch widersprochen 6 Wissenschafts und philosophiehistorische Bedeutung BearbeitenDie Psychophysik hat sich im Verhaltnis zu anderen kognitionswissenschaftlichen Disziplinen sehr fruh entwickelt Webers und Fechners zentrale Arbeiten fallen auf die Mitte des 19 Jahrhunderts Ihre systematische und empirische Erforschung von Reiz Erlebens Zusammenhangen hat einen grossen Einfluss auf viele Wissenschaftler und Philosophen gehabt Beispiele sind Hermann von Helmholtz und Ernst Mach Max Weber und Wilhelm Wirth Sigmund Freud fuhrte das von Fechner eingefuhrte Prinzip der psychischen Energie weiter Psychodynamik Fechners Empfindungslehre beruhrt das in der Philosophie des Geistes zentrale Leib Seele Problem Die Psychophysik gehorte damit zu den wissenschaftshistorisch bedeutsamen Vorreitern einer naturwissenschaftlichen Erforschung von Bewusstseinsprozessen Gleichzeitig bietet das Werk Fechners auch eine kritisch skeptische Perspektive auf die Naturwissenschaften Fechner war als Kritiker des Materialismus nicht der Meinung dass sich mentale Ereignisse auf physische Ereignisse reduzieren lassen Dennoch versuchte er mit der Psychophysik Zusammenhange zwischen diesen Ereignissen herzustellen Fechners methodologische Einstellung findet sich zum Teil auch heute bei Neurowissenschaftlern wieder die nach neuronalen Korrelaten des Bewusstseins suchen ohne damit eine metaphysische Aussage uber die Natur des Bewusstseins machen zu wollen Literatur BearbeitenGustav Theodor Fechner Elemente der Psychophysik 1860 Walter H Ehrenstein Psychophysik In Lexikon der Neurowissenschaft 3 Band Spektrum Verlag Heidelberg Berlin 2001 S S Stevens Psychophysics New York 1975 OCLC 164635229 Max Weber Zur Psychophysik der industriellen Arbeit In Gesammelte Aufsatze zur Soziologie und Sozialpolitik Tubingen 1988 ISBN 3 16 845371 4 S 61 255 Manuel Kuhner Heiner Bubb Klaus Bengler Jorg Wild Adaptive Verfahren in der Psychophysik Effiziente Bestimmung von Absolut und Unterschiedsschwellen In Ergonomie aktuell Nr 13 2012 www lfe mw tum de Memento vom 4 September 2014 im Internet Archive Joshua A Solomon Hg Fechner s Legacy in Psychology 150 Years of Elementary Psychophysics 2011 ISBN 978 90 04 19201 0 ISBN 978 90 04 19220 1 7 Weblinks Bearbeiten nbsp Wiktionary Psychophysik Bedeutungserklarungen Wortherkunft Synonyme Ubersetzungen G T Fechner Elemente der Psychophysik Teil 1 Memento vom 26 Dezember 2005 im Internet Archive G T Fechner Elemente der Psychophysik Teil 2 Memento vom 26 Dezember 2005 im Internet Archive G T Fechner In Sachen Psychophysik Memento vom 26 Dezember 2005 im Internet Archive Konrad Hoppe Das Weber Fechner sche Gesetz unter besonderer Berucksichtigung der Sussintensitat Max Planck Institut fur biologische Kybernetik Mit Forschungsbereich Psychophysik Gustav Theodor Fechner Gesellschaft e V The International Society for Psychophysics Software for Visual Psychophysics Adaptive Verfahren in der Psychophysik Informationen zu den sogenannten adaptiven Verfahren in der Psychophysik Staircase Verfahren inkl Animation Dissertations Projektseite Bedienhaptik de Einzelnachweise Bearbeiten Zur antiken Uberlieferung dieser Legende siehe Flora R Levin The Harmonics of Nicomachus and the Pythagorean Tradition University Park PA 1975 S 69 74 zur Nachwirkung im Mittelalter Hans Oppermann Eine Pythagoraslegende In Bonner Jahrbucher 130 1925 S 284 301 und Barbara Munxelhaus Pythagoras musicus Bonn 1976 S 36 55 Luciano De Crescenzo Geschichte der griechischen Philosophie Die Vorsokratiker 1 Auflage Diogenes Verlag Zurich 1985 ISBN 3 257 01703 0 S 72 Peter R Hofstatter Hrsg Psychologie In Das Fischer Lexikon Fischer Taschenbuch Verlag Frankfurt am Main 1972 ISBN 3 436 01159 2 Stw Gehorsinn S 141 Gustav Theodor Fechner Zur experimentalen Asthetik Hirzel Leipzig 1871 Wilhelm Karl Arnold u a Hrsg Lexikon der Psychologie Bechtermunz Verlag Augsburg 1996 ISBN 3 86047 508 8 Stw Psychophysik Spalte 1777 N Birbaumer Biologische Psychologie Donald Laming The Measurement of Sensation Oxford 1997 ISBN 0 19 852342 4 Fechner s Legacy in Psychology 150 Years of Elementary Psychophysics Brill 2011 ISBN 978 90 04 19201 0 brill com abgerufen am 16 Februar 2023 Abgerufen von https de wikipedia org w index php title Psychophysik amp oldid 233001584