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Pierre Gassendi auch Pierre Gassend lateinisch Petrus Gassendi 22 Januar 1592 in Champtercier Provence 24 Oktober 1655 in Paris war ein franzosischer Theologe Naturwissenschaftler und Philosoph Er forschte u a als Astronom und stand als solcher mit Galileo Galilei und Christoph Scheiner in haufigem Kontakt Pierre Gassendi Inhaltsverzeichnis 1 Biografie 2 Theologisch philosophische Leistung 3 Experimentell naturwissenschaftliche Leistungen 4 Wissenschaftsgeschichte und Biografien 5 Ehrung 6 Schriften 7 Ausgaben und Ubersetzungen 8 Literatur 9 Weblinks 10 EinzelnachweiseBiografie BearbeitenSeine Eltern waren Francoise Fabry und Antoine Gassend Erst spater wurde der Vokal i zum Namen hinzugefugt 1 Er entstammte einer bauerlichen Umgebung Durch seinen Onkel mutterlicherseits den katholischen Priester Thomas Fabry erhielt Pierre seine ersten schulischen Unterweisungen Bereits mit 16 Jahren wurde Gassendi als Lehrer der Rhetorik in Digne angestellt wo er sein Studium begonnen hatte Spater studierte er in Aix en Provence und Avignon Theologie und wurde zum Priester geweiht Nach der Promotion 1614 in Avignon wurde er 1616 Professor der Philosophie in Aix Nachdem die Jesuiten die Leitung der Universitat ubernommen hatten entschloss er sich seine Professur aufzugeben und begann mit der Ausarbeitung eines umfangreichen Werkes Exercitationes paradoxicae adversus Aristoteleos in dem er sich mit der herrschenden aristotelischen Philosophie kritisch auseinandersetzte Das erste Buch dieses Werkes erschien anonym 1624 in Grenoble mit Namensnennung 1649 in Amsterdam Den ursprunglichen Plan die gesamte peripatetische Philosophie abzuhandeln gab er auf das 2 Buch uber die Dialektik erschien erst in den Opera omnia Lyon 1658 Gassendi stand in Kontakt zu vielen Gelehrten und Wissenschaftlern seiner Zeit seine engsten Vertrauten wurden der Astronom und Gelehrte Nicolas Claude Fabri de Peiresc und der Mathematiker und Theologe Marin Mersenne die ihn wiederum mit Gabriel Naude Francois de La Mothe le Vayer Joseph Gaultier 1564 1647 u a bekannt machten Zu seinen Korrespondenzpartnern gehorten Christoph Scheiner Galileo Galilei Eerryk van de Putte 1574 1646 Gerhard Johannes Vossius Seit 1625 beschaftigte sich Gassendi intensiv mit der Philosophie Epikurs die er aus den antiken Quellen adaquat zu rekonstruieren versuchte 1647 erschien seine Biographie Epikurs mit der Widerlegung der seit der Antike ublichen Diffamierungen seiner Person De vita et moribus Epicuri zwei Jahre spater die kommentierte Ubersetzung der Hauptquelle der Philosophie Epikurs das 10 Buch von De vita et moribus philosophorum des Diogenes Laertios sowie eine systematische Rekonstruktion der gesamten epikureischen Philosophie unter dem Titel Philosophiae Epicuri Syntagma basierend auf Diogenes Laertius Lukrez und anderen antiken Quellen insbesondere Cicero und Seneca Diese Darstellung ist bis ins 19 Jahrhundert hinein massgeblich gewesen Mit grossem Interesse verfolgte Gassendi die naturwissenschaftlichen Forschungen seiner Zeit beispielsweise diejenigen Galileis und beteiligte sich an ihnen So gelang ihm am 7 November 1631 die erste Beobachtung eines Merkurtransits der von Johannes Kepler vorausberechnet worden war Problemen der Dynamik sind seine Studien De proportione qua gravia decidentia accelerantur und De motu impresso a motore translato gewidmet die zwischen 1642 und 1645 erschienen Gassendi wurde 1634 zum Propst der Kathedralkirche zu Digne ernannt 1645 erneut zum Professor berufen kam er wahrscheinlich auf Veranlassung von Richelieu an das College de France in Paris wo er Mathematik bzw Astronomie lehrte Allerdings konnte er seiner schwachen Gesundheit wegen die Lehrtatigkeit nur kurze Zeit ausuben Nach langerer Krankheit starb Gassendi im Alter von 63 Jahren im Hause eines Gonners des Edelmannes Habert de Montmor Theologisch philosophische Leistung BearbeitenAn die atomistische Lehre Epikurs anknupfend vertrat Gassendi entgegen der dualistischen Weltauffassung Descartes Geist und Materie die nur materialistische Weltanschauung Damit setzte er sich nicht nur von Descartes sondern letztlich auch von Platon und Aristoteles ab Schon in Aix hatte er ein Werk Exercitationes paradoxicae adversus Aristoteleos verfasst von dem nur das erste 1624 und das zweite Buch 1659 postum veroffentlicht wurden welche Faulheit statt mit den eigenen Augen nur mit den Augen des Aristoteles zu sehen und statt die Natur selbst nur die Schriften des Aristoteles uber die Natur zu studieren Im Ubrigen machte schon Gassendi Descartes zum Vorwurf was spater Immanuel Kant einwenden wird Descartes habe in seinem Gottesbeweis die Existenz unter die Eigenschaften Gottes gezahlt Dabei sei Existenz etwas grundsatzlich anderes als bloss eine zusatzliche Eigenschaft bzw ein Sachgehalt realitas unter anderen sie sei vielmehr das was alle Sachgehalte uberhaupt erst ins Sein bringe Im Syntagma philosophicum 1658 folgte er der Dreiteilung der Philosophie Epikurs In der Logik wies er Descartes Ansicht von den naturgegebenen Begriffen zuruck und hob Sinneseindrucke und dementsprechend die Induktion als primare Quelle menschlicher Erkenntnis hervor Gassendi war allerdings kein reiner Sensualist denn er akzeptierte bei komplexen Vorstellungen sehr wohl das Prinzip der Abstraktion und in der Mathematik erkannte er auch die Deduktion als sinnvoll einzusetzende Methode an In der Physik vertrat er eine mechanistische Deutung der Natur und der Empfindungen gleichwohl lasst die Welt sich fur Gassendi nicht ohne gottlichen Ursprung erklaren Den Beweis fur die Existenz Gottes sah er in der Harmonie der Natur Sein Beweis fur eine rational denkende und im Gegensatz zu Aristoteles unsterbliche Seele stutzte sich auf die fur ihn offenkundige Kraft reflexiven Denkens und das Wissen des Menschen um ethische Grundsatze Im dritten Teil seiner Philosophie der Ethik stellte er den Seelenfrieden und die Schmerzfreiheit als Ziel menschlichen Strebens dar diese seien jedoch in der Praxis kaum erreichbar Hier zeigte er sich besonders deutlich als Anhanger Epikurs Ludwig Feuerbach erkannte dass Gassendi mehr war als nur Kritiker von Aristoteles und Descartes Sein Versuch gemassigten Skeptizismus antiken Atomismus christlichen Glauben und die mechanistische Physik seiner Zeit zu vereinigen war eine herausragende Einzelleistung Ahnlich wie Thomas von Aquin soweit ihm dies moglich schien aristotelische Lehren mit christlichen Glaubensgrundsatzen kombiniert hatte unternahm Gassendi dieses mit der Lehre Epikurs In diesem Sinne war er weniger Vorlaufer der kommenden Aufklarung sondern den Denkern der Renaissance naher Wie diese begann er jede philosophische Argumentation mit ausfuhrlichen Zitaten antiker und zeitgenossischer Autoren sie bildeten fur ihn den Rahmen moderner Erkenntnistheorie So war ihm kein Wahrheitskriterium hinreichend wenn es nicht den Argumenten genugte die bereits die antiken Skeptiker vorgetragen hatten Experimentell naturwissenschaftliche Leistungen BearbeitenIn seinen naturwissenschaftlichen Schriften verteidigte Gassendi die heliozentrische Theorie die Realitat des leeren Raumes und lehnte die aristotelischen Formen und Zwecke als Wirkungskrafte der Natur ab Er lieferte eine gultige Formulierung des Tragheitsprinzips und eine fruhe Interpretation der Luftdruckexperimente Pascals Fur seine Theorie des Sehens unterstellte er atomistische Effluxionen die Bilder vom Objekt zum Betrachter transportieren Zur Unterstutzung seiner atomistischen Theorie unternahm er eine Reihe von chemischen Experimenten die die Losung bzw Kristallisation von Salzen zum Gegenstand hatten Mittels einer Untersuchung der Kirchturmspitze von Aix nach einem Gewitter beschrieb Gassendi als erster dass Eisen durch Blitzschlag magnetisiert werden kann Gassendis Formulierung des Tragheitsprinzips erstmals in seiner heute gultigen Form geht auf von ihm durchgefuhrte Experimente zuruck Mit mehr als 100 Beteiligten fuhrte er auf einer Galeere vor Marseille ein zwar von Galilei ersonnenes aber nicht durchgefuhrtes Fallexperiment durch Entgegen aristotelischen Annahmen schlagt ein auf einem fahrenden Schiff vom Mast fallengelassener Stein nicht Richtung Heck verschoben sondern unmittelbar am Mastfuss auf Damit war die Impetustheorie widerlegt Die Nutzung von Grossgaleeren erfolgte weil diese gleichzeitig uber Masten verfugten und hohe Geschwindigkeiten erreichen konnten ohne in bedeutsamem Masse Seegang und Krangung ausgesetzt zu sein Durch das von Gassendi erfundene Fallrad Durchmesser 4 m kann die Impetus Theorie mit erheblich geringerem Aufwand an allen Orten nachvollziehbar widerlegt werden Mit seiner Annahme In der Welt bleibt stets die gleiche Kraft formulierte er ebenfalls erstmals den Energieerhaltungssatz Gassendi unterhielt eine ausgedehnte Korrespondenz mit Marin Mersenne Giovanni Domenico Cassini Galileo Galilei Johannes Kepler Johannes Hevelius Christoph Scheiner Descartes Christina von Schweden Thomas Hobbes und anderen Wissenschaftsgeschichte und Biografien BearbeitenGassendi veroffentlichte die erste vollstandige Biographie uber einen Wissenschaftler uberhaupt die erste und einzige Biographie uber Tycho Brahe die durch direkten Kontakt mit damals noch lebenden Zeitzeugen zustande kam 2 Weitere Biografien von Gassendi galten Epikur Nicolas Claude Fabri de Peiresc Georg von Peuerbach Regiomontanus und Nikolaus Kopernikus Er gab auch einen Uberblick uber die Anhanger und Gegner der Lehre von Copernicus bis ca 1615 siehe De revolutionibus orbium coelestium Ehrung BearbeitenDie IAU ehrte ihn mit der Benennung des Asteroiden 7179 Gassendi und eines geologisch stark strukturierten Mondkraters am Nordrand des Mare Humorum Schriften Bearbeiten nbsp Institutio astronomica 1683Exercitationes paradoxicae adversus Aristoteleos 1624 Epistolica Exercitatio in qua precipua principia philosophiae Roberti Fluddi deteguntur 1631 Streitschrift gegen Robert Fludd Disquisitiones Anticartesianae 1643 Disquisitio metaphysica 1644 Streitschrift gegen Descartes De vita moribus et placitis Epicuri 1647 Syntagma philosophiae Epicurii 1649 Tychonis Brahei equitis Dani Astronomorum Coryphaei vita Accessit Nicolai Copernici Georgii Peurbachii amp Joannis Regiomontani Astronomorum celebrium vita 1655 online Syntagma philosophicum 1658 Institutio astronomica Henry Dickinson London 1683 Latein beic it Ausgaben und Ubersetzungen BearbeitenHenri Louis Habert de Montmor Hrsg Œuvres completes 6 Bande 1658 Sylvie Taussig Hrsg Pierre Gassendi Vie et mœurs d Epicure Les Belles Lettres Paris 2006 lateinischer Text mit franzosischer Ubersetzung und Kommentar Sylvie Taussig Ubersetzerin Pierre Gassendi 1592 1655 Lettres latines 2 Bande Brepols Turnhout 2004 ISBN 2 503 51353 0 franzosische Ubersetzung der Briefe mit Kommentar Literatur BearbeitenAntonina M Alberti Sensazione e realta Epicuro e Gassendi L S Olschki Florenz 1988 Olivier Bloch La philosophie de Gassendi Nominalisme materialisme et metaphysique Martinus Nijhoff La Haye 1971 ISBN 90 247 5035 0 Franz Daxecker Der Physiker und Astronom Christoph Scheiner Universitatsverlag Wagner Innsbruck 2006 ISBN 3 7030 0424 X Byeong Hee Cho Wissen und Wahrheit bei Pierre Gassendi Eine Untersuchung uber seine Erkenntnistheorie Dissertation Koln 2004 Eduard Jan Dijksterhuis Die Mechanisierung des Weltbildes Reprint der Ausgabe 1956 Springer Berlin Heidelberg New York 1983 ISBN 3 540 02003 9 Saul Fisher Pierre Gassendi s Philosophy and Science Brill Leiden Boston 2005 ISBN 978 90 04 11996 3 Lynn Sumida Joy Gassendi the Atomist Advocate of History in an Age of Science Cambridge University Press Cambridge UK New York 1987 ISBN 0 521 52239 0 Antonia Lolordo Pierre Gassendi and the Birth of Early Modern Philosophy Cambridge University Press Cambridge UK New York 2006 ISBN 978 0 521 86613 2 Margaret J Osler Divine Will and the Mechanical Philosophy Gassendi and Descartes on Contingency and Necessity in the Created World Cambridge University Press Cambridge UK New York 1994 ISBN 0 521 46104 9 Rolf W Puster Britische Gassendi Rezeption am Beispiel John Lockes Frommann Holzboog Stuttgart 1991 ISBN 3 7728 1362 3 Matthias Risch Pierre Gassendi und die kopernikanische Zeitenwende In Physik in unserer Zeit Heft 5 2007 S 249 253 Reiner Tack Untersuchungen zum Philosophie und Wissenschaftsbegriff bei Pierre Gassendi 1592 1655 Hain Meisenheim am Glan 1974 ISBN 3 445 01103 6 Claus Zittel Die Lunatiker von Aix en Provence Peiresc Mellan Gassendi In Ulrike Feist amp Markus Rath Hrsg Et in imagine ego Facetten von Bildakt und Verkorperung Festschrift fur Horst Bredekamp Akademieverlag Berlin 2012 S 276 300 Claus Zittel Gassendis Astronomenviten in Enenkel amp Zittel Hrsg Die Vita als Wissenschaftssteuerung Formen und Funktionen fruhneuzeitlicher Gelehrten und Kunstlerbiographien Munster 2013 S 123 156 Michael Weichenhan Leben unter dem Blick eines vortrefflichen Mannes Die Biographie als Medium der Philosophie bei Pierre Gassendi Verlag T Bautz Nordhausen 2015 Weblinks Bearbeiten nbsp Commons Pierre Gassendi Sammlung von Bildern Videos und Audiodateien Literatur von und uber Pierre Gassendi im Katalog der Deutschen Nationalbibliothek Werke von und uber Pierre Gassendi in der Deutschen Digitalen Bibliothek Saul Fisher Pierre Gassendi Eintrag in Edward N Zalta Hrsg Stanford Encyclopedia of Philosophy Vorlage SEP Wartung Parameter 1 und Parameter 3 und nicht Parameter 2Einzelnachweise Bearbeiten Biographie von J J O Connor und E F Robertson online John Robert Christianson On Tycho s Island Cambridge University Press 2000Normdaten Person GND 118537695 lobid OGND AKS LCCN n82005624 VIAF 29547503 Wikipedia Personensuche PersonendatenNAME Gassendi PierreALTERNATIVNAMEN Gassend Pierre Gassendi PetrusKURZBESCHREIBUNG franzosischer Theologe Naturwissenschaftler und PhilosophGEBURTSDATUM 22 Januar 1592GEBURTSORT Champtercier ProvenceSTERBEDATUM 24 Oktober 1655STERBEORT Paris Abgerufen von https de wikipedia org w index php title 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