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Mit Jazzharmonik oder Harmonik des Jazz wird das harmonische Konstrukt beschrieben auf welchem die Jazzmusik aufbaut Zwar werden auch in der Jazzmusik teilweise die in der europaischen Musik entwickelten Prinzipien der Stimmfuhrung und Stufentheorie angewendet allerdings sind diese im Jazz haufig nur begrenzt anwendbar bzw werden in den verschiedenen Jazzstilen in deutlich unterschiedlicher Gewichtung benutzt So ist besonders die im deutschsprachigen Raum vorherrschende Funktionstheorie in vielen Fallen nur schwer auf die Jazzharmonik anwendbar da mit dieser fur den Jazz typische harmonische Progressionen wie Sequenzen oder Akkorde auf nicht diatonischen Stufen nur schwer darstellbar sind Typisch fur die Harmonik des Jazz ist dass das Akkordmaterial im Gegensatz zur klassischen Kunstmusik oder auch zahlreicherer anderer kontemporarer Stromungen wie die Popmusik in der Drei und Vierklange dominieren in der Regel auf Vierklangen basiert die dann haufig durch zusatzlich sogenannte Optionstone auch engl tensions erweitert werden Hierdurch ergeben sich regelmassig Akkorde mit funf sechs oder mehr Klangen welche den spannungsgeladenen Sound des Jazz hervorrufen Ein ebenfalls wichtiges Merkmal der Jazzharmonik ist die haufige Verwendung von alterierten abgeanderten und substituierten ersetzten Akkorden Durch diese Erweiterung zu Vierklangen sind Akkord Kombinationen und Sounds moglich die bisher ungehort oder zumindest unublich waren Zwar hat bereits J S Bach hat Elemente benutzt die heute im Jazz gang und gabe sind doch zu Bachs Zeiten waren dies eher musikalische Ausgefallenheiten So zum Beispiel die Benutzung der 11 im Dominantseptakkord vgl Funktionstheorie Auch der Chopinakkord ein Dominantseptakkord mit 13 ware ein weiteres typisches Beispiel fur einen fruhen jazzartigen Klang Des Weiteren gibt es in der bisherigen Entwicklung eine starke Bindung an die Melodik und allgemeine Asthetik des Blues Dies wirkt sich auf der harmonischen Ebene durch eine gewisse Bevorzugung von Akkordmaterial aus das der melodischen Wirkung der blue notes entgegenkommt Ausserdem bewirken die charakteristische Blues Melodik und die Erfordernisse der im Jazz vorherrschenden Improvisation dass Melodie und begleitende Harmonien weniger streng aufeinander bezogen sind als dies in der weitgehend konzipierten komponierten Musik Europas ublich ist Auch modale Skalen zum Beispiel dorisch oder lydisch und modale Akkordwendungen zum Beispiel eine vermollte Dominante entnommen aus dem Mixolydischen oder aber eine verdurte Subdominante in einer Molltonart entnommen aus dem Dorischen finden im Jazz ab den funfziger Jahren haufig Anwendung Modaler Jazz Neben den harmonischen Eigenheiten tragen auch bestimmte rhythmische Gestaltungsformen oft wesentlich zur Jazzmusik bei fur Weiteres siehe Swing Rhythmus Inhaltsverzeichnis 1 Grundsatze 2 Geschichte 3 Improvisationsmaterial 4 Bluesharmonik 5 Farbsubstitution 6 Akkordsubstitutionen 7 Sekundardominanten und Zwischendominanten 8 Modale Akkorde 9 Reharmonisation 10 Form 11 Turnaround 12 Zusammenspiel 13 Horen und Lernen 14 Jazzharmonik und andere Harmonielehren 15 Siehe auch 16 Literatur 17 Weblinks 18 EinzelnachweiseGrundsatze BearbeitenZur Beschreibung der harmonischen Charakteristika des Jazz sind gegenwartig drei theoretische Grundansatze verbreitet Die Akkord Skalen Theorie wurde seit den 1950er Jahren entwickelt und ist damit das alteste ausgearbeitete Konzept zur Beschreibung der Jazzharmonik sie beherrscht bis heute den grossten Teil der musiktheoretischen Jazzliteratur Der im deutschen Sprachraum als grundlagenharmonisch bezeichnete Ansatz der im strengeren Sinne an den Prinzipien der Harmonielehre und insbesondere an funktionalen Deutungen der von der Blues Melodik her beeinflussten harmonischen Wendungen interessiert ist Ein historisch empirisches Modell das hermeneutisch der Interpretation der klassischen Harmonielehre z B im Sinne Diether de la Mottes entspricht Im Gegensatz zu einer umfassenden alle Erscheinungen vereinheitlicht erklarenden Theorie versucht dieser Ansatz eher einzelne Stile und Interpreten aufgrund der ihnen eigenen asthetischen Absichten zu deuten Dieser Methode folgen beispielsweise die musiktheoretischen Schriften Gunther Schullers uber den alteren Jazz Geschichte BearbeitenEine Grundlage des Jazz ist die Improvisation die auch schon in der klassischen Musik wie in der barocken Musikkultur siehe Generalbass aber wahrscheinlich auch schon weit fruher praktiziert wurde Da sich Notation erst im Mittelalter bildete sind empirische Erforschungen hierfur aber eher schwierig Auf den erdachten Grundlagen der gesammelten musiktheoretischen Erkenntnisse und Uberlegungen der alten Griechen wie etwa die Entdeckung der Partialtonreihe formten sich zwar inhaltlich schlussige aber noch sehr sparlich abstrakte Abrisse einer fruhzeitigen Harmonielehre Erst im Barock ist eine allgemein anerkannte Harmonielehre entstanden und mit ihr auch das Dur Moll tonale System dessen asthetische Normen sich von damals bis heute immer wieder verandert haben Wahrend aus harmonischer Sicht in der klassischen Musik vor allem die Terzen und Sexten wesentlich fur die Stimmfuhrung in der Improvisation waren haben im Jazz die Terzen und Septimen eine weit grossere Bedeutung Es ist ein Irrglaube zu meinen dass die meisten fruhen Jazzmusiker keine Ahnung von Akkorden oder der Harmonielehre hatten Auch solche die keine Noten lesen konnten hatten ein ausgepragtes Verstandnis fur die Harmonik und Rhythmik Zur Theorie wird immer erst was gespielt und fur wohlklingend befunden wurde und so nahm man die bereits bestehende Harmonik und passte sie nach und nach den eigenen Bedurfnissen an Die Elemente des Blues kamen hinzu und dazu eine freiere Interpretation von Farbtonen in Akkorden Eine weitere harmonische Befreiung lautete dann den Bebop ein und erlaubte den improvisierenden Musikern Akkorde neuartig zu interpretieren Die Jazzharmonik wurde intellektuell Im Grunde ist die Geschichte der Harmonik im Jazz eine Reise von der Konsonanz zur Dissonanz Jede harmonische Neuerung brachte auch neue Freiheiten in der Interpretation des Akkordmaterials mit sich und stellte dem Musiker mehr melodisches Material zur Verfugung das mit der Zeit in Tonleitern katalogisiert wurde So ist es heute ublich verschiedene Skalen in verschiedenen Modi uber Akkorde als Tonmaterial zur Improvisation oder als Basis fur das Arrangement oder die Komposition zu benutzen Improvisationsmaterial BearbeitenIn fruheren Zeiten verstand man unter Improvisation das Verzieren und Verschleiern bestehender Melodien uber feste Akkordstrukturen Viele als Jazzstandard etablierte Stucke haben ihren Ursprung in der Unterhaltungsmusik Dabei werden u a bekannte Broadwaysongs als Gerust fur Improvisationen verwendet Sehr oft wurden fur diese Akkordgeruste neue Melodien geschrieben nicht zuletzt auch um keine Tantiemen bezahlen zu mussen Die Akkordfolge von Gershwins I got Rhythm ist fest im Repertoire der oft gespielten Jazzstandards verankert Rhythm Changes Charlie Parker schrieb verschiedene Melodien die auf diesem Akkordgerust aufbauen zum Beispiel Anthropology Schon fruh losten sich viele Jazzmusiker von den Jazz Standards und schrieben eigene Stucke um uber ihre Lieblingsharmonien improvisieren zu konnen Die 1960er Jahre zeigten zwei wesentliche Trends einerseits die Ruckbesinnung auf die Bluesharmonik und einfachere Rhythmen Cool Jazz und andererseits das modale Konzept und die damit einhergehende freiere Spielweise eingelautet durch das Album Kind of Blue von Miles Davis Mit dem Free Jazz wurde mit allen Formen der Harmonik gebrochen Man versuchte sie eben nicht anzuwenden In den 70er Jahren wurden vermehrt Einflusse des Rock in das Improvisationsmaterial integriert Als herausragende Beispiele konnen die Alben Bitches Brew von Miles Davis oder My Goals Beyond des Gitarristen John McLaughlin gelten Heute wird alles verwendet was den Musikern gefallt Sei dies nun eine Sammlung von Kinderliedern Stucke aus der klassischen Musikwelt aus dem Pop oder wie so oft Selbstgeschriebenes Die Traditionalisten spielen die Songs aus dem Great American Songbook und die Progressiven fusionieren mit allen Arten von Musik bis hin zum indischen Raga Was im multikulturellen Amerika begonnen hat setzt sich in globalisierter Form fort 1 Bluesharmonik Bearbeiten nbsp Charles Mingus 1976Eine wesentliche Weiterentwicklung der Harmonielehre durch den Jazz ist die Abkopplung des Dominantseptakkordes von seiner Funktion Im Jazz kann ein Septakkord 1 3 5 7 nicht nur als Dominante sondern auch als Tonika verwendet werden Das dabei hauptsachlich verwendete Tonmaterial die mixolydische Tonleiter des europaischen Dur Systems und die aus dem Mittelmeerraum stammende pentatonische Tonleiter ergeben in der Summe die Tonleiter die heute Bluestonleiter genannt wird Heutige Jazzmusiker verwenden gerne auch andere Skalen Harmonisch Moll Modi Melodisch Moll Modi Verminderte Tonleiter Ganztonleiter um mehr Spannung zu schaffen Die Akkorde der Liedformen des Blues im Jazz basieren auf dem Prinzip der leittonlosen Septakkorde Dominantseptakkorde als Tonika Subdominante und Dominante Die Improvisationen uber diese Liedformen ublicherweise 12 Takte aber auch 8 16 oder 24 Takte verdeutlichen das Neue an dieser Musik Ahnlich wie in der afrikanischen bzw arabischen Musik werden Spannungen mittels Dissonanzen erzeugt das eben Bluestypische Die typischen Tone Blue Notes genannt werden im Jazz auch ausserhalb eines Blueskontext verwendet Als eindruckliches Beispiel sei hier Good bye Pork pie hat genannt das Charles Mingus fur den damals gerade verstorbenen Lester Young schrieb Wird der Blues von einem Jazzmusiker gespielt dann oftmals mit Akkordstellvertretern und harmonischen Erweiterungen Im Extremfall ist die Interpretation des Blues von Jazzmusikern nicht mehr als Blues zu erkennen Es ware aber ein Fehler die Harmonik des Jazz auf das Bluestypische zu reduzieren Jazzmusiker verwenden alles was ihnen gefallt Die Jazzharmonik ist demnach ein Uberbegriff und der Blues nur eine Facette davon Genauso werden Funktionsharmonik Modes Kadenzen und alle anderen Elemente Rhythmik Phrasierung verwendet die in anderen Musiken vorhanden sind In den Anfangen des Jazz hatten der meist auskomponierte Ragtime franzosische Tanze klassische Musik und die damalige Popularmusik einen wesentlichen Einfluss auf die improvisierenden Musiker Als Beispiel neuerer Zeit seien Chick Coreas Ausfluge in den Flamenco Lennie Tristanos Reisen in die Klassik oder Dizzy Gillespies Liebe zur lateinamerikanischen Musik genannt Die Liste liesse sich beliebig weiterfuhren Farbsubstitution BearbeitenDer Jazzmusiker ist frei in der Benutzung der tonleitereigenen Farben Farbtone werden oft in Spannungsmomenten Dominant oder Subdominantsituationen und etwas weniger in Ruhemomenten Tonika benutzt Akkordsubstitutionen BearbeitenEs ist gangige Praxis beim Spielen von Jazz Substitutakkorde zu verwenden also notierte vorgegebene Akkorde durch andere zu ersetzen Welche Freiraume sich dafur bieten hangt stark vom melodischen und rhythmischen Geschehen und dem harmonischen Zusammenwirken der Harmonieinstrumente z B Klavier oder Gitarre und dem Bass ab der in der Regel das Fundament einer Harmonie darstellt Um die haufige Verwendung von Dominantsubstituten zu erklaren muss man zunachst die jeweiligen Optionstone Tensions beachten Beispiel in C Dur fur die Dominante G7 Dominante G7 beschrankt auf die Grundfunktionen Grundton Terz und Septime G H und F Wegen der moglichen Alterierung der Quinte ist der Ton D in diesem Zusammenhang keine gemeinsame konstante Grundfunktion Die moglichen Kombinationen von Tensions uber diesen Grundklang sind 9 11 13 A Cis E entspricht dem Tonmaterial der Mixo 11 Skala 9 9 11 13 As B Ais Cis Es entspricht dem Tonmaterial der alterierten Skala 9 9 11 13 As B Ais Cis E entspricht zusammen mit der Quinte D dem Tonmaterial der Halbton Ganzton Skala Der Ton C der eigentlich Teil der mixolydischen Tonleiter ist ist im funktionsharmonischen Kontext nicht als Harmonieton verwendbar da er sich zur charakteristischen Dur Terz extrem dissonant verhalt auch avoid note genannt Deswegen ist seine Wirkung als dissonanter Vorhalt umso wichtiger In allen drei Kombinationen von Tensions ist es moglich den Basston zum Beispiel G durch seinen Tritonus D zu ersetzen Bei dieser sogenannten Tritonussubstitution entsteht eine Spiegelung des jeweiligen Klanges aus G7 alteriert wird D Mixolydisch 11 und umgekehrt Die Tone von Dbmixo 11 sind also mit denen von G7alt identisch Das ist der Grund warum sich bei einer II V I Verbindung in C G7 durch D 7 ersetzen lasst und so aus der Progression Dm7 G7alt Cmaj7 diese Progression wird Dm7 D 7 Cmaj7 Da beide Akkorde aus der gleichen Skala stammen gelten fur D 7 allerdings andere Optionstone als fur den Ursprungsakkord G7 G7alt kann neben Grundton Terz und kleiner Septime die Erweiterungen 9 9 5 und 5 erhalten D 7 als Ersatzakkord fur G7alt kann hingegen nicht mit diesen Erweiterungen versehen werden denn es gelten die Optionstone von mixo 11 und die heissen 9 11 und 13 Das bedeutet dass man den D 7 in diesem Kontext nicht mit den alterierten Spannungstonen 9 9 5 und 5 versehen kann denn der Akkord wurde ja schon alteriert weil er selbst der alterierten Skala entstammt Richtig ist also hier beispielsweise Dm7 i D 9 i C oder Dm7 i D 13 i C oder Dm7 i D 7 11 i C Jede II V I Verbindung kann dabei einen Tongeschlechtswechsel vollziehen denn die Auflosung der V Stufe kann sowohl nach Dur als auch nach Moll erfolgen 2 Die Halbton bzw Ganztonskala ist an sich schon symmetrisch ihre Struktur wiederholt sich im Kleinterz Abstand also auch im Tritonus Verhaltnis 2 kleine Terzen Tritonus Die Verwendung von Substitutakkorden ist also keinesfalls willkurlich moglich und zugleich bei naherer Betrachtung ein ganz logischer Vorgang dessen souverane Handhabung zu den wichtigen Interaktiven Merkmalen beim Spielen von Jazz zahlt da Substitutakkorde haufig spontan und ohne vorherige Absprache gespielt werden Umdeutungen Reharmonisationen und Alterationen gehoren im Jazz zu den kreativen Freiheiten wahrend der Improvisation dem Arrangement und der Komposition Gute Musiker konnen so aus bestehenden Stucken und Akkorden etwas vollig Neues schaffen Sekundardominanten und Zwischendominanten BearbeitenStucke mit rein diatonischen Akkordfunktionen sind im Jazz heute selten In fruherer Zeit war es ublich Lieder nur aus den Akkorden einer Tonart zu bilden Es gab ein paar Regeln die es erlaubten chromatische Zwischenakkorde zu benutzen doch spielte sich das alles in einem sehr engen tonalen Spektrum ab Fruhe Aufnahmen und Transkriptionen fruher Jazzstucke zeugen von dieser doch noch strengen Harmonik Die Swingbands verwendeten eine schon ausgefeiltere Harmonik mit kleineren Schritten in der Stimmfuhrung Chromatische Durchgange gemischt mit diatonischen Akkordfolgen hin und wieder eine aussergewohnliche Wendung wie etwa statt der Durtonika Dur6 oder Durj7 die Bluestonika Septakkord oder statt eines Mollseptakkordes einen Dominantseptakkord zu verwenden wurden popular Die wesentliche Anderung setzte ein als die Musiker begannen Zwischenakkorde mehr zu betonen und ihre Spannungen auszuarbeiten Im Grunde erzeugte man Spannungsfelder vor den wichtigen Akkorden indem man sich den Akkord zu dem man hin wollte als Tonika vorstellte und dann uber dessen eigener Dominante das gewohnte Spannungs und Auflosungsverhalten von der Dominante zur Tonika benutzte Das tonale Gewicht anderte sich radikal und eigentlich hatte nun jeder Akkord eines Stuckes seine eigene Tonika sein konnen wenn da nicht das Ohr gewesen ware Wahrend in der klassischen Harmonielehre alle Dominantakkorde die sich nicht zur Tonika auflosen Zwischendominanten genannt werden unterscheidet die Jazzharmonik solche die sich zu einem diatonischen Akkord auflosen Sekundardominanten und Substitutionsdominanten Ein markantes Merkmal sind hier gemeinsame Tone und Tone die ein ausgesprochenes Aufloseverhalten zum nachsten Akkord zeigen Ausgangsfolge Am7 Dm7 Gm7 C7 Fmaj7 mit Sekundardominanten A7 Dm7 G7 C7 Fmaj7Ausgangsfolge Cmaj7 Dm7 G7 mit eingeschobener Sekundardominante Cmaj7 A7 9 Dm7 G7 mit Ersetzung und eingeschobener Sekundardominante B6 A7 9 Dm7 G7Jazzmusiker schreiben um die Spannung zu steigern gerne mal eine Dominante vor einen Akkord in einer bestehenden Akkordprogression besonders wenn sie improvisieren Die Verwendung von ersetzten oder eingeschobenen Akkorden ist ein wesentlicher Bestandteil dessen was das Gefuhl von harmonischer bzw melodischer Spannung und Entspannung im Jazz ausmacht Im Dur Kontext gibt es 5 Zwischendominanten I7 als Zwischendominante zur Subdominante V7 IV II7 als Zwischendominante zur Dominante V7 V auch Doppeldominante III7 als Zwischendominante zur Tonikaparallele V7 VI VI7 als Zwischendominante zur Subdominantparallele V7 IIm VII7 als Zwischendominante zum Tonikagegenklang V7 IIIm Kennzeichnend fur eine Zwischendominante ist die Zwischendominante steht auf einer diatonischen Stufe die Zwischendominante lost sich zu einem diatonischen Akkord auf die Zwischendominante enthalt mindestens einen tonart fremden TonIn der Klassik ist Zwischendominante bereits seit vielen Jahrzehnten ein feststehender Begriff Im Englischen werden Dominantakkorde die sich zu diatonischen Akkorden auflosen als Secondary Dominants bezeichnet Der Begriff Sekundardominante wird bereits seit 1997 auch im deutschsprachigen Raum verwendet Modale Akkorde BearbeitenNachdem der Bebop die Harmonik des Jazz auf eine neue Ebene erhoben hatte der harmonische Aufbau der Stucke mit der Zeit komplizierter und die Improvisation schwieriger wurde fuhlten sich viele Musiker in ihren Freiheiten eingeschrankt Der Post Bop mit seinen virtuosen Improvisationen und ausgefeilten Harmoniestrukturen z B Giant Steps von John Coltrane stand im Gegensatz zum Cool Jazz dessen Merkmale einpragsamere Melodien kuhles Understatement in der Improvisation und ausgefeilte Arrangements sind Zu dieser Zeit wurden schon modale Konzepte in die Stucke eingebaut Man begann den Klang von Akkorden als Basis fur die Improvisation zu verwenden und uber deren Skalen der Modus einer Skala daher modal zu improvisieren Akkorde wurden auch sozusagen vertikal sequenzartig mit gleichen Intervallen aufgebaut was zur Quartenharmonik zu Vorhalten und Pentatoniken Mollseptakkorde mit Undezime fuhrte Die klassischen Dur und Mollakkorde leben ja gerade durch ihre unterschiedlichen und komplementaren Intervallstrukturen aus grossen und kleinen Terzen Dies erlaubte dem Musiker langer mit dem Klang des Akkordes zu arbeiten und diesen auszuloten ganz im Gegensatz zu den schnellen Akkordwechseln des Be oder Post Bop So enthielten Stucke nur noch zwei oder drei Akkorde z B So What die den Grundklang definierten So gilt in So What Dm als Tonika und die dazugehorige Skala ist Dorisch Da Dorisch eine grosse Sexte und eine kleine Septime beinhaltet ergeben sich daraus Spannungen die selbst die Tonika verschleierten Das Begriffspaar Inside und Outside Spiel etablierte sich fur innerhalb bzw ausserhalb der Skala Das Tonmaterial zur Improvisation kommt hauptsachlich aus der verwendeten Skala und deren Ableitungen z B Skalenakkorde und deren Tonmaterial Die bisher angewendeten Techniken der Akkordsubstitution des Ersetzens von Akkorden und das Einschieben von Zwischendominanten wurden weiterhin aber nun wesentlich freier verwendet So konnte der Solist oder Begleiter eigene gedachte Kadenzen einbauen um ein Outside Gefuhl zu erzeugen wahrend die anderen Musiker darauf reagierten Die Improvisation wurde freier verlangte aber auch ein grosseres Mass an Reaktionsvermogen und vor allem ein sehr gutes Ohr An der Struktur der Akkorde selbst hatte sich nichts verandert es wurde deren harmonische Funktion aufgelost Beispielsweise darf ein mit der zweiten Stufe assoziierter Moll Septakkord nun fur sich stehen wodurch seine Klangfarbe betont wird und er nicht mehr nur als zweite Stufe wahrgenommen wird Modalitat ist in der Musik nichts Neues Die Stimmungen und Tonsysteme der ostlichen Welt z B Indien erlauben es bis heute nicht zu modulieren was kein Nachteil sein muss So gibt es indische Musiker die ihr Leben lang denselben Grundton verwenden Ahnlich verhalt es sich mit den fruhen Kirchentonleitern Mit der heute meistens verwendeten gleichstufigen Stimmung kann innerhalb von modalen Stucken die Tonart gewechselt werden Reharmonisation BearbeitenDas Umdeuten Ersetzen oder Hinzufugen von Akkorden in eine bestehende Akkordfolge nennt man Reharmonisation Einerseits geschieht dies spontan wahrend der Improvisation andererseits werden so die Spannungsverhaltnisse in bestehenden Melodien verandert Die Reharmonisation in der Improvisation geschieht oft mit klangverwandten Substituten oder an den Stellen wo man Reharmonisationen geradezu erwartet Dominant und Subdominantsituationen Bei der Reharmonisation von Melodien gilt die Melodie als Basis wobei dann durch die neu hinzugekommenen Harmonien neue Klangfarben entstehen Dies ist vor allem fur mehrstimmige Voicings wichtig wobei die obere Stimme die Leadstimme spielt und die unteren Stimmen nach den neuen Akkorden erganzt werden Form BearbeitenJede Musik hat eine Form sei dies auch nur wie im Freejazz die Festlegung eines Anfangs und eines Endes oder seien es die von Broadwaysongs vorgegebenen meist 32 taktigen Liedformen Im Jazz wurde zwar versucht mit der Form an sich zu brechen doch der grosste Teil der Jazzmusik wird in festgelegten Formen gespielt und eine Nicht Form hat sich nie durchgesetzt Eine Nicht Form widerspricht dem musikalischen Prinzip von Spannung und Entspannung Die Funktionsharmonik benotigt eine Form um die typischen Spannungs und Entspannungsmomente zu erzeugen Erstaunlicherweise sind viele Liedformen im Jazz symmetrisch Gleiche Blocke von musikalischem Geschehen losen sich ab und bei aller Improvisation Veranderung und Verschleierung bleibt die Form bestehen Naturlich wurde es auch Mode mitten in einer Form das Solo einem anderen Musiker zu ubergeben um das Formgefuhl zu brechen z B Miles Davis Quintett der 1950er Jahre Doch die Form an sich blieb immer bestehen auch wenn aufgelockert durch Zwischenkadenzen oder Turnarounds Turnaround BearbeitenBeim mehrfachen Wiederholen einer Akkordfolge wahrend einer Improvisation entsteht da in vielen Stucken Schluss und Anfangsakkord identisch sind an der Nahtstelle zwischen zwei Durchlaufen ein Gefuhl der harmonischen Stagnation Um dies zu vermeiden wird am Ende eines Chorus eine kurze Kadenzschleife eingefugt die zum Anfang der Akkordfolge zuruckfuhrt 3 Die meisten Turnarounds basieren auf der Dur Kadenz Akkorde in den Turnarounds konnen durch Substitutionen erganzt und variiert werden Mit der Zeit haben sich Turnarounds oder Vamps siehe auch harmonisches Ostinato fest etabliert und sind Bestandteil vieler Jazzsongs Beispiele fur Turnarounds in F Original in Dur Fmaj7 Fmaj7 Fmaj7 Dm7 Gm7 C7 I VI II V Fmaj7 D7 9 Gm7 C7 9 Mollstufen kann man durch Dominantseptakkorde ersetzen Fmaj7 A 9 Gm11 G 7 11 mit Tritonus Substitution Am7 D7 G7 C7 Am7 als III Stufe von F oder als Fmaj9 ohne Grundton G7 als Doppeldominante A 7 11 A maj7 Gm7 G 7 11 mit komplexeren Substitutionen Fmaj7 A maj7 D maj7 G maj7 Tadd Dameron Turnaround Original in Moll Fm7 Fm7 Fm7 Gm7 5 C7 I II V Fm7 Dm7 5 Gm7 5 C7 I VI II V Zusammenspiel BearbeitenGrundsatzlich kann man sich jeden Moment in der Jazzmusik als einen Klang oder einen Akkord vorstellen Die verschiedenen Instrumentierungen einer Formation ubernehmen bis heute und mit wenigen Ausnahmen ihre vorgesehenen Register d h der Bass spielt tiefe Tone Piano oder Gitarre Tone aus dem mittleren Bereich zur Begleitung und das Soloinstrument spielt die hohen Tone So entsteht ein wandelbares Klanggebilde das heute in sich alle Freiheiten bietet Im Gegensatz zu fruherem Jazz arbeiten Bass und Begleitinstrumente genau so mit der Harmonik wie der Solist den Klang des gerade gespielten Akkordes verandert Ein Solist hort zum Beispiel wohin die Rhythm Section will zum Beispiel Bass und Piano spielen eine sich chromatisch nach unten verschiebende Akkordfolge die sich zwangslaufig in den nachsten Ruhepunkt auflosen wird oder eben nicht und der Solist folgt dem chromatischen Ablauf Oder umgekehrt der Solist greift eine bestimmte Melodie auf oder gibt durch eine pragnante Melodiefuhrung Farben vor und die Begleiter gehen mit der Auswahl ihrer Begleitakkorde Phrasierung und Rhythmik darauf ein Horen und Lernen BearbeitenUm die Harmonik des Jazz zu erfassen reicht es leider nicht diese theoretisch auszufuhren Jazz ist Musik an der viele kleine Facetten nicht erklart werden konnen sondern gehort werden mussen So erst wird der Unterschied der beiden Saxofonisten Ben Webster und Lester Young klar obwohl diese den gleichen Stil spielen Ein Grossteil des Wissens und vor allem das Spuren des Auflosungsverhaltens von Akkorden kann nur durch Horerlebnisse und wenn das Bedurfnis besteht Jazz selbst zu spielen durch ein Hortraining vermittelt werden Heute wird Jazz an Schulen gelehrt das vermittelte Material ist inzwischen immens und die didaktischen Inhalte entwickeln sich standig weiter Es ist auch moglich ausserhalb von schulischen Institutionen Jazz zu lernen Wesentliche Elemente dabei sind das Horen von Jazz das Spielen von Jazz und das Transkribieren der Musik die einem gefallt sowie ausgiebige Besuche von Jam Sessions Jazz ist eine anfangs sehr schwierig scheinende Musik die jedoch nach und nach einfacher wird die hauptsachliche Arbeit findet sich aber im Lernen des Instrumentes Jazzharmonik und andere Harmonielehren BearbeitenDie Harmonik des Jazz unterscheidet sich im Grundsatz nicht von jener anderer Formen der tonalen Musik Allerdings besitzt sie einige Besonderheiten die beachtenswert erscheinen Ganz im Gegensatz zur indischen oder balinesischen Musik die Intervalle benutzen die in der westlichen Musik nicht verwendet werden Shrutis Im Extremfall kann ein modernes klassisches Stuck klingen wie ein Jazztune oder umgekehrt Der Unterschied liegt dann nur noch im Verhaltnis Improvisation zu Komposition Im Jazz ergeben sich durch das Repertoire die Improvisation und die Tradition Horgewohnheit harmonische Moglichkeiten die in der klassischen Musik zwar auch beschrieben werden aber deren Wichtigkeit eine andere ist So wird heute auch die klassische Musik von den Konzepten im Jazz beeinflusst Zum Beispiel die Verwendung von jazzigen Farbtonen in Akkorden die Verwendung von Jazz Kadenzen das Verwenden des Septakkords als Tonika usw Ein fruhes Beispiel dafur ist George Gershwins Rhapsody in Blue ein aktuelleres die Komposition City Noir von John Adams Im Free Jazz wurde das traditionelle Regelsystem zwar ausser Kraft gesetzt aber es wurden keine neuen Regeln entwickelt wie sie etwa in der europaischen Kunstmusik beim Ubergang in die Zwolftonmusik und den Serialismus entstanden Der Jazz der Gegenwart soweit er nicht retrospektiv ausgerichtet ist und dem herkommlichen Regelsystem folgt ist keineswegs prinzipiell unharmonisch wohl aber entwickelt er von Fall zu Fall seine eigene Form der Harmonik Er ist harmonisch frei 4 Siehe auch BearbeitenJazzblues Akkordsymbol Akkord Powerchord Harmonik Abgeleiteter Akkord Stufentheorie Harmonik Funktionstheorie Quintenzirkel Inside Outside Improvisation Populare MusikLiteratur BearbeitenHerbert Hellhund Jazz Harmonik Melodik Improvisation Analyse Philipp Reclam jun Ditzingen 2018 ISBN 978 3 15 011165 9 Carlo Bohlander Harmonielehre Edition Schott 5202 Schott Mainz u a 1961 Wolf Burbat Die Harmonik des Jazz dtv 30140 6 Auflage gemeinschaftliche Ausgabe Deutscher Taschenbuch Verlag u a Munchen u a 2002 ISBN 3 423 30140 6 Richard Graf Barrie Nettles Die Akkord Skalen Theorie amp Jazz Harmonik Advance Music Rottenburg N 1997 ISBN 3 89221 055 1 Frank Haunschild Die neue Harmonielehre Ein musikalisches Arbeitsbuch fur Klassik Rock Pop und Jazz Band 1 Erweiterte und uberarbeitete Auflage AMA Verlag Bruhl 1997 ISBN 3 927190 00 4 Axel Jungbluth Jazz Harmonielehre Funktionsharmonik und Modalitat Schott Mainz u a 1981 ISBN 3 7957 2412 0 Axel Jungbluth Praxis Jazz Harmonisation Anleitung zum Harmonisieren Schott Mainz u a 1989 ISBN 3 7957 0125 2 Frank Sikora Neue Jazz Harmonielehre Verstehen Horen Spielen Von der Theorie zur Improvisation Schott Pro line 1032 8 Auflage Schott Mainz 2012 ISBN 978 3 7957 5124 1 Gerald Smrzek The Book Of Chords Edition Canticum Wien 2005 Joe Viera Grundlagen der Jazzharmonik Reihe Jazz 2 9 bearbeitete und erweiterte Auflage universal edition Wien 1983 ISBN 3 7024 0085 0 Weblinks Bearbeiten nbsp Commons Jazzharmonik Sammlung von Bildern Videos und Audiodateien Jazz Handbook von Jamey Aebersold pdf 8 MB Einzelnachweise Bearbeiten http www jazzhaus hd de jazzgeschichte htm Peter Autschbach Jazzgitarrenbu ch Schott Music Mainz 2021 ISBN 978 3 7957 9934 2 S 76 Frank Sikora Neue Jazz Harmonielehre Verstehen Horen Spielen Von der Theorie zur Improvisation 3 Auflage Schott Mainz 2003 ISBN 3 7957 5124 1 S 223 Ekkehard Jost Harmonik In Wolf Kampmann Hrsg unter Mitarbeit von Ekkehard Jost Reclams Jazzlexikon Reclam Stuttgart 2003 ISBN 3 15 010528 5 S 622 f Abgerufen von https de wikipedia org w index php title Jazzharmonik amp oldid 239206540