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Das Hundsheimer Nashorn Stephanorhinus hundsheimensis ist eine heute ausgestorbene Nashornart aus dem fruhen und mittleren Pleistozan des westlichen Eurasiens Zusammen mit seinen ebenfalls ausgestorbenen Verwandten dem Waldnashorn Stephanorhinus kirchbergensis und dem Steppennashorn Stephanorhinus hemitoechus gehort es zu den Dicerorhinina zweihornigen Nashornern deren letzter Uberlebender das hochgradig gefahrdete Sumatra Nashorn Dicerorhinus sumatrensis in den Waldern Sudostasiens ist Hundsheimer NashornSchadel des Hundsheimer Nashorns Stephanorhinus hundsheimensis Zeitliches AuftretenAltpleistozan bis Mittelpleistozan1 2 Mio Jahre bis 450 000 JahreFundortewestliches EurasienSystematikHohere Saugetiere Eutheria LaurasiatheriaUnpaarhufer Perissodactyla Nashorner Rhinocerotidae StephanorhinusHundsheimer NashornWissenschaftlicher NameStephanorhinus hundsheimensis Toula 1902 Inhaltsverzeichnis 1 Verbreitung und Lebensraum 2 Korperbau und Ernahrungsweise 3 Stammesgeschichte und Systematik 4 Forschungsgeschichte 5 EinzelnachweiseVerbreitung und Lebensraum Bearbeiten nbsp Verbreitung des Hundsheimer Nashorn im Alt und Mittelpleistozan in Europa Die schwarzen Punkte stellen wichtige Fundorte dar Das Hundsheimer Nashorn bevorzugte sub mediterranes bis gemassigtes Klima und lebte in den Steppen des Alt und Mittelpleistozans im westlichen Eurasien Sein Verbreitungsgebiet reichte dabei von der Iberischen Halbinsel im Westen u a in Fuente Nueva und Barranco Leon Spanien bis zum Schwarzmeer und Kaukasusgebiet im Osten Tiraspol Moldawien Archalkalaki Georgien Im Suden ist es von Fundstellen auf der Apennin Halbinsel so von Isernia Venta Micena und im Norden von den Britischen Inseln u a Boxgrove West Runton bekannt 1 2 3 Das Auftreten des Hundsheimer Nashorns beschrankte sich dabei weitgehend auf die warmzeitlichen Abschnitte des Pleistozans vor allem wahrend des Cromer Komplexes vor 850 000 bis vor 475 000 Jahren Es kam dann zusammen mit dem stammesgeschichtlich alteren Etruskischen Nashorn Stephanorhinus etruscus vor aber auch mit anderen typischen warm adaptierten Tieren wie dem Flusspferd oder dem Auerochsen sowie mit Bewohnern offener Landschaften wie dem Steppenmammut und dem Wildpferd Offensichtlich tolerierte es aber auch kuhles bis kaltes Klima und trat teilweise in kaltzeitlichen Abschnitten auf wie z B in Sussenborn Thuringen oder Vallonet Frankreich Hier war es dann mit dem Bison oder dem Riesenhirsch vergesellschaftet In der Spatphase des Auftretens des Hundsheimer Nashorns uberschnitt sich dessen Verbreitungsgebiet mit jenen von Wald und Steppennashorn 1 3 Korperbau und Ernahrungsweise BearbeitenDas Hundsheimer Nashorn war ein relativ graziles Nashorn Es erreichte eine Kopf Rumpflange von 270 cm bei einer Widerristhohe von etwa 160 cm und war damit etwa so gross wie das heutige Sumatra Nashorn 2 Das rekonstruierte Korpergewicht lag im Maximum bei etwas weniger als 1 t 4 Es hatte lange und relativ schmale Gliedmassen wobei die Lange der Beine jene seines phylogenetischen Vorgangers dem Etruskischen Nashorn ubertrafen 5 Zusatzlich wiesen sie nur schwache ausgepragte Gelenkflachen auf 6 Der Schadel war 60 bis 75 cm lang 7 und besass ein kurzes rechtwinklig geformtes Hinterhaupt was bewirkte dass das Tier seinen Kopf aufrecht hielt ahnlich wie auch beim heutigen Spitzmaulnashorn Diceros bicornis Auf der Nase und im mittleren Stirnbereich befanden sich je eine perlartig aufgeraute Knochenoberflache die die jeweilige Hornbasis anzeigen Die Grosse und Deutlichkeit der Oberflachenstruktur zeigte dass die Horner grosser waren als beim gleichzeitig auftretenden Etruskischen Nashorn und wohl in der Variationsbreite des Sumatra Nashorns lagen 8 1 Dabei war das vordere Horn Nasalhorn wohl deutlich grosser als das hintere Frontalhorn Des Weiteren besass das Hundsheimer Nashorn eine nur im vorderen Bereich verknocherte Nasenscheidewand ein Merkmal das typisch fur alle Stephanorhinus Arten ist und ausser beim Sumatra Nashorn bei den heutigen Nashornern nur ausserst selten auftritt Die Verknocherungen der Nasenscheidewand erreichte beim Hundsheimer Nashorn aber nicht das Ausmass wie bei seinem stammesgeschichtlich jungeren Verwandten dem Steppennashorn 6 8 9 Der Unterkiefer war relativ schlank gebaut und besass am hintersten Zahn eine Hohe von 6 cm Die Symphyse war schmal Das Gebiss war charakterisiert durch die Reduktion der vorderen Zahne Schneidezahne und Eckzahne wahrend die hintere Gebisspartie aus drei Pramolaren und drei Molaren je Kieferbogen bestand Die Zahnformel lautete 0 0 3 3 0 0 3 3 displaystyle frac 0 0 3 3 0 0 3 3 nbsp Die Kronenhohe der Zahne war sehr niedrig brachydont und unterscheidet sich dadurch markant von den spateren Stephanorhinus Vertretern Zudem waren der zweite Pramolar und der letzte Molar besonders gross ausgebildet 6 10 11 Gelegentlich traten im Gebiss pathologische Zahnanomalien in Form uberzahliger Zahne auf 12 Das Korperskelett ist durch einige vollstandige Skelette recht gut bekannt Die Wirbelsaule bestand abweichend von anderen Stephanorhinus Arten aus 7 Hals 19 Brust 3 Lenden 4 Kreuzbein und mindestens 15 Schwanzwirbel Der Oberarmknochen erreichte eine Lange von 45 cm die Ulna von 51 cm Der Oberschenkelknochen konnte 50 cm erreichen das Schienbein 40 cm Die Gliedmassen endeten typisch fur die modernen Nashorner in je drei Zehen Dabei war der Mittelstrahl Metapodium III jeweils besonders stark ausgebildet Der dritte Mittelhandknochen wurde 22 cm lang der gleiche Mittelfussknochen 20 cm 13 Die langen Gliedmassen des Hundsheimer Nashorns zeigen eine Lebensweise in offenen Landschaften am Rande von Waldern oder Auenwaldern an die Besonderheiten der Zahnmorphologie vor allem die niederkronigen Zahne und der grosse hintere Molar sprechen fur eine weitgehend blattfressende Ernahrung wahrend die hohe Kopfhaltung annehmen lasst das mittelhohe Busche als Nahrungsressource dienten 6 10 Neuere Untersuchungen an den Abnutzspuren ergaben jedoch ein differenzierteres Bild So zeigen Zahne dieser Nashornart u a aus der rund 700 000 Jahre alten Fundstelle von Voigtstedt Thuringen ein typisches auf weiche Blattnahrung hinweisendes Muster mit einer trogartigen Vertiefung der Zahne auf wahrend Funde aus den nur wenig jungeren Ablagerungen von Sussenborn Thuringen teils horizontale Abnutzungsspuren besitzen Diese gehen auf harte Grasnahrung zuruck wobei der Abschliff durch die in den Pflanzen enthaltene Kieselsaure erfolgte Dies bedeutet dass das Hundsheimer Nashorn eine recht hohe okologische Toleranz aufwies und eher als Generalist anzusprechen ist der je nach der okologischen Bedingung sowohl als browser Blattfresser oder grazer Grasfresser auftrat 2 Stammesgeschichte und Systematik BearbeitenDas Hundsheimer Nashorn entwickelte sich im Fruhpleistozan wo es an Fundstellen wie Untermassfeld Thuringen Dorn Durkheim Hessen oder Gran Dolina Atapuerca Spanien nachgewiesen ist Dabei gehen die meisten Palaontologen davon aus dass sich die Nashornart aus dem Etruskischen Nashorn entwickelte 14 6 15 andere wiederum sehen in ihrer Gebissmorphologie altertumliche Merkmale z B der sehr gross ausgebildete zweite Pramolar dass eine direkte Abstammungslinie als eher unwahrscheinlich anzunehmen ist 1 Ubereinstimmung herrscht weitgehend in der Ansicht dass es sich um einen Einwanderer aus Asien handelte 16 6 5 Wahrend seiner Entwicklung durchlebte das Hundsheimer Nashorn eine Grossenzunahme so dass die Spatformen im Durchschnitt grosser und schwerer 800 bis 1000 kg waren als die ursprunglichen Vertreter 400 bis 750 kg 4 Dies wird mit der zunehmenden Klimaverschlechterung im fruhen Mittelpleistozan erklart 11 Im mittleren Mittelpleistozan starb das Hundsheimer Nashorn aus Spate Vorkommen sind an den beruhmten fruhmenschlichen Fundstellen siehe Homo heidelbergensis von Mauer Baden Wurttemberg Vertesszolos Ungarn und Boxgrove England zu verzeichnen aber auch an der eponymen Fundstelle Hundsheim Niederosterreich wahrend es in den jungeren Ablagerungen der Mosbacher Sande bei Wiesbaden Hessen sein bisher letztes Auftreten hat Das Aussterben dieser Nashornart geht dabei mit der parallel verlaufenden evolutiven Entwicklung von starker spezialisierten und besser adaptierten Nashornern einher wie dem Wald und dem Steppennashorn Mit diesen beiden Spezialisten konnte das eher als Generalist fungierende Hundsheimer Nashorn nicht konkurrieren Eine Beteiligung des fruhen Menschen am Aussterben der Tierart u a infolge von starker Bejagung wird ausgeschlossen 2 1 Forschungsgeschichte BearbeitenDie wissenschaftliche Erstbeschreibung des Hundsheimer Nashorns als Rhinoceros hundsheimensis erfolgte 1902 von Franz Toula 13 Als Grundlage dienten Knochen und Zahnfunde aus der niederosterreichischen Ortschaft Hundsheim Der spater aufgrund der naheren Verwandtschaft mit dem Sumatra Nashorn verwendete Gattungsname Dicerorhinus wurde 1942 durch Stephanorhinus ersetzt Diesen Begriff etablierte der ungarische Palaontologe Miklos Kretzoi 1907 2005 und beruht auf unterschiedlichen Gebissmerkmalen der beiden Gattungen 1 Einzelnachweise Bearbeiten a b c d e f Jan van der Made The rhinos from the Middle Pleistocene of Neumark Nord Saxony Anhalt In Dietrich Mania u a Hrsg Neumark Nord Ein interglaziales Okosystem des mittelpalaolithischen Menschen Veroffentlichungen des Landesmuseums fur Vorgeschichte 62 Halle Saale 2010 S 433 527 a b c d Ralf Dietrich Kahlke und Thomas M Kaiser Generalism as a subsistence strategy advantages and limitations of the highly flexible feeding traits of Pleistocene Stephanorhinus hundsheimensis Rhinocerotidae Mammalia Quaternary Science Reviews 30 2011 S 2250 2261 doi 10 1016 j quascirev 2009 12 012 a b Ralf Dietrich Kahlke Nuria Garcia Dimitris S Kostopoulos Frederic Lacombat Adrian M Lister Paul P A Mazza Nikolai Spassov und Vadim V Titov Western Palaearctic palaeoenvironmental conditions during the Early and early Middle Pleistocene inferred from large mammal communities and implications for hominin dispersal in Europe Quaternary Science Reviews 2010 S 1 28 a b Jean Philip Brugal und Roman Croitor Evolution ecology and biochronology of herbivore associations in Europe during the last 3 million years Quaternaire 18 2 2007 S 129 152 a b Frederic Lacombat Phylogeny of the genus Stephanorhinus in the Plio Pleistocene of Europe Hallesches Jahrbuch fur Geowissenschaften 23 2007 S 63 65 a b c d e f Mikael Fortelius Paul Mazza und Benedetto Sala Stephanorhinus Mammalia Rhinocerotidae of the Western European Pleistocene with a revision of S etruscus Falconer 1868 Palaeontographia Italica 80 1993 S 63 155 M Breda S E Collinge Simon A Parfitt und Adrian M Lister Metric analysis of ungulate mammals in the early Middle Pleistocene of Britain in relation to taxonomy and biostratigraphy I Rhinocerotidae and Bovidae Quaternary International 228 2010 S 136 156 a b Friedrich E Zeuner Die Beziehungen zwischen Schadelform und Lebensweise bei den rezenten und fossilen Nashornern Berichte der Naturforschenden Gesellschaft in Freiburg 34 1934 S 21 80 Franz Toula Das Gebiss und Reste der Nasenbeine von Rhinoceros Ceratorhinus Osborn hundsheimensis Abhandlungen der Koniglichen und Kaiserlichen Geologischen Reichsanstalt 20 2 1906 S 1 38 a b Jan van der Made und Rene Grube The rhinoceroses from Neumark Nord and their nutrition In Harald Meller Hrsg Elefantenreich Eine Fossilwelt in Europa Halle Saale 2010 S 382 394 a b Frederic Lacombat Rhinoceroses in Mediterranean Europe and Massif Central France Courier des Forschungs Instituts Senckenberg 256 2006 S 57 69 Wighart von Koenigswald B Holly Smith Ann Arbor und Thomas Keller Supernumerary teeth in a subadult rhino mandible Stephanorhinus hundsheimensis from the middle Pleistocene of Mosbach in Wiesbaden Germany Palaontologische Zeitschrift 81 4 2007 S 416 428 a b Franz Toula Das Nashorn von Hundsheim Rhinoceros Ceratorhinus Osborn hundsheimensis nov form mit Ausfuhrungen uber die Verhaltnisse von elf Schadeln von Rhinoceros Ceratorhinus sumatrensis der Koniglichen und Kaiserlichen Geologischen Reichsanstalt 19 1 1902 S 1 92 Claude Guerin Les Rhinocerotidae Mammalia Perissodactyla du Miocene terminal au Pleistocene superieur d Europe occidentale compares aux especes actuelles tendances evolutives et relations phylogenetiques Geobios 15 1982 S 599 605 Hans Dietrich Kahlke Die Rhinocerotiden Reste aus dem Unterpleistozan von Untermassfeld In Ralf Dietrich Kahlke Das Pleistozan von Untermassfeld bei Meiningen Thuringen Teil 2 Monagraphien des RGZM 40 2 Mainz 2001 S 501 555 Jan van der Made A preliminary note on the rhinos from Bilzingsleben Praehistoria Thuringica 4 2000 S 41 64 Abgerufen von https de wikipedia org w index php title Hundsheimer Nashorn amp oldid 234917421