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Die adjektizischen Klagen Uberleitung einer Klage auf den Gewalthaber seit der Zeit der Glossatoren als actiones adiecticiae qualitatis zusammengefasst waren im romischen Recht ein Sammelbegriff fur Anwendungsfalle mit denen Schuldverhaltnisse mit Drittbeteiligung auseinandergesetzt wurden Mit ihnen sollten Streitigkeiten aus Verbindlichkeiten negotia gesta beigelegt werden die Gewaltunterworfene eingegangen waren fur die aber deren Gewalthaber domini unmittelbar selbst hafteten 1 Eingefuhrt wurden die Klagen wohl wahrend der Kaiserzeit im 2 Jahrhundert durch die Pratoren 2 Inhaltsverzeichnis 1 Stellvertretung und Durchgriffshaftung 2 Die Klagen im Einzelnen actiones 2 1 Actio de peculio Pekuliarklage 2 2 Actio de in rem verso Versionsklage 2 3 Actio tributoria Verteilungsklage 2 4 Actio quod iussu Weisungsklage 2 5 Actio exercitoria et institoria Reederei Handelsgeschaft 3 Verfahren und Rechtsfolgen 4 Literatur 5 AnmerkungenStellvertretung und Durchgriffshaftung BearbeitenDas Verkehrsbedurfnis nach stellvertretungsrechtlichen Regelungen im Privatrechtsverkehr leitete das antike Rom aus den personenrechtlichen Gewaltverhaltnisse her Der wirtschaftliche Aufschwung ab den Zeiten der jungeren Republik verlangte danach dass untergebene Familienmitglieder Hauskinder und Sklaven wirtschaftlich eigenstandig tatig wurden Das Familienoberhaupt pater familias musste nicht zwingend selbst tatig werden sondern delegierte Geschafte auf Gewaltunterworfene und Angestellte patria potestas Gleichwohl wurde er durch die Geschafte der filiifamilias und servi vertraglich selbst gebunden 3 Diese durften nur im Rahmen der ihnen eingeraumten Befugnisse handeln und den Befugnissen entsprechende Verpflichtungen eingehen Die Mitglieder des dem Familienoberhaupt unterworfenen Hausverbandes waren nicht rechtsfahig sie waren aber geschaftsfahig 1 Ausweislich der Forschungen Ernst Levys und Max Kasers soll die begrenzte Selbstandigkeit zumindest fur die Spatantike gegolten haben 4 Forderungen gleichermassen Schulden erwarb der Hausherr aus Geschaften der Gewaltunterworfenen unmittelbar vinculum iuris weshalb er dafur auch haftete 5 Das Prinzip des ansonsten wirksamen Ausschlusses von Vertragen zugunsten Dritter alteri stipulari nemo potest ubersetzt etwa niemand kann sich fur einen anderen etwas versprechen lassen 6 blieb durch diese Gewaltverhaltnisse unberuhrt 7 Das zivilrechtliche System spiegelte sich im Prozessgeschehen Hauskinder waren klagbar aber vermogenslos Sklaven waren vollumfanglich prozessunfahig 7 Zum Schutz der Glaubiger mussten Zahlungsverpflichtungen Eigentumsherausgabeanspruche und Schadensersatzanspruche dem dominus der gleichzeitig der Geschaftsherr war auch prozessual zugerechnet werden Da nach romischem Rechtsverstandnis die prozessuale Durchsetzung ein wesentliches Charakteristikum eines Anspruchs war der mangels dogmatischer Differenzierung zwischen Privat und Zivilprozessrecht im Rahmen der actiones umzusetzen war sah sich der Gewaltgeber gegebenenfalls einer der adjektizischen Klagen ausgesetzt Solidarhaftung Die einzelnen adjektizischen Klagen actiones behandelten die Durchgriffshaftung nach sachlich zu unterscheidenden Kriterien Gegebenenfalls haftete der Gewalthaber wegen eines Geschaftes sogar aus verschiedenen adjektizischen Klagen gleichzeitig 7 Die Klagen im Einzelnen actiones BearbeitenActio de peculio Pekuliarklage Bearbeiten Die actio de peculio fand Anwendung wenn der dominus dem Gewaltunterworfenen Sondervermogen zur selbstandigen Bewirtschaftung uberlassen hatte und sich daraus Verpflichtungen ergaben fur die sein Herr einzustehen hatte 8 Das Sondervermogen wurde peculium genannt da es sich haufig um Exemplare oder Teile des Viehbestandes pecus Vieh des Gewalthabers handelte Der Gewalthaber haftete bis zur Hohe des ausgeurteilten Wertes zwar mit seinem gesamten Vermogen im Urteilsspruch jedoch beschrankt bis zur Hohe des Wertes des Sondervermogens 9 Soweit die Haftung sich auf den Wert des Pekuliums beschrankte war der Umfang der Zugriffsmoglichkeit bei der Vollstreckung offen Mit Forderungen gegen das Sondervermogen konnte der Herr aufrechnen 10 Die Befriedigung der Glaubiger erfolgte in der Reihenfolge der Klageinbringung In der Zeit der Spatantike sollen Sklaven und Hauskinder gar selbst im Rahmen der actio de peculio gehaftet haben Die Rechtsforschung fuhrt an dass die landarbeitende Unterschicht und gewaltunterworfene Hausstandsmitglieder sich zunehmend vereinheitlicht hatten reduziert auf eine gemeinsame Unterklasse 4 Sklaven der Spatantike hatten gegenuber der Zeit des Prinzipats sogar eine Aufwertung erfahren 11 Actio de in rem verso Versionsklage Bearbeiten Mit der actio de in rem verso Verwendungsklage konnte der dominus in Anspruch genommen werden wenn er durch ein Rechtsgeschaft des Gewaltunterworfenen bereichert worden war In rem verso verdeutlicht dabei die Ruckerstattungspflicht vel si quid in rem N N inde versum est ubersetzt etwa oder wenn daraus etwas ins Vermogen des Beklagten gelangt ist 9 12 In der antiken Literatur festgehaltene Falle der Anwendung der Versionsklage sind die Schuldenbegleichung fur den Hausherren mittels geborgten Geldes und Lebensmittelkaufe fur die Familie des Hausherren 13 Fur den Wert der Bereicherung wurde auf den Zeitpunkt des Urteils abgestellt 14 Actio tributoria Verteilungsklage Bearbeiten Diese Klage wurde gewahrt wenn der Gewaltunterworfene mit Kenntnis des Gewalthabers ein Handelsgeschaft oder einen Gewerbebetrieb unterhielt und sich daraus Verbindlichkeiten ergaben die auf den Geschaftsherrn durchgriffen Sie ist keine adjektizische Klage im engeren Sinne sondern kraft Sachzusammenhangs der Geschaftstatigkeit Gewaltunterworfener dem ein Pekulium fur Handelsgeschaftstatigkeiten eingeraumt war 15 Dieses wurde zum Sondervermogen uber das der Prator im Falle der Uberschuldung den Sonderkonkurs eroffnete und die Glaubiger entsprechend ihrer Quote befriedigte Das restliche Vermogen des Gewalthabers blieb unberuhrt Haftungsbeschrankung 16 Actio quod iussu Weisungsklage Bearbeiten Hatte ein Gewalthaber einen Geschaftspartner Dritten ermachtigt Geschafte auf eigene Gefahr mit dem Gewaltunterworfenen zu tatigen konnte er bei pathologischem Verlauf mittels der actio quod issu selbst belangt werden so als sei es sein eigenes Geschaft gewesen 17 Der Ermachtigung iussum wurde die nachtragliche Genehmigung ratihabitio gleichgestellt 18 Wurde eine Ermachtigung missbrauchlich uberschritten waren die zutreffenden Klagearten die actio de peculio 19 beziehungsweise actio de in rem verso Actio exercitoria et institoria Reederei Handelsgeschaft Bearbeiten Gegen Firmeninhaber richtete sich die Klage aus actio institoria abgeleitet aus dem lateinischen institor der Angestellte Die gegen den Reeder gerichtete Klage war die actio exercitoria was sich aus dem lateinischen exercere ableitet und auf den Betrieb einer Reederei hinweist Beide Klagetypen waren nicht auf Gewaltunterworfene beschrankt Sie fanden kasuistische Anwendung Beispielsfalle hierfur sind die Haftung des Reeders exercitor navis fur die Schulden des eingesetzten Kapitans oder des Ladeninhabers taverna fur den im Geschaftsbetrieb eingesetzten Betriebsleiter institor 20 Die Verpflichtung des Gewalthabers bestand in diesen Fallen auf der Unterstellung einer Generalermachtigung zum Abschluss aller Vertrage die im Zusammenhang mit der ubertragenen Aufgabe stehen Die romischen Juristen rechtfertigen die Haftungsausdehnung des Gewalthabers auf Verpflichtungen durch Gewaltfreie durch die Analogie der Tatigkeiten von Schiffs oder Betriebsleitern zu hauseigenen Gewaltunterworfenen 1 In spatklassischer Zeit hatte Papinian Analogien zu den Fallen geschaffen und angefangen aus ihnen das Prinzip der Stellvertretung zu entwickeln Er ubertrug es beispielsweise auf den von seinem Geschaftsherrn beauftragten Vermogensverwalter procurator der eine Sache kaufte beziehungsweise verkaufte oder ein Darlehen aufnahm 21 Ernst Rabel wurdigte diesen Ansatz Papinians als eines seiner Ruhmesblatter wenngleich es noch sehr lange dauern sollte bis zum 19 Jahrhundert dass die Dogmatik des Stellvertretungsrechts schliesslich entwickelt war Erst die wissenschaftliche Pragnanz der Vertreter der historischen Rechtsschule machte es moglich dass eine klare Trennung und damit Abgrenzbarkeit der Rechtsbegriffe Stellvertretung Vollmacht und Auftragsgeschaft vorgenommen werden konnte 22 Verfahren und Rechtsfolgen BearbeitenVerfolgt wurden vornehmlich vertragliche Erfullungsanspruche aus Mutuum oder Stipulation und sachenrechtliche Ubertragungsanspruche daneben Anspruche aus Bereicherungsrecht wenn die Erfullung scheiterte Geeigneter Klagetyp war die condictio Beantragt wurde per legis actio per condictionem Deliktsrechtsrechtlich kam bei Diebstahl die condictio furtiva zum Zuge Literatur BearbeitenJan Dirk Harke Romisches Recht Von der klassischen Zeit bis zu den modernen Kodifikationen Beck Munchen 2008 ISBN 978 3 406 57405 4 Grundrisse des Rechts 6 Rnr 4 10 S 75 79 Herbert Hausmaninger Walter Selb Romisches Privatrecht Bohlau Wien 1981 9 Aufl 2001 Bohlau Studien Bucher ISBN 3 205 07171 9 S 319 325 Heinrich Honsell Romisches Recht 5 Auflage Springer Zurich 2001 ISBN 3 540 42455 5 S 35 f Max Kaser Das romische Privatrecht Band I 2 Auflage Munchen 1971 Max Kaser Das romische Privatrecht Band II Die nachklassischen Entwicklungen 2 Auflage Munchen 1975 Fabian Klinck Die personliche Haftung des filius familias In Zeitschrift der Savigny Stiftung fur Rechtsgeschichte Romanistische Abteilung Band 132 Heft 1 2015 S 126 153 Nicole Kreuter Romisches Privatrecht im 5 Jh n Chr Die Interpretatio zum westgotischen Gregorianus und Hermogenianus Freiburger rechtsgeschichtliche Abhandlungen Duncker amp Humblot Berlin 1993 Ernst Levy Westromisches Vulgarrecht Das Obligationenrecht Weimar 1956 Ulrich Manthe Geschichte des romischen Rechts Beck sche Reihe 2132 C H Beck Munchen 2000 ISBN 3 406 44732 5 S 60 ff Uwe Wesel Geschichte des Rechts Von den Fruhformen bis zur Gegenwart 3 uberarbeitete und erweiterte Auflage Beck Munchen 2006 ISBN 3 406 47543 4 S 212 f Anmerkungen Bearbeiten a b c Jan Dirk Harke Romisches Recht Von der klassischen Zeit bis zu den modernen Kodifikationen Beck Munchen 2008 ISBN 978 3 406 57405 4 Grundrisse des Rechts 6 Rnr 4 10 S 75 79 Iwan von Muller Begr Walter Otto Hermann Bengtson Forts Max Kaser Verf Handbuch der Altertumswissenschaft 10 3 3 1 Das altromische das vorklassische und klassische Recht 1955 141 Haftung aus Geschaften der Gewaltunterworfenen und Angestellten S 505 508 Die Auffuhrung der Hauskinder und Sklaven nebeneinander in Pseudopaulinische Sentenzen 2 31 20 a b Ernst Levy Westromisches Vulgarrecht Das Obligationenrecht Weimar 1956 S 70 ff 72 Max Kaser Das romische Privatrecht Band I 2 Auflage Munchen 1971 S 607 und Band II Die nachklassischen Entwicklungen 2 Auflage Munchen 1975 S 100 ff 102 ff 106 113 125 Gaius 2 87 Ulpian Digesten 45 1 38 17 im Common Law hatte sich eine ahnlich lautende Doktrin der privity of contract bis zum Erlass des Contract Rights of third parties Act aus dem Jahre 1999 grundsatzlich bis heute konserviert a b c Heinrich Honsell Romisches Recht 5 Auflage Springer Zurich 2001 ISBN 3 540 42455 5 S 35 f Quellen hierzu Ulpian Digesten 15 1 21 pr Gaius 4 73 a b Herbert Hausmaninger Walter Selb Romisches Privatrecht Bohlau Wien 1981 9 Aufl 2001 Bohlau Studien Bucher ISBN 3 205 07171 9 S 319 325 Gaius 4 73 Nicole Kreuter Romisches Privatrecht im 5 Jh n Chr Die Interpretatio zum westgotischen Gregorianus und Hermogenianus Freiburger rechtsgeschichtliche Abhandlungen Duncker amp Humblot Berlin 1993 S 144 ff 144 Justinian I erweiterte die actio de in rem verso auf die Bereicherungen die durch Handlungen und Rechtsakte Gewaltfreier im Interesse des Bereicherten vorgenommen wurden Diese Rechtsentwicklung wurde fur die moderne Rechtsauffassung zum Vorbild denn sie fand Niederschlag in den 1041 1042 ABGB Codex Iustinianus 4 26 7 3 mit Erweiterung auf Gewaltfreie Institutiones Gai 4 72a und Sententiae Receptae 2 9 1 f Handbuch der Altertumswissenschaft X Rechtsgeschichte des Altertums 10 3 3 Max Kaser Das romische Privatrecht Verlag C H Beck Munchen 1955 S 507 Gaius 4 72 Gaius 4 72 Gaius 4 70 Ulpian eod 1 6 Gaius 4 70 Gaius 4 71 Papinian Digesten 14 3 19 pr siehe auch Ulpian Digesten 19 1 13 25 Vergleiche hierzu etwa Helmut Coing Europaisches Privatrecht 1800 1914 Munchen 1989 ISBN 3 406 30688 8 4 S 41 46 Bitte den Hinweis zu Rechtsthemen beachten Abgerufen von https de wikipedia org w index php title Adjektizische Klagen amp oldid 230730518