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Das Priestertum aller Glaubigen oder theologiegeschichtlich korrekt Priestertum aller Getauften ist ein Begriff der christlichen besonders der evangelischen Theologie Der Begriff hat dort verschiedene Bedeutungsstufen In den evangelischen Landeskirchen bedeutet er vorrangig dass alle Glaubigen eine unmittelbare und personliche Beziehung zu Gott haben und dass das unverzichtbare offentliche Predigtamt Pastor Pfarrer keinen Weihestand konstituiert In Freikirchen der evangelischen Tradition wird mit dem Begriff hervorgehoben dass jeder Glaubige der Gemeinde die Aufgaben die in anderen Kirchen der Pfarrer bzw Priester ausubt selbst ubernehmen kann Allerdings gibt es faktisch auch hier in den meisten Fallen Pastoren und durch Segenshandlungen Ordinationen bestellte Prediger Alteste Evangelisten oder Missionare mit irgendeiner Form von theologischer Ausbildung In der romisch katholischen Kirche wird seit der Dogmatischen Konstitution des Zweiten Vatikanischen Konzils uber die Kirche Lumen gentium 1964 ebenfalls ein gemeinsames Priestertum der Glaubigen gelehrt das sich darin aussert dass sie in allen Werken eines christlichen Menschen geistige Opfer darbringen und die Machttaten dessen verkunden der sie aus der Finsternis in sein wunderbares Licht berufen hat Dieses Priestertum unterscheide sich aber vom hierarchischen Priestertum dem Wesen und nicht bloss dem Grade nach Lumen Gentium 10 Inhaltsverzeichnis 1 Historisch 2 Altes Testament 3 Neues Testament 4 Fruhkirchliche Entwicklungen 5 Protestantische Position 5 1 Reformation 5 2 Spatere Entwicklung 6 Die Lehre der katholischen Kirche zum allgemeinen Priestertum 7 Gegenwartige okumenische Diskussion 8 Literatur 9 Einzelnachweise und AnmerkungenHistorisch BearbeitenHistorisch gehort der Begriff wesentlich zum Selbstverstandnis der Reformation und der aus ihr hervorgegangenen Kirchen und wird dort als Gegenbegriff zum besonderen sakramentalen Priestertum der katholischen und orthodoxen Kirchen verstanden Andererseits kennen auch diese Kirchen neben dem Amtspriestertum das allgemeine Priestertum aller Getauften Das Vorhandensein von Priestern setzt in allen Religionen eine Kluft zwischen den Menschen und der gottlichen Sphare voraus Mit fortschreitender Kultur und Arbeitsteilung entwickelte sich sehr oft doch wieder ein besonderer Priesterstand der sich mit der kultischen Vermittlung zwischen Himmel und Erde durch gnadenwirkende Opfer und mit der Interpretation des gottlichen Willens beauftragt sah Altes Testament BearbeitenEinen besonderen Priesterstand besass auch das alte Israel obwohl man dort durchaus auch ein allgemeines Priestertum aller Glieder des Gottesvolkes kannte 2 Mos 19 6 LUT Das Selbstverstandnis des levitischen Priesterstandes und die Kultpraxis der Kohanim spiegeln sich detailliert in der so genannten priesterschriftlichen Schicht des Pentateuch Dagegen bricht schon im Alten Testament die prophetische Mahnung auf dass der gottliche Geist uber ganz Israel ausgegossen sei Joel 3 1 LUT und eines Tages das ganze Volk Israel zu einer Priesterschaft fur die anderen Volker machen werde Jes 61 6 LUT Noch daruber hinaus geht die endzeitliche Vision von der Gabe des Geistes an alles Fleisch Neues Testament BearbeitenDiese Verheissungen sehen die Verfasser des Neuen Testaments durch Jesus Christus und das Pfingstereignis erfullt In der Kirche aus Juden und Heiden sind alle ihre Glieder durch die Taufe mit Christus verbunden der durch seine Liebeshingabe bis zum Kreuz und durch seine Auferstehung der einzige und endgultige Hohepriester und zugleich selbst zur Opfergabe geworden ist Das Neue im Neuen Bund ist dabei nicht eine Neu Einfuhrung eines allgemeinen Priestertums aller Glaubigen das schon der Alte Bund in Ansatzen kannte sondern die Uberbietung des alttestamentlichen allgemeinen Priestertums aller Glaubigen da nun auch Nichtjuden im Neuen Bund zu diesem Konigreich von Priestern und zum heiligen Volk gehoren 1 Petr 2 9f EU Offb 1 6 EU Fruhkirchliche Entwicklungen BearbeitenIn den fruhchristlichen Gemeindeordnungen Didaskalia Apostolorum Didache Apostolische Konstitutionen kommen die griechischen und lateinischen Bezeichnungen fur Priester nirgendwo vor Von Anfang an zeigen sich im christlichen Schrifttum allerdings gemeindeleitende Autoritaten fur die es verschiedene Bezeichnungen gab Eph 4 11 EU zum Beispiel nennt folgende Amter Apostel Propheten Evangelisten Hirten und Lehrer Weitere Amter sind Bischof Altester und Diakon In der Apostelgeschichte 20 17 28 EU werden zwar die Amtsbezeichnungen Alteste und Bischofe anscheinend synonym gebraucht die sich um die Wende zum 2 Jahrhundert abzeichnende Dreigliederung des Amtes Episkopos Aufseher Bischof Presbyteros Altester Priester Diakonos Diener Diakon ist jedoch in der Apostelgeschichte ebenfalls erkennbar Dabei wurde das Bischofsamt schon im Neuen Testament auf die Vollmachtsubertragung durch Handauflegung eines Apostels bzw Apostelnachfolgers zuruckgefuhrt Apg 8 18 EU Apg 14 23 EU Hebr 6 2 EU 2 Tim 1 6 EU Mehr und mehr wurden auf diese kirchlichen Amter alttestamentliche und griechisch romische Priestervorstellungen ubertragen besonders seitdem die Kirche nach der konstantinischen Wende zahlenmassig stark anwuchs und ihre Amtstrager die Rolle der Priester des alten Staatskults ubernehmen sollten Dies betraf auch die moralischen Anspruche die an antike Priester und Staatsbeamte gestellt wurden Protestantische Position BearbeitenReformation Bearbeiten Die Reformation Martin Luthers hatte ihren Ausloser in der Wiederentdeckung der zentralen christlichen Botschaft von der Rechtfertigung des Sunders allein durch die Gnade sola gratia die allein der Glaube empfangt sola fide In Abgrenzung zum romischen Priestertum formulierte Luther in einer reformatorischen Hauptschrift des Jahres 1520 An den christlichen Adel deutscher Nation von des christlichen Standes Besserung das Priestertum aller Getauften Alle Christen sind wahrhaft geistlichen Standes und ist unter ihnen kein Unterschied dann des Amts halben allein Demnach so werden wir allesamt durch die Taufe zu Priestern geweiht Was aus der Taufe gekrochen ist das mag sich ruhmen dass es schon Priester Bischof und Papst geweiht sei obwohl es nicht jedem ziemt dieses Amt auch auszuuben Martin Luther An den christlichen Adel 1520 1 In der Begrifflichkeit ist zunachst ausgedruckt dass alle Christen durch Glaube und Taufe einen unmittelbaren Zugang zum gottlichen Heil haben ohne auf priesterliche Vermittlung angewiesen zu sein Daraus folgt aber auch die Wahrnehmung priesterlicher Aufgaben durch die Glaubigen allen voran gegenseitige Furbitte und Trostung nicht jedoch die Aufgabe der offentlichen Predigt Ubir das seyn wir priester das ist noch vil mehr denn kuenig sein darumb das das priesterthum vns wirdig macht fur gott zu tretten vnd fur andere zu bitten Alsso hatt uns Christus erworben das wir muegen geystlich fur ein ander tretten und bitten wie ein priester fur das volck leyplich tritt und bittet Denn ob wir wol alle gleych priester seyn tzo kunden wir doch nit alle dienen odder schaffen und predigen Martin Luther Von der Freiheit eines Christenmenschen 1520 2 Anfangs war das allgemeine Priestertum fur Luther auch ein Argument dafur dass die Glaubigen unter sich geeignete Personen zum Predigtdienst berufen und beauftragen sollten Dass ein christlich Versammlung oder Gemeine Recht und Macht habe alle Lehre zu urteilen und Lerer zu beruffen ein und abzusetzen Grund und Ursach aus der Schrift 1523 In seiner Auseinandersetzung mit radikal reformatorischen Gruppierungen wie den Spiritualisten von ihm Schwarmer genannt und den Taufern die das egalitare Prinzip unmittelbar und radikal in kirchliche und staatliche Praxis umsetzen wollten betonte er jedoch bald mehr und mehr die Unableitbarkeit des Predigtamtes und verwies auf die Bibel und die kirchliche Tradition Daher enthielten die Kirchenordnungen der neu entstehenden lutherischen Landeskirchen von Anfang an klare Amter Ordinations und Visitationsbestimmungen In den lutherischen Bekenntnisschriften und somit der offiziellen Lehrauffassung der lutherischen Kirchen taucht die Lehre vom Priestertum aller Getauften nur an einer Stelle als Argument fur die Wahl der Pfarrer durch die Gemeinden auf 3 An einer anderen Stelle sprechen die lutherischen Bekenntnisschriften sogar von lutherischen Priestern vgl Apologie des Augsburger Bekenntnisses Artikel 13 Auch die Bekenntnisschriften der reformierten Kirchen lehren das allgemeine Priestertum und verstehen es als Teilhabe am Priestertum Christi Johannes Calvin Genfer Katechismus 1542 45 Frage 43 Heidelberger Katechismus Frage 31f Sie unterscheiden aber teilweise noch deutlicher zwischen dem allgemeinen Priestertum und dem Dieneramt 4 Spatere Entwicklung Bearbeiten Luthers Lehre vom allgemeinen Priestertum wurde im Pietismus in den evangelischen Kirchen revitalisiert Philipp Jacob Spener forderte in seiner Reformschrift Pia desideria 1675 an prominenter Stelle die Auffrichtung und fleissige Ubung des Geistlichen Priesterthums und verteidigte dies spater in weiteren Schriften gegen die lutherische Orthodoxie Besonders in der Gestalt von kleinen Gruppen zur gemeinsamen Bibellekture und gegenseitigen geistlichen Unterstutzung wurde der Gedanke in den evangelischen Kirchen popular Fur Johann Hinrich Wichern und sein Programm der Inneren Mission war das freie Vereinswesen in seiner schonsten Weise die Bestatigung des allgemeinen Priestertums der glaubigen Gemeindeglieder Die Lehre der katholischen Kirche zum allgemeinen Priestertum BearbeitenNach Ansicht der romisch katholischen Kirche gibt es ein allgemeines Priestertum der Getauften Dies schliesst die Existenz eines besonderen Priestertums nicht aus Im Hinblick auf das reformatorische exklusive Verstandnis des allgemeinen Priestertums sind lehramtliche Aussagen zum allgemeinen Priestertum bis zum II Vatikanum rar Im II Vatikanischen Konzil wird insbesondere in der Dogmatischen Konstitution Lumen gentium das gemeinsame Priestertum der Glaubigen betont und zugleich in Beziehung zum besonderen Priestertum der geweihten Priester gesetzt Christus der Herr als Hoherpriester aus den Menschen genommen vgl Hebr 5 1 5 EU hat das neue Volk zum Konigreich und zu Priestern fur Gott und seinen Vater gemacht vgl Offb 1 6 EU 5 9 10 EU Durch die Wiedergeburt und die Salbung mit dem Heiligen Geist werden die Getauften zu einem geistigen Bau und einem heiligen Priestertum geweiht damit sie in allen Werken eines christlichen Menschen geistige Opfer darbringen und die Machttaten dessen verkunden der sie aus der Finsternis in sein wunderbares Licht berufen hat vgl 1 Petr 2 4 10 EU So sollen alle Junger Christi ausharren im Gebet und gemeinsam Gott loben vgl Apg 2 42 47 EU und sich als lebendige heilige Gott wohlgefallige Opfergabe darbringen vgl Rom 12 1 EU uberall auf Erden sollen sie fur Christus Zeugnis geben und allen die es fordern Rechenschaft ablegen von der Hoffnung auf das ewige Leben die in ihnen ist vgl 1 Petr 3 15 EU Das gemeinsame Priestertum der Glaubigen aber und das Priestertum des Dienstes das heisst das hierarchische Priestertum unterscheiden sich zwar dem Wesen und nicht bloss dem Grade nach Dennoch sind sie einander zugeordnet das eine wie das andere namlich nimmt je auf besondere Weise am Priestertum Christi teil 16 Der Amtspriester namlich bildet kraft seiner heiligen Gewalt die er innehat das priesterliche Volk heran und leitet es er vollzieht in der Person Christi das eucharistische Opfer und bringt es im Namen des ganzen Volkes Gott dar die Glaubigen hingegen wirken kraft ihres koniglichen Priestertums an der eucharistischen Darbringung mit 17 und uben ihr Priestertum aus im Empfang der Sakramente im Gebet in der Danksagung im Zeugnis eines heiligen Lebens durch Selbstverleugnung und tatige Liebe II Vatikanisches Konzil Dogmatische Konstitution Lumen Gentium Nr 10 5 Fur Kardinal Papst Joseph Ratzinger war das allgemeine Priestertum nicht eine Konkurrenz zum liturgischen Auftrag des Presbyters sondern die Ausweitung des christlichen Kults in den Raum der Welt und der Menschheit hinein fur die die Gesamtheit der Christen priesterlichen Dienst zu tun berufen ist Ein solches Verstandnis der christlichen Weltfrommigkeit wird nicht nur biblischer sondern auch realistischer sein als eine allzu glatte Inkarnationstheologie 6 Gegenwartige okumenische Diskussion BearbeitenIn der gegenwartigen okumenischen Diskussion ist die Amterfrage einer der Differenzpunkte Es wird deutlich dass allgemeines Priestertum aufgrund der Taufe und besonderes Priestertum aufgrund von Ordination bzw Weihe nicht nur kontrar sondern auch komplementar verstanden werden konnen und dass allgemeines Priestertum nicht die Abschaffung von sondern Auftrag zu einer priesterlichen Lebensweise bedeutet Literatur Bearbeitenin der Reihenfolge des Erscheinens Hans Martin Barth Einander Priester sein Allgemeines Priestertum in okumenischer Perspektive Kirche und Konfession Bd 29 Vandenhoeck amp Ruprecht Gottingen 1990 ISBN 3 525 56532 1 Klaus Peter Voss Der Gedanke des allgemeinen Priester und Prophetentums Seine gemeindetheologische Aktualisierung in der Reformationszeit R Brockhaus Wuppertal 1990 ISBN 3 417 29363 4 Harald Goertz Wilfried Harle Henning Schroer Priester Priestertum II Allgemeines Priestertum In Theologische Realenzyklopadie Bd 27 1997 S 402 413 Harald Goertz Allgemeines Priestertum und ordiniertes Amt bei Luther Elwert Marburg 1997 ISBN 3 7708 1091 0 Markus Liebelt Allgemeines Priestertum Charisma und Struktur R Brockhaus Witten 2000 ISBN 3 417 29464 9 Marcel Schutz Perspektiven zum Pfarr Lektoren und Pradikantendienst in dienstgemeinschaftlicher Verhaltnisbestimmung In Deutsches Pfarrerblatt 9 2006 S 471 474 Volker Gackle Allgemeines Priestertum Zur Metaphorisierung des Priestertitels im Fruhjudentum und Neuen Testament Mohr Siebeck Tubingen 2014 ISBN 978 3 16 153234 4 Einzelnachweise und Anmerkungen Bearbeiten WA 6 S 407 Z 13 ff Z 22 f S 408 Z 11 f WA 7 S 28f Philipp Melanchthon Tractatus de potestate et primatu Papae 1537 In Die Bekenntnisschriften der evangelisch lutherischen Kirche Gottingen 1930 8 Aufl 1979 S 491f Confessio Helvetica posterior Art XVIII Diversissima ergo inter se sunt sacerdotium et ministerium Lumen Gentium Joseph Ratzinger Allgemeines Priestertum Aus Ders Sentire Ecclesiam In Geist und Leben 36 1963 S 321 325 Auszug in Sekretariat der Deutschen Bischofskonferenz Hrsg Der Glaube der Kirche Ein theologisches Lesebuch aus Texten Joseph Ratzingers Bonn 2011 online Arbeitshilfen Nr 248 Der Glaube der Kirche PDF S 14 abgerufen am 8 November 2021 Abgerufen von https de wikipedia org w index php title Priestertum aller Glaubigen amp oldid 237747663